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conne island publikum 96

Wer kommt zu den Konzerten ins Conne Island, gibt es neben dem speziellem Interesse an Band bzw. Acts noch andere Motivationen? Wird der Laden als alternatives Gesamtprojekt wahrgenommen? Geht die Lebenseinstellung der BesucherInnen mit dem Ansatz der BetreiberInnen, Schnittstelle von kultureller und politischer Dissidenz zu sein, einher?

modell, 28.6k

Fragen über Fragen,

sollte man eigentlich am Anfang stellen. Schon die Tatsache unser natürlich kontinuierliches Interesse am Feedback auf die Angebote des Ladens, transparent zu machen, läuft auf eine solche hinaus. Vor ein paar Jahren wäre sicher niemand von uns auf die Idee gekommen, einen semi-wissenschaftlichen Fragebogen als Grundlage für mündliche Interviews zu entwerfen und damit in peinlicher Nähe zur zeitgeistlichen Marktforschungsmanier das Conne Island-Publikum zu nerven. Bei aller Vorsicht, die angebracht ist, um eine Idealisierung der Entstehungszeit des Conne Island zu vermeiden (siehe dazu den Text „Qual der Wahl“ in diesem Heft), eine solche Herangehensweise hätte sich damals erübrigt. Denn gab es auch nicht die oft beschworene Aufhebung der Trennung von MacherInnen und KonsumentInnen, so gab es zumindestens eine starke Tendenz hin zu einem gemeinsamen Themenhorizont. Die Suppe an der da gekocht wurde, hatte die im Osten noch frischen Zutaten von Punk/HC, HausbesetzerInnenbewegung und autonomer Antifa, und wer dieses dynamische Gemisch genoß, hatte wenigstens das Gefühl, gemeinsam unter Aktiven zu sein. Die Zeiten ändern sich und Retro hin oder her, irgendwie wurden sie nicht gerade besser. Was aus Punk/HC geworden ist, zeigt u.a. die diesjährige Open-Air-Hysterie in der Provinz, die HausbesetzerInnenbewegung ist noch schneller zerbröckelt als ihre Häuser und die autonomen Antifas stehen im Gegensatz zu z.B. von Nazis besetzten Häusern in der Leipziger Umgebung größtenteils nur noch auf dem Papier des Verfassungsschutzberichtes. Aber Nostalgie ist fehl am Platze, auch wenn sie sich aufgrund des kurzen Zeitraumes der Entwicklung oft genug aufdrängt. Vielmehr gilt es, mit ein bißchen Realitätssinn festzustellen, daß hier nur nachvollzogen wurde, was in vergleichbaren links-subkulturellen Kreisen im Westen schon auf der Tagesordnung stand. So war die Öffnung gegenüber anderen kulturellen Sparten ein notwendiger Schritt, der aus der Anerkennung ihres dissidenten und gegenüber HC musikalisch teilweise innovativeren Potentials erwuchs. Praktisch bedeutete das, den Verlust eines relativ konstanten Konzertpublikums, einen schweren Stand innerhalb der lokalen Szene und nicht zuletzt eine Differenzierung zwischen den MacherInnen selber. Die Grenzen, die sich auftaten, lassen sich oberflächlich als die zwischen „HC“ vs. „Anti-HC“-Fraktion und zwischen „Politischen“ vs. „nicht-ganz-so-Aktiven“ charakterisieren. Der verbindende Rahmen wurde nicht gesprengt und trotz aller Querelen einigte man sich immer auf den gemeinsamen Nenner „Gesamtprojekt“. Das Nebeneinander oder besser Ineinander von linksradikalen und subkulturellen Ansätzen und das Beharren auf einer kollektiven Entscheidungsfindung machen diesen Laden zu einem linken Projekt jenseits von PDS und Grünen, von mb und Maison d’ Easy.

Wer, wie, was? Wieso, weshalb, warum?

