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Von der Leinwand auf die Straße und von der Straße auf die Leinwand

Buchcover, 21.1k

Bernd Kleinhans: Ein Volk, ein Reich, ein Kino – Lichtspiel in der braunen Provinz.
PapyRossa-Verlag, Köln 2003, 200 Seiten.


Das Buch kann im Infoladen im Conne Island ausgeliehen werden.

Über die Rolle des Kinos im Nationalsozialismus

Vor allem in den Provinzstädten hielt man ebenso wie am Glauben an den Endsieg auch am Lichtspieltheater fest. Als in Osnabrück das Kino „Alte Münze“ zum zweiten Mal ausgebombt wurde, schuf man noch im März 1945 ein Ausweichquartier. Das Behelfskino wurde sogar noch feierlich eröffnet mit Beflaggung, Musik, Festansprache des Kreispropagandaleiters und abschließendem Hitlergruß der versammelten Zuschauer – inmitten einer von Bombenruinen geprägten Stadt.“(1) Nur wenige Tage später wurde die Stadt Osnabrück durch britische Truppen eingenommen und im Kino Alte Münze machte so schnell keiner mehr Hitlergrüße.
Auch in den letzten Tagen der NS-Diktatur sollte der NS-Kinobetrieb durch die Nazis aufrecht erhalten werden und noch bis zur unmittelbaren Besetzung der deutschen Städte und Dörfer durch alliierte Truppen liefen in zerstörten Kinosälen, improvisierten Barackenkinos und Freilichttheatern nationalsozialistische Filme. Eine der Hauptthesen des Buches Ein Volk, ein Reich, ein Kino – Lichtspiel in der braunen Provinz ist , dass kein anderer Kultursektor und überhaupt kaum ein anderes Machtinstrument der Nazis so lange in Gang gehalten werden konnte und sollte wie das Kino.(2) Bernd Kleinhans liefert mit seinem Beitrag einen weiteren Mosaikstein in der Analyse der Macht- und Propagandapolitik des Nationalsozialismus. Dabei wiederholt Kleinhans alt bekannte Feststellungen, aber genauso deckt er neue Tatsachen auf und allseits Akzeptiertes, bzw. Vermutetes stellt er in Frage. Die Rolle des Films im Nationalsozialismus untersuchen andere Bücher und Aufsätze sicherlich besser, aber dies ist auch nicht der Anspruch des Autors. Ein Volk, ein Reich, ein Kino rückt in aller erster Linie die Funktion der Kinokultur und der Institution Kino in den Fokus der Betrachtung. Kleinhans zeigt, dass das Kino zu einem zentralen Machtinstrument der NSDAP wurde, wobei die Voraussetzungen im Bereich Kino kaum hätten besser sein können. Wie so viele andere Bereiche des kulturellen Lebens profitierte das Kino von der Gleichschaltung im NS vor allem durch die antidemokratische Grundhaltung und vom schwellenden Antisemitismus in der Weimarer Republik. In den ersten Jahren Nazi-Deutschlands kamen vorrangig Zensurgesetze zum Tragen, die noch aus der Weimarer Republik stammten, aber auch die ersten Propagandafilme wurden ohne staatliche Regulierung durch die Filmgesellschaften gedreht. Auch wenn in Kleinhans Buch die enge Kopplung der Kinokultur an das Propagandaministerium ab 1933 betont wird, stellt der Autor zusätzlich die Frage nach den tatsächlichen psychologischen Effekten von direkter Propaganda. Als wirkungsvolle Ideologieträger zeigten sich offen politische Propagandafilme vorerst nicht so geeignet wie Vergnügungs- und Spielfilme. Erst mit dem Überfall Deutschlands auf seine Nachbarstaaten stieg die Bedeutung von auf den ersten Blick zu erkennenden NS-Propagandafilmen und Kriegsberichten durch die Wochenschau. Von einem betont empirisch gesicherten Standpunkt aus interpretiert und wertet Kleinhans die Rolle des Kinos zwischen den Jahren 1933 und 1945. Sein besonderes Augenmerk richtet er dabei auf die unterschiedlichen Entwicklungen des Kinos zwischen Großstädten und dem „flachen Land“.

