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Diskriminierung in der Scheune




Was macht man eigentlich, wenn man als glücklicher Dorfbewohner durch fiese Umstände (z.B. dem, dass es auf dem Dorf keine Universitäten gibt) gezwungen wird, sein angestammtes Terrain zu verlassen und in die große, weite Stadt zu ziehen? Anstatt glücklich darüber zu sein, diese als idyllisch verklärte Barbarei des platten Landes hinter sich gelassen zu haben, gibt es nicht wenige, die versuchen, sich in der städtischen Entfremdung so provinziell wie nur möglich einzurichten. Das beinhaltet natürlich auch, sich hermetisch gegen alles abzuschotten, was man auf dem Dorf auch nie geduldet hat. Diesem Bedürfnis kommt der Leipziger Studentenkeller (StuK) nach. Diese städtische Dorfdisco veranstaltet regelmäßig archaische Zusammenkommen unter Titeln wie „Bierfassrollen“ oder „Oktoberfest“. Erfahrungen mit dem, was ihnen als exotisch und fremd gilt, möchten sie dennoch nicht missen. Damit diese nicht das in Stereotypen arbeitende Weltbild ins Wanken bringt, mündet dieser Versuch z.B. in einer „Fiesta Mexicana“ – was sich im Vergleich zu obigen Veranstaltungen beinahe schon originell ausnimmt. Nur empirische Exemplare des Fremden sind dabei nicht willkommen. Denn laut einer Pressemitteilung des StudentInnen-Rates (StuRa) der Uni Leipzig kam es im StuK zu einem Vorfall rassistischer Einlasspolitik.

Doch auch der sich kosmopolitisch dünkende Pop-Linke ist vor solcherlei Widerlichkeiten nicht gefeit. Die Musik-Messe (Pop Up findet dieses Jahr zum ersten Mal in der ebenfalls städtischen Dorfdisco Volkspalast statt. Die üblichen, miefigen Ü-Irgendwas-Partys und Lady-Nights sollen für wenige Tage ersetzt werden durch Diskussionen über „Sexismus, Political Correctness und Gender Mainstreaming im Pop“, wie der Seite der (Pop Up zu entnehmen ist. Man hat sich selbstverständlich dem linken Lippenbekenntnis verpflichtet, „Diskriminierung, Faschismus, Nationalismus etc.“ zu entsagen. Aber nun wurde publik, dass der Volkspalast bei seiner Eintrittspolitik rigider verfährt, als die EU an ihren Grenzen. Auf deren Internetpräsenz war unter dem Titel „Dürfen Ausländer in den Volkspalast?“, der alleine schon Widerliches ahnen lässt, bis vor kurzem noch folgendes zu lesen:
      Aus Gründen von bereits aufgetretenen Schwierigkeiten und Auseinandersetzungen in der Vergangenheit zwischen bestimmten Ausländer- bzw. Zuwanderergruppen, die negative Auswirkungen hatten, wird am Abend nur einem gewissen Prozentsatz an bestimmten Ausländern/Migranten der Einlaß gewährt. Der Ausweis wird während des Aufenthaltes bei der Security aufbewahrt. Dies dient lediglich einer Identifizierung möglicher Störer und soll die Sicherung zivilrechtlicher Ansprüche gewährleisten bzw. erleichtern. Hier ist prinzipiell entscheidend, ob diese Personen beim Sicherheitspersonal bekannt sind und ob sie von der Kleidung und vom Auftreten her, zu unserer Gästestruktur passen.
Wie reagiert nun die (Pop Up auf ein solches Vorgehen? Wechselt man konsequenterweise den Veranstaltungsort? Nein, man bleibt. Begründet man dies wenigstens mit einer existentiellen Not, die drohte, würde man die Messe so kurzfristig absagen? Nein, nicht einmal das hielt man für nötig. Es folgte lediglich der Hinweis, dass diese Einlassregeln während der Popmesse außer Kraft gesetzt seien. Ein wahrlich heroisches Vorgehen für eine Messe, die behauptet, „in aller Deutlichkeit“ gegen Diskriminierung zu sein.

