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Aktuelles Heft

INHALT #266

Titelbild
Distanzierung
• das erste: Die islamistische Rechte. Teil 2: Türkische Massenbewegungen und Staatsislamismus
• inside out: Presserat spricht Missbilligung gegen Leipziger Volkszeitung Online aus
• interview: Interview mit CopWatch Leipzig zur Waffenverbotszone und zur Polizei
• review-corner buch: Frauenzwangsarbeit in Markkleeberg
• kulturreport: Frech frech frech.
• position: Das ewige Rauschen wird zum Dröhnen
• position: Mivtza Shlomo – Operation Salomon
• doku: Waffenarsenal in Nordsachsen
• das letzte: Gegendarstellung

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Das ewige Rauschen wird zum Dröhnen

Während in sich die antisemitische Normalität hinter vorgehaltener Hand in der Kritik Israels auslebt (Initiative 5.3 GG; Austausch mit israelkritischen Gruppen im Maßnahmenkatalog des Bundeskabinetts zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Antisemitismus; Jerusalemer Erklärung; Human Rights Watch Apartheid-Erklärung) und sich in stetiger Delegitimierung Israels in Form verkappter und offener Boykottaufrufe äußert, tritt nun nach der Eskalation durch Raketenangriffe aus Gaza auf Israel Anfang Mai 2021, vergleichbar mit 2014, die Feindschaft gegenüber Israel wieder offen hervor. Damals setzte sich das israelische Militär so wie heute gegen den anhaltenden Raketenbeschuss aus Gaza zur Wehr. In Deutschland und weltweit übertrumpften sich Antisemiten bei Demonstrationen im Zurschaustellen ihres Judenhasses. Ähnliches ist nun wieder zu befürchten bzw. tritt schon durch Angriffe auf eine Synagoge, z. B. in Gelsenkirchen am 12. Mai, und antisemitische Parolen auf Demonstrationen offen zu Tage.

Doch auch schon zwei Wochen vor den Ausschreitungen auf dem Tempelberg in Jerusalem wurde in Deutschland Stimmung gegen Israel gemacht: Der für den 8. Mai geplante, aber dann doch abgesagte Al-Quds-Tag fand eine Woche zuvor Unterschlupf bei der Revolutionären 1. Mai-Demo in Berlin. Dort wurde die gesamte Bandbreite antisemitischer Slogans und Anfeindungen aufgeführt. Skandalisierung und klare Positionierungen findet man vor allem bei jüdisch/israelischer Zivilgesellschaft (JFDA, DIG) oder der Springer-Presse, von allgemeiner Empörung, besonders innerhalb der »Linken«, ist wenig zu vernehmen.

Nicht einmal zwei Wochen später fliegen mehrere tausend Raketen binnen kürzester Zeit auf Israel. Ziele sind Zivilisten, egal ob Araber oder Juden. Soziale Medien und Kommentarspalten werden von antisemitischen Kommentaren geflutet: Jeder hat etwas dazu zu sagen und etwas an der Reaktion Israels im Namen einseitig ausgelegter Menschenrechte auszusetzen. Man wiegt sich in scheinbarer Objektivität und moralischer Überlegenheit, wobei man zwar nicht die Fakten, aber den Schuldigen schon vorher kennt. Das ist die normale antisemitische Grundstimmung, die sich über Israel ihren Weg bahnt, aber sein eigentliches Ziel klar vor Augen hat – Jüdinnen und Juden. Es ist schon so weit, dass Israel-Flaggen vor Synagogen in Bonn und Münster verbrannt werden und bundesweit Demonstrationen stattfinden.

Antisemitische Parolen auf dem Augustusplatz

Auch in Leipzig kursiert binnen kürzester Zeit ein Demoaufruf, der schon in seiner Ansprache an »Muslime und nicht Muslime« seine eigentliche Intention offenbart, also selbst die Religion in das Zentrum der politischen Auseinandersetzung setzt. Im selbigen Aufruf wird von der »Systematische[n] Auslöschung der Palästinenser« geschrieben. Samstagnachmittag nehmen ca. 70 Personen an der Spontankundgebung am Torgauer Platz teil.

An einer weiteren israelfeindlichen Demonstration, die am 15. Mai auf dem Augustusplatz stattfindet, nehmen ca. 400 Personen teil. Wiederholt wird die antisemitische Parole »Kindermörder Israel« skandiert. Der Vorwurf des Kindermords beruht auf einer antisemitischen Ritualmordlegende. Ein weiteres Plakat wiederholt die These einer jüdischen Weltverschwörung. So wird behauptet, dass Israelis internationale Medien kontrollieren würden. Weiterhin wird mit dem Schriftzug »From the River to the Sea Palestine will be free« der Wunsch geäußert, den Staat Israel von der Landkarte zu tilgen. Der Slogan nimmt Anlehnung an die antisemitische Losung des ägyptischen Staatspräsidenten Gamel Abdel Nasser vom Mai 1967, dessen Angriffspläne und panarabischer Traum durch den militärischen Präventivschlag Israels im Sechstagekrieg zunichte gemacht wurde, und somit einem Angriff mit dem Ziel der Vernichtung des Staates Israel zuvorkam. Die länderübergreifende Feindschaft zu Israel zeichnet sich auf der Demonstration in den vorhandenen Nationalflaggen ab. So ist die Flagge des Iraks mit der arabischen Aufschrift »Gott ist groß« zu sehen, auch dieses Bekenntnis hallt wiederholt über den Augustusplatz. Daneben befinden sich Flaggen der syrischen Opposition als auch »palästinensische« Flaggen.

