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die wiedergeburt, 24.4k

DIE SEITEN DER WICHTIGSTEN

Eine horizontale Betrachtung relevanter Musik-Sparten soll hier, getreu der Intention des CEE IEH, eine Zustandsbeschreibung darbieten, wie sie aus dem Spannungsfeld von Populär- und Subkultur ablesbar wird. Der schmale Pfad zwischen Beliebigkeit und introvertiertem Purismus macht dabei nicht in jedem Fall die goldene Mitte aus.

Von Ralf.

Die Bilder sind dem Boulevardblatt BUNTE entnommen, die Bildunterschriften entsprechen denen in BUNTE.


ABSTRACT/HEADZ/NEW ELECTRONICA/TRIP HOP/AMBIENT/JAZZ NOT JAZZ

Keine Entwicklung der letzten Jahre stellte den Club als sozialen Ort so in Frage, wie das, was unter diese Begriffskonstrukte subsumiert wurde. Als identitätsstiftende Gemeinsamkeit läßt sich das konstituive Element des Rückzuges aus dem Club ausmachen. Der Minimalismus als Wegweiser einer auf Zurückgezogenheit bedachten, vom Clubbing hervorgerufenen Deepness benutzt die Technokratie als Instrument des Kopfes. Das bewußte Verdrängen der Relevanz von selbstdarstellerischen Äußerlichkeiten als machende Persönlichkeit steuert beispielsweise dem auf Autorität setzendem Modell des DJ entgegen. Von einem Post-Techno-Modell zu sprechen bietet sich aufgrund technologischer Gemeinsamkeiten deshalb an, weil die Flucht aus der zu groß gewordenen (in Europa) Techno-Dimension ein relevantes Motiv darstellt. Die seit geraumer Zeit zu verzeichnende Rückkehr in den Club als nachtfüllendes soziales Ereignis verteidigt bis zum jetzigen Zeitpunkt erfolgreich die massenunfreundliche Hemmschwelle eines qualitativen Mikrokosmos für Fortgeschrittene, deren quantitative Zunahme ebenjene Rückkehr ermöglichte.

BRIT POP

Die „alte“ Rivalität zwischen anglo- und amerikanischer Pop-Kultur lebte nicht zuletzt durch die Wiederkehr einer vor dem „schwarzen“ Groove kapitulierenden Mittelklasse-Jugend auf, dessen Pseudo-Wohlstands-Chauvinismus aus dem Wegfall der gemeinsamen Gegnerschaft des Thatcherismus erwuchs. Der Wir-sind-wieder-wer-Hype verlockte zum expliziten Mod-Rückgriff ohne Soulfulness der Originale in den Sechzigern oder Ende der Siebziger/anfang der Achtziger (Style Council). Im Gegenzug wurde zwar die Bedeutung des männlichen Geschlechts relativiert, doch nur vom Status der Männlichkeit ausgehend als solche überhaupt formulierbar. Gegensätzlich zu den C 86-Vorläufern müssen sich alle Beteiligten den Vorwurf des Roll Back einstecken, weil zwischenzeitlich die Rave-O-Lution aus Manchester war und vermeintlich siegte. Auch deshalb ist klar, daß hier vor einer Modernisierung kapituliert wurde. Und das sollte man nicht unbedingt gut heißen.
disziplin, 7.9k Von Prof. Iring Fetscher, Politologe: Die Deutschen haben beim Spiel gegen England äußerste Selbstdisziplin gezeigt: Sie haben trotz Schmerzen mit vollem Einsatz weitergekämpft. Sie haben auch Disziplin gezeigt, indem sie ihr Ego dem gemeinsamen Ziel unterordneten. In diesem Fall ist Disziplin nicht blinder Gehorsam und Dressur, sondern das freiwillige Ausrichten jedes einzelnen auf ein Ziel und das Einfügen in eine Mannschaft. Disziplin – eine Eigenschaft, die als typisch für die Deutschen gilt – ist kein absoluter Wert. Sie ist eine Sekundärtugend, die dann wertvoll ist, wenn ihr Ziel moralisch wertvoll ist und sie ohne Zwang ausgeübt wird.

