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Die goldene Brücke
zum Romantizismus

Das Verhältnis der Linken zur veganen Tierschutzbewegung ist ein gespaltenes.
Die Gründe dafür müssen ersteinmal verspeist sein.
Von Ralf.

„Auschwitz ist“, schrieb einst Theodor W. Adorno, „wenn einer im Schlachthof steht und denkt, es sind ja nur Tiere“. Symptomatisch für das Gros der Tierrechtler zitierte diesen Satz in einer Leserzuschrift an das Hausblatt von Animal Peace eine „Nataly aus Lindlar“.(1) Es geht ihr darum, den KZ-Vergleich in bezug auf die Massentierhaltung und industrielle Vernutzung von Tieren nachdrücklich zu legitimieren. „Der Vergleich ist so treffend“, stellt sie dann abschließend fest.
Daß der Schein tatsächlich das Sein bestimmt, haben dann auch jene erkannt, die sich die autonome „triple oppression“-Kunde zunutze machten und sie konsequent zur „Unity of Oppression“ (UoO) weiterten.(2) Die UoO-Aktivisten wissen, daß in der Tierrechtszene einiges stinkt und erschnuppern sich ihre Ansicht, nach der „über den Kampf für Tierrechte nur allzu oft andere Probleme und Widersprüche vergessen oder hintangestellt“ werden.(3) Auch die implizierte Ahnung, „daß Tierrechte kein ausschließlich linkes Thema“ sind und „die Unterschiede in den Ansätzen sogar gravierend sein können“, ereilt sie folgenschwer(4): „Mit Menschen, die Tierunterdrückung faktisch zum Hauptwiderspruch machen, können wir uns eine Zusammenarbeit nicht mehr vorstellen“.(5)
lesende katze, 3.5k
Emanzipation und Subjektbezug – die lesende Katze erkundigt sich nach ihrem Interesse (aus: No Hierarchy! Nr. 1, Ende ’96)
Jedoch ist das alles nicht so konsequent gemeint, wie es sich anschickt. Getreu der Vorstellungskraft autonomer Bewegungslehre erreicht die Symbiose aus öffentlich und privat dort ihre Grenze, wo der Aktionismus zum alles entscheidenden Kriterium wird: „Ein Herausdrängen der Tierrechtsszene aus linken Zusammenhängen führt unserer Meinung nur zu noch mehr Sektiererei und Spaltung und schiebt darüberhinaus die nicht so explizit politischen Teile der Tierrechtsszene bewußt in die rechte Ecke ab, wo sie vermutlich mit Kußhand aufgenommen werden.“(6)
In der Unbedarftheit moralischer Legitimation stellt sich aber die Frage, warum Tierschützer in einem Anflug geistiger Elastizität ohne weiteres in das rechte Lager jumpen sollen können. Die Moral als per se linkes Ding dient ihnen schließlich als das einzige Kriterium der Selbstverortung. Sie allein beeinflußt und bestimmt ihre mutmaßliche Nähe zur autonomen Szene.
Dessen bewußt, erkennt diese die Parallelen zu ihrer eigenen Geschichte.(7) Nur soweit denken, wie man handeln kann – und schluß! Dieser Zustand verstärkt sich in Zeiten der eigenen Agonie. Der Unwille, sich den gesellschaftlichen Zuständen analytisch zu nähern und darüber erst Politik zu machen, ermöglicht eine Beliebigkeit, die Tierschutz als Vehikel für Neuzugänge geradezu heraufbeschwört. Es ist die Kehrseite einer Erkenntnis, die solange gut zu gehen schien, wie das materialistische Postulat vom Menschen als Maß aller Dinge eine augenscheinliche Aternative in Form des real existierenden Sozialismus und der daran notwendigen Kritik einschließlich daraus resultierender Praxis möglich machte. In einer Zeit jedoch, wo der Markt als vermeintliches Ende der Geschichte zum Maß aller Dinge geworden ist, enpuppt sich die Verfaßtheit der autonomen Szene als Kapitulation vor dem Kapitalismus.
