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oder wie die neue Rechte ihre Generation entdeckt.

m. martin, 5.6k Mit geradezu unauffälliger Regelmäßigkeit werden die Leipziger Studenten von der Vielfalt der deutschen Printmedienlandschaft beworben und nur die Produkte, die vordergründig mit Boulevardjournalismus in Verbindung gebracht werden könnten, finden keinen Platz in den kontinuierlichen Werbekampagnen der Zeitungs- und Zeitschriftenverlage. Gerade wegen dieser Allgegenwärtigkeit der Jagd nach studentischer Leserschaft fällt es auf, wenn eine Zeitung mittels breiter Streuung von kostenlosen, aktuellen Ausgaben um die Gunst eines potentiellen Publikums buhlt und es stellt sich die Frage, worin von Seiten der Hersteller die Kongruenz mit den Einstellungen und Bedürfnissen der anvisierten Klientel vermutet wird. Beim Durchblick eines der zahlreichen Promotions-Exemplare der Wochenpost (Ausgabe vom 19.10.’95, Nr. 43) löst sich diese Frage ziemlich schnell. Aber die Wochenzeitung mit DDR-Historie thematisiert nicht, wie vielleicht zu vermuten wäre, Studiengebühren und Bafög-Diskussion. Nein. Hier geht es grundlegend und knallhart um Identitäten und zwar nicht um diffuse „Studentische“, sondern um die Selbstverortung einer ganzen Generation - der 89’er. Bezugnehmend auf mehrere neuerschienene Bücher, in denen eben diese beschrieben wird (Claus Leggewie: Die 89’er. Portrait einer Generation. Hoffmann und Campe, Hamburg, 1995) bzw. sich selbst bekennt (Roland Bubik (Hg.): Wir 89’er. Wer wir sind und was wir wollen. Ullstein, Frankfurt/Berlin, 1995), wird mit fünf Extraseiten kräftig mitgebastelt an der Konstruktion von Gemeinsamkeiten, wie „Gefühl“ oder „Atmosphäre“, die eine Generation bestimmen und welche dann in einem gleichen politischen Verständnis und Wirken ihren Ausdruck finden. Im Gegensatz zu der Veröffentlichung R. Bubiks, wo zwölf junge Rechte ihr offensives Outing in Form der Darstellung persönlicher Weltbilder betreiben, was darauf hinausläuft das primäre politische Ziel in „...der Wahrung von nationaler Identität und nationalem Interesse unseres Landes“ zu erkennen (R. Bubik in Junge Freiheit, 22.9.’95, Nr. 38), beharrt Detlef Gürtler von der Wochenpost auf der Beschreibung eines eigenen, sich nicht ganz so offen rechts gebärdenden Generationenkonzeptes.
Etwas scheinheilig bei einem Blatt, in dem Jörg Haider, Führer der rechtsextremen FPÖ, als „Katalysator“ für die österreichische Demokratie gehypt und bang gefragt wird, „...ob es ihm („dem autoritären Rebellen“), die Wähler auch honorieren“, und in dem der europäische Integrationskurs der CDU aus nationalistischer Perspektive heraus, unter Hinweis auf die Sympathie für die konservativsten Kreise der Regierungsfraktion, namentlich Schäuble und Waigel, abgelehnt und beklagt wird, daß sich keiner traue, „...öffentlich über Europa zu streiten“. Zwar stimmt das nicht, doch dies ist nur ein Teil des Konzeptes der Altlast Wochenpost.
Allgemein tut man sich mit eineindeutigen Bekenntnissen noch etwas schwer, vielleicht, weil ein Großteil der DDR-Leser einem bürgerlich-„linksoppositionellen“ Spektrum angehörte und die ersten Jahre nach der Vereinigung ein linksliberaler Kurs gefahren wurde. Allzu offener rechter „Zeitgeist“-Journalismus könnte zu sehr brüskieren und letztendlich Abonnementverluste bedeuten, was man sich angesichts der miserablen finanziellen Lage nicht leisten kann. Demzufolge fährt die Wochenpost auch nach der Ablösung des alten „linken“ Chefredakteurs M. Greffrath (siehe auch Antifa Info Blatt, 11/12 ‘95) durch den Verlag Gruner&Jahr einen vorsichtigen, auf oberflächliche Abgrenzung bedachten Kurs im Fahrwasser der Jungen Freiheit. Dies hindert jedoch einzelne Redakteure, wie z.B. den stellvertretenen Wochenpost Chefredakteur Thomas Schmid, nicht daran, im besagten publizistischen Flaggschiff der Neuen Rechten seitenlange Artikel zu veröffentlichen. Mit leicht durchschaubarer Methode soll die Blatt-eigene Stammklientel dorthin geführt werden, wo der Großteil der Linksliberalen der alten BRD schon lange angekommen ist.
