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• kulturreport: Boiler Room – »The world’s leading underground music show« als Reinkarnation von Top of the Pops
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• das letzte: Auf der Titanic
Die Verfassungsschutzbehörden sind sich für nichts zu schade. Erst wurde wild mit den Fingern in alle Richtungen gezeigt, als es darum ging herauszufinden, wie der bewaffnete und mordende Nationalsozialistische Untergrund über Jahre hinweg außerhalb des Radars des Geheimdienstes agieren konnte. Nun wird eröffnet, dass man in eben diesem Zeitraum damit beschäftigt war, linke Projekte, Initiativen und Privatpersonen auszuspionieren, die währenddessen tatsächlich zur Aufdeckung von Nazistrukturen und Verhinderung rechter Gewalttaten beitrugen.
Das Conne Island, die Buchhandlung El Libro und weitere Initiativen und Einzelpersonen erhielten in den letzten Wochen Briefe vom Sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz (LfV), in denen ihnen mitgeteilt wurde, dass ihr Telekommunikations-, sowie ihr Post- und Briefverkehr in verschiedenen Zeiträumen zwischen 1996 und 2001 abgehört und überwacht wurde. Nicht nur die MitarbeiterInnen des Conne Island wurden von Februar 1999 bis Oktober 2000 überwacht, auch die Grundrechte von Gästen, KünstlerInnen, GeschäftspartnerInnen, PolitikerInnen und politisch Aktiven, die das Conne Island nutzen, wurden verletzt. Begründet werden die Maßnahmen mit dem Verdacht, dass die Aktivitäten der Gruppen RAAL (Rote Antifaschistische Aktion Leipzig) und BgR (Bündnis gegen Rechts), deren Treffpunkt das Conne Island war, angeblich u.a. »darauf gerichtet war, Straftaten gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung (fdGO) zu begehen«. Angesichts der Tatsache, dass ein Großteil der Überwachten in erster Linie damit beschäftigt war, sich gegen rechte Gewalt und den rassistischen und antisemitischen Konsens in der Gesellschaft zu engagieren, kann dieser Verdacht nur als Frechheit verstanden werden.
Kritik an einem autoritären, formellen Demokratieverständnis zu äußern; die Gleichsetzung von Linkes und Rechts im Rahmen der Extremismustheorie abzulehnen und sich gegen reaktionäre gesellschaftliche Zustände zu widersetzen – all das wird als Angriff auf die fdGO verstanden und nicht als notwendiger Gegenpol zum konservativen politischen Mainstream. Alles, was der »Mitte der Gesellschaft« als Sand im Getriebe erscheint, wird per se zur Gefahr. Den Kampf für ein selbstbestimmtes Leben und eine emanzipierte Gesellschaft auf eine Stufe mit Terror und Gewalt gegen Menschen, aufgrund von Aussehen, Herkunft, Sexualität oder Meinung zu stellen, ist in Sachsen und Deutschland nach wie vor Usus. Freiräume wie das Conne Island dienen auch dazu, außerhalb von Uni und Parteien politisch aktiv zu werden. Diesen Nischen dienen dazu, Theorien und Strategien zu entwicklen, wie ein Leben ohne kapitalistische Zwänge, Staatsgewalt, Überwachung und nationalistische bzw. rassistische Ausgrenzungsmechanismen möglich sein kann.
Das Conne Island wird bereits seit 1996 im Sächsischen Verfassungsschutzbericht als »Anlaufstelle der Autonomen Szene« geführt und das LfV versuchte im Jahr 2003 erfolglos, die Stadt Leipzig und das Finanzamt zur Einstellung der Förderung bzw. zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit des Vereins zu nötigen. Dies konnte dank der breiten Unterstützung durch das Umfeld des Conne Island und zahlreiche Förderer verhindert werden. Trotz dessen ist anzunehmen, dass auch außerhalb der nun eingeräumten temporären Maßnahmen unter wahnwitzigen Vorwänden gespitzelt und überwacht wurde und wird.
Die nun offenbarte Durchführung sogenannter G10- Maßnahmen, die das in Artikel 10 des Grundgesetzes garantierte Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis außer Kraft setzen, ist nur in bestimmten Fällen anwendbar. Ob die Maßnahmen gerechtfertigt sind, entscheidet die G10-Kommission des Landtages auf Grundlage der Einschätzung durch das LfV. Ob die Vorwürfe eventuell nur der Phantasie des LfV entspringen, können die Mitglieder der Kommission quasi nicht in Erfahrung bringen, da es ihnen nicht erlaubt ist, über die Vorgänge zu sprechen. Auch ob und wann überwachte Personen nach Beendigung der Maßnahmen benachrichtigt werden, hängt im Wesentlichen von der Entscheidung des LfV ab.