Um sich diese Tatsache jedoch nicht eingestehen zu müssen, wird sie entsprechend kaschiert. Dazu bedarf es der Hinwendung zu einer ergiebigen Projektionsfläche, auf der sich so einiges anstellen läßt. Selbst die ganz vereinzelten Stimmen, die ihren Veganismus als Tierschutzkonsens so weit in den Hintergrund rücken, daß sie es für „müßig“ halten „zu diskutieren, ob Veganismus eine ernstzunehmende linksradikale und politische Forderung ist oder die fundamentalistische Bankrotterklärung einer rechtslastigen Linken“, und daraus „abseits von den großen politischen Fragen der heutigen Zeit“ den Schluß ziehen, einzig und allein „moralisch korrekt (m.c.)“ daherzukommen(8), können ihren Standpunkt als Politikersatz mangels zu gern gewollter politischer Antwort nicht verhehlen. Schließlich, und das ist hier letzlich das entlarvende, reiht sich auch diese Position in den Wettbewerb um das Sammeln der meisten Widerspruchserkenntnisse als Ausdruck unzähliger Herrschaftsverhältnisse ein.
Die innere Zerissenheit, die daraus nur folgen kann, wenn man nicht mehr durchsieht, sondern nur noch augenscheinlichem gewahr wird, ist dann die goldene Brücke zum Romantizismus jeglicher Spinnereien – den ungefährlichen wie den gefährlichen.
„Bruder Nationalsozialist, weißt Du, daß Dein Führer schärfster Gegner jedweder Tierquälerei, vor allem der Vivisektion, der „wissenschaftlichen“ Tierfolter ist, dieser entsetzlichen Ausgeburt der jüdisch-materialistischen Schulmedizin (...)?“, hieß es damals unisono in diversen Nazi-Blättern.(9) Solcherlei Zitate, so weiß Die Woche zu berichten, dienen nur dazu, „Tierschützer zu diskreditieren“.(10) Doch die innere Logik jedweder Suche nach archetypischer Eintracht aller nur möglichen Interessenlagen verheißt – konsequent angewendet und weiter gedacht – immer dasselbe: zurück zur Natur und ihrer angeblichen Gesetzgebung. Da helfen weder die in der Tierrechtsbewegung allerorten zu vernehmenden Dementis einer Gleichsetzung von Mensch und Tier noch die dreiste Lüge, daß die Abkehr vom sogenannten Speziezismus automatisch die Verurteilung von Rassismus und Sexismus bedeute.(11)
aus peta, 8.5k
Der Wettbewerb um das Sammeln der meisten Widerspruchserkenntnisse – Skandal! Herrschaftsverhältnis Nr. 18c – Veganer unterdrücken Hunde! (aus: PETA’s Animal Times, März/April 1995)
Linke Tierschützer versuchen, die Unterscheidung zwischen ihnen und den anderen mit dem Verweis auf emanzipative Grundwerte und Subjektbezug als ihnen handlungsimmanent zu untermauern. Dies erfolgt in der strikten Absicht, sich nicht den Vorwurf des Biologismus einzuhandeln. Um diesen aber zu vermeiden, bedarf es einer Art freiwilliger Selbstkontrolle, weil, „es ist nicht so einfach mit ‘gut’ und ‘böse’ und darum ist der Weg zur herrschaftsfreien Gesellschaft eben vor allem auch noch mit jeder Menge Kämpfe mit uns selber (...) gepflastert“.(12) Und da das eben so ist, wird der Tierschutz als Erkenntnis eines wesentlichen Unterdrückungsverhältnisses doch noch hintenrum zum Opium, das die Selbstkasteiung in eine den autonomen Gepflogenheiten entsprechende Form erhebt.
Der Tierschutz hat derzeit Hochkonjunktur. Seinen Zenit hat er jedoch noch lange nicht erreicht. Denn, Werden und Fall der Tierschützer koppelt sich an die Intensität praktizierter Verwertungslogik. Dem Fetisch Ware ist es nun mal eigen, sich so zu entfalten, wie das Verschwinden seiner Hemmnisse es ihm ermöglichen.
Die Tierschützer als eine soziale Bewegung zu begreifen ist deshalb richtig. Schon darum, weil es auf die Perspektive verweist, die bisher jeder sozialen Bewegung in der Bundesrepublik beschieden war: Die Modernisierung des Kapitalismus. Es gibt da also eigentlich nur ein Problem. Der Reformierbarkeit des Kapitalismus auf dem Weg in die Barbarei fehlt der Staat, der diese Reform bezahlen könnte. Daraus folgt, was alle ereilt, die nicht durchblicken wollen und nur den Augenschein wahren: Sozialdarwinismus ohne Kapitalismus. Aber dafür mit Tieren als gleichberechtigte Rivalen. Naturromantik pur als absoluteste Extremsportart. Mit viel Fun, versteht sich.