DARKWAVE/GOTHIC/EBM

Was einmal als modifiziertes Punk-Ding begann und als Übersteigerung des konstruierten No Future-Grundtenors von Punk als Nachkomme durchging, schlägt seit anfang der Neunziger als explizite Modernitätsfeindlichkeit immer abstrusere Blüten. Die Harmonisierung von Alltagsleben und exaltierten Äußerlichkeiten existiert nur als scheinbarer Widerspruch. Deshalb sollte der Einzug heidnisch-altgermanischer Versatzstücke nicht zu Pauschalisierungen führen, sondern als Beleg der Unfähigkeit der Einbindung in die wechselseitige mediale Abhängigkeit von Populärkultur herhalten. Derzeit läßt sich tendenziell feststellen, daß Darkwave/Gothic ein Auslaufmodell ist. Ebenso wie EBM. Deren Protagonisten von mitte der Achtziger entweder das Zeitliche gesegnet haben oder ihrer Vergangenheit abschworen. Was uns heute als EBM verkauft werden soll, stellt sich nur noch als Allianz von Dumpfheit, Scheitern und Männlichkeitswahn dar.

DRUM&BASS/JUNGLE

Als Breakbeats und siebziger Dub-Drum&Bass (King Tubby) ende der Achtziger/anfang der Neunziger via Toasting zusammengebracht wurden, in dem auf das Soundsystemprinzip explizit zurückgegriffen wurde, leuchteten so manche Expertenaugen vor Begeisterung. Im Zuge des angelaufenen Hip Hop-Diskurses und der Auseinandersetzung um Differenz zu „schwarzer“ Kultur fand das „Phänomen“ nur als Kapitulation vor der Übermacht des US-amerikanischen Hip Hop Würdigung. Es galt als sicher, daß Hip Hop jenes ästhetische Modell sein würde, das (auch) in England durchschlägt. So konnte sich eine Szene entwickeln, die, ignoriert von der Fachöffentlichkeit, Sound und technische Finesse verfeinerten, ohne in Erklärungsnotstand oder Rechtfertigungsdruck zu kommen. Spätestens mit dem 94er Notting Hill Carnival ließ sich dann mit Verblüffung feststellen, was man gute zwei Jahre verschlafen hatte: Jungleism als „schwarz“ dominierte Rave Culture, die sich in Verbindung mit Dancehall ein autark funktionierendes subkulturelles Network aufgebaut hatte. Nachzüglerisch bauschte sich die Sache zum Hype auf, dem weder Diskurs anhängig, noch eine breite Öffentlichkeit als Rezipienten aufgeschlossen war. Dem dadurch aufgestauten Druck des Marktes ist es geschuldet, daß sich das Ragga Jungle-Ding zum verengten Segment kanalisierte, dessen Endverbraucher sich so wenigstens finden ließen. Die Flucht des innovativen Potentials aus dieser möglichen Sackgasse war die Folge. Die mediale Fixierung auf einen eingegrenzten Jungle-Begriff eröffnete wiederum Freiräume, die sich mit Drum&Bass stilistisch ausloten ließen und lassen. Eine damit verbundene Ausformung befördert in immer stärkerem Maße die Zugänglichkeit aus unterschiedlichsten Kontexten. Partikulare Elemente weichen somit in beiderlei Richtung (siehe Rubrik „Abstract/Headz/...“) kaum entstandene Soundgerüste auf. Drum&Bass als alleiniges „selbstständiges“ Element ist somit bald passe'. Ein in Ansätzen entstandener eigener subkultureller Habitus wird zunehmend durch andere Kontexte verdrängt, in denen Drum&Bass als schubgebendes Stilmittel durchstartet.
kameradschaft, 8.4k Von Prof. Fritz Stemme, Sportpsychologe: Das Wort „Kameradschaft“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet, Kammer, später Wohngemeinschaft, Stubengenossenschaft, im übertragenen Sinn Berufsgemeinschaft (Handwerkskammer). In ihr herrschten Kameradschaft, Einordnung, Respekt vor den anderen Mitgliedern und Einsatz für alle. Gemeinsame Interessen hatten stets den Vorrang vor den eigenen. Trainer Vogts, Kapitän Klinsmann und den anderen Spielern ist es gelungen, eine alte deutsche Tugend wieder zu Ehren zu bringen.

