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Gute Zeiten, schlechte Zeiten?
oder Nazis auf’s Maul!

(incl. Interview mit zwei Leipziger Antifas.)

Die Überfälle von rechtsradikalen Jugendlichen auf Camper und Nicht-Deutsche in den neuen Bundesländern sorgten in den letzten Wochen dieses Sommers für Schlagzeilen in der Presselandschaft. Die Eingriffsschwelle von Medien und auch staatlichen Behörden wurde durch die Dimension der rechten Gewalt an dem Punkt überschritten, als der Ruf einiger Regionen als Tourismusstandorte und das Ansehen des neuen Super-Deutschland im Ausland akut gefährdet schien. Trotz der Versuche, die Vorfälle als „jugendtypische Ausrutscher“ darzustellen oder mit Verweis auf die Statements bekloppter Sozialwissenschaftler, die Gründe in tiefenpsychologischen Verstimmungen zu wenig beachteter Jung-Nazi-Individuen zu vermuten, konnte der ideologische Hintergrund der TäterInnen nicht vollständig ausgeblendet werden. Bei den meisten Tatverdächtigen wurde faschistisches Propaganda-Material gefunden und gleichfalls zeigte sich, daß die Orte aus denen sie kamen, schon lange für ihre rechte Szene bekannt sind. Nur störte das bis jetzt niemanden so richtig, schon gar nicht die einheimische Bevölkerung, die Erwachsenen-Generationen, die am Abendbrot- und Stammtisch, das mit vorbereitet und begrüßt, was Sohnemann und Tochterherz in familiärer und ideologischer Übereinstimmung ausführen. Die Ruhe, die nach den Verboten der wichtigsten rechtsextremen Organisationen und der parlamentarisch abgesegneten Lösung des sogenannten „Ausländerproblems“ durch den staatlich institutionalisierten Rassismus (geändertes Asylbewerbergesetz, Abschiebehaft usw.) einkehrte, war nur eine scheinbare. Die ausländerfeindlichen Ressentiments und nationalistischen Identifikationen des Großteils der Deutschen blieben, was sie sind, ein latenter Nährboden für faschistische Aktivitäten. Auch die rechten Parteien und die Überreste der verbotenen Organisationen haben die Phase des restriktiveren staatlichen Umgangs gut überwunden - die Kader und Mitglieder sind logischerweise durch ein Verbot nicht aus der Welt geschafft - und haben taktisch dazu gelernt. In vielen Städten finden sie sich an „Runden Tischen“ zusammen (In der Messestadt trifft sich ein „Leipziger Kreis“, der von NPD-Kadern bis zu militanten Faschos reicht.) und planen gemeinsame Aktivitäten. Das militante Spektrum findet sich derzeit unter dem Deckmantel der noch legalen Jungen Nationaldemokraten (JN) zusammen und tritt wieder verstärkt an die Öffentlichkeit. Gemeinsam wird ein neues Themenfeld der Agitation bearbeitet - „Sozialabbau stoppen! Gegen System und Kapital!“, so das Motto des JN-Aufmarsches am 1. Mai in Berlin.

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JN-Aufmarsch am 1. Mai in Berlin.

