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Nie wieder Sozialismus!

Jan Ullrich hat für die Telekom die Tour de France gewonnen. Das Vaterland neidet ihm das und muß, anstelle etwas vom Kuchen abzubekommen, in den sauren Apfel beißen. Ralf meint, das ist ein Stück auf dem Weg zur Weltrevolution.

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„ein kleines Stückchen linker Utopie“ – aus: BILD vom 16. Juli 1997
Wie hätte wohl annodazumal das Merchandising für den Volkssportler Täve Schur ausgesehen, wenn die DDR-Volkswirtschaft die Konsumtion in Einklang mit dem Schüren von DDR-Identität hätte bringen können?
Nun, nicht nur, daß man es nicht wissen kann. Nein, es läßt sich nicht mal vorstellen, wie ein solches Unterfangen im Zuge der gesuchten Systemauseinandersetzung eine Produktpalette fern von Kitsch und nationalistischem Brimborium hätte hervorzaubern sollen. Die verlogene kleine Welt des DDR-Sozialismus stank aus allen Poren gestählter deutscher Körper. Daß das einen wie Täve Schur bis heute nicht anhebt und ohne weiteres einen Brückenschlag zu Jan Ullrich, dem „gesamtdeutschen Helden“ (Focus) aus der Zone, erlaubt, dafür sorgen nicht zuletzt „Attribute wie Sportlichkeit, Ehrgeiz, Ausdauer, Zielstrebigkeit, Treue und Zuverlässigkeit“(1), die den „stillen Helden“ (Spiegel) Ullrich umwehen wie den deutschen Urlauber im Ausland die D-Mark-Scheine. „Mein Ehrenwort - ich bin sauber!“, gibt er dann auch zum besten.(2) „Der jüngste Liebling der Nation wisse“, so porträtiert ihn die FAZ, „daß der einzige Grund seines Daseins die Arbeit sei. Autorität, starke Charaktere und das Schicksal scheint Ullrich als die Koordinaten seines Lebens zu betrachten“(3), genauso, wie man es ihm zu DDR-Zeiten eingebläut hat und vor ihm mit tugendhaft deutscher Bravour das Post-Landser-Modell Henry Maske bis zu seinem Abtritt zur Vollendung der inneren Einheit aller Deutschen in der Öffentlichkeit praktizierte.
Ein deutscher „Tourminator“ (Bild), dessen Mutter zu allem Überdruß in Rostock-Lichtenhagen wohnt und dem die endgültig rekonvertierte Zonen-Tageszeitung junge Welt auch noch attestiert, „nicht einmal ein ganz waschechter ‘Germane’“ zu sein, bloß weil er „bekanntlich aus der DDR“ stamme(4), ist einmal mehr der Rohling zur Produktion von Kollektivgeist im „Vogts/ Kohlschen Sinne“ (Freitag). Mit der Folge, daß da ‘einer von uns’ in einem Werteduktus obsiegt, der der Nation nur dienlich sein kann in Zeiten, in denen ‘wir alle’ mit einem „Ruck“ (Herzog) „den Gürtel enger schnallen müssen“ (Kohl).
Für eine bemerkenswerte Randnotiz sorgte im Zusammenhang mit Ullrichs Tour de France-Sieg der Chefredakteur des Neuen Deutschland Reiner Oschmann alias Oschi. In seinem Kommentar enblödet er sich einmal mehr als Lobbyist der Ostzonen-Halluzination von den Deutschen zweiter Klasse. „‘Das Ullile’“, so schreibt er, müsse als Zoni weiter siegen, „andernfalls kann’s ihm wie manchem schwarzen Athleten hinterm Großen Teich gehen: Solange sie siegen, sind sie Amerikaner, wenn sie verlieren, Nigger.“(5) Gesagt ist damit so einiges über den eisernen Willen, als guter Deutscher durchzugehen und die widerliche Ignoranz gegenüber etlichen Jahrhunderten Rassismus. Es ist eine Form von (Sub-)Nationalismus, die aus der Konstruktion einer vermeintlichen Minderheitenposition ganz bewußt mit den Priviliegien deutscher Staatsbürgerschaft bei den ‘richtigen’ Deutschen im Westen hausieren gehen will.