DUB

Der gärende Konflikt, ob 70er Dub oder Neo Dub einen jeweiligen Alleinvertretungsanspruch behaupten können, hat sich in Heterogenität und Subjektivismus endgültig aufgelöst. Dub als Technik hat sich reihum durchgesetzt. Dabei sind die mit dem verhafteten Bezug auf seine Wurzeln zunehmend ins Hintertreffen geraten. Ein Zurückerobern der Definitionsmacht hat sich erledigt. Daraus folgt ähnliches wie für Drum&Bass (siehe dort), mit der Einschränkung, daß über den Rootsverhafteten das Damoklesschwert der Ignoranz des technischen Fortschritts schwebt. Eine Art Rückzugsgefecht könnte die Konsequenz sein.

FUNK/PHONK

Tatsächlich ist er überall. Quasi als goldenes Band der Popularität. Seine Spielarten sind die Differenzen unserer Hörgewohnheiten. Er ist gleichermaßen Metaphysik wie auch eine Frage der Consciousness. Ihn direkt greifen zu wollen setzt andere Mittel zum Zweck voraus.
abrackern, 8.8k Prof. Erwin Scheuch, Soziologe: Die deutschen Fußballer sind „Arbeiter“, die richtig anpacken. Dabei verlieren sie ihr Ziel – nämlich zu gewinnen – nicht aus den Augen. Andere Teams spielen den schöneren Fußball, die Russen intelligenter, die Italiener mitreißender. Aber der solide Handwerker hat schließlich über den weniger zielorientierten Künstler gesiegt. Die Deutschen haben die handwerkliche Nüchternheit, liefern ordentliche Ware ab, wissen, daß schließlich der Ball ins Tor muß, und es nicht primär um die Freude am schönen Spiel geht. Diese Nüchternheit, Fleiß und handwerkliches Können, mit dem man ordentlich seine Aufgabe erledigt, ist ja auch das, was dieses Land wohlhabend gemacht hat. Hier ist für mich Helmer als einer, der sich richtig abrackert, beispielhaft.

GITARRENUNTERGRUND/ALTERNATIVE

Die großen US Labels der achtziger Jahre haben sich eher schlecht als recht hinüber gerettet. Immer wieder entspringt ihnen eine Perle, die dann urplötzlich kommerziell relevant wird. Die Professionalisierung hinsichtlich Marktfähigkeit divergiert zum einen mit den sich permanent der Masse entziehenden Soundefinitionen, zum anderen mit der Suche nach einer neuerlichen Initialzündung. Eine Enthaltsamkeit gegenüber dem Marktsegment „Alternative“ (siehe auch Rubrik „Low Fi/Homerecording/...“) birgt dabei für Qualität, die sich besonders in studentischen Kreisen gut diskursiv ausschlachten läßt (vergleiche Pavement).

HAMBURGER SCHULE-MODELL

Als Zwangsgemeinschaft in Verteidigungshaltung dürfte es bald auseinanderfliegen. Abhängig ist das wohl vom jeweiligen Respekt an den eigenen Sozialisationsrahmen. Ein Diskurs, der alle mehr oder minder beteiligten Aktivisten bei der Stange hält, bahnt sich leider nicht an. Vielmehr bestimmt zunehmend das Stammtischpalavern, wer wie dazugehört. Zwar läßt sich Futterneid kaum ausmachen, doch gibt die immer mehr zutage tretende eigene infrastrukturelle Ersatzheimat („Kiez“-Verwurzeltheit als Bedingung) Anlaß zu großer Sorge. Ungehemmte Lustfreundlichkeit wird dann vollends zum Einfallstor für Spinner, wenn der politisierte Bezugsrahmen schwindet. (Entscheidend werden m.E. die 96er Platten von Kpt.Kirk& sowie die der Goldenen Zitronen. Nicht aber die mögliche von Blumfeld.) Die umfassende Kapitulation vor Hip Hop konnte leider bisher nicht durch Techno/House ausgeglichen werden. Licht am Tunnel ließe sich nur sehen, wenn ein ähnlich gelagertes - notwendigerweise strikt antinationales - Unterfangen anstünde, wie das der Wohlfahrtsausschußtour. Dann wäre auch wieder ein Rahmen für umfangreiches Theoretisieren gegeben.