Ob der Volkspalast lediglich dumm genug war, das offen zu publizieren, was in anderen Clubs auch passiert? Was spielte sich bei dem Vorfall mit dem StuK ab und warum ist die oben erwähnte Pressemitteilung nun auf der Internetseite des StuRa verschwunden? Um das in Erfahrung zu bringen, haben wir mit der Antirassismusreferentin des StuRa, Tanja Russack, gesprochen:

CEE IEH: In einer Pressemitteilung des StudentInnenRat der Uni Leipzig vom 02. März 2009 werft ihr dem Studentenkeller rassistische Einlasspolitik vor. Wie kam es dazu und um welchen Vorfall genau handelt es sich?

TR: Anlass für die Pressemitteilung des StudentInnenRats war ein Vorfall, welcher sich am 16. Januar 2009 ereignete. An jenem Abend wurde einem Mitglied des StuRas sowie dessen FreundInnen der Eintritt zu einer Privatfeier im StuK, zu welcher sie eingeladen wurden, verwehrt. Als Begründung wurde ihnen mitgeteilt, dass die Party sich dem Ende nähere und daher ein Einlassstop verhängt wurde. Die BesucherInnen werteten das Verhalten der TürsteherInnen als rassistische Diskriminierung, da sie die Entscheidung, sie nicht auf die Veranstaltung zu lassen, auf ihren Migrationshintergrund zurückführten. Diese Vermutung wurde dadurch verstärkt, dass trotz des angeblichen Einlasstops mutmaßlich deutschen Studierenden der Einlass gewährt wurde.
Der StudentInnenRat sah anlässlich dieses Ereignisses eine Notwendigkeit darin die Einlasspolitik des StuKs in die Öffentlichkeit zu rücken. Hierbei sollte exemplarisch dargelegt werden, dass Rassismus und Diskriminierung, wie auch Antisemitismus tief in der Gesellschaft verankert sind.

Wie war die Reaktion des StuK auf die Vorwürfe?

Die Reaktionen der Mitglieder des StuKs, aber auch die von einzelnen BesucherInnen und einem Teil der Öffentlichkeit, waren erschreckend. Das oben dargestellte Verhalten des Einlass' wurde vehement abgestritten und jegliche Verantwortung von sich gewiesen. Dem StuK schien zunächst nichts daran gelegen, den Vorfall vom 16. Januar aufklären zu wollen. Im Gegenteil, es wurde eine Dementierung gefordert und versucht, die Anschuldigungen des StuRas als Lügen darzustellen.

Die Antwort lässt darauf schließen, dass der StuK die Vorwürfe offensichtlich nicht ernst nahm. Darüber hinaus kam es auch zu Diffamierungen einzelner Personen des StuRa. Kannst du das schildern?

Die Stimmung der MitgliederInnen und BesucherInnen des Studentenkellers war von Beginn an sehr feindselig. Hierbei sind mehrere Beispiele zu nennen. Zum einen trat der StuK sehr dominierend bei Klärungsgesprächen und dem Interview bei StuRadio am 04. März 2009 auf. Es kam zu Androhungen von körperlicher Gewalt gegenüber einem StuRa Mitglied im StuK Internetforum. Eine sog. Blacklist – Aufzählung von StuRa Mitgliedern, mit denen der StuK keine Verhandlungen mehr führen will – wurde erstellt. Ein anonymer Besucher des StuKs rief im Büro des StudenInnenrats an und meinte, er könne die Vorwürfe nicht verstehen, schließlich würden „Araber und Neger“ doch in den Räumlichkeiten des StuKs anzutreffen sein.