Doch diese Aktivitäten sind keinesfalls der am meisten Besorgnis erregendste Teil der gegenwärtigen neofaschistischen Entwicklung. Denn nur mit Blick auf das gewaltige Mobilisierungspotential, daß sich Nazi-Organisationen vor allem in einigen Gebieten der neuen Bundesländer bietet, wird deutlich, daß sich die Neonazis schon wieder inmitten einer erfolgreichen Phase befinden. Im Muldentalkreis, in MeckPom, Ostsachsen, ... bestimmen rechte Jugendliche das Straßenbild, reißt die Kette der Übergriffe auf AusländerInnen, Linke und andere Opfer nicht ab. Und selbst bei den Verfassungsschutz-Organen läuten jetzt die Alarmglocken. Nach Angaben des sächsischen Verfassungsschutzchefs muß die Kleinstadt Wurzen im Muldentalkreis als das derzeit „wohl wichtigste Zentrum der Neonazis in Deutschland“ (zit. n. LVZ, 29.7.’96) gelten. Galten bisher Autonome und andere linke AntifaschistInnen, die auf die faschistischen Zentren hinwiesen bzw. gegen sie vorgingen oft als „Chaoten“, „gewalttätige Linksextremisten“ oder bestenfalls nur als unglaubwürdige Spinner, müssen jetzt staatliche Behörden ihre Versäumnisse eingestehen und bestätigen öffentlich die Erkenntnisse, die bislang nur von autonomen Antifa-Gruppen verbreitet wurden. Der Verfassungsschutzpräsident von Brandenburg sieht sich gar zu einem ungewöhnlichen Gedankenexperiment genötigt, er fordert ein antifaschistisches Bündnis, welches von wertkonservativen politischen Kräften bis zu den Autonomen reicht.
Auch in Leipzig zeichnen sich wieder die Auswirkungen eines wachsenden Spektrums faschistischer Jugendlicher und vermehrte organisatorische Aktivitäten von Neonazi-Gruppen ab. Skater und Punker werden regelmäßig in der Innenstadt zusammengeschlagen, AusländerInnen, die auf die Unfallstadion der Uni-Klinik eingeliefert werden, berichten von „Skinheads“ als TäterInnen, bei Fußballspielen der Leipziger Clubmannschaften tauchen immer mehr Jungfaschos mit Gau-Aufnähern auf und Insider berichten, daß vorallem junge Hooligans eindeutig nach rechts driften.
Nach dem EM-Sieg der am unansehlichsten spielenden Fußballmanschaft der Welt, jagt ein Fascho-Hool-Mob Nicht-Deutsche durch die Straßen und schwenkt neben den unvermeidlichen schwarz-rot-goldenen Pißtüchern auch die verbotene Reichkriegsflagge. Die Jungen Nationaldemokraten veranstalteten ihren Bundeskongreß in Leipzig-Meusdorf und im Rahmen des Rudolf-Hess-Aktionsmonats tauchen tonnenweise Plakate und Aufkleber von NPD und JN in der Stadt auf, werden Aufmärsche angemeldet und werden mit Sicherheit auch eine Menge Leipziger Kader an den Veranstaltungen der Faschos teilnehmen. Noch ist die Situation nicht so schlimm, wie in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung, als die Neonazis in Leipzig eine von AusländerInnen und Linken „befreite Zone“ schaffen wollten und die Dimension der Angriffe auf Asylbewerberheime und alternative Projekte um einiges höher war. Aber nicht nur der staatliche Druck auf militante Nazis, der nach den Mord-Anschlägen von Mölln und Solingen enorm zunahm, sorgte dafür, daß die Faschos ihre Ziele nicht verwirklichen konnten. In Leipzig sollten die Faschos bald auf wirksamen Widerstand stoßen. Antifa-Gruppen entstanden, die besetzten Häuser und alternativen Projekte in Connewitz wurden militant geschützt, faschistische Veranstaltungen konnten verhindert und Neonazis in ihrem öffentlichen Betätigungsfeld enorm eingeschränkt werden. Die Palette der antifaschistischen Aktivitäten umfaßte die Organisation von Demonstrationen, Plakataktionen, Konzerte, Zeitschriften, ...

