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das Erste, 0.9k

„Willkommen im Osten“

Anmerkungen zur popkulturellen Öffnung des Centraltheaters

Fast nichts bewegt die Leipziger OFF- und Popkulturlandschaft – formely known as „Freie Szene“ – mehr als Ungerechtigkeit. Sei es innerhalb der intransparenten und zu geringen Förderung durch die kommunalen Kulturverantwortlichen oder die Wahl bzw. Bestimmung des neuen Kulturbürgermeisters: Es wird sich eingemischt. Ab und an sogar erfolgreich. Die aus einem Zusammenschluss der „Freien“ hervorgegangene Initiative „Fünf für Leipzig“ erreichte die Erhöhung des eigenen Kulturetat mit viel Stehvermögen und ein bisschen Klassenkampf – Conne Island inklusive. Die demokratischen Spielregeln sind also verinnerlicht. Leider hat diese Entwicklung nicht dazu geführt, den Mief des provinziellen Denkens und Handelns wegzublasen. Ein Beleg dafür sind die aktuellen Angriffe auf das Centraltheater. Aus einer kruden, aber altbekannten Mischung aus eigenem Minderwertigkeitskomplex, liebgewonnenen Nischendasein, selten realer, sondern herbeigeredeter Existenzangst und dem Neid ums gute alte Geld stehen seit Monaten die neuen Hauptakteure des ehemaligen Schauspiels im Kreuzfeuer der Kritik in Medien und an Stammtischen. Leute, die noch nie etwas mit Theater am Hut hatten, fühlen sich gemüßigt, den aktuellen Spielplan zu kommentieren. Und statt bei politischen Gremien um eine bessere Förderung zu kämpfen, werfen andere Kultureinrichtungen dem Theater seine Förderung vor.
Seit Herbst 2008 hat das Leipziger Centraltheater mit Sebastian Hartmann einen neuen Intendanten, der die bisherige Schauspiellandschaft aufmischt. Sowohl was die inhaltliche Ausrichtung des Hauses angeht – mit dem Wunsch nach politischeren und experimentelleren Aufführungen – als auch in der Präsentation gibt sich das Leipziger Schauspiel neu: Mit dem Marketingmotto „Ende – Neu“ bediente sich Hartmann selbst der „Einstürzenden Neubauten“, um der Leipziger Provinzkultur echtes Großstadtflair einzuhauchen. Dass der Neue das Konzept der „Symbolischen Politik“ gut beherrscht, zeigte sich durch die kurzerhand getätigte Umbenennung der Traditionsbühnen in Centraltheater und Skala und die Durchsetzung niedriger und erschwinglicher Preise für alle – jedoch ohne den für einen kommunalen Eigenbetrieb notwendigen und vorgeschriebenen Weg über den Stadtrat zu gehen. Was ihm am Ende einiges an Ärger einbrachte. Manchen war dies schon hier der „Radikalität“ genug. Nach nunmehr fast einem Jahr neuer Intendanz genießt Hartmanns Programm in Leipzig relativ großen Zuspruch, selbst wenn sich einige AbonnentInnen vom Hause abwendeten.
Die popkulturelle Provenienz Hartmanns zeigt sich nicht nur durch „Zuschauerkonferenzen“ oder den eigens engagierten Hausphilosophen Paoli, sondern vor allem durch das Ranholen des ehemaligen Chefredakteurs der Zeitschrift SPEX Christoph Gurk als mehr oder minder klassischen Konzertchef. Dem mutmaßlich neuen Konzept des Centraltheaters getreu – die alte Theaterwelt abzulehnen, aus Theater eine Independentplattform zu machen, Genre- und Institutionsgrenzen aufzulösen – holte der innerhalb kürzester Zeit Perlen aktueller und vergangener Popkultur auf die Innenstadtbühne und dessen Theaterbretter. Tocotronic, Wolfgang Voigt, Matthew Herberts Bigband, CocoRosie, Soap & Skin, Kante und andere begeisterten mal mehr, mal weniger mit zumeist exklusiven Programm.
Wie nicht anders gewohnt, reagierte ein großer Teil der Leipziger Kulturlandschaft verstört, angesäuert bis abweisend. Pflegt man hier doch schon seit Jahren den Streit um Hoch- und Subkultur nicht auf einer inhaltlich-kritischen, sondern fast ausschließlich fördermittel-hochrechnenden Art und Weise. Dass mit der Umstrukturierung des Schauspiels auf einmal die liebgewonnenen Grenzen von Sub- und Mainstream, Hoch- und Basiskultur aufbrachen, ja quasi nicht mehr existierten, schien für viele Problem statt Ziel Leipziger Kulturpolitik zu sein. Besonders Einrichtungen, die zuvor selten bis nie das städtische Theater wahrgenommen haben, fühlten sich nun als dessen fundierte KritikerInnen. „Was der Bauer nicht kennt...“ möchte man meinen.
