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Global Village:

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Die Kirche im Dorf lassen

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Die Popkultur wird nationaler, als sie es jemals war.

Von Ralf

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Die Ver-Pop-ung des globalen Alltagslebens sagt de facto nichts über seine vielzähligen Facettenkonstrukte. Der popkulturelle Kosmopolit von heute hat, wenn er mental über den westlich geprägten Erdenball schwebt, ein Wechselbad der nationalen und regionalen Animositäten sondergleichen hinter sich zu bringen: und rein in die Klamotten – und raus aus die Klamotten, was so viel heißt wie: das eine wie das andere weigern sich, die Gemeinsamkeiten gelten zu lassen. Vielmehr legen die markttechnisch und emotional konstruierten beziehungsweise abgerufenen nationalen „Besonderheiten“ die „Spezifik“ der jeweiligen „Szene“ fest, die dann für eine bestimmte Facette der
deutsche kinder, 10.8k
„Gegengift: tiefgehend angloamerikanisch.“
popkulturellen „National“-Kultur zu stehen hat. Unterm Strich bedeutet dies, daß die Kleidungscodes – meinetwegen Basecaps und Daunenjacken – wie auch die Produktionsmittel, die 1210er Turntables etwa, überall Verwendung finden, aber in der Sphäre der Identifikation mit einem bestimmten Kultursegment als Voraussetzung für das halluzinierte Eigentliche angesehen werden. Und dieses Eigentliche wird innerhalb der Popkultur immer mehr zum Problem.
Die nationale Segmentierung des globalen Popmarktes läßt sich am besten an den bis auf längere Sicht bedeutendsten Popmultiplikatoren und -manipulatoren, den TV-Musikkanälen erkennen.
Als VIVA kam und deutsch moderierte sowie eine Art Qoutierung für deutsche Popprodukte einführte, purzelte das MTV-Monpol in Windeseile. Die Reaktion von MTV war erst einmal eine viel stärkere Rotation von vornehmlich deutschen Produktionen. Später dann wurden Nationalfenster geschaffen, die der sich angeblich stärker äußernden nationalen Popszenerie Rechnung tragen und von vornherein auch auf einen spezifisch nationalen Markt beschränkt bleiben sollte.
Im Unterschied zum amerikanischen MTV als Mutterformat und dem später als Markteroberer eingeführten MTV Europe spielt sich bei der Neuformatierung in nationale Segmente kein symbolhafter Streit wie etwa der historisch zu nennende zwischen United Kingdom und den United States Of America ab. Was wir derzeit erleben können, ist die Errichtung eines popkulturellen global village mit autarker Kulturproduktion, die tatsächlich nur den Anspruch erhebt, die Kirche im Dorf lassen zu wollen – also keinen mehr darüber hinaus anmelden will.
Für Deutschland läßt sich nun, historisch bewußt, leichtsinnig meinen, es wäre letztendlich gut so, wenn von Deutschland aus keine Produktion käme, die einen Anspruch auf Platzierung in den Weltcharts erhebe. Doch was man seit geraumer erleben kann, muß Anlaß zu großer Sorge geben. Die Doppelmoral bei der Präsentation national-populärer Produkte führt sich am Beispiel der Böhsen Onkelz, die im Gegensatz zu den Teutonen-Rockern und -Poppern von Rammstein, Wolfsheim oder Joachim Witt eben nicht rauf und runter gespielt werden, am deutlichsten selbst vor: Während Rammstein, Witt und Wolfsheim eindeutig sagen, daß sie sich von Rechts nicht abgrenzen, beteuern die Onkelz vergebens ihren Bruch mit den Nazis – wahrscheinlich werden sie von VIVA und MTV niemals gespielt werden.(1)
Warum sich das so verhält, verrät ein Blick auf die gesellschaftliche Konstitution des neuen Deutschland. Während eine Band wie die Onkelz von
(1) Daß das den Onkelz letztendlich gut ins Konzept des Outlaw Images paßt, sei jetzt mal beiseite gelassen.