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Entstand damals so etwas wie eine antifaschistische Bewegung, die eng mit der Connewitzer Szene verbunden war und im Hardcore ihre subkulturelle Verankerung hatte, gibt es heute nur noch wenige, die am Thema Antifaschismus interessiert, geschweige denn aktiv sind. Vor diesem Hintergrund veranstaltete das Offene Antifaschistische Plenum eine Diskussionsrunde im Rahmen der John Hartfield-Ausstellung im Werk II. Unter dem Motto „Antifa und Spaß“ - dabei sollte über die Perspektiven einer neuen antifaschistischen Offensive, über die Möglichkeiten und Schwierigkeiten bei der Bildung von Antifa-Gruppen geredet werden. Erwartungsgemäß kamen nur sehr sehr wenige, doch es gibt diejenigen, die es ankotzt, von Faschos angemacht und verprügelt zu werden, die nicht länger bloß zuschauen wollen, wenn Gau-Aufnäher an ihnen vorbei spazieren und Faschos ihren Propaganda-Dreck an die Wände kleben. Da einerseits die Kommunikation mit „älteren“ Antifas oft gestört ist, weil entweder die Kontakte fehlen bzw. deren ewiges Gelabere so manche Aktivität verhindert, kann es andererseits ganz hilfreich sein, auf bereits gemachte Erfahrungen zurückzugreifen. Denn Antifa ist kein abstrakter Begriff oder eine imaginäre Gruppe aus Kreuzberg oder der Hafenstraße. Antifa kann Spaß, Action und Angriff bedeuten, wenn man es will und sich mit Gleichgesinnten zusammentut. Das folgende Gespräch mit zwei „erfahrenen“ Aktiven aus Leipzig wurde also nicht aus nostalgischen Gründen, sondern aus einem perspektivischem Ansinnen geführt. Es ging nicht um eine wehmütige Verklärung der Vergangenheit, vielmehr soll gezeigt werden, wie eine starke Faschoszene erfolgreich bekämpft werden konnte und die Frage, ob ähnliches heute, wo sich Neonazis wieder auf dem Vormarsch befinden, wieder möglich ist, erörtert werden.

Das Interview

CEE IEH: Könnt ihr kurz beschreiben aus welchen Zusammenhängen ihr kommt? Damit ihr nicht als irgendwelche „imaginären“ Aktiven dargestellt werdet.

EASY: Also wir sind von der Antifa-Jugendfront, machen die Zeitschrift „FRENTE - antifaschistisches Jugendinfo Leipzig“. Das ist der größte Schwerpunkt unserer Arbeit. Weiterhin versuchen wir natürlich, uns an anderen Sachen zu beteiligen, z.B. Demovorbereitung oder Teilnahme am Offenen Antifaschistischen Plenum und arbeiten an Kampagnen zu antifaschistischen Themen mit. Wir sind aber eher nicht aktionistisch ausgerichtet, sondern alles was mit der Herstellung vom „FRENTE“ zusammenhängt, welches kontinuierlich aller zwei Monate erscheint, nimmt unsere meiste Zeit in Anspruch.

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CEE IEH: Es gibt ja einige antifaschistische Zeitungsprojekte, zumindestens bundesweit, die sich hinsichtlich ihrer Themenfelder in vielen Punkten unterscheiden. Wo liegt euer hauptsächliches Augenmerk? Was kommt bei euch rein, was nicht?

TWIX: An erster Stelle wären da die „News von Rechts“ zu nennen, d.h. wir versuchen zu dokumentieren, was an Fascho-Aktivitäten in Leipzig und der Umgebung so abgeht. Dazu kommen dann thematische Artikel, die für jedes Heft ausgewählt werden.

EASY: Ein Beispiel für eine thematische Bearbeitung war die „Goerdeler-Debatte“. Der ehemalige Bürgermeister von Leipzig, sollte als „Widerstandskämpfer“ und „großer Sohn dieser Stadt“ geehrt werden, da er am Anschlag auf Hitler 20. Juli 1944 beteiligt war. Wir haben damals die Hintergründe zu dieser Person und seine antisemitische und nationalistische Einstellung und seine Verstrickungen mit den Nationalsozialisten herausgearbeitet und veröffentlicht. Denn obwohl unter seiner Federführung Leipzig eine der ersten Städte war, in denen zum Beispiel Parkbänke von Juden nicht benutzt werden durften, waren alle Fraktionen der Stadtpolitik bereit, ihm ein Denkmal zu setzen. Das war auch ein Punkt, an dem wir gemerkt haben, daß die Schiene mit dem Heft recht wirksam sein kann, denn im Verlauf unserer Veröffentlichungen und auch einiger Aktionen - es gab damals eine Plakat-Montage, welche Goerdeler zeigt, wie er Hitler die Hand schüttelte - konnte so etwas wie eine Kampagne angeschoben werden, die auch die Stadt in argen Argumentationsnotstand brachte.
Ansonsten machen wir aber auch Themen zur faschistischen Entwicklungen in anderen Ländern. Leider können wir aber nicht alles verwirklichen, was wir uns vorstellen, denn die Nazis vor Ort sorgen dafür, daß wir kaum mit den „News von Rechts“ hinterherkommen. Ich zitiere mal jemanden der sagt, daß er jedesmal wenn er das Heft ließt Bauchschmerzen bekommt. Das bedeutet eben, daß im Heft vieles über Fascho-Aktivitäten und Nazis steht, weniger Antifa-mäßiges, Diskussionen oder ähnliches im Vordergrund steht. Man ließt das Heft also eher nur zum Informieren. Das ist ein Punkt mit dem wir nicht zufrieden sind.