Gleichschaltung, Zentralisierung und Zensur

Kino, 24.6k Am Ende der Gleichschaltungsphase der Kulturebene befanden sich alle „Lichtburgen“ und „Alhambras“, wie die Kinos im NS-Jargon hießen, in Reichsbesitz. Die Ausgangsbedingungen dafür wurden bereits in der Weimarer Republik geschaffen. Von der wirtschaftlichen Rezession in den ausgehenden 20er Jahren waren zuerst kleine Kinos betroffen, die ohnehin dem hohen Konkurrenzdruck der breiten Kinolandschaft nicht gewachsen waren. Erschwerend kam die staatlich angeordnete „Vergnügungs- und Lustbarkeitssteuer“ dazu, mit der man der „Kinoseuche“ zu Leibe rücken wollte. Außerdem fiel es kleinen Kinos schwerer von Stummfilm auf Tonfilm umzurüsten und dies finanziell zu stemmen. So zentralisierte sich die Kinolandschaft schon lange vor der Machtübertragung auf die Nazis. Die größte Marktmacht im Kinobereich sollte die „Universum-Film AG“ (Ufa) bleiben, welche schon Ende 1917 durch General Erich Ludendorf ins Leben gerufen wurde. Die Ufa wurde mit dem ausgegebenen Ziel initiiert, politische Propaganda für das Kaiserreich zu betreiben, wozu sie kaum noch kam. Dafür sahen knapp 20 Jahre später tausende Deutsche politische Propagandafilme über die Leinwände der großen „Ufa-Paläste“ flimmern. Schon in den 20ern wurden der Ufa nach und nach kleine Kinobetriebe einverleibt, wobei die Ufa nur das bekannteste und vielleicht auch bedeutendste Beispiel von Zentralisierung der Kino-Kultur darstellt. Die mit der Zentralisierung einhergehende Entpluralisierung und die wirtschaftliche Krise der Kinos wurden so zur notwendigen Bedingung für die spätere Gleichschaltungs- und NS-Kinopolitik.
Nach 1933 florierte das Kino in Deutschland, ohne aber an die führende Kino-Nation USA in den Punkten Produktionszahlen, Kinodichte oder Besucherzahlen heranzukommen. Das Kino bestimmte die Kultur der 30er Jahre, was sicherlich keine deutsche Spezifik ist, dennoch darf die gezielte Förderung des Kinosektors durch die Nazis nicht unterschätzt werden. Die NSDAP förderte die Kinos außerhalb der großen Städte im besonderen Maße. Dies hatte verschiedene Gründe, zum einen sollte die politisch desinteressierte Landbevölkerung, für die die Reichszentralen Berlin und Nürnberg weit weg lagen, mit nationalsozialistisch geprägter Kultur versorgt werden. Zum andern waren die psychologischen Erfolgsaussichten zwecks mangelnder kultureller Konkurrenz auf dem Land wesentlich größer. Während in den großen Städten zumindest in den Anfangsjahren der NS-Diktatur noch ein breites Kultur- und Medienangebot herrschte, konnte die nationalsozialistische Stoßrichtung auf dem Land durch die Kinos ziemlich präzise vorgegeben und gelenkt werden. Das anfängliche Misstrauen vieler Kinobesitzer gegenüber den Nationalsozialisten wich mit dem wirtschaftlichen Erfolg, welchen die gezielte Kinoförderung mit sich brachte. Oft schlug es sogar in Sympathie um, auch wenn der inhaltlichen Ausgestaltung der Filmlandschaft zunehmend enge Grenzen gesetzt wurden.