Ein ähnliches Instrument bietet der Verdacht auf Verstoß gegen §129 bzw. §129a StGB (Bildung einer kriminellen bzw. terroristischen Vereinigung) dem LKA. Zwar müssen diese erweiterten Ermittlungsmaßnahmen richterlich angeordnet werden, jedoch scheint dies in Sachsen kein Problem zu sein – vor allem wenn es darum geht, Informationen über AntifaschistInnen zu sammeln. Die Überwachung kann über viele Jahre laufen, ohne dass Anklage erhoben wird oder Betroffene jemals von der Bespitzelung ihrer Aktivitäten und ihrer Privatsphäre in Kenntnis gesetzt werden. Selbst wenn sich ein Verdacht, auf dem derlei Maßnahmen fußen, als unbegründet herausstellt, können die Behörden in diesen Zeiträumen ohne jegliche Konsequenz unzählige Daten sammeln und Strukturen durchleuchten. Dies geschieht beispielsweise seit nunmehr vier Jahren mit AntifaschistInnen, die im Februar 2010 in Dresden an den Protesten gegen den Naziaufmarsch teilnahmen. Eine Anklage wurde auch hier bisher nicht erhoben.
Der Verdacht auf die Bildung einer kriminellen Vereinigung ist üblicherweise unkonkret und basiert auf der diffusen Vermutung, dass die betreffenden Personen einen sogenannten »gemeinsamen Willen« verfolgen. Dies dient in erster Linie als Legitimation massiver Ermittlungsmethoden, die bei Verdacht auf z.B. Landfriedensbruch oder Körperverletzung nicht angewandt werden dürften. Da es so gut wie nie zu einer Anklage kommt, wird der Verdacht offensichtlich von den Behörden regelmäßig nur zum Zweck der Informationsbeschaffung geäußert.
Dass nun entgegen bisheriger Erfahrungen über die G10-Maßnahmen zwischen 1996 und 2001 informiert wurde, ist verwunderlich. Weshalb der Beschluss ausgerechnet in diesen Fällen getroffen wurde, bleibt unklar, da sich die G10-Kommission auch zu diesen Entscheidungen nicht äußern darf.
Auch wenn Polizei und Verfassungsschutz nicht für ihre Kooperationsbereitschaft bekannt sind, bleibt zu hoffen, dass die von mehreren Seiten eingereichten Anträge auf Akteneinsicht Klarheit über die Hintergründe bringen. Zusätzlich hat das Conne Island entschieden, Klage gegen die Durchführung der Maßnahmen einzureichen und so deren Rechtmäßigkeit in Frage zu stellen. Ein derartig massiver Eingriff in die Grundrechte politisch aktiver Menschen und deren Umfeld darf nicht ohne Protest hingenommen werden. AntifaschistInnen lassen sich nicht kriminalisieren – schon gar nicht von einer Behörde, die vor Naziterror die Augen verschließt. Linke Politik ist dringend notwendig in einer Gesellschaft, in der Ausgrenzung und Gewalt gegen Andersdenkende an der Tagesordnung ist.
Das Conne Island appelliert an alle Personen und Gruppen, die antifaschistische Politik betreiben, sich nicht vom Überwachungswahn von Polizei und Verfassungsschutz einschüchtern zu lassen. Ein einfaches aber sinnvolles Mittel, von den eigenen Rechten Gebrauch zu machen, ist bei BKA, LKA, LfV etc. schriftlich Auskunft über eventuell gespeicherte Informationen über die eigenen Person zu verlangen. Hilfe bei Verfahren oder »Akquise-Versuchen« durch den Verfassungsschutz findet sich beim Ermittlungsausschuss (EA) und der Roten Hilfe.
Die ergebnislosen G10-Maßnahmen und jahrelangen 129-Verfahren sind nur ein Ausschnitt aus dem Portfolio von Gewaltmissbrauch und Grundrechtsverletzungen durch Verfassungsschutz- und Polizeibehörden. Akten über bekannte Nazis werden geschrededert, während Informationen über AntifaschistInnen massenhaft unter fadenscheinigen Vorwänden gesammelt werden. Menschen werden durch Überwachung eingeschüchtert und gegenüber ArbeitgeberInnen und Ämtern aufgrund haltloser Anschuldigungen diskreditiert. Dass dieses Vorgehen unter dem Deckmantel des Schutzes der Verfassung stehen kann, ist unfassbar und spricht Bände über die Zustände in Sachsen und Deutschland. Dieses Treiben wurde schon viel zu lange toleriert und muss ein Ende haben. Deshalb: Verfassungsschutz abschaffen!
Conne Island Plenum
April 2014