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„patriotischer Knalleffekt als Chinaböller“
„Das beängstigende ‘Jan Ullrich über alles’“ (De Telegraaf) hat jedoch einen folgenschweren Haken. Im Gegensatz zu Olympia, Weltmeisterschaften und anderen Inter-nationalen Zelebrationen der Leistungswahnsinnnigen vergegenwärtigt sich die nationale Herkunft des Telekom-Team-Sportlers erst im Nachgang. Die Ausblendung der von einer Firma angestrebten Identifizierung der konsumierenden Sportochsen über das Image-Prinzip der Corporate Identity verlangt von deutschen Medien ganze Arbeit und spielt sich im Spannungsfeld von Globalisierung und Nationaliserung ab. Die Die Zeit nennt das ein Musterbeispiel „für die Utopie einer multikulturellen Gesellschaft.“(6), die der „neue Sultan des Sattels“ (Daily Mail) mit seinem Team da verkörpere. Und fürwahr ist zumindest augenscheinlich, was kaum einem Linken auffiel: Das Verhältnis der Deutschlandfahnen zu den Telekom-Fähnchen in den Händen der jubelnden Menge ging als glatter Punktsieg zugunsten der Kommerzialisierung versus Nationalisierung durch. Da half auch kein kenseyanisch veranlagter Radsportfan Scharping als Sonderberichterstatter für Bild. Das „deutsche Erfolgsmodell“ (Süddeutsche Zeitung) ist trotz aller medialen Bemühungen ein national verhunztes. Gerade deshalb, weil man in Deutschland immer vom schlimmsten ausgehen muß, sollte es einen erfreuen, daß der patriotische Knalleffekt nicht über die Wirkung eines Chinaböllers hinaus kam.
Der Warenfetischismus, der die Gesellschaft tendenziell vom nationalen Getöse abzukoppeln in der Lage ist, vermag von seinem Charakter her tatsächlich das nationale Zucken in Warenwert-konforme Bahnen umzulenken. Voraussetzung dafür ist allerdings der Kapital-immanente Internationalismus, der nur dann hinter dem Faschismus zum Stehen kommt, wenn die durch Ideologie geschürte Volksgemeinschaft das Individuum der nationalen Phrase opfert und dadurch die Standortbedingungen für das Kapital so optimiert, daß der gleichzeitige Produkt-Absatz nicht gefährdet wird.
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„Das Verhältnis der Deutschlandfahnen zu den Telekom-Fähnchen: glatter Punktsieg.“
Diese Lesart bedeutet in der Endkonsequenz, daß der Neoliberalismus, der in seiner Reinform nichts anderes wie Kapitalismus ohne nationalen Wahn ist - also nichts, was der Marxismus nicht schon immer wußte -, durchaus das Zeug zur Vorbereitung der Weltrevolution hat. Insofern steht es allen Linken gut zu Gesicht, die Kommerzialisierung des Sports als ein Stück De-Nationalisierung zu begreifen; als eine Abkehr vom fatalsten Hemmnis der Menscheitsemanzipation, der Nationen-Apologetik.
Es ist ein kleines Stückchen linker Utopie, das der Focus als Charakter der Tour de France herausstellt: „Fuhren früher bei der ‘Tour’ Mannschaften von Nationen gegeneinander, so sind es heute Teams von Telefongesellschaften, Banken und Uhrenherstellern“.(7)
Dagegen erblaßt jeder Verweis auf die Erfolge des idiotischen DDR-Sports - vielleicht mal abgesehen vom 1 : 0 der DDR-Fußballer gegen die BRD. Wer beispielsweise den „Giganten“ (Bild) Ullrich dafür hochhält, daß er in den Sportschulen der Ostzone gedrillt wurde, der impliziert damit das Leitmotiv der DDR; beim letzten Turn- und Sportfest der DDR hing am Eingang zur Deutschen Hochschule für Körperkultur und Sport (DHfK) in Leipzig ein riesiges Banner mit der Aufschrift: „Der Sozialismus braucht gesunde und lebensfrohe Menschen!“.
In diesem Sinne bleibt für die Linke nur die Forderung: Nie Wieder Sozialismus! Und Täve Schur darf nie wieder Volkskammerabgeordneter werden.

Anmerkungen
(1) in: Focus 32/1997
(2) in: „Jan Ullrich, Große Schleife - Die zweite“, Sportverlag Berlin, 1997
(3) FAZ vom 28. Juli 1997
(4) junge Welt vom 29. Juli 1997
(5) Neues Deutschland vom 28. Juli 1997
(6) Die Zeit vom 1. August 1997
(7) Focus 31/1997



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last modified: 28.3.2007