HARDCORE

Spätestens mit dem Einzug in Metal-Gefilde, so läßt sich im Nachhinein konstatieren, ist HC immer mehr aus den anfänglichen Metal-Anhängsel-Status zum Rettungsanker der Metal-Krise konvertiert. Was anfänglich als Unity-Gedanke die Metal-Szene verändern sollte ist heute selbst purer Metal-Rock. Kein Problem ist somit auch ungehemmtes Marketing. Das „Street“-Gelaber ist zur Farce verkommen, DIY (Do It Yourself)-Prinzipien zu einsetzendem Größenwahn. Ob rechts- oder linkslastig nur noch eine Frage des puren Zufalls. Altgediente HC-Aktivisten sind entweder Nutznießer oder fossil. Dazwischen existiert nur noch eine erschreckend große Masse an Konsumenten, denen es ausschließlich um die Mucke geht. Machismus ist zum Pseudo-Stil gereift, der sich mit einer durchgeknallten Kid-Generation paart, die in einer Brühe aus Hippietum und Lebensschützermentalität Gesellschaftskritik aus der Gefahr für Feldhasen und Butterblumen herleitet. Fatalerweise läßt sich dazu ergänzend auch noch zunehmend eine Hip Hop-Ablehnung ausmachen, die mir alleine schon beim Spekulieren, was daraus folgt, angst und bange macht.

HIP HOP

Er schlägt derzeit durch, als wäre er kurzzeitig in der Versenkung verschwunden. Phänomenalerweise tut er das verbunden mit einer Zunahme der ausschließlichen Selbstreflexion über das Signifying-Prinzip (Rollenspiel) in den Lyrics. Daß dabei als einizge Schule die Old School als Bezugsgröße herhält, fokussiert den Respect am Urquell. Das Ausformen der Gangsta-Attitüde führt zur Aufhebung selbiger. Das ist insofern entscheidend, als daß sie zum Ausgangspunkt für weiteres geworden ist. Ost- und Westküste sind dabei nur zierendes Beiwerk. Einrichten in den Verhältnissen (des Ghettos) prägt dabei den Willen, wohlsituiert überleben zu können. Ein Ausbruch aus dem Ghetto ist somit längst nicht mehr das Ziel. Der eigenen Hood, Gang und Familie gilt der Respect, der bei eventuellem Erfolg ihnen alle zugute kommen soll. So stehen N.O.I. und Five Percenter gleichberechtigt in der Peripherie. Im Bereich der „schwarzen“ Mittelklasse, die dank „Affirmative Action“ (Quoten-Prinzip) wohlweislich existiert, äußert sich eine Bezugnahme auf einen Bohemien-Status in Anlehnung an die Beatniks (Pharcyde, Fugees, Speech) interessanterweise als ein sich abzeichnendes Verweigerungsmodell mit Rückhalt im Hardcore. In UK zeigt sich nichts außer Brootherhood ( ,da Earthling inzwischen abgewandert ist), deren Ausnahmestatus sich dadurch von allein ergibt. Qualitativ werden sie dem vollauf gerecht. Eine Wiederholung des Britcore unter anderen Vorzeichen scheint dank der Übermacht der Abstract-Fraktion (Hip Hop ohne Attitüde und Rap) nicht in Aussicht zu stehen. Auch in Frankreich scheint sich Hip Hop von Hip Hop zu verabschieden, obwohl es ihn dort nach wie vor in den Vorstädten gibt. Zumindest weist die ausgeprägte Jazz-Affinität zielgerichtet gen Abstraktion. Wer hätte gedacht, daß ausgerechnet, nachdem Hip Hop aus Deutschland dirskursiv abgearbeitet und zum Ladenhüter erklärt wurde, gerade die Abwendung vom politischen fetteste Produktionen zur Folge hatte, deren Vorreiter ausgerechnet die sind, die zu Hochzeiten des Theoretisierens am schlechtesten wegkamen. Schluck. Plötzlich steckt die Pop-Linke in der Misere, auholen zu müssen. Ob man sich dabei den Hip Hop zurückholen kann bleibt fraglich. Und die Absoluten Beginner müssen das wahrscheinlich auf ihrem Rücken aushalten. Dafür ist ihre neue Platte geradezu prädestiniert. Der abgrenzerische Habitus („Dies ist nicht Amerika“) zerbröckelt zunehmend, da über das Konkurrieren mit Produktionsqualität der Anschluß funktioniert hat und der Inhalt der Lyrics darauf aufgebaut wurde.
patriotismus, 8.6k Von Dr. Peter Gauweiler: Deutsche mögen Deutschland! Das ist ganz etwas Neues. Und sie zeigen es auch noch. Mitten in Großbritannien wurde Schwarz-Rot-Gold getragen. Ohne dumm-stolzes Gebaren, aber erhobenen Hauptes. Die Fans machten uns vor, was Willy Brandt vor 25 Jahren zum Entsetzen seiner Parteifreunde auf Wahlplakate schrieb: Stolz sein auf Deutschland. Elf Fußballspieler haben erreicht, was 11 000 Politiker und Journalisten nicht schaffen: 70 Millionen Deutschen das Gefühl der Solidarität mit dem eigenen Land zu geben. Wer das schwarz-rot-goldene Fahnenmeer im Wembley-Stadion gesehen hat und die guten Gesichter, mit denen unter allgemeiner Anteilnahme unsere Mannschaft Hoffmann von Fallerslebens Lied von der Einigkeit und vom Recht und von der Freiheit gesungen hat, spürt: Nichts ist erstarrt und nichts ist erstorben, wenn es um die Sache von Deutschland geht.