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Holger Apfel, JN-Bundesvorsitzender.

CEE IEH: Jetzt vielleicht mal ein Stück zurück in die Vergangenheit. Wie war die Situation damals, als ihr euch zusammengefunden habt, sowohl die der Faschos aber besonders eure? Wie kam es, daß ihr sagtet, Schluß jetzt, es muß etwas geschehen?

TWIX: Die Geschichte läuft noch auf die letzten Zonen-Zeiten zurück. Punk-Konzerte im Mockauer Keller und später dann die REAKTION-Konzerte, da haben wir uns als die ganz Jungen kennengelernt. Das war eher zusammen weggehen noch keine geplanten Aktionen. Doch mit der Wende nahmen die Fascho-Übergriffe auf uns enorm zu, wir konnten Ende ‘89 nicht mehr abends in die Stadt gehen als Punks oder anders Aussehender, vielleicht noch mit einem „falschen“ Aufnäher. Wir hingen also in einem Freundeskreis zusammen und irgendwann kam der Punkt, wo wir gesagt haben, so geht es nicht mehr weiter, es muß etwas passieren, wir wehren uns jetzt.

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CEE IEH: War es bloß der Selbstschutz gegen das Verprügelt werden, oder habt ihr auch schon mitbekommen, daß Fascho-Organisationen verstärkt ihre Finger im Spiel hatten, z.B. bei den Montagsdemos gab es ja massenweise Nazi-Propaganda usw.?

TWIX: Hauptgrund Ende ‘89 war der Widerstand gegen das Verprügelt werden, der Selbstschutz, um sich überhaupt wieder frei bewegen zu können. Es gab aber schon Aktionen bei den Montagsdemos, wo Stände von den Reps kaputt gemacht wurden, das Material geklaut und verbrannt wurde.

EASY: Es war wirklich fast eine reine Selbstschutz-Frage. Du hast dir halt ständig irgendwelche Verteidigungsmittel zugelegt und Leute gesucht, welche die selben Probleme hatten, es vielleicht schon drauf hatten, sich zu organisieren, mit ihren Erfahrungen ein bißchen helfen konnten. Das ging dann irgendwie auch ruck-zuck. Man ist halt zu Demos mitgegangen und hat sich kennengelernt. An die ersten Aktionen, an die ich mich erinnern kann, waren solche Aktionen, wie die Fahrrad-Spaß-Guerilla. Da sind Leute durch die Kannte gefahren, haben Sachen klar gemacht, geguckt, wo Faschos sind, denen aufs Maul gehauen oder Projekte, wie damals die Villa oder besetzte Häuser geschützt. Die wurden damals ja verstärkt überfallen. Das hatte auch eine Eigendynamik, die weniger organisiert als aus dem Bauch heraus kam und ziemlich verrückte Auswüchse annahm. Da sind dann fünfzig Leute mit dem Fahrrad, Helm und allem möglichen bewaffnet die Karl-Liebknecht-Straße hoch und runter gefahren und waren bereit Fascho-Angriffe abzuwehren bzw. selbst anzugreifen. Durch solche Sachen hat man sich natürlich kennengelernt und daraus sind dann kontinuierliche Sachen gewachsen.

TWIX: Das war wirklich eine Gang-mäßige Organisierung. Die Leute haben zusammengehangen und sind daraufhin aktiv geworden.