Die links-anarchistische Band Chumbawamba zieht 800 Leute zum Konzert. Hamburger Schule-Sachen, bekannt für ihre Unterstützung linker Projekte und ihrer Verankerung in ihnen, entwickeln sich zum Publikumsknüller. In Artikeln des Newsflyer wird derweile eifrig gegen Innenstadt-Etablissements und deren BesucherInnen von mb über blauer Pudel bis Markt 9 geschossen und dabei das eine oder andere illustre Feindbild produziert. Denn uns ist klar: Die Pseudo-Szene-Yuppies, Zeitgeistarschlöcher und potentiellen Rassisten studieren, wenn sie studieren, nicht gegen die Uni, sondern für ihre Karriere. Ihre Boheme-Phase beginnt am frühen Abend und endet früh im Vorlesungssaal oder vormittags am Kreativjob-Arbeitsplatz. Sie demonstrieren, wenn sie demonstrieren, nicht gegen Geschichtsrevisionismus, Rassismus und Faschismus, sondern für ihr Recht, die neue, gut ausgebildete Elite in Deutschland sein zu dürfen. Sie sind politisch, wenn sie abwechselnd darauf verzichten, französischen Wein zu trinken oder britisches Benzin zu tanken. Sie sehen manchmal aus wie Girlies, sind aber gegen Feminismus. Sie verlieben sich entweder bei Keimzeit oder bei Nirvana in sich selbst. Sie kriegen nie von Faschos auf’s Maul, aber sind gegen Gewalt...
Sie gehen ins Conne Island oder sind diejenigen, auf die wir warten, wenn wieder mal ein kultureller Highlight vom potentiellen Publikum ignoriert wird.

Wer nicht fragt, bleibt dumm...

Bloß ist die Fragerei manchmal eine peinliche Angelegenheit... Ausgestattet mit einem Fragebogen als Grundlage für ein Interview, versteckt in einer „Wichtig-Mappe“, mit einem schleimig-freundlichem Hallo auf den Lippen, ahnungslosen BesucherInnen ihre Ahnungslosigkeit entlocken zu wollen, macht irgendwie keinen Spaß. Ergebnis: Völlig indiskutable und alles andere als repräsentative 20 Interviews bei fünf Veranstaltungen (Die Sterne, D.R.I., Rykers, Tocotronic, Soul Coughing). Damit bestehende Vorurteile entkräften oder bestätigen zu wollen - unmöglich. Schon bei der Erstellung der Fragen und später dann während der Gespräche zeigte sich außerdem, daß gar nicht so klar ist, was man denn vom Publikum '96 erwartet. Der Sterne-Fan als politischer Aktivist, der am Wochenende als „Berufschaot“ durch die Gegend fährt und, sich seines besseren Stils bewußt, trotzdem alten Bewegungszeiten hinterhertrauert? Der Rykers-Enthusiast, der bei deutschem N.Y.-Style die Intensität des HC genießt, in der Provinz selber Konzerte mit veranstaltet und die örtliche Antifa unterstützt? Wären dies „Idealfälle“? Oder ist das musikalische Interesse an sich, die vielleicht vermeintliche Abgrenzung vom Mainstream, über die Differenz zu den kulturellen Vorlieben der Eltern oder eventuell noch gekoppelt an eine oberflächliche Gegen-Rechts-Verortung genauso o.k.? Ist es nicht zu viel verlangt, wenn die Einstellung der Befragten zu Pop und Politik auch noch in einem möglichst positiven Bezug zum Ansatz/Anspruch des Conne Island stehen sollte?

Wir haben mehr Fragen als Antworten...