Hierbei wurde deutlich, dass der StuK anscheinend einzig und allein daran interessiert war, sein Image zu retten, ohne jedoch das eigene Verhalten zu reflektieren und sich offen gegen Rassismus und Diskriminierung zu positionieren.

Diese Reaktionen zeigen, dass das Anliegen des StudentInnenRats nicht erkannt wurde. Nach dem Motto: Rassismus und Diskriminierung kann es bei uns nicht geben, schließlich sind wir keine Nazis. Dass solche Tendenzen durchaus in allen Bereichen des Alltags anzutreffen sind, sollte eigentlich jedem/jeder bewusst sein.

Wie waren generell die Reaktionen in der Öffentlichkeit? Die Leipziger Internetzeitung schreibt beispielsweise „An der Geschichte ist ganz augenscheinlich so wenig Fleisch, dass man beim Anblick bereits verhungert.“

Für den StudentInnenRat ist es unbegreiflich, wie die Öffentlichkeit, insbesondere die Leipziger Internetzeitung, auf die Auseinandersetzung mit dem StuK reagiert hat. Die Opfer wurden zu LügnerInnen und die UnterstützerInnen zu machtbesessenen Personen umgedeutet und Rassismus und Diskriminierung als ein nicht vorhandenes Problem dargestellt.

Dass rassistische Einlasskontrollen in Diskos und Clubs in Leipzig (wie auch der Fall Volkspalast zeigt) und ebenso in vielen anderen Städten zum Alltag gehören, wird völlig außer Acht gelassen. Menschen, die nicht „deutsch“ aussehen, wird der Eintritt zu Diskos und Clubs oftmals verweigert. Mit rassistischen Argumenten, wie z.B. „von euch Ausländern sind schon genug drin“, „hier kommen Ausländer nicht rein“ oder „ihr macht doch nur Ärger“ endet der Abend für viele Menschen bereits an der Tür. Jene Erfahrungsberichte stellen keine Seltenheit dar. Das Antidiskriminierungsbüro Leipzig führte zum Thema rassistische Einlasskontrollen in den vergangenen Jahren mehrere Studien mit erschreckenden Ergebnissen durch. Aufgrund dessen entschloss sich der StuRa den Vorfall vom 16. Januar an die Öffentlichkeit zu bringen und nicht einfach unter den Tisch fallen zu lassen. Auch in der Zukunft wird jedem Verdacht auf Diskriminierung nachzugehen sein.

Der Öffentlichkeit war auch zu entnehmen, dass es Einigungsversuche gab. Zu welchen Ergebnissen führten diese Versuche?

Der StudentInnenRat verfolgte von Anfang an eine Auseinandersetzung mit dem StuK. Es gab nie die Intention den StudentInnenkeller durch die Veröffentlichung zu schaden. Im Gegenteil, Anliegen des StuRas war es, gemeinsam mit dem StuK weitere solcher Vorkommnisse zu unterbinden. Der StudentInnenRat suchte stets das Gespräch, forderte vom StuK aber auch eine Entschuldigung bei den Opfern und Positionierung zum Vorfall vom 16. Januar 2009.

In zahlreichen Klärungsgesprächen wurde daher versucht, die Ereignisse vom Abend des 16.Januar 2009 zu rekonstruieren, wobei die Beteiligten ihre Sicht der Dinge schilderten. Der StudentInnenRat bot in diesem Zusammenhang zudem an, Workshops zum Thema Einlasspolitik, Rassismus und Diskriminierung durchzuführen.

Im Verlauf der Gespräche und durch die eigene Reflexion der Antidiskriminierungsarbeit, hat der StuRa erkannt, dass einige Formulierungen der Pressemitteilung bedachter hätten formuliert werden können. Die Betroffenen selbst können sich ebenfalls nach den Diskussionen vorstellen, dass die Diskriminierung ohne Absicht passierte und keine rassistischen Gründe vorlagen. Doch trotz dieser Entwicklung lehnte der StuK eine Einigung und somit jede Verantwortung ab.