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Udo Voigt, NPD-Bundesvorsitzender.

CEE IEH: Und wie ging das dann weiter? Es gab ja sicherlich eine Entwicklung, nachdem ihr gemerkt hattet, wie ihr euch erfolgreich schützen konntet.

TWIX: Na weitergehende Gedanken setzten schon da ein, als die Faschos an der Spitze der Montagsdemos liefen. Da war klar, hier muß mehr passieren. Wir haben auch Leute kennengelernt, die schon ein bißchen Erfahrung mit Antifa hatten und unsere Entwicklung beschleunigt haben. Das war wie eine Aufbauhilfe. Dann ging es ziemlich schnell. Im März 1990 haben wir uns als Antifa-Jugendfront gegründet, und gleich im Mai kam die erste Ausgabe unserer Zeitschrift heraus.

CEE IEH: Das klingt alles ziemlich einfach und so, als hatte es eine Menge Action und Spaß gegeben. War das Feeling damals wirklich so?

EASY: Das Feeling war einfach so, daß du in dem Moment, wo du gemerkt hast, daß du nicht mehr alleine bist und dich mit anderen austauschen konntest, dir nicht mehr die Ohren vollheulen mußtest, wie schlimm doch alles ist. Es war eben ganz einfach. Du nimmst dir ein Tschako und machst das so und so und so und dann kommst du schon dadurch auf einen guten Draht, weil du dich weniger wehrlos fühlst und probierst dann mehr aus und gehst über den Selbstschutz hinaus. Du hast auch nicht diese Fascho-Mist von Mann gegen Mann übernommen, sondern hast Techniken entwickelt mit denen du dich schützen kannst und andere Aktionen wie Sprühereien, Observation von Nazis sind nachgekommen, hat man sich ebenfalls selbst angeeignet. Und daraus hat man dann sehr viel Kraft gewonnen. Wir wollten dann auch mehr wissen, wie man eine Zeitung aufbaut zum Beispiel, was man da tun muß, woher man die Technik bekommt. In diesem Fall bekamen wir dann auch Hilfe, wenn man den Erfahrungsaustausch suchte, hat man ihn auch gefunden.

CEE IEH: Die direkte Auseinandersetzung mit den Faschos auf der Straße schien aber in den Anfangstagen der „Antifa“ ein regelmäßiges Problem gewesen zu sein. Sie griffen ja nicht nur einzelne Leute oder Gruppen an, sondern auch besetzte Straßen und sogar Demos. Könnt ihr vielleicht schildern, wie das damals abging?

TWIX: Im Februar ‘91 gab es zum Beispiel eine ziemlich spontane Demo gegen Neofaschismus. Wir gingen durch die Stadt und wußten, daß viele Faschos in der Stadt sind. Und irgendwann war es dann so weit, daß diese die Heinstraße hochkamen, sahen uns, wir sahen die und schreiend sind die Antifas los und haben die Nazis vertrieben. Einige sind natürlich liegen geblieben und bekamen zur Abschreckung Beulen.

EASY: Das war der erste große Strike. Alltäglich waren damals aber kleinere „Rangeleien“, zum Beispiel in der mb, in der damals noch ein „Zecken“-Publikum verkehrte. Und die Faschos gingen auch dort hin oder warteten in der Umgebung auf ihre Opfer. Diese „kleineren“ Auseinandersetzungen nahmen viel Zeit in Anspruch.

TWIX: Illustres Beispiel war, daß sich viele von uns abends beeilten vom Abendbrottisch wegzukommen, um Schutz zu machen oder die Faschos anzugreifen. Abends eben losfahren, um den Nazis aufs Maul zu hauen.

EASY: Doch das war eben nicht alles. Man guckte auch, mit wem man es zu tun hatte, nahm den Faschos die Ausweise ab, um mitzukriegen, wer welche Rolle bei den Nazis spielte, wer hinter ihren Aktionen stand, um sich ein Bild von ihren Zusammenhängen zu machen. Oft bemerkten wir erst später, um welche Kader es sich handelte und welche Verbindungen die zu Organisationen hatten, weil wir uns richtigerweise dann auch auf Recherche konzentrierten und durch Lesen von Antifa-Lektüre auch mehr Wissen über Nazi-Strukturen bekamen.