Die Grundlage für eine Zensur unerwünschter Filme wurde das „Reichslichtspielgesetz“ aus dem Jahr 1920, mit dem zur „Sicherung der öffentlichen Ordnung“, bzw. bei „Gefährdung des deutschen Ansehens“ die Vorführung bestimmter Filme untersagt werden konnte. Die ersten Filme, die die Anwendung des Gesetzes durch die Nazis traf, waren die Antikriegsfilme „Im Westen nichts Neues“ und „Westfront 1918“. Beide Filme passten selbstverständlich nicht in das Bild eines starken, großdeutschen Reiches und mussten von den Leinwänden der Kinos verschwinden. Später wurde dem „Reichslichtspielgesetz“ eine Klausel zugefügt, mit der es dem Propagandaminister Joseph Goebbels allein unterlag diese Reglementierung anzuwenden. Viele Kinobesitzer passten sich der nationalsozialistischen Stimmung allerdings ohnehin schnell an. Exemplarisch dafür steht in Kleinhans Buch ein Kinobesitzer aus Heidelberg, welcher sich selbst zensierte und ohne Zwang ausschließlich auf Filme umstieg, die ihm deutlich nationalsozialistisch geprägt schienen. Kinobesitzer, die sich der allgegenwärtigen Stimmung nicht fügen wollten, wurden öffentlich denunziert oder die SA zettelte Proteststimmung vor und in den Kinos an. Im Gegenzug wurden Cinematisten lobend hervorgehoben, wenn sie im Sinne des NS-Staates handelten. „Der Besitzer des Theaters, Herr Burkhart, gedachte vor der Aufführung in kurzen, packenden Worten des 45. Geburtstages unseres Führers und Reichskanzlers Adolf Hitler; in das dreifache „Sieg Heil“ stimmten die Kinobesucher begeistert ein“(3) schreibt bspw. die Remszeitung im April 1934 anlässlich einer Kinovorführung in Schwäbisch Gmünd. Bei ausländischen Filmen hingegen protestierte die Zeitung regelmäßig lautstark. Schafften es ausländische Filme oder Filme mit jüdischer Beteiligung durch den Zensurapparat des Reichspropagandaministers – das kam öfter vor als man vermuten könnte – so sorgten Presse, SA und ganz normale Kinobesucher unter den Kinogästen dafür, dass der Ruf des vorführenden Kinobesitzers ruiniert wurde. Formal-juristische Beschränkungen führten zusätzlich zum Druck der Straße dazu, dass unerwünschte Filme kaum noch den Weg in die Kinos fanden. Als ergänzende Maßnahme führte die Zensurbehörde der 1933 gegründeten Reichsfilmkammer Filmprädikate ein. So wurden freigegebene Filme von der Behörde mit den Prädikaten „jugendwert“, „künstlerisch wertvoll“ und „staatspolitisch wertvoll“ belegt oder eben auch nicht. Die Ausleihe mit Prädikaten versehener Filme war für die Kinobesitzer mit Steuererleichterungen verbunden. „Dabei galt die Regel: Je politisch erwünschter ein Film war, desto höher die Prädikatsstufe und desto höher die Steuerermäßigung.“(4) Welche Folgen das hatte, ist leicht vorstellbar.
Ab November 1934 wurde es allen Kinos vorgeschrieben einen Kulturfilm mit dem Prädikat „staatspolitisch wertvoll“ an den Beginn des Spielfilmprogramms zustellen. Das konnten Reiseberichte, Naturfilme (z.B. „Ameisen- und Bienenstaat“ als Beweis für natürliche Führerverhältnisse) oder Dokumentationen über Rassenkunde sein. Später folgte diesen Pflichtvorstellungen auch das Abspielen der aktuellen Wochenschau. Ab diesem Zeitpunkt gab es faktisch keine Programmnischen mehr. Ein Kinobesuch war unabdingbar an eine inoffizielle NS-Schulungsveranstaltung gekoppelt, selbst wenn der Hauptfilm weitestgehend unpolitisch war.
Das ausführende Organ der Gleichschaltungspolitik auf der Ebene des Kinos, die Reichsfilmkammer, sorgte schließlich für den Übergang des Kinos in Reichsbesitz. Filmkonzerne und Verleihinstitutionen wurden verstaatlicht, bzw. durch eine reichseigene Treuhandgesellschaft übernommen, kleine Kinos wurden durch die Kommunen geschluckt und sämtliche Kinobetreiber mussten Mitglieder der Reichsfilmkammer werden.