Und spätesten hier zeigt sich die grundlegende Gemeinsamkeit aller 89’er Konzeptionen. Jene besteht nämlich nicht in der Umbruchserfahrung der Jugendlichen während der Wiedervereinigung, sondern in der Abgrenzung von „sozialistischen und alternativen Ideen“ der 68’er. Kaum ist dieses bindende Feindbild in der Wochenpost ausgesprochen, wird sowohl die Ost-Spezifik als auch die Abgrenzung von den bekennenden Rechten über den Haufen geworfen und ein Kinnhaken nach dem anderen an die schon lange bewußtlos am Boden liegende, spätesten seit der Großdeutschtümelei der Wende mundtote oder ins nationale Lager gewechselte Ex-Linke verteilt. Damit diese (Schein-)Auseinandersetzung, bei der sich die Programmatik der Neuen Rechten - der weitere Ausbau des kulturellen und politischen Einflusses über einen nationalistischen, ethnopuralistischen Diskurs, bei gleichzeitiger differenzierter Haltung gegenüber traditionell-eindeutigen nationalsozialistischen und faschistichen Strategien - mit der politischen Ausrichtung der Wochenpost trifft, die also statt eigenständig nur ein Mittel zum Zweck ist, nicht ganz so augenscheinlich den Charakter einer Leichenfledderei bekommt, wird ein 68’er Zombie bemüht, als Symbol für etwas, was es gar nicht mehr gibt. Notwendig aber, weil wichtig für die Konstituierung der eigenen Reihen und die Anwerbung des politischen Nachwuchses. Kein so leichtes Unterfangen, analysiert man doch die Jugend als weitgehend „apolitisch und hedonistisch“, kann also ihre Profilierung vom nationalen Mainstream zum nationalistischen Opinionleader nicht mit dem Herumtrampeln auf einem bereits geschlagenen Gegner motivieren. Daher der Rückgriff auf eine personifizierte Gestalt aus dem Reich der Toten, „Alt-68’er Professor“ E. Krippendorf übernimmt den Part, und um beim gewählten Szenario zu bleiben, er wirkt wie ein mit Daunen gefüllter Sandsack, den sein Widersacher im anberaumten Wochenpost-Streitgespräch, Student M. Martin, besonders gekennzeichnet durch seine publizistische Tätigkeit bei taz, Wochenpost und der rechts-konservativen MUT, vor sich herpustet. Während der eine den radikalen Studenten der 70’er hinterherheult, weiß der andere, wo der Hase langläuft: „Langweilige Studenten? Es gibt Leute die engagiert sind, etwa bei Greenpeace, Amnesty...“. Und ein begriffliches Konzept gegen den Pessimismus der Linken und der Rechten hat er auch parat. „Skeptischer Realismus“ nennt sich jenes und bedeutet für M. Martin die Verbindung des Pragmatischen mit dem Humanismus.
Der Layouter der Extra-Seiten hat das mit der Verbindung dann auch besser verstanden, als er es vielleicht sollte und platzierte nur zwei Zentimeter neben das Foto des smarten, nachdenklichen Martins das Zitat eines etwas direkteren Gleichgesinnten: „Junge Persönlichkeiten, die abseits von Bierhallen-Chauvinisten, rechtsextremen Kadern und kurzhaarigen Gewalttätern das Undenkbare wagen: Rechts zu sein. Sie sind 89’er.“ Roland Bubik, Autor der Jungen Freiheit, spricht es ehrlich aus und mit ihm ein Dutzend anderer junger Menschen vom „sympathisch verklemmten Burschenschaftler“ über eine „lebenshungrige Diskotheken-Walküre“ bis zum „Techno-Freak“ (Focus 41/95), die im Buch „Wir 89’er“ gegen „Drecklocks“, Antifa und „linksdominierte Medien“ usw. zu Felde ziehen und spätesten beim gemeinsamen Postulat „Wir sind die Anti-68’er“ dem smarten Martin auf die Schulter klopfen. Und während der Focus bedauert, daß sich die Antipoden der Alt-68’er gerade mal wahrnehmen und selbstbeschreiben, statt zur Tat zu schreiten (und mehr Focus lesen?), kann der gute Claus Leggewie, Soziologe und Politologe, wenigsten mit konstruktiver Kritik aufwarten. Der neuen Generation fehle „das Organisationsvermögen der Kapitäne des Wirtschaftswunders“ bzw. „die Schubkraft der studentischen und popkulturellen Avantgarden“ (WP, 19.10.’95). Dafür haben sie die analytische Kraft nationaler Soziologen.
Bei der Konstruktion des neuesten dynamischen Moments des deutschen Nationalismus darf Claus Leggewie auf jeden Fall mitmachen, so lange er Bücher dafür schreibt, auch wenn er damals „68“ solche Flausen im Kopf hatte.
Fazit: Im Grunde sind sie sich alle einig und ob es nun „Skeptischer Realismus“ oder Neue Rechte oder konservative Revolution heißt, ist letztendlich egal. Und bis darüber Einigkeit herrscht, ist der eine oder andere Schlag gegen den Schatten des vergangenen linksliberalen Meinungsklimas durchaus logisch. Ob es dazu allerdings noch einer Vielzahl verkappter Nazi-Postillen und rechter Publikationen bedarf, wird uns nicht zuletzt durch folgende Werbekampagnen augenscheinlich werden.
Ring frei zur nächsten Runde! ulle

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last modified: 28.3.2007