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CEE IEH: Gab es eine Einschätzung, die besagte, daß eure Arbeit erfolgreich war. Ließ der Druck der Faschos nach, immerhin wollten sie noch 1991 eine „befreite Zone“ hier schaffen.

TWIX: Man hat schon gemerkt, daß sie sich nicht mehr so offensiv in der Innenstadt aufhalten. Trotzdem hat man abends immer noch „was“ einstecken gehabt. So ab ‘93 beruhigte sich die Situation aber merklich. Es waren ja auch nicht nur wir, die sich gegen die Fascho-Angriffe wehrten, sondern viele Leute in den linken Projekten und andere machten dies unabhängig von uns.

EASY: Es setzte ja schon ein Umdenken ein, in dem Moment wo du eine Zeitung herstellst, Erkenntnisse systematisierst, Fascho-Strukturen öffentlich machst, mitbekommst welche Leipziger Nazis mit überregionalen Organisationen zusammenarbeiten, z.B damals die Reudnitzer Rechte und Hitlerjugend Schönefeld und ihre Verbindungen, gehst du einen Schritt weiter, gehst mehr in die Offensive. Es gab natürlich auch Rückschläge, wie die Überfälle auf die besetzten Häuser in der Sternwartenstraße, die aber auch darauf zurückzuführen waren, daß die Faschos unter einen stärkeren Druck gerieten, durch Plakataktionen, durch das ständige auf die Fresse kriegen und so.

TWIX: Dies kann man ja nicht nur auf uns zurückführen. Wir hatten insofern Glück, daß viele von den damaligen Faschos, die noch 90/91 organisiert waren, dem Konsumrausch erlegen sind und krumme Geschäfte gemacht haben, Autos geklaut haben, Schutzgeldtruppen bildeten oder Zuhälter geworden sind. Der größere staatliche Druck ab ‘93 und ihre Kriminellen-Karieren sorgte dafür, daß viele in den Knast gewandert sind. Unsere Öffentlichkeitsarbeit und bessere Organisation war da nur ein Teil.

Und auf unserer Seite waren halt viele Leute politisiert. Zum Beispiel bei den REAKTION-Konzerten in der Nato oder bei früheren HC-Gigs im Conne Island gab es beim Publikum so etwas wie einen antifaschistischen Grundkonsens, der auch irgendwie politisch erkennbar war. Das hatte ja nicht nur mit konkret einer Gruppe zu tun.

CEE IEH: Vielleicht sollten wir jetzt den Schwenk zum Heute hinkriegen. Wie schätzt ihr die Situation, oder besser die aktuelle Entwicklung der Fascho-Szene heute ein? Gibt es die Parallelen zu 90/91, kann man sagen, daß die Faschos wieder auf der Straße zurück sind und nicht mehr nur in ihren Hinterzimmern Pläne schmieden?