Uns ist zu Ohren gekommen, dass der StuK gerichtlich gegen den StuRa vorgeht. Was wirft der StuK dem StuRa vor, wie kam es zu diesem Schritt? Wie ist der Stand der Dinge?

Nachdem es bei StuRadio [einer vom StuRa organisierten Radiosendung; Anm. d. Red.] sowie einem Treffen im StuK selbst zu ersten Klärungsgesprächen kam und bereits ein weiterer Termin zur Einigung angesetzt wurde, erhielt der StudentInnenRat am 16. März 2009 ein Schreiben von den Rechtsanwälten des Studentenkellers, mit der Forderung nach Unterlassung und Schadensersatz. Es wurde gefordert, die Pressemitteilung von der Internetseite des StuRas zu entfernen, die Anschuldigungen zu widerrufen und den StuK auch in Zukunft nie wieder mit rassistischen oder diskriminierenden Vorkommnissen in Verbindung zu bringen.

Der StuRa beschloss, trotz dieser Konfrontation, sich nicht einschüchtern zu lassen und strebte zunächst eine außergerichtliche Einigung an. Klar war jedoch stets, dass die Vorwürfe nicht zurückgezogen werden.

Es folgten drei weitere Einigungsgespräche, dessen Ziele ein außergerichtlicher Vergleich sein sollte. Geplant war, die Erstellung eines Einigungspapiers und einer gemeinsamen Pressemitteilung, in dem die Geschehnisse noch einmal rekapituliert und die Punkte der Einigung dargestellt werden sollten.

Aber auch dieser Versuch eine Einigung zu erzielen scheiterte. Der StuK verlangte weiterhin, dass der StudentInnenRat auch zukünftig keine Rassismus- oder Diskriminierungsvorwürfe gegenüber ihm erhebt. Das der StuRa einer solchen Forderung nicht nachgehen kann, steht außer Fragen, schließlich würde solch eine Zustimmung einem Freifahrschein in Punkto Rassismus o.ä. entsprechen. Des weiteren drang der StuK darauf, dass in einem Einigungsvertrag steht, dass „ein rassistischer Hintergrund“ der Vorkommnisse „für den Betroffenen zweifelsfrei ausgeräumt“ sind. Aber auch dies entspricht nicht den Tatsachen.

Diese Entwicklung führte dazu, dass es am 08. Mai 2009 zur Gerichtsverhandlung vor dem Landgericht kam. Ergebnis dieser war ein Vergleich der beinhaltet, dass der StudentInnenRat die Pressemitteilung von der Internetseite nimmt, sie jedoch nicht dementiert. Es wird eine neue Stellungnahme des StuRas geben, welche damit ergänzt wird, dass der StuK die Vorkommnisse in der Vergangenheit bedauert und in Zukunft solche Vorfälle unterbinden will und dafür Massnahmen ergreift.

Welche Möglichkeiten haben nicht nur Studentenclubs mit einer solchen Problematik umzugehen? Ein anderer Studentenclub, die Moritzbastei, sah sich ja mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert und reagierte gänzlich anders als der StuK.

Wer sich gegen Rassismus und Diskriminierung stark machen möchte, findet bei zahlreichen Anlaufstellen Hilfe. Das Antidiskriminierungsbüro aber auch das Referat für Antirassismusarbeit sind nur zwei, bei denen Menschen Unterstützung erhalten können. Von Broschüren bis Workshops, dass Aufklärungsangebot ist groß. Das Problem liegt jedoch oftmals nicht daran, dass die Personen nicht wissen, wo sie Hilfe bekommen, sondern die Probleme werden einfach zu selten tatsächlich erkannt. Daher ist es wichtig, Problematiken wie Rassismus, Diskriminierung und Antisemitismus in die Öffentlichkeit zu holen und sich somit den herrschenden Verhältnissen zu stellen.


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last modified: 20.5.2009