INDUSTRIAL/CRUST/NOISE/GRIND

Ahnlich wie Metallica statuierten Ministry das Exempel, daß das, was sie machen, nichts mehr mit Industrial zu tun hat, obwohl es noch genauso klingt. Erledigt also mit dem Status Kunst. Crust- und Grind-Anwandlungen retteten sich dank bestehendem Network in Besetzerkreisen über die Zeit. Verändert haben sich über die Jahre nur der Durchmesser der Dreadlocks. Oder gar der Iro fiel der Kahlrasur zum Opfer. Doom, Discharge und die Crass-Götter (wie konnten sie nur dazu werden !?) sind immer noch ausschließlicher Inspirationsquell. Anarcho hin, Anarcho her, Stagnation allerorten. Welchen Schub die aus dem Jap-Core geachsene Noise-Szene geben wird, bleibt abzuwarten. Die Würdigung von Steve Albinis Meriten allerorten verspricht spannendes. Daß Krach vielleicht wieder den IQ verkörpert, der aus der Masse ragt, hielt man so vor zwei Jahren kaum für möglich. Zumindest die Ehrenrettung des Lärms dürfte dabei rumkommen.

JAZZ

Allerorten ge- und mißbraucht. Ein weites Feld als Arbeitsgrundlage, der man sich nicht mal bewußt sein muß. Free Jazz hat nun doch etwas (auch hier) mit Groove zu tun. Future Jazz ist Zukunftsmusik, die das Hier und Jetzt verkörpert. Ob wieder über kompositorische Aspekte sinniert wird, hängt davon ab, wie die Verkomplizierung der Tracks/Sounds in eine Traditionslinie gequetscht werden kann, oder gerade der Bruch in die Annalen eingeht. Derzeit zumindest sind Für und Wider dicht beieinander. Retrospektiven können außen vor bleiben. Es sei denn, die RemixTechnik umarmt den Retro-Scheiß so, daß er wirklich nach hinten losgeht.