Antisemitismus vor und auf der Leinwand

„Es gibt keine Institution, in welcher sich das destruktive Element – der Jude – derart austobt wie in der Filmindustrie“(5) heißt es in einer Denkschrift der NSDAP aus dem Jahr 1931. Spätestens sieben Jahre später wird allen Juden und Jüdinnen (in Folge der Novemberpogrome 1938) der Zugang zu öffentlichen Einrichtungen und damit auch zu Kinos untersagt sein. Zu diesem Zeitpunkt haben längst alle jüdischen Kinobetreiber ihren Beruf niederlegen müssen.
In der NS-Propaganda wurde das Bild vom „jüdischen Finanzkapital in der Filmindustrie“ gezeichnet und so geht die eingangs zitierte NSDAP-Gedenkschrift mit folgenden Worten weiter: „Er [der Jude] tritt dabei selten an die Öffentlichkeit, sondern begnügt sich mit der Arbeit hinter den Kulissen. Er [der Jude] bestimmt die Filmkultur und spricht durch seine ihm zur Verfügung stehende Presse das Todesurteil über jeden national wertvollen Film aus.“(6) Der allseits herrschende Antisemitismus führte dazu, dass Filmvorführungen mit jüdischer Beteiligung oder Kinos jüdischer Besitzer durch die Presse verrissen oder von antisemitischen Krawallen begleitet wurden. SA-Mitglieder verhinderten Kinovorführungen, stifteten Unruhe oder schüchterten Besucher ein. Kleinhans betont dabei, dass die Proteste gegen jüdische Kinos und Filme nicht zentral gelenkt wurden, sondern die antisemitische Stimmung in der Bevölkerung repräsentierten. Offenbar ging der Bevölkerung die juristische Entrechtung von Jüdinnen und Juden noch zu langsam. Wer als jüdischer Bürger sein Kino nicht schon längst verkauft hatte, musste dies im Rahmen der Durchsetzung der „Nürnberger Rassegesetze“ 1935 nachholen. Unterstützt wurde der Antisemitismus auf der Straße vom Antisemitismus aus den Kinos. Abgesehen von klassischen antisemitischen Stereotypen in einer Vielzahl von Filmen, sollten besonders zwei Filme den Antisemitismus von der Leinwand aus anheizen. Die Filme Der Ewige Jude und Jud Süß liefen 1940 erstmals über die Leinwände der deutschen Kinos. Beide Werke wurden durch das Propagandaministerium finanziert und betreut. Zwar gab es durchaus schon früher Filme, die deutlich antisemitisch geprägt waren, allerdings keine so offen und brutal wie es Der Ewige Jude und Jud Süß waren. Diese beiden Filme sollten die Vernichtung der europäischen Juden und Jüdinnen von der Filmrolle aus begünstigen und begleiten. Die Pseudodokumentation Der Ewige Jude konnte das spielfilmbegeisterte Publikum allerdings nicht in die Kinos locken. Im Gegensatz dazu wurde Veit Harlans Film Jud Süß sogar mit dem Prädikat „staatspolitisch und künstlerisch besonders wertvoll“ ausgezeichnet. Den Spielfilm Jud Süß sahen über 20 Millionen Deutsche und er wurde damit zu einem der erfolgreichsten Filme Nazideutschlands. Der Haus- und Hofregisseur des Propagandaministeriums Veit Harlan wurde nach 1945 rehabilitiert und konnte in der BRD seinem Beruf weiterhin ausüben.

