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Wo kein Iro schockartig nach unten klappt.

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In Berlin wurde anfang September nach ununterbrochener U-Haft Ulrich Lohmann verurteilt. Der Grund: Er soll auf einer Demo für das Abspielen eines Songs der alten Punk-Heroen Slime veranwortlich sein und damit Deutschland aufs Niedersträchtigste beleidigt haben. Das war früher ein Skandal für die Öffentlichkeit – heute klatscht man Beifall.

Als am 21. September das Ergebnis der Hamburger Senatswahl feststand, meinten so einige Antifaschisten gegen die DVU auf die Straße gehen zu müssen. Jene hat bekanntlich mit knappen 233 Stimmen den Einzug in den Hamburger Senat verfehlt.
Was aus diesem Antifa-Verständnis einmal mehr abzulesen ist, sei an dieser Stelle nochmals kurz skizziert: Anstatt an diesem Tag zur SPD-Wahlsiegparty zu ziehen, um dort den Zusammenhang zwischen einem law & order-Wahlkampf und dem Wahlerfolg der DVU herzustellen, indem die SPD und CDU dafür angegriffen werden, einen explizit rechtsradikalen Wahlkampf geführt zu haben, wäscht man diese Volks-Parteien noch dadurch rein, daß man von Antifa-Seite mit dem Finger auf die bösen Faschisten von der DVU zeigt.
Hier für alle, die tatsächlich den betreffenden Slime-Song nicht kennen, der Text:

„Wo Faschisten und Multis das Land regieren/wo Leben und Umwelt keinen interessieren/wo alle Menschen ihr ich verlieren/da kann eigentlich nur eins passieren:
Deutschland muß sterben, damit wir leben können.
Schwarz ist der Himmel und rot ist die Erde/stolz sind die Hände jener Bonzenschweine/doch der Bundesadler stürzt bald ab/denn Deutschland, wir tragen dich zu Grab!
Wo Raketen und Panzer den Frieden sichern/AKW und Computer das Leben verbessern/bewaffnete Roboter überall/doch Deutschland, wir bringen dich zu Fall.
Deutschland muß sterben, damit wir leben können/Deutschland verrecke, damit wir leben können/Deutschland.“

Auch in Berlin gab es anfang September ein Beispiel für die Verfaßtheit der linken Szene: Am ersten Mai diesen Jahres wurde auf der traditionellen „revolutionären“ Mai-Demo Ulrich Lohmann verhaftet. Der Grund: Uli soll die Verantwortung dafür tragen, daß der allbekannte Slime-Song „Deutschland muß sterben“ dort über Lautsprecher abgespielt wurde. Für Staatsanwalt- und Richterschaft Grund genug, ihn bis anfang September ununterbrochen in U-Haft zu nehmen. Am 4. September dann das Urteil des zuständigen Berliner Landgerichtes: „Zur Aufhetzung des Publikums“, so die richterliche Begründung, habe Uli „öffentlich ... die Bundesrepublik Deutschland beschimpft und böswillig verächtlich gemacht ... (und) sich absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand der BRD eingesetzt“. Deshalb wurde Lohmann zu einer Haftdauer von 9 Monaten, ausgesetzt auf vier Jahre Bewährung, verurteilt.
slime in hamburg, 9.6k
„von verzweifelter Aktualität?“ – Slime anfang der Achtziger im Hamburger „Bunker“
Hätten viele Leute noch Iros, so würden diese in anbetracht eines solchen Urteiles schockartig nach unten klappen. Doch selbst das bleibt bekanntlich heutzutage aus. In einem Flugblatt des „gemeinsamen revolutionären Antirepressionsbündnisses 1. Mai“ moniert man dann auch nur oberflächlich: „Die Herrschenden wollen Uli stellvertretend für alldiejenigen bestrafen, die es gewagt haben, an der Revolutionären 1. Mai-Demo und anderen 1. Mai-Aktivitäten teilzunehmen“. Als ginge es nicht um mehr. Immerhin entstand das Lied „Deutschland muß sterben“ anfang der achtziger Jahre innerhalb einer heterogenen sozialen linken, vornehmlich Jugend-Bewegung. Dort wurde es schnell zur Subszenen-übergreifenden Hymne, auf die sich alle einigen konnten – vom linken Öko über die Hausbesetzer bis zum kommunistischen Autonomen. Der Song begleitete über Jahre linke, linksradikale Geschichte, die gemacht wurde. Das alles in einer BRD, die das Trauma des verlorenen Krieges zu allerlei Toleranzen zwang. Mit 1989 jedoch kehrte dank der Zonis das lang ersehnte deutsche Selbstbewußtsein zurück. Und der Slime-Song, gespielt auf einer Demo, geriet, bewußt oder unbewußt, ähnlich der Ton-Steine-Scherben-Hymnen zum Ausdruck eines öffentlich veranstalteten antiquarischen Happenings, bei dem man immer noch froh sein konnte, nicht die alten Arbeiterbewegungsschinken der zwanziger und dreißiger Jahre hören zu müssen (oder gar das grottenschlechte Slime-Plagiat der dämlichen Ost-Rocker Skeptiker). Dabei gewann das „Deutschland muß sterben, damit wir leben können“ eigentlich erst durch die Wiedervereinigung seine wahre Bedeutung. Doch die politische Kurzsichtigkeit vieler (ehemals) Linksradikaler betrachtet bis zum heutigen Tag diese zum Leitmotiv taugende Textzeile als Folklore-Phrase. Viel lieber suggeriert man sich gegenseitig eine abstruse Stärke. Die Unterstützer von Uli formulieren das sehr beispielhaft wie folgt. An die Adresse des Berliner Senats gerichtet schreiben sie: „Die Demo und die anderen Aktivitäten am ersten Mai, an denen insgesamt über zehntausend Leute teilnahmen, waren für sie (gemeint ist der Senat, den die Autoren „Herrschende“ nennen - R.) eine große politische Niederlage“. In altbewährter Tradition werden aus allem heroische Siege konstruiert, um sich ja nicht einer gesellschaftlichen Analyse des Zustandes der Linken hingeben zu müssen. Würde man sich dieser selbst unterziehen, stellte sich nämlich heraus, daß da nicht mehr viel an Sympathie bei der vielbeschworenen liberalen Öffentlichkeit zu holen ist. Und das ist umso erstaunlicher, als mit Sicherheit gerade in den Medien- und Politetagen durchaus die eine oder andere Person sitzt, deren Biografie einen bewegungslinken Lebensabschnitt ausweist. Müßig zu spekulieren, ob jene einschlägigen Figuren nun konvertiert sind oder nur konsequent ihren Weg gegangen. Beim Prozeß gegen Ulrich Lohmann blieb ein liberaler Aufschrei entsprechend aus. Nicht zuletzt auch als Ergebnis des ständigen Geiferns nach Verboten von Nazi-Rock.
An einem der drei Verhandlungstage sollte übrigens auf Antrag der Verteidigung auch Diedrich Diederichsen, der große alte Pop-Theoretiker aus dem SPEX-Umfeld, quasi seine Expertenmeinung über den Slime-Song abgeben. Doch das hielt der Richter für unangebracht und lehnte ab. Was das nun wieder zu bedeuten hat, darüber läßt sich spekulieren: Ist Poptheorie vielleicht doch nicht so gesellschaftsfromm wie ich immer denke? Oder ist es vielleicht nicht eher so, daß Slime von verzweifelter Aktualität denn je sind? Ralf

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last modified: 28.3.2007