EASY: Also eigentlich müßte das hier jetzt nicht groß zum 195ten mal ausgebreitet werden. Im Prinzip kann ich nur empfehlen das FRENTE zu lesen, da steht dies ziemlich genau drinne. Ich bin vielleicht auch etwas abgeklärter geworden und bestücke mich nicht mehr permanent mit Selbstverteidigungswaffen und es scheint noch keine lokale Faschobewegung zu geben, die es sich zum Ziel gemacht hat, hier in Leipzig linke Projekte und wieder Asylbewerberheime platt zu machen. Für Punks und Skater aber zum Beispiel ist es eine andere Lage in der Stadt, selber rennt man ja nicht mehr permanent als erkennbare „Zecke“ herum. Aber für die, die von ihren Äußerlichkeiten her, als nicht stramme Deutsche zu erkennen sind, werden natürlich als erstes von den Fascho-Idioten als Feind gebrandmarkt. Aber die Situation erscheint mir daraufbezogen manchmal recht absurd. Irgendwie hat man schon versucht diesen Leuten zu helfen, aber viele von den Skatern scheinen gar nicht so richtig an Widerstand zu denken. Überall findet ein Backlash der Rechten statt, aber die Leute, die es hier betrifft, ziehen nicht die Konsequenzen, bei ihnen setzt nicht diese Logik „aus dem Bauch heraus“, also aus einem normalen Selbstverständnis heraus ein, sich zu verteidigen. Sie ziehen nicht die Schlüsse aus den Übergriffen der Faschos, daß sie eben nicht nur mal einen schlechten Tag erwischt haben, sondern, daß dies immer wieder passieren kann. Vielleicht müßte es auch wieder mehr unsere Aufgabe sein, diesen Leuten Erfahrungen zu vermitteln und nicht nur mit dem Zeigefinger zu schütteln und zu sagen, ihr müßt selber aus dem Arsch kommen. Vielleicht könnte man ihnen die guten Seiten zeigen, wie man aus dem Arsch kommen kann und nebenbei noch Spaß dabei hat, ohne nun ständig an Politik oder dergleichen zu denken.

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CEE IEH: Also die Diskussion um eine neue „Jugendantifa“?

TWIX: Vielleicht müßte man sich wirklich in Anbetracht der Skater und jungen Punks auf so etwas wie Jugendarbeit konzentrieren hier in Leipzig, es muß ja nicht gleich auf irgendwelche weitergehenden politischen Richtungen ausgeprägt sein.

CEE IEH: Könnt ihr das vielleicht etwas konkreter machen. Was heißt Jugendarbeit? Es gab da ja auch schon mal eine Disskussion beim Offenen Antifaschistischen Plenum, bei der es verschiedene Standpunkte gab, ob die Bildung von Antifa-Gruppen anschiebbar ist, ob man an die Schulen gehen kann, um dort Sachen in Gang zu setzen oder ob die ältere Antifas nicht zu arrogant wirken und durch diese Wahrnehmung jüngere Leute abschrecken? Sollten sich Skater und Punks und meinetwegen linke Gymnasiastinnen nicht selber und unabhängig organisieren?

EASY: Das ist natürlich schwer zu beantworten. Es sind eben heute andere Zeiten. Ich habe manchmal das Gefühl, daß viele Skater, Hip-Hop er und so, die ja irgendwie was gegen Faschos haben müßten, sich nur wohl fühlen wollen, Spaß pur und gute Klamotten. Das klingt jetzt leider ganz schön moralisch, aber wie soll man da ein Geben und Nehmen organisieren, was nicht eine Kopfgeburt bleiben sollte. Aber ich will das um Gottes Willen nicht verallgemeinern. Vielleicht gibt es ja auch positive Beispiele, von denen wir überhaupt nichts wissen. Aber man kann eben nicht mehr zu den Gruppen gehen, die von den Faschos aufs Maul bekommen haben und Handzettel verteilen, wo draufsteht, Leute kommt zum Antifa-Plenum. Die Leute wissen doch, daß es Institutionen gibt, daß es Hefte gibt, daß es Möglichkeiten gibt sich zu informieren. Es ist doch nicht so, daß man auf Leute aus Berlin warten muß.

TWIX: Es ist ja nachvollziehbar, daß die Kids ihren Spaß haben wollen, schön einen biffen und so. Bei unserer Gründung war die Situation auch eine andere, da es eine permanente Auseinandersetzung mit den Faschos gab.

