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Betrifft: Benefiz-Text vom Conne Island für Newsflyer („Die Qual der Wahl“).

Der nachfolgende Text ist anläßlich des Benefizes „Freiheit macht arm - Ereignis für strategische Rohstoffe“ am 21. Juni verlesen worden.
Das Benefiz wurde insgesamt als Erfolg gewertet. Die Kritik, die es gab, bezog sich im Vorfeld auf die Bandauswahl (Tocotronic, Surrogat) und auf das herausgegebe Faltblatt, das einigen nicht ausgiebig genug diskutiert schien.
Leider gingen die gezeigten Filme zum „radikal“-Verfahren und zu Abschiebung durch den angesetzten Zeitpunkt etwas unter. Die stattgefundene Lesung („Monolog eines Linksradikalen“) galt bei vielen als zu speziell auf Szeneinterna bezogen.
Als besonders positiv wurde der Gesamtrahmen bewertet, da dieser endlich mal mit gewissen autonomen Benefizstereotypen brechen konnte. Auch die Bands hatten sich, wie eine recht schwerwiegende Diskussion kurz nach dem Tocs-Konzert zwischen Surrogat, Conne Island-Leuten und Tocotronic zeigte, sehr intensiv damit auseinandergesetzt, warum sie bei diesem Benfiz gespielt haben.
Immerhin. Es kamen für jedes der drei Projekte jeweils ca. DM 1.400,- heraus. (Die genaue Höhe stand bei Redaktionsschluß leider noch nicht definitiv fest, da ein Rechnungsbetrag nur hochgerechnet werden konnte.)
Im Namen der Benefiz-Crew soll an dieser Stelle nochmals der Dank an alle Beteiligten gehen. Es hat großen Spaß gemacht.




die qual der wahl, 1.3k
Text des Conne Island zum Benefiz für linksradikale Projekte „Freiheit macht arm - Ereignis für strategische Rohstoffe“ am 21. Juni 1996

Sicherlich werden nicht wenige von euch überrascht sein, daß wir hier im Conne Island diese Benefizveranstaltung zusammen mit anderen Gruppen durchführen. Es scheint uns deshalb sinnvoll, an dieser Stelle etwas zur Geschichte der Entstehung des Conne Island zu sagen.
Seit Mitte der achtziger Jahre gab es in Leipzig einen Kreis von Leuten, der sich durch die Anarcho-Attitüde des Punk offen gegen das kulturelle und politische Establishment der DDR stellte. Die permanente Verfolgung und Ausgrenzung durch Staatsorgane und sogenannter Normalbevölkerung machte es diesem Kreis nicht einfach. Viele Punks zogen daraus die Konsequenz, einen Ausreiseantrag in die BRD zu stellen. Er bedeutet zwar eine Zuspitzung der Repression, zeigte aber zumindest einen Ausweg aus der eingefahrenen Situation in der DDR. So war es an der Tagesordnung, daß Freundschaften abrupt endeten, weil Ausreisen bewilligt wurden. Trotz und wegen dieser Situation war der Politisierungsgrad der Leute sehr hoch. Jede Party wurde zu einem Stück Widerstand gegen das DDR-System.
Und Parties waren nicht einfach zu organisieren. Gab es doch so gut wie keine Räumlichkeiten. In Leipzig zum Beispiel gab es nur in wenigen Kirchenräumen überhaupt die Chance, ein Konzert durchzuziehen. Doch selbst dann war nicht klar, ob die Staatsorgane nicht doch dazwischenfunkten. In dieser Situation waren die Leipziger Punks jene, die zusammen mit den sogenannten Bürgerrechtlern die ersten Demos gegen die Zustände in der DDR initiierten. Im Jahre ‘89 war nur noch ein kleiner Kreis von Punks entschlossen, in der DDR zu bleiben. Dieser mußte sich ständig mit den Staatsorganen und den staatlich tolerierten DDR-Fascho-Skins auseinandersetzen. In vorderster Reihe bei den ersten Demos an der Leipziger Nikolaikirche im August und September ‘89 bereitete man jenen großen Demonstrationen den Boden, die wenige Wochen später die Ziele der Punks in ihr Gegenteil verkehren sollten.
Als ab Dezember 1989 die Demonstrationen ausschließlich von Nationalismus und Antikommunismus erfüllt waren, initiierten die Punks Demonstrationen, die sich gegen den Einheitsmob und ein neues Großdeutschland richteten.
Mit 1989 war es für den Kreis der Punks erstmals möglich, ungehindert in der Öffentlichkeit durch eigene Veranstaltungen präsent lichen an den Verhandlungstisch zu zwingen und einen Vertrag für das Gelände und die Gebäude des ehemaligen Eiskeller zu erwirken. So entstand das Conne Island. Seit Juli 1991 existiert es nun schon und es haben sich so manche Veränderungen vollzogen; personell, kulturell und auch baulich. Doch eines ist geblieben, der Anspruch, Widerstand zu leisten gegen einen Normalzustand in diesem neuen Super-Deutschland. Das Zusammengehen von Politik und Kultur als Voraussetzung, widerspiegelt sich in den Angeboten und Aktivitäten, die vom Conne Island ausgehen oder mitgetragen werden. Das waren und sind in der Praxis nicht nur die Ausrichtung des Antifa-Wochenendes im Jahre `92, der BesetzerInnenkongreß im vorigen Jahr, das allwöchentliche Antifa-Plenum, die Beratung zur Totalverweigerung oder der Infoladen, sondern auch das Kulturangebot.
Das Verständnis von dem Deutschland, in dem wir leben, kann nicht positiv sein. Ein Gemeinwesen, dessen vorherrschende Meinung ein Zurechtlügen der Geschichte beinhaltet, wo die Fundamente Nazis legten, die niemals für ihre Untaten zur Verantwortung gezogen wurden, zeigt einen Charakter auf, der mit dem Wegfall des Ostblocks immer offener zutage tritt:
Mit erschaudernder Regelmäßigkeit werden Flüchtlinge durch den Staat in den Tod getrieben, wenn sie es wagen sollten, ihrem Elend zu enfliehen, deutsche Außenpolitk wird zum kriegstreiberischen Element in Ex-Jugoslawien, Innenpolitik erfährt eine neue ekelerregende nationalistische Qualität durch die sogenannte Standortdebatte, die Erringung der politischen und ökonomischen Vormacht in Europa im Verbund mit der Bundesbank, die Degradierung Osteuropas zum hörigen Lakeien, die Drohgebärden mit dem Bau einer Atombombe, deren Rohstoffe hinter vorgehaltener Hand, ignoriert von der Öffentlichkeit, schon längst beschafft wurden, der dritte Platz im Rüstungsexport..., und und und.
Das Verständnis von Kultur GEGEN die herrschende Kultur, sei es auf der Straße, im Wohnzimmer, im Äther, in der Schule, im Club, Feuilleton oder sonstwo ist eine der wichtigsten Grundlagen gegen den Zeitgeistscheiß. Nur dann läßt sich über Veränderung reden. Nicht aber über das Einrichten in den bestehenden Verhältnissen.
Das ist die Qual der Wahl.

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last modified: 28.3.2007