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Neudeutscher Jahrestag.

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Am 26.5.1993 wurde das Grundrecht auf Asyl abgeschafft.

Fünf Jahre ist es her, daß mit der 2/3-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat das Grundrecht auf Asyl abgeschafft wurde. Heissa, ein Feiertag für die Deutschen, möchte man meinen, aber warum wird er nicht gebührend begangen? Weil noch keine Partei, kein Verein und noch keine Zeitung die Initiative für entsprechende Feierlichkeiten übernommen hat?
Nun, damals bedurfte es nicht eines autoritären Fingerzeigs, die Initiative kam bekanntlich von unten. Mit dem Anzünden der Flüchlingsunterkunft von Rostock-Lichtenhagen signalisierte das Volk und
pogrom in rostock-lichtenhagen 1992, 8.2k
Rostock-Lichtenhagen: Organisierte Neo-Nazis, rechte Jugendliche und Rostocker „Bürgerinnen und Bürger“ greifen am 22.8.1992 die Zentrale Anlaufstelle für AsylbewerberInnen an. Am 24.8.1992, dem dritten Tag des Pogroms, werden die Flüchtlinge abtransportiert, die Angriffe gehen jedoch weiter. In einem angrenzenden Gebäude leben 150 vietnamesische VertragsarbeiterInnen. Am Abend wird das Gebäude mit Molotow-Cocktails in Brand gesteckt, nachdem die Polizei sich vollständig zurückgezogen hatte.
seine Nazis einen der gewichtigsten Imperative der deutschen Politik nach der Wiedervereinigung: Deutschland den Deutschen.
Am Programm zum Pogrom war so ziemlich jede Sphäre im wiedervereinten Land beteiligt. Parteien-, schichten- und klassenübergreifend akklamierten die Deutschen ihr traditionelles Phantasma nach rassischer Reinheit. Im Spiegel, der Bild-Zeitung, auf Republikanerplakaten und in den Statements der etablierten Parteien begegnete man derselben Sprache, nahezu synchron schallte es überall „Asylbetrug“, Asylmißbrauch“, „das Boot ist voll“ etc. Die Nationalzeitung feierte das „Fanal von Rostock“ und der Spiegel gab dem Pöbel publizistische Schützenhilfe, denn „die Besudelung deutschen Saubersinns und Ehrgefühls durch die öffentliche Fäkalpraxis der Fremländischen“ fand man auch im Vorzeigeblatt der deutschen Linksliberalen nicht hinnehmbar. Der Stammtisch wurde zum Zentrum des politischen Diskurses, die Deutschen waren ihrem Ideal von Volksherrschaft (1933-1945), wie vielleicht schon ‘89, wieder sehr nahe gekommen.
Von den wenigen sprach- und fassungslosen Liberalen und Linken, welche die Ausnahme von der Regel bildeten, schlich sich ein Großteil über die Ausrede, man könne den Rechtsradikalen nur das Wasser abgraben, wenn man das Grundrecht auf Asyl ändere, mit in das angeblich volle Boot. Und alle mit deutschem Blut und dem Bekenntnis dazu wurden auch weiterhin freundlich aufgenommen, die aber, den dieser Zufall nicht vergönnt war, wurden schikaniert und gejagt und nicht wenige schickte man über die Planke. Den meisten aber verwehrte man fürderhin rechtstaatlich abgesichert den Eintritt.
So pflasterten auch weiterhin Leichen den Weg hin zur deutschen Identität. Nur mit dem Unterschied, daß sich die Deutschen vor den ertrunkenen Flüchtlingen, die von nun ab in Oder und Neiße ihr Leben ließen, weniger fürchten mußten als vor den Toten der brennnenden Flüchtlingsunterkünfte. Denn an den exterritorial angefallenen Leichen wollte sich schon gar keiner mehr stören, schadeten diese doch nicht der deutschen Exportnation.
Im Innern aber war die Ruhe wieder hergestellt, der rassistische Volkswille war institutionalisiert, das Plebiszit vorerst ausgesetzt. Der Staat verteidigte sein Monopol, denn nur geordnet läßt sich das Land zu neuen Ruhmestaten führen. Damit der Pöbel aber die Umarmung mit seinen Anführern nicht so schnell vergißt, wurde die rassistische Praxis noch um Abschiebeknäste und Bullenterror ergänzt. Wer wollte, konnte also jetzt indirekt den deutschen Vertreibungs- und Vernichtungswillen befriedigt sehen. Der aktionistischen Avantgarde, den Nazis, die sich damit
abschiebeknast duesseldorf-gerresheim, 7.9k