LOW FI/HOMERECORDING/GARAGE

Der bessere Punk ohne Uniformität als individualistisches Konzept, das die mediale Abhängigkeit absorbiert hat. Die Nabelschau mit Öffentlichkeitswert. Ein Ergebnis des Rückzuges aus dem Marktsegment „Alternative“ (siehe auch Rubrik Gitarrenuntergrund/Alternative) war das Verbleiben in den eigenen vier Wänden. Sprichwörtlich. Das Wohnzimmer als Zelle der Ungemütlichkeit vermag einen verlorenen sozialen Ort zu ersetzen und macht aus dem Kommunikationsnotstand eine Tugend individueller Sensibilität, die mitgeteilt werden will. Die Selbstwahl(!) des sozialen Status begrenzt den Zugriff auf technologische Möglichkeiten. B-Produktion untermauerte so auf Low Budget Level die A-Kategorie (Charts). Der Mensch von nebenan als bohemistisch-studentische Persönlichkeit.

Metal/Crossover

So sinnentleert wie selten was. Metal für den Metal als Opium für das Volk. Alle Unterspielarten des Crossover/Metal sind Ausdruck individueller Vorlieben bei Merchandising-Börsen mit Musik. Das kurze Auflackern einer Hoffnung mit Grind und Death war eine irrtümliche Zeitverschwendung. Zumindest wurde aus Death Metal dann endgültig Metal Death. Besondere Gefahr lauert hinter Pantera, die das Einfallstor für organisierte Rassisten sein könnten. Genau genommen gibt es nur noch folgende Bands, die Metal/Crossover verkörpern: Metallica, Sepultura, Biohazard, Slayer und (mit Abstrichen) Fear Factory. Abgestiegen aus dieser Liga sind inzwischen Voivod und Napalm Death. Alles andere ist Peanuts oder am falschen Ort kategorisiert. Letzteres stellt dann sogar noch den besseren Umstand dar.
unterordnen, 9.0k Von Moritz Hunzinger, „infas“: Die deutsche Nationalmannschaft hat gezeigt, daß die „Sache“ zählt, nicht der Eigennutz, und am Ende der gewinnt, der sich erfolgreich unterordnen kann. Dieser neue deutsche Stil verdient hohe Anerkennung, und zwar im Sport ebenso wie im Top-Management, wo auch nur erfolgreich ist, wer sich mit seiner Aufgabe 100prozentig identifiziert. Im Zeugnis steht: Der Bundestrainer bemühte sich erfolgreich, die Motivation des einzelnen mit der gemeinsamen Zielsetzung in Einklang zu bringen. So hat Deutschland wieder Spaß an Leistungen.

POPULISTEN-DANCEFLOOR-ROCK

Die einzigste Konstruktion, die ich hier selbst gebastelt habe. Sie umfaßt insbesondere die britische Dance-Szene, deren Herkunft aus dem Punk erstmal grundsätzlich positiv codiert ist. Zu ihr gehören u.a. Chemical Brothers, Prodigy, Orbital, Dreadzone. Wer immer schon mal wissen wollte, wie auf dem Dancefloor geheadbangt wird, hier lauert das Erlebnis. Ein rockistisches Konzept wird digitalisiert und zum Konsens-Ding, das R‘n'R modifiziert hinüberretten könnte. Es handelt sich also nicht um Post-Rock sondern um gefilterte Reduktion auf die Bestandteile lebenserhaltender Rockstrukturen. Monströsität wird derzeit noch durch den offensiven Soundwall kaschiert. Wie lange noch wird sich zeigen.