Was jedoch im Kontext der Konkurrenz kleiner OFF-Theater vs. riesiger Eigenbetrieb vielleicht noch verständlich scheint, entbehrt in der Praxis sozio- und subkultureller Feindbilder jeder Grundlage. Zumal dem Theater-Popchef kaum vorgeworfen werden kann, sich nicht mit den Eigenheiten der Stadt auseinandergesetzt zu haben. Im Gegenteil, Bemühen kann nicht verleugnet werden: Mittlerweile gibt es Kontakte, Gespräche, Absprachen und teilweise sogar Kooperationen mit Gurk, Hartmann und Co. Durchaus sensibel und die demographischen Leipziger Szenebesonderheiten abwägend wirkt selbst für Menschen mit Scheuklappenblick das Konzertbooking des CT ganz akzeptabel.
Innerhalb der letzten drei Monate nahmen jedoch die verbalen Peinlichkeiten insbesondere gegen das Konzept Christoph Gurks und seine Person zu: Angefangen von gutgemeinten, „problematisierenden“ Leitartikeln in Kreuzer, LVZ-„Feuilleton“ bis zu diversen Blogs und Foren der Stadt und unzähligen Stammtischgesprächen. Spätestens die Inszenierung des PopUp-Forums „StattTheater“ brachte das Fass zum Überlaufen. In trauter Männerrunde warfen „Szene-Aktivisten“ Gurk fehlende finanzielle Transparenz („leg mal deinen Etat offen...“), freundlich artikuliertes Nestbeschmutzertum und kartellartiges Booking vor. „Viel Verschwörungstheorie und möglichst wenig Argument“ war das Credo der Veranstaltung. Auf den traurigen Punkt brachte es der ehemalige Musikredakteur des Stadtmagazins in einem ein paar Wochen zuvor erschienene Leserbrief: „Das Centraltheater setzt zu 100 Prozent öffentliche Mittel in einem bisher ungekannten Maß ein, um zu marktunüblichen Preisen [...] Besucherzahlen zu generieren, die am Ende dem Centraltheater in der Besucher-Bilanz gutgeschrieben werden können...“
Ärgerlich für uns als Conne Island ist diese Klageliedanalyse an dem Punkt, an dem wir als Opfer-Referenz vorgeschoben werden. „Whitest Boy Alive und Kante gehören doch in Conne Island...“ hieß es auf dem PopUp-Podium. Während wir erstere Combo aufgrund einer Terminkollision nicht veranstalten konnten, wird letzte Band bestimmt zur nächsten Tour wieder im Conne Island auflaufen... Es ist abstrus, Gurk vorzuwerfen, er würde seine guten – aus SPEX-Zeiten resultierenden – Kontakte gegen andere Veranstalter ausspielen. Wer tut dies nicht?
Kulturkampf gibt's ohne Frage. Das Conne Island buhlt in einer großen und mittlerweile durchaus attraktiven Leipziger Clublandschaft ums Publikum. Das Centraltheater, das in dieser Hinsicht auch Konkurrent ist, wird deshalb nicht aufgrund seiner vermeintlich besseren finanztechnischen Ausstattung zum Feindbild. Wir lehnen diesen Weg der Auseinandersetzung ab, weil wir uns u.a. nicht auf Hackordnungsmodelle des monetaristischen Fressen und Gefressen-Werdens einlassen und die aktuelle Misere unterfinanzierter Kultur nicht von der gesellschaftlichen Wirklichkeit abkoppeln wollen. Einer „Freien Szene“, die bereits ziemlich unfrei ist – da doppelt, von Kommune und Markt abhängig – empfehlen wir unbedingt, nicht noch die Freiheit ihrer kritischen Gedanken einzubüßen.
Man kann Christoph Gurk mögen oder nicht, seinen Werdegang vom Kulturlinken aus „Mainstream der Minderheiten“ über die SPEX-Redaktion, Apologeten der Poplinken zur Volksbühne kritisieren, seine einstigen Fabel für Deleuze/Guattari als postmodern verquast abtun oder als jemanden beschreiben, der Pop noch retten wollte, als nichts mehr zu retten war. Man kann durchaus gewinnbringend alte Diskussionen um Pop-Dissidenz und zur Kapitalismus-Affirmation rauskramen und einem Update unterziehen. Man kann das Centraltheater-Booking als Symbol dafür werten, wie aus Post-Punkern Bohemiens werden, die heutzutage „aus Altersgründen gezwungenermaßen um ihre Definition des Bohemè-Begriffes ringen“. Es gibt also eine Reihe von Streitpunkten, die interessant sein könnten. Man kann auch einfach sagen, „bloß nicht – alles Quatsch – lass' feiern gehen“.
Uns als Conne Island ist jemand um einiges lieber, der heute maßgeblich die kulturelle Ausrichtung des ehemaligen Schauspielhauses mit guter Popkultur verändert, dabei die Leipziger Kulturlandschaft angenehmer macht und der vor knapp 18 Jahren mit „Etwas besseres als die Nation“ den Hamburger Wohlfahrtsauschüssen und einer Reihe von linksradikalen KulturmacherInnen- und DenkerInnen durch den Nazi-verseuchten Osten tourte, um der Leipziger Nachwende-Linken mit den Grundtheoremen des späteren Anti-Deutschseins zu piesacken, als die sich aktuell abzeichnende Provinzposse der Leipziger Kulturszene. Dies sei hier klar gesagt: Mit einer „Freien Szene“, die das Centraltheater – verpackt im Kulturdiskurs – zum Feind stilisiert, haben wir nicht viel gemein.

Conne Island Mai 2009


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last modified: 7.7.2009