Gewalt gegen Zivilist_innen in Israel – darunter auch Araber und andere Nichtjuden, Kinder und Frauen – scheint für einige Demonstrant_innen kein grundsätzliches Problem zu sein, währenddessen selbst die Slogans »Frauenmörder Israel« und »Zivilistenmörder Israel« skandiert werden.

Trotz der offensichtlichen moralischen Schieflage beruft man sich mit Plakaten auf universelle Menschenrechte, die jedoch einseitig ausgelegt werden, und somit mit Universalismus nichts mehr gemein haben. Dass sich die Demonstration gegen militärische Gewalt oder für ein friedliches Zusammenleben einsetzt, wird offensichtlich zur Farce. Die bestehenden Verhältnisse – wie seit mehr als 15 Jahren ausstehende demokratische Wahlen, Renten für Familien von Terroristen statt Geld fürs Bildung- oder Gesundheitswesen sowie die islamistische Gewaltherrschaft in Gaza – und der Ursprung der Gewalt in den Gebieten, die von der Palästinensischen Autonomiebehörde verwaltet werden, stehen nicht zur Kritik.

Antifaschismus ist kein Schlager

Wie geht die »Linke« mit Antisemitismus um? Schunkelnd zu seichtem Klaviergeklimper von Danger Dan werden Antisemiten benannt und militanter Antifaschismus gerechtfertigt. Hauptsache Antifaschismus ist widerspruchsfrei und leicht konsumierbar. Zu Recht wird auf den Antisemitismus der Rechten verwiesen (Stichwort: Querdenker, Maaßen, Elsässer), und es ist ekelhaft und nicht hinzunehmen, wenn Deutsche mit Davidstern Corona, aber damit vor allem den Holocaust verharmlosen. Doch der Antisemitismus in den »eigenen« Reihen, auf der 1. Mai-Demo in Berlin oder die BDS-Sympathien von Fridays For Future und Greta Thunberg, wird weitgehend achselzuckend hingenommen oder führt, wenn überhaupt, zu zaghafter oder schwammiger Distanzierung, aber nicht zu einer klaren Positionierung. In vielen Selbstverständnissen linker Gruppen befindet sich der Hinweis, dass man sich »gegen jeden Antisemitismus« ausspricht. An sich ist das ein edles Vorhaben, aber es gilt diesen Imperativ mit Inhalt zu füllen, sodass er nicht zu Floskel verkommt, um sich selber ein reines Gewissen auszustellen. Was es heißt »gegen jeden Antisemitismus« zu sein, muss sich zeigen, wenn eine Jüdin Leipzig verlassen muss, weil es ihre Nachbarn nicht interessiert, wenn sie über Wochen oder sogar Monate angefeindet wird, oder Juden (und auch Nichtjuden) in Israel über Tage hinweg in Bunkern vor Raketen Zuflucht suchen müssen.

Antisemitismus im Alltag

Auch in Leipzig ist Antisemitismus, vor allem in Form von Antizionismus, keineswegs selten vorzufinden: Antizionistische Schmierereien, »Free Palestine«-Tags an Haltestellen und am Supermarkt, oder abwertende Beleidigungen als Jude im Fußballkontext sind keineswegs eine Seltenheit. Eher selten richten sich die Anfeindungen öffentlich und direkt gegen Jüdinnen und Juden oder vielleicht bekommt man es nicht mit. Die Empörung ist dann zu Recht groß, wie bei den andauernden Anfeindungen gegen eine jüdische Israelin in Gohlis, die letztendlich in physische Gewalt gegen sie mündeten, woraufhin sie die Stadt aus Selbstschutz verlässt. Verantwortlich dafür ist wohl eine ehemalige Mitarbeiterin der Leipziger SPD. Diese Geschehnisse als Einzelfälle zu relativieren, ohne die ideologische Grundlage hierfür zu benennen, ist verkürzt und in seiner Konsequenz fatal.

Solidarität mit Israel und Haltung gegen Antisemitismus darf nicht nur als Szene-Bekenntnis oder Floskel dienen, als Ritual an Jahrestagen, sondern muss stetiger Ausdruck einer politischen Praxis und theoretischen Auseinandersetzung sein, die sich in der Kritik an Antisemitismus und jedweder Verharmlosung seiner letztendlich tödlichen Wirklichkeit ausdrückt. Dazu gehört, dass das Existenzrecht Israels nicht verhandelbar ist und jeder scheinbaren Kritik, die darauf abzielt, Israel zu delegitimieren, entschlossen entgegengetreten werden muss.

Iggis

23.06.2021
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