Kriegsbegeisterung im Kinosessel

Das Kino wurde zum Ort gemeinsamer, breiter kultureller Erfahrung. Das lag zum einen an den auch für die ärmere Bevölkerung erschwinglichen Eintrittspreisen, zum anderen an den mangelnden kulturellen Alternativen zum Kino; beides gilt insbesondere für die ländlichen Regionen. Dieser Trend verstärkte sich noch durch das spätere Verbot von Tanz- und Theaterveranstaltungen.
Das primäre Zielpublikum des nationalsozialistischen Films waren klar Jugendliche, Staatsdiener und Arbeiter: Für Jugendliche, Arbeitslose und SS/SA/Reichswehr-Angehörige wurden besondere Preisvergünstigungen geschaffen. Oft wurden Filme mit dem Prädikat „jugendwert“ versehen und die Altersbeschränkung vieler Filme nach unten korrigiert, bzw. das Umgehen der Altersgrenze nicht strafrechtlich verfolgt. Auch pilgerten ganze Schulklassen schon vormittags in die Kinos, um gesonderten „Bildungsveranstaltungen“ nachzugehen und sich beispielsweise Jud Süß gemeinsam anzuschauen. Kleinhans konnte mit seiner Untersuchung nachweisen, dass der typische Kinobesucher entgegen der NS-Propaganda-Behauptung nicht der klassischen Arbeiterschicht angehörte, sondern jung und städtisch war, zumindest zu Anfang. Das änderte sich mit dem Kriegsbeginn 1939. Nun fungierte vor allem die Wochenschau als Informationsquelle von der und über die Front und daraufhin gingen selbst Arbeiter und Bauern in die Kinos. Gemeinsam verfolgte man in der Wochenschau den Kriegsverlauf von den Kinosesseln aus und johlte den deutschen Truppen aufmunternd zu. „Anlässlich einer Vorführung einer Kriegswochenschau vom Frühjahr 1940 beispielsweise berichtet der SD aus verschiedenen Teilen des Reiches, beim Anblick großer Eisenbahngeschütze seinen die Zuschauer „in lauten Beifall ausgebrochen“.“(7) Etliche ähnliche Publikumsreaktionen ließen sich diesbezüglich hier zitieren.
Im Vorfeld des 2. Weltkrieges lief die Wochenschau gerade in der Provinz erst Wochen nach den gezeigten Ereignissen, was sich mit Kriegsbeginn änderte. Jetzt konnten die Zuschauer und Zuschauerinnen den Frontverlauf des Krieges, direkt aus dem Panzer gefilmt und fast ohne Zeitverzug, auf den Leinwänden der ca. 8000 Kinos nachvollziehen und „von Berlin bis in den bayrischen Wald wurden wöchentlich die gleichen Wochenschauen gesehen: Eine Synchronizität zwischen Metropole und Provinz, die im Spielfilm niemals erreicht wurde.“(8) Besonders die Kameraperspektive direkt aus dem Kriegsgeschehen machte die Wochenschau zu einem spektakulären Ereignis, dem wöchentlich jede/r zweite Deutsche nachging.