EASY: Es ist ja auch ziemlich blöde und mühselig hier zu spekulieren und den Zustand abzuwarten an dem sich die Verhältnisse wieder so zu spitzen, daß man als ältere Antifa-Gruppe eingreift und dann z.B. an Schulen geht. Wir haben damals ja nicht nur die Bedrohung aus unserer nächsten Umgebung gemerkt, sondern wir konnten das Problem auch bundesweit zuordnen. Es gab die Anschläge in Mölln, Solingen usw. Man hat eben in einem Gesamtzusammenhang mitbekommen, was hier abläuft und eben einen Teil davon an sich selber gespürt. Heute ist es möglicherweise so, du spürst immer weniger diesen Teil an dir, es fehlt manchmal das Interesse nachzusehen, was ist da draußen außerhalb des Gebietes in dem ich mich selber bewege. Eben auch das Interesse an Wissen. Wenn ich eben nichts von der JN als Kaderschmiede der NPD und jetziges Sammelbecken der militanten Faschos aus den verbotenen Organisationen weiß, dann kann ich mir eben auch die Dimension nicht erklären, was es heißt, wenn die JN ihren Bundeskongreß in Leipzig abhält. Dann interessiert mich das natürlich auch nicht und dann gehe ich da auch nicht hin, um dagegen zu demonstrieren oder die Veranstaltung zu verhindern. Ich weiß eben nicht, was es bedeutet, wenn in Wurzen wieder die Faschos zugeschlagen heben. Es ist ganz bescheuertes Desinteresse, aus der eigenen Höhle nicht raus gucken wollen. Und es ist einfach Quatsch zu sagen, es gibt keine Möglichkeiten, darüber Bescheid zu wissen. Es gibt einfach genug alternative Medien, in denen so etwas immer wieder bis aufs kleinste drinne steht, wer junge Welt liest zum Beispiel, bekommt dies schon ganz gut mit, geschweige denn die lokalen Hefte, wie KlaroFix, CEE IEH und eben FRENTE. Wer wissen will, was abläuft, für den ist es jederzeit kein Problem. Der begreift eben auch, daß es wichtiger ist, gegen diese Dinge vorzugehen und sich auch dadurch selbst den Rücken frei zu halten, als gegen Studiengebühren auf die Straße zu gehen.

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CEE IEH: Also kann man von eurem Standpunkt aus nicht viel tun, um eine neue Antifa-Offensive anzuschieben und sich gegen die neue Fascho-Generation zu wehren?

TWIX: Die Situation heute zeigt doch wirklich schon Parallelen zu 90/91, wie vorhin bereits angesprochen. Man sieht doch immer mehr, daß Ausländer und Linke verprügelt werden, sei es am Bahnhof oder in Grünau, Plagwitz usw. Es gibt auch wieder ein Haufen Faschos, die in größeren Gruppen abhängen. Das wird alles wieder viel stärker und es zeichnet sich schon ab, was rauskommt. Wahrscheinlich sollte man doch jetzt schon auf die Jugendlichen zugehen, sich mit ihnen unterhalten. An Schulen gehen, an Treffs gehen und die Leute ansprechen, wenn man denkt, hier stößt man nicht ganz auf taube Ohren.

EASY: Wobei dies natürlich eine Haltung ist, wo man die Leute abholt, wo sie gerade stehen. Besser ist es doch, wenn, wie bei der Diskussion im Rahmen der John Hartfield-Ausstellung, die Leute von selber kommen, oder versuchen ein Antifa-Café aufzubauen oder ähnliches. Das ist genau der erste richtige Schritt. Und von unserer Seite finde ich es wichtig, daß erfolgreiche Antifa-Aktionen durchgeführt werden, die auch irgendwie spektakulär sind. Also sich Sachen einfallen zu lassen, die in erster Linie erfolgreich, nicht unbedingt nun medienwirksam, aber auf jeden Fall Schule machend sind. Also Zeichen setzen für Leute, zu zeigen es kann funktionieren zum Beispiel eine Fascho-Veranstaltung zu verhindern und man muß dazu nicht unbedingt hundert Antifas haben. Zum Beispiel in Aachen gab es auch viele Faschos und nur ein paar Leute haben sich gefunden, was zu machen. Die haben dann die Faschos auf die Mappe gehauen und sich dabei immer weiße Handschuhe angezogen. Später hatten die Faschos schon Schiß, wenn sie weiße Handschuhe gesehen haben und sind abgehauen. Das klingt zwar wie ein Kinderspiel, hat aber gewirkt.

***

Das Interview wurde gekürzt und nicht vom Verfassungsschutz geführt. Deshalb wurden die Namen der Antifas geändert.


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last modified: 28.3.2007