Anfang an mit einer starken linken Öffentlichkeit konfrontiert war, weil sie in den Achtzigern, zur Hochzeit angeblich linker Neuer Sozialer Bewegungen, ihren Bullshit abließen, können die Bands von heute quasi in Allerseelen-Ruhe (Kleines Wortspiel – R.) mit rechten Inhalten und der Ästhetik kokettieren, ohne daß eine Öffentlichkeit sich darüber echauffierte. Der Grund dafür ist die Abwesenheit einer gesellschaftlich relevanten Linken, die einen systemüberwindenden Gegenentwurf liefern könnte. Diese Linke könnte erstens mit einer immanenten Eigendynamik der florierenden rechten Esoterik-Fascho-Scheiße Paroli bieten und zweitens auf der symbolhaften Ebene ein paar ehemals linke Allgemeinplätze wieder etablieren bzw. zurückerobern. Doch die Vorzeichen stehen undenkbar schlecht. Die versprengten paar Linken, die es noch gibt, beäugen folgerichtig die popkulturellen Vorgänge sehr skeptisch. Denn die sich selbst als Pop-Links begreifende Party- und Funfraktion lügt sich selbst noch das dümmste Besäufnis oder die dümmlichste Zukokserei zum politischen öffentlichen Statement zurecht, um ja nicht wirklich politisch zu sein, und damit auch im falschen Leben richtige Konsequenzen ziehen zu müssen.
Heinz-Rudolf-Kunzes vor einiger Zeit eingeforderte Quotierung der deutschen TV- und Radiolandschaft für deutsche Popprodukte ist, resümiert man einmal, was in den letzten Jahren hierzulande vonstatten ging, längst eingeführt. Die deutsche Sprache gilt auf allen Ebenen der Popmusik als „rehabilitiert“, ohne daß sich Hinz oder Kunz(e) auf die Schultern klopfen müßten und sagen: „Wir sind wieder wer“.
Die von der sogenannten Pop-Linken immer noch verteidigte Möglichkeit der Repräsentanz von Minderheiten durch Pop, das heißt die Sichtbarmachung und Stimmengebung gerade von Migrantinnen und Migranten durch das Pop-Biz funktioniert in allen westlichen Staaten besser als in Deutschland. Sei es nun Frankreich, bekannt für seinen administrativen Anti-Amerikanismus, England oder die Staaten. Überall gelang es gesellschaftlichen Minoritäten tatsächlich, sich Gehör und Akzeptanz zu verschaffen, weil sich mit dem Erfolg im Business auch der ökonomische Nutzen für die großen Pop-Konzerne einstellte. Nur in Deutschland funktioniert gerade das nicht. Auf dem dafür eigentlich prädestinierten Hip Hop-Feld tümmeln sich zuhauf weiße Jüngelchen – aufgelockert durch die Farbtüpfelchen, die einige Quoten-Kanaken und -Neger setzen sollen. Wer ein bißchen von der Entwicklung des Hip Hop in Deutschland blickt, kann erahnen, warum die an der Basis ganz stark von den Migrantenkids getragene Szene keine adäquate Möglichkeit der Repräsentanz in den Medien eingeräumt wurde. Den genauen Grund weiß niemand. Es wäre demzufolge mehr als interessant, einmal genauere Nachforschungen über die Entscheidungen für oder gegen eine jeweilige Migranten-Hip Hop-Gruppe bei den deutschen Popindustrie-Mäzenen anzustellen.
Der unüberschaubare Output der weltweiten Popindustrie erhöht für alle Beteiligten das Geschäftsrisiko. Das Lösen von nationalen Poptickets verspricht da so einige ökonomische Sicherheiten, die den immer möglichen Flop in seinem Ausmaß von vornherein begrenzen. „Das MTV-Konzept ‘think global, act local’“, so der deutsche Rolling Stone, „Symptom und Katalysator der neuen national-egoistischen Marktstrategien bei Medien- und Plattenkonzernen, hat sich als krasse Fehlspekulation entpuppt“. Denn, so das Blatt weiter, „ein VIVA für jeden Markt und keine Dorfjugend sehnt sich mehr nach dem Duft der großen, weiten Welt“.
Die vor einiger Zeit vorhergesagte Regionalisierung des Pop ist tatsächlich immer mehr vom Nationalen beherrscht. Hiesige Linke, die bis vor kurzem noch annahmen, daß MTV für das Anti-Nationale stünde, sehen sich ihrer Hoffnung auf die Langzeitsubversion der Konvertierung vom deutschen Wesen zur kosmopolitischen Persönlichkeit beraubt. Trotzdem gibt es keinerlei Alternative zur Popaffirmation. Immerhin ist auch das deutsche Popverständnis so tiefgehend vom angloamerikanischen geprägt, daß der damit vielmals beschworene Wertekanon von Sex, Drugs and so weiter, „dieses Gegengift (...) als Subtext“ (Jürgen Elsässer), seine nachhaltige Wirkung auf individuelle Lebenszeit in den meisten Fällen nicht verfehlen kann. Ob sich aus dieser Lebenshaltung nicht irgendwann auch arbeitsscheue, faule, ungehorsame Nazis entwicklen können, vermag jedoch niemand auszuschließen. Leztendlich nämlich leben selbst die Rechtsrocker von heute in aller Regel schon längst hedonistischer als die Genossinnen und Genossen der Kommunistischen Plattform.



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last modified: 28.3.2007