Anmerkungen:
(1) in: Recht für Tiere
3/94
(2) „triple oppression“ ist der Begriff für die Erweiterung des Hauptwiderspruches von Kapital und Arbeit auf Patriarchat und Rassimus. In der Theorie der „triple oppression“ wird die Eigenständigkeit dieser drei Unterdrückungsverhältnisse in einer jeweiligen Wechselseitigkeit dargestellt. Diese Theorie stellt ein bedeutendes Ergebnis der Diskussion innerhalb der Neuen Linken dar, weil in ihr Mechanismen beschrieben werden, die auch außerhalb der Kapitallogik funktionieren.
Vergl. dazu: „Metropolen(gedanken) und Revolution“; Edition ID-Archiv 1991
sowie „Drei zu Eins“; Texte von Ingrid Strobl, Klaus Viehmann u.a., autonome l.u.p.u.s. gruppe; Edition ID-Archiv 1993.
Zum Unity of Oppression-Ansatz schreiben beispielsweise „Berliner Anarcha/o-VeganerInnen“ in „No Hierarchy! anarchistische, antipatriarchale, radikalökologische Zeitung von TierrechtlerInnen“ Nr.0, Anfang ‘96:
„Noch nicht lange als Idee existierend und bei weitem noch nicht bis ins kleinste definiert (...) scheint uns (der Unity of Oppression-Ansatz – R.) dennoch der radikalste und differenzierteste Ansatz in Sachen Unterdrückung zu sein, den bisher emanzipierte Menschen formuliert haben. Er besagt vor allem, daß (...) jede Form (wir gehen davon aus, daß es weit mehr als drei gibt) der Unterdrückung zu bekämpfen ist (...).
(3) in: „No Hierarchy!“ Nr.0, Anfang ‘96
(4) a.a.O.
(5) a.a.O. einige Berliner TierrechtlerInnen; „Thesenpapier über den Umgang mit Rassimus/Sexismus“
(6) a.a.O. „Nachbetrachtungen der Berliner Anarcha/o-VeganerInnen zur Tierrechtswoche im Juni ‘95 in Hamburg“
(7) beredtes Zeugnis davon legt ein Papier in der Interim Nr.320 ab. Überschrieben mit „Durch Wände sehen – eine Kritik am triple oppression-Ansatz und seiner Praxis“ heißt es dort: „Wir lehnen das Denken in ‘Haupt- und Nebenwidersprüchen’ ab. Unserer Ansicht nach ist es im Endeffekt egal, ob Menschen, Tiere und die Mitwelt im allgemeinen von Menschen aufgrund von Patriarchat, Rassismus oder Kapitalismus unterdrückt werden. Das ist doch nur ein Abschieben an irgendeine angeblich zuständige Instanz, Ablenkung von der Beteiligung jeder/s Einzelnen.“
(8)> in: No Hierarchy! Nr.1 Ende ‘96: „Tiere und Gentechnik“; Tierrechtsgruppe Leipzig; Fraktion der hauptsächlichen Nebenwidersprüche
(9) vergleiche dazu: Ernst Klee; „Von Menschen und Tieren“, in: Die Zeit v. 30.6.1989
hier zitiert aus: Ökolinx 15, Mai/Juni 1994: Toni Menninger; „EMMA läuft Amok“
(10) in: Die Woche Nr.49, 29. November 1996: Jörg Werner; „Sache Tier“
(11) Der Begriff Speziezismus dient in der Tierrechtsszene hauptsächlich als Kampfbegriff, um die Fixierung jeglicher Weltbilder, Religionen, Ideologien, einzig und allein auf den Menschen, anzuprangern.
(12) in: No Hierarchy! Nr.0, Anfang ‘96: „Nachbetrachtungen der Berliner Anarcha/o-VeganerInnen“ zur Tierrechtswoche im Juni ‘95 in Hamburg“

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last modified: 28.3.2007