Die Macht der Bilder

Mit der rasanten Entwicklung der Kinotechnik und Filmindustrie in den 30ern stieg auch das Bedürfnis der Deutschen nach neuem Filmstoff. Um diesem gesteigerten Bedürfnis nachzukommen, mussten die Filmverleihe zunehmend ausländische, insbesondere amerikanische Filmproduktionen in ihren Leihzirkel aufnehmen. Dies führte zu einer Steigerung des Anteils ausländischer Filme im Verhältnis zu deutschen Produktionen und deckt sich nicht mit voreiligen Vermutungen, dass ausländische Filme in deutschen Kinos nach 1933 eine Rarität darstellten. Der Grund für diese Tendenz liegt auf der Hand, denn offen politisch daherkommende Propagandafilme stießen gerade in der ersten Phase der NS-Diktatur kaum auf Interesse, heitere Unterhaltungsfilme hingegen umso mehr (erinnert sei an unzählige Heinz Rühmann Filme). Das Spiel- und Lustfilmbedürfnis der deutschen Bevölkerung ließ sich allerdings nicht allein durch deutsche Produktionen abdecken. Zudem waren die großen Hollywoodfilme bekannt und das Propagandaministerium konnte es sich anfangs kaum leisten, dem kinolechzenden Publikum die qualitativ besseren amerikanischen Filme vorzuenthalten. Außerdem brachten die US-Filmgesellschaften Genres wie Western oder Actionfilme in die Kinos, die es in Deutschland gar nicht gab. So gehörten zu den erfolgreichsten Filmen in Deutschland immer wieder Filme aus Hollywood, was manche Filmkritiker heute vom „Hollywood unterm Hakenkreuz“ sprechen lässt.(9) Um sich dem Zorn des Kinopublikums nicht aussetzen zu müssen, ließen die Nazis den ausländischen Film schleichend aus den Kinosälen verschwinden. Als sehr wirkungsmächtig zeigte es sich diesbezüglich, ungewollte Filme nicht mit einem steuersenkenden Prädikat zu versehen und so deren Ausleihe für die Kinobetreiber unattraktiv machen. Als ab 1941 auch der ohnehin nazi-solidarischen Presse verboten wurde, über amerikanische Filme zu berichten, unabhängig ob positiv oder negativ und es den Kinobetreibern verboten wurde amerikanische Filme zu zeigen, war der Weg frei für die endgültige Dominanz des deutschen Films.(10)
Das nationalsozialistische Propagandakonzept „Kino“ bestand aus einer Arbeitsteilung: Wochenschau, Kulturfilm und Spielfilm. Die Kombination der drei Filmkonzepte wurde durch fertig geschnürte Filmpakete durch die Verleihe vorgegeben. „Wenn in der Wochenschau draufgängerische Stukapiloten gezeigt wurden und anschließend Heinz Rühmann als „Quax der Bruchpilot“ in einem stukaähnlichen Sturzflug in einem Teich landet und heiter der Maschine entsteigt, konnte der Zuschauer beruhigt sein, das die Fliegerei doch nicht so gefährlich ist“(11) analysiert Kleinhans und hält weiterhin fest: „Waren Wochenschau und Beiprogramm deutlich als politisch erkennbar, glaubte der Zuschauer mit Beginn des Hauptfilms in der Sphäre der reinen Unterhaltung zu sein – und wurde damit viel leichter Opfer einer Propaganda.“(12) Gerade ab Kriegsbeginn sollten demnach die Wochenschau und der Kulturfilm für die notwendige ideologische Unterstützung des deutschen Vernichtungskriegs sorgen, der Hauptfilm für die Festigung der allgemeinen Weltanschauung. Außerdem hatte der Hauptfilm die Aufgabe durch illustre Heiterkeit vom Krieg abzulenken und den Anschein von Normalität zu wahren. Das heißt aber keinesfalls, dass der Spielfilm immer primär unpolitisch war. Stetig wuchs auch die Bereitschaft des Publikums sich Kriegs- und Propagandafilme anzuschauen, „weil man auf der Leinwand an den Siegen der deutschen Wehrmacht teilhaben wollte.“(13) Trotzdem machten direkte Propagandafilme wie Feldzug Polen oder Sieg im Westen nur 10 % der Hauptfilme aus. Das lag auch am Hauptfeind der Propagandaindustrie – der Zeit. Besonders im Krieg änderte sich die aktuelle Lage rasant und so konnte bspw. der Film Besatzung Dora nicht ausgestrahlt werden, weil die Reichswehr, die im Film beschriebenen Stellungen in Osteuropa längst aufgegeben hatte.

Von der Stadt aus in die Dörfer

Lichtspiel in der braunen Provinz lautet der Untertitel des Buches von Kleinhans. Dem Autor ist es wichtig die gesonderte Rolle des Kinos auf dem Land zu betonen und hervorzuheben. Die Ausgangsbedingung für ein wirkungsvolles Kino schienen auf dem Land aussichtsreicher als in der Stadt. Die Dorfbevölkerung besaß weniger Rundfunkempfänger, bezog seltener Zeitungen und ging allein schon wegen des nicht vorhandenen Angebotes äußerst selten zu Kulturveranstaltungen. Beste Bedingungen also, um Kinovorführungen zum Fest für das ganze Dorf werden zu lasse und so NS-Kultfeiern zu etablieren. Mit dem Zitat „Normalerweise wurde jede Veranstaltung mit Musik eröffnet […]. Ein Parteifunktionär hielt die Begrüßungsansprache und gab gegebenenfalls noch Erläuterungen zum Film. Am Ende der Filmvorführung wurde häufig noch gemeinsam ein NS-Lied, vorzugsweise das Horst-Wessels-Lied, intoniert und der Filmabend mit Heil-Rufen beendet“(14) beschreibt Kleinhans die Situation der Kinoaufführungen in den Dörfern sehr anschaulich. Alleine der Rahmen solcher Massenrituale und der Symbolcharakter von mit Hakenkreuzen „geschmückten“ „Lichtburgen“ machten das Kino zum optimalen Propagandamedium. Das Problem der meist nicht vorhandenen Kinotechnik wurde durch mobile Wanderkinos gelöst. Dazu hatte die NSDAP schon 1932 mobile Filmgruppen mit Tonfilmwagen ausgestattet, welche durch die jeweiligen NSDAP-Ortsgruppen bestellt wurden. So ergänzte die Parteifilmarbeit besonders auf dem Land das „normale“ kommerziellen Filmprogramm. Die NSDAP organisierte Filmvolkstage, initiierte staatspolitische Schulfilmveranstaltungen und machte HJ-Jugendfilmstunden zur Pflichtveranstaltung. Einen Sensationspunkt, dem sich auch Kinomuffel nicht entziehen konnten, setzten die Wanderkinos mit spektakulären Freilichtaufführungen. Die aus sechs Lastwagen bestehenden Großfilmzüge sorgten dafür, dass NS-Filme auf bis zu 350 m2 großen Leinwänden durch die Abenddämmerung flackerten und so die ohnehin starke Wirkung des Mediums Kino noch steigerten.