Letztendlich hat sich gezeigt, daß diejenigen, die finden, daß sich politische und kulturelle Intention verbinden müssen, die vom Publikum auch wahrgenommen, wenn nicht gar eingefordert werden muß, sich nicht völlig hinter der Realität verstecken müssen. Denn es gibt sie: Den Punk/HCler aus Klingenberg (bei Freiberg bei Dresden bei Leipzig), der in seiner Kleinstadt Punk/HC-Konzerte organisiert, der sich der deutschen Tüchtigkeitslogik entzieht und von Arbeitslosenkohle lebt, auf Demos fährt (1. Mai in Prag!) und der die deutsche Asyl- und Militärpolitik und Sozialabbau zum Kotzen findet. Und der meint, daß linke Politik und Subkultur zusammengehören und dies sich praktisch an einem Laden wie hier verwirklichen ließe. Den 18jährigen Rykers-Fan, der selbst in einer Band spielt, im Saalfelder Jungendzentrum mitarbeitet, die dortige Antifa-Zeitschrift liest und ganz pauschal was gegen Regierung und Bonzen hat. Die 15jährige Sandra, die auf Die Sterne und Tocotronic steht, anders leben möchte als die Mehrheit in diesem Land, die „rechte Einstellung“ des Staates Scheiße findet und es gut heißt, wenn bei Konzerten mehr auf Demos und andere politische Veranstaltungen aufmerksam gemacht würde. Und auch bei einem 32 Jahre alten Langzeitstudenten, der sich irgendwie als Punk fühlt, zu den Sternen geht, Klarofix und junge Welt liest, griesgrämige Conne Island-Einlasser nicht besonders mag und fordert, daß der Laden „mehr mit Connewitz zusammengehen“ müsse, hat man das Gefühl, daß hier zusammentrifft, was zusammengehört. Doch ganz so rosig sollten wir es uns nicht machen. Der ansonsten unpolitische Antiatomtest-Teenie fiel uns genauso in die Falle wie die bewußtlose NATO-Markt 9-Beyerhaus-Substanz-Connection. Als links fühlte sich so ziemlich jede und jeder. Doch auf die Frage, was dies denn sei und was man selber konkret mache, kam meist ein Error. Zwar konnten sich alle vorstellen „bei entsprechender Situation“ ein Haus zu besetzen, dies relativierte sich aber im Zusammenhang mit den anderen Statements. Auch die Antworten auf die Frage, was man denn am meisten zum Kotzen finde in diesem Land, deuteten eher auf eine diffuse politische Oppositionshaltung hin. Es wurden kaum politische Entwicklungen, wie Nationalismus, institutioneller Rassismus, Neofaschismus, Militarisierung der Außenpolitik usw., bei ihrem Namen genannt. Der kulturelle und politische Kontext des Conne Island wurde - wenn überhaupt - nur erahnt. KeineR der GesprächspartnerInnen kannte den Infoladen und nur einer hatte mal gehört, daß es hier sowas wie die Antifa geben müsse. Viel schlimmer ist, daß viele davon ausgehen, daß Geld verdienen eine der hauptsächlichen Motivationen für die Organisation der Veranstaltungen ist und daß es hier im herkömmlichen Sinne Chef’s und Angestellte gibt. Ohne hier zu großen Dementis ansetzen zu wollen, nur soviel: Was finanziell läuft, läßt sich eher mit unbezahlten Rechnungen und Selbstausbeutung beschreiben und der Laden steht und fällt mit dem kollektiven Entscheidungsprinzip. Den Newsflyer kennt oder liest man nicht und letztendlich wäre es auch vielen egal, ob die favorisierten Konzerte hier oder woanders stattfinden würden. Bis auf die oben geschilderten Ausnahmen sind die Angesprochenen auch im jugendkulturellen Bereich nicht aktiv und erfüllen wahrscheinlich wirklich eine Konsumentenrolle. Viel schlauer als zuvor war man nach den Gesprächen nicht. Daß die musikalische Vorliebe noch lange nichts über eine grundsätzliche und darüber hinaus konkretisierte Widerstandshaltung gegenüber einen auch benennbaren kulturellen und politischen Mainstream aussagt, war eigentlich von vorneherein klar. Wenigstens war ein Viertel der Befragten so ehrlich, sich als „Normalos“ zu bezeichnen.
Fragt sich, wie das Conne Island in Zukunft mit seinem Publikum „umzugehen“ gedenkt. Gerade das Benefiz für linksradikale Projekte mit Tocotronic und Surrogat hat gezeigt, daß durch eine offensichtlichere Besetzung des Rahmens in dem Konzerte stattfinden, durchaus Interesse und Diskussionen auslösen kann. In Vorbereitung dieser Veranstaltung wurde aus dem Organisatorenkreis heraus dem Conne Island vorgeworfen nicht öfter durch Info-Tische, Filme oder Redebeiträge den normalen Konzertablauf zu ergänzen. Und auch wenn eine übertriebene Agit-Prop-Kante schnell in ihr Gegenteil umschlagen dürfte, die Idee, wieder Leute mit der Nase auf Probleme zu stoßen, die jene nicht sehen wollen oder können, sollte auf jeden Fall aufgenommen werden. Zum einen, weil es überhaupt nicht einsehbar ist, daß das Publikum auch hier seine rund zehn Jahre Jugendkultur auf dem Weg zum vollends eingerichteten Normalbürger so bedeutungsleicht wie zur Zeit serviert bekommt. Zum anderen ist es nichts Schlimmes, wenn ab und zu der Zeigefinger mit pädagogischem Impetus geschüttelt wird, denn gerade ein verdammt junges Zuhörerpotential bei Hip-Hop, HC, oder Hamburger Schule kann um einige Zusammenhänge einfach nicht wissen und ist vielmehr ein noch rettbares Opfer der Kulturindustrie. Irgendwie muß in dieser Richtung mehr ausprobiert werden. Und fast ist es ja ein bißchen peinlich in diesem Zusammenhang zu fordern, daß sich auch das Conne Island-Umfeld und die noch existierenden politischen Projekte mit Vorschlägen oder Kritik mehr zu Wort melden.
Phillip+Ulle

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last modified: 28.3.2007