PUNK/OI!/SKA

Trotz zeitbedingter Überschneidungen auf dem Rücken von HC hat zumindest Punk alles erreicht, was wir nie wollten: Stumpfsinn ohne Destruktivität, stadionfüllendes Ereignis, Fun Sport-Untermalung, Oktoberfest-Kompatibilität. Mit blutendem Herzen geben wir ihn zum Abschuß frei. Wo früher die Ratte als Symbol diente, kriechen alte Männer nun selbst als solche aus ihren Löchern. Dabei ist Punk als Rock-Beruf okay (Bad Religion, Sex Pistols). Nicht aber als Berufung (Exploited). Und was die Nachkommen machen ist mir im grunde scheiß egal. Das finde ich zwar im Einzelfall selbst erschreckend, läßt sich aber leider dank miesestem Epigonentum nicht anders verhandeln. Zu OI! und Ska läßt sich dagegen unbefangener ein zeitloser Draht herstellen. Wäre nicht im Fascho-OI! der zukünftige Mißbrauch von HC verborgen, bräuchten wir uns keine Sorge machen. Leider aber wird es spätestens in fünf Jahren genauso viele rassistische wie anti- oder nicht-rassistische Hardcorebands geben. Und das schmerzt dann wirklich sehr. OI! und ska sind, bis auf wenige Ausnahmen, der Linken weiterhin ein Buch mit sieben Siegeln. Nicht zuletzt davon lebt die OI!- wie die Ska-Szene. erst vor einigen Jahren hat sie die S.H.A.R.P.-Umarmung abgewendet. Wäre da nicht dieser unbedingt zu bekämpfende, wieder im Auftrieb befindliche Fascho-Scheiß, es könnte so viele nette Abende bei Umtrunk und Musik geben.

QUEERCORE

Riot Grrrl sprengte den üblichen subkulturellen Rahmen mit Inhalten, die als kulurell-ästhetische Offensive die Männerdomäne des Rock aufmischen könnte. Im Zuge der Gender-Diskussion wird das Geschlecht als soziales Konstrukt benannt. Der Verlust der Hoheit über das eigene Vermögen läßt sich exemplarisch an der Band Bikini Kill ablesen: Es gibt derzeit keine Möglichkeit, diese Band ins Conne Island zu holen. Die strukturelle Frauen-/Lesben- und Schwulenfeindlichkeit rührt eben aus der Anerkennung der Geschlechterrollen, die das Geschlecht als solches gar nicht erst in Frage stellen soll.
zaehigkeit, 8.4k Von Alfred Draxler, Sportchef von „Bild“: Die Europameisterschaft steht für die Wiederauferstehung der typisch deutschen Tugenden. Das beste Beispiel dafür ist Thomas Helmer: Er war seit der EM-Vorbereitung angeschlagen und hat sich mit zusammengebissenen Zähnen von Spiel zu Spiel durchgebissen. Gegen England am Schluß mit zwei angeschlagenen Knien. Franz Beckenbauer sagte dazu: „Für soviel Tapferkeit verdient er einen Ritterschlag.“ Überhaupt hat das England-Spiel den Teamgeist unter Beweis gestellt. Die Mannschaft ist auch ohne Klinsmann, den Superstar, über sich hinausgewachsen. Und Bertis Satz hat sich bewahrheitet: Der Star ist die Mannschaft.

REGGAE/DANCEHALL

In Europa stutzt sich derzeit die Sache zurecht. Anfänglicher euphorischer Trittbrettfahrerei (nicht zuletzt durch Jungle - siehe dort) ist ein den Verhältnissen entsprechendes Maß an Relevanz gewichen, das sich zumindest auf längere Sicht stabilisieren kann. Weder in GB noch in anderen Teilen Europas läßt sich nur annähernd mit der rasenden Schnellebigkeit, die in Jamaica vorherrscht, mithalten. Wer hätte gedacht, daß Singles als Medium derart hinderlich sein können. Die Parallelität von Dancehall und Hip Hop ist doch immer wieder erstaunlich. Daß sich Dancehall aber im Gegensatz zum Hip Hop einer Massenrezeption nicht erfreuen kann, liegt weder am Neo-Rasta noch an den Slackness Lyrics von vor ein paar Monaten. Vielmehr macht sich die Differenz hier noch in einem Maße bemerkbar, wie es sich dem „klassischen“ Muster der Rezeption anglo-amerikanischer Pop-Kultur entzieht. Ansonsten findet Reggae kaum den Weg aus den Klauen der Multi-Kulti-Fraktion. Als Verstärker der Festschreibung eines Exotenstatus blockiert sie eindeutig eine Umformung zu populär wahrnehmbarer Wichtigkeit, obwohl theoretisch eigentlich alles klar ist.