Abschiebeknast Düsseldorf-Gerresheim
nicht zufrieden gaben, war man eine Zeitlang richtig böse und die Öffentlichkeit rief ein ums andere Mal ganz laut „buh, buh buh“, nicht aber ohne sich über Jugendpsychologen, Sozialarbeiter und Pädagogen bei den Gescholtenen wieder einzuschmeicheln.Wenn dann trotzdem hier und da ein Migrant aus der Straßenbahn geworfen wurde oder in einer Flüchtlingsunterkunft fast ein dutzend Menschen verbrannten, dann waren defekte Herdplatten oder die Ausländer selber die Täter.
Wer die Statistiken der Verfassungsschützer kennt, weiß, daß einer nicht geringen Menge von Deutschen dieser Ist-Stand zu wenig ist. Mit steigender Tendenz treten die Kameraden wieder selber zum Pogrom an und ganz offen verlangt ein nicht zu überhörender Mob nach den radikaleren Vertretern des deutschen Rassismus. Vielleicht sollte der Jahrtestag wirklich erst nach 10 oder 15 Jahren begangen werden, wenn man sich an die Anwesenheit der Nazis in den Parlamenten genauso gewöhnt hat, wie an die Auswirkungen der Abschaffung des Asylrechts oder die Aufmärsche der NPD. Wahrscheinlich wird aber der Geburtstag nur deshalb nicht begangen, weil er als identitässtiftender Faktor nach Innen nicht ausreichend und auch nicht genügend spektakulär ist, nach außen aber zur Bestätigung antideutscher Einstellungen taugt, vor denen man sich gegenwärtig noch fürchtet.
Der clevere Rassist mit genügend Sitzfleisch kann, Feier hin oder her, zufrieden sein, die Entwicklung kommt auf jeden Fall seinen Forderungen entgegen. Auch ohne Nazis im Bundestag novelliert dieser die Lebensbedingungen von Flüchtlingen zu Grunde; jüngst passierte die Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes das Parlament. Zwar kam das Aushungergesetz nicht ganz so durch wie geplant, die Aussage bleibt nichtsdestotrotz eindeutig: Flüchtlinge mit prekärem Aufenthaltsstatus sollen raus und zwar schnell. Deshalb streicht man ihnen sukzessive die ohnehin spärlichen Zuwendungen. Der Hunger drängt sie dann früher oder später in die Kriminalität, also in den (Abschiebe-)Knast oder sie reisen freiwillig aus.
Empörend findet dies kaum jemand. Bei der Abschaffung des Asylrechts gab es noch die ein oder andere Protestnote und auf einigen Autonomen-Demos artikulierte sich wenigstens sowas wie Wut. Die TAZ, die damals noch mit Scheingefechte schlug und die Aushöhlung des Grundgesetztes beweinte, kein mensch ist illegal, 11.3k freut sich heute, daß der „Asylkompromiß... auch seine linken Kritiker von einem Konfliktfeld entlastet.“, denn heute könne ja niemand mehr ernsthaft offene Grenzen und Staatsknete für Flüchtlinge fordern, ohne den Rechtsradikalen damit Auftrieb zu geben. Sauber! Je weniger Ausländer desto weniger Nazis. Hätten die Deutschen in Auschwitz wirklich alle Juden umgebracht, wären sie auch keine Antisemiten mehr gewesen. Wer schickt der TAZ die Baseballschläger und Mollis für den ganz besonderen alternativen Antifaschismus?
Einzig ein paar linke Gruppen um die Kampagne „Kein Mensch ist illegal“, versuchen politischen Widerstand und praktische Flüchtlingshilfe zu koppeln, doch ihr Engagement hinkt der Realität oft hoffnungslos hinterher. Kaum eine Woche nachdem in der Zeitung zur Kampagne zu Aktionen gegen das Aushungergesetz aufgerufen wurde, weil es „nicht zuletzt von der Stärke und Unermüdlichkeit des Widerstandes abhängt“, ob das Gesetz beschlossen wird, da war es auch schon rechtskräftig und harrte seiner praktischen Verwirklichung. So sind die fünf Jahre nach der Änderung des Artikels 16 auch ein Gradmesser für die Interventionsfähigkeit antirassistischer Politik. Daß das deprimierende Ergebnis den Nazis und den anderen Deutschen auch kein ausreichender Grund zum Feiern ist, kann eigentlich nur noch an deren grenzenlosen Selbstvertrauen liegen – und an der Fußball-WM. Die befriedigen den Bedarf an Gemeinschaftsgefühl derzeit wohl ausreichend.
Frank


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last modified: 28.3.2007