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Subjektive Anmerkungen als Reaktion auf den
von Tom Holert und Mark Terkessidis herausgegebenen Sammelband
Mainstream der Minderheiten - Pop in der
Kontrollgesellschaft
Das Paradigma von der Kontrollgesellschaft ist
Realität. Sie findet nicht zuletzt ihren Ausdruck in der
allgegenwärtigen, jederzeit zugänglichen Information über alles
und jedes. Deshalb funktioniert die Selbstdisziplinierung von Differenzen,
Subjekten und Individuen in einer Wechselseitigkeit, die das mutmaßliche
Opfer-Täter-Bild miteinander verwoben hat. Der vermeintliche Overkill von
Sub- und Hochkultur ist das gegenseitige Aufgehen in der Kategorie Pop. Dabei
muß man sich nicht zwingend bewußt werden, Pop zu sein, zu
produzieren oder zu leben. Denn gerade aus dem Nicht-Bewußtsein von
Pop-Mechanismen bezieht die Kontrollgesellschaft die substantielle Nahrung
für ihre Existenz. Daß dabei der Kommunikation doch die Rolle
zufällt, die ihr die 68er immer eingeräumt haben, ist nicht
zufällig. Anders, als es ihr Weg durch die Institutionen beabsichtigte,
ist die Kommunikation jedoch heute keine Frage der Macht, b.z.w. deren
Ausübung, sondern eine Grundbedingung für die Migliedschaft in der
Kontrollgesellschaft. Die erstaunliche Parallelität zwischen der 68er
Theorie und der Praxis der Pop-Mechanismen ist Ergebnis einer konsequenten
Entwicklung, die den wenigsten ihrer Protagonisten wirklich bewußt wurde,
obwohl all ihr Tun darauf gerichtet war.
Notwendigerweise gilt es, auch an dieser Stelle Pop in die Relationen zu
setzen, die ihn ausmachen. Pop enthebt sich der klassischen Rolle eines
Revolutionsvehikels. Soll heißen: auf Pop zu setzen, mit der Revolution
im Gepäck, ist ein Irrglaube, der meineserachtens immer noch nicht
vollständig ausgeräumt ist. Der Spagat zwischen Reformismus und
qualitativ Neuem funktioniert unterhalb revolutionärer Ebenen. Zumindest
der Ebenen, die die linken Wertegefüge immer noch verkörpern. |
Kurzfassung zu den Thesen des Sammelbands Mainstream der Minderheiten Pop in der KontrollgesellschaftIn den fünfziger Jahren wurde Pop zum Medium symbolischer Auseinandersetzungen. Pop diente der Repräsentation von abweichenden Lebensweisen, drückte das Lebensgefühl einzelner Gemeinschaften und ganzer Generationen aus, ließ Jugendliche Widerstand und Differenzen artikulieren.Diese progressive Repräsentationsfunktion von Pop, die immer schon problematisch war, muß heute erneut überdacht werden. Sollen nicht die Platten von Oasis und Blur auf reaktionäre Weise genuin britische Nationalkultur verkörpern, benutzen nicht pseudo-primitive Rave-Tribes Techno als Stammesmusik? In Gesellschaften, in denen Differenz zu einem Verkaufsargument erster Güte geworden ist, erscheinen die Unterschiede, die mit Hilfe von Pop gemacht werden sollen, ihrer letzten gesellschaftsverändernden Durchschlagskraft beraubt. Ob rebellische Verweigerung oder postmodern-ironische Umarmung subversive Gesten werden problemlos vom Markt assimiliert bzw. von diesem gleich selbst produziert. Je mehr sich das Repertoire popkultureller Äußerungsweisen erweitert, desto flexibler reagieren die zuständigen Marketingabteilungen auf jede Mikroentwicklung. Die erfolgreiche Etablierung des Marktsegmentes Alternative Rock in den neunziger Jahren ist hier nur das bekannteste Beispiel. Als KonsumentIn darf man abweichen, soll man sich rebellisch verhalten, auch jede Menge Ironie ist erwünscht nur dort, wo statt differentiellem Konsumverhalten offene Gewalt geübt wird, droht weitreichende Ausgrenzung. In dieser Situation, die als endgültiger Übertritt von der starren Disziplinargesellschaft in die flexible Kontrollgesellschaft beschrieben werden kann, büßen altbekannte Kategorien ihre Geltung ein: Underground-Kultur und die Praxis global operierender Unterhaltungskonzerne schließen sich nicht mehr gegenseitig aus. Im Gegenteil, sie harmonieren hervorragend. Und der scheinbar unbewegliche Koloß Mainstream inszeniert sich permanent als Minderheitenveranstaltung: Vor großer Kulisse wird der Eindruck prickelnder Marginalität vermittelt. Die Logik der Differenz kann nicht durch immer neue Differenzierungen unterbrochen werden. Statt dessen müssen die vielfältigen Kontrollen und versteckten Homogenisierungen des Differenzkapitalismus analysiert werden. Und hier sollte Pop nicht nur Objekt, sondern auch das Subjekt der Analyse sein. Tom Holert, Mark Terkessidis |
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