SOUL/R&B/SWINGBEAT

Wer hätte gedacht, daß über/mit Hip Hop ein neues Soul- und R&B-Verständnis Wege eröffnet, die im nachhinein betrachtet ja eh nie weit voneinander entfernt verliefen. Abgesehen mal vom Sampling, das einen Rückgriff immer nur einseitig vorgab, funktioniert die Wechselseitigkeit in einem kaum mehr trennbaren Ausmaß. Montell Jordan, D' Angelo oder Mark Morrison machten unter Umständen gar schon den besseren Hip Hop gäbe es da nicht noch die Grenzziehung durch explizite Gang-Sozialisation. Daß jemand wie Teddy Riley (Swingbeatkönig) strikt daran gearbeitet hat, tritt heute etwas in den Hintergrund. Nichtsdestotrotz hatte Riley jene Schanierfunktion, weil er sich als Bomb Squad (P.E. Homebase)-involviert betrachten kann. Klar ist, daß sich eine Tür aufstossen ließ, die Hip Hop neben dem Wu Tang aus der vermeintlichen Krise aufbrechen ließ. Wohin es also geht, dürfte eine der spannendsten Fragen der nächsten Zeit sein.
fleiss, 7.2k Von Reinhold Beckmann: Bei Gerd Rubenbauer ist spätestens seit dem Halbfinale gegen England jeder Ostfriese ein Alemao. Für die Engländer war spätestens in der Verlängerung jeder deutsche Spieler ein Dieter Eilts. Für Pelé war er schlicht und einfach: der Beste! Ruud Gullit hat schnell nachgerechnet: 100 Tacklings, alle gewonnen, alle sauber, keine gelbe Karte! Phänomenal! Endlich haben wir den richtigen Protagonisten des deutschen Fußballs. Dieter Eilts. Löcher stopfen, Räume zusetzen, abdichten! Er strebt nicht nach Beliebtheit, sondern nach vollkommener Erledigung seines Auftrags. Er unternimmt keine weiten Reisen, höchstens bei Ecken. Auf einmal müssen wir uns nicht mehr der deutschen Fußballeigenschaften schämen: Fleiß, Ausdauer, Zähigkeit. Dieter Eilts ist international geadelt und hat uns die wahre Seele des Fußballs zurückgebracht. Der Star ist der Staubsauger!

Strange/Easy Listening

Vorwürfe hagelte es genug, als der Retro Hype losgetreten wurde. Zum Glück aller Kritiker halten sich die Ausmaße von Belanglosigkeit in Grenzen. Es ist auch nicht zu verschweigen, daß jenes Zeug als eklektischer Bestandteil von anderem progressiv vereinnahmt werden konnte. Als Schnipsel tut es keinem weh. Im Gegenteil. Die Referenz an die gute alte Zeit blieb in großem Maßstab aus. Und was besonders gut ist: Hipster und Zeitgeistspinner verraten sich, führen sich selbst vor.
(Know Your Enemy.)

TECHNO (ACID)/HOUSE/DISKO

Interessanterweise konnte sich die House- und Disko-Fraktion über die Zeit retten, die keine Grenzen mehr gelten lassen kann. Die H-Rubriken sind da eher Hilfskrücken. Jahrelang als Stiefkind dümmlich anmutender Hardtrance-Auswüchse abgecancelt, ging es vor zwei Jahren so ab, daß die House- und Disko-Fraktion unter Umständen auf der Strecke bleiben könnte. Ihre starke Gay-Lobby verhindert komischerweise ein Fortschreiten aufgrund eines Identitätskontextes. Chicago und New York bringen zwar immer wieder aufs neue kleine Wunderwerke hervor, doch Detroit und sein Techno-Verständnis ebneten um einiges prägnanter den Weg. Den Abgesang des Rave braucht man an dieser Stelle wohl nicht groß ausführen (siehe Abstract/HEADZ...). Interessanter scheint da schon die Frage, welchen Schaden die Goa-Sache nach der Rückkehr von Wald und Wiese anrichten wird. Die vielen entstandenen Subströme im Techno kennen keinen Hauptstrom mehr. Sollten sich diese aber wieder an einem entscheidenden Punkt treffen; soll heißen: auf eine bestimmte Sache unbedingt einigen, wird es eher langweilig bis gefährlich.


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last modified: 28.3.2007