Zum Schluss eine sicherlich nicht zu Unrecht geäußerte Befürchtung von Bernd Kleinhans mit welcher er sein Buch Ein Volk, ein Reich, ein Kino schließt:
„Welche Folgen auf lange Sicht die Präsenz der NS-Bilder für die Wahrnehmung des Nationalsozialismus haben wird, ist kaum absehbar. Ausgeschlossen scheint jedoch nicht, dass in der historischen Wahrnehmung des Dritten Reiches die Bilder irgendwann stärker werden könnten als das Wissen über dasselbe. Gerade daher gilt: Nur eine beständige Auseinandersetzung mit diesen Bildern und mit dem Funktionieren des Propagandaapparates Kino kann verhindern, dass die Filme des Dritten Reiches irgendwann mächtiger werden können als das Wissen über die Verbrechen dieses Regimes.“(15)

Bruno

Anmerkungen

(1) B. Kleinhans: Ein Volk, ein Reich, ein Kino – Lichtspiel in der braunen Provinz, S. 188.

(2) Ähnliches trifft natürlich auch auf das Medium Radio zu.

(3) Remszeitung 14.08.1934, zitiert nach: B. Kleinhans: Ein Volk, ein Reich, ein Kino, S. 38.

(4) B. Kleinhans: Ein Volk, ein Reich, ein Kino – Lichtspiel in der braunen Provinz, S. 38/39.

(5) Denkschrift der Reichsgeschäftsführung der NSDAP, zitiert nach: B. Kleinhans: Ein Volk, ein Reich, ein Kino, S. 62.

(6) ebd.

(7) B. Kleinhans: Ein Volk, ein Reich, ein Kino – Lichtspiel in der braunen Provinz, S. 88.

(8) B. Kleinhans: Ein Volk, ein Reich, ein Kino – Lichtspiel in der braunen Provinz, S. 96.

(9) z.B. Markus Spieker: Hollywood unterm Hakenkreuz – Der amerikanische Spielfilm im Dritten Reich

(10) Bis dahin wurden in Deutschland ca. 250 amerikanische Spielfilme aufgeführt. Das war nur möglich, weil Filmkonzerne wie FOX und Paramount mit den Nazis kooperierten und dafür z.B. jüdische Angestellte entließen. (nach Markus Spieker: Hollywood unterm Hakenkreuz)

(11) B. Kleinhans: Ein Volk, ein Reich, ein Kino – Lichtspiel in der braunen Provinz, S. 99.

(12) ebd., ein durchaus treffendes Zitat, in welchem allerdings der Begriff des „Opfers“ kritisch zu überdenken ist

(13) B. Kleinhans: Ein Volk, ein Reich, ein Kino – Lichtspiel in der braunen Provinz, S. 113.

(14) B. Kleinhans: Ein Volk, ein Reich, ein Kino – Lichtspiel in der braunen Provinz, S. 169.

(15) B. Kleinhans: Ein Volk, ein Reich, ein Kino – Lichtspiel in der braunen Provinz, S. 200.

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last modified: 7.7.2009