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ABC

F wie Fetischismus


Der Begriff des Fetischismus oder des Fetischs wird heute in ganz unterschiedlicher Art und Weise verwendet. Die Meisten denken wahrscheinlich zunächst an Sex: S&M, Uniformen usw. Um diesen sexuellen Fetischismus soll es im Folgenden nicht gehen. Wenn man ab und zu Zeitung liest oder anderswo dem kulturkritischen Zeitgeist-Gerede ausgesetzt ist, wird man auch einer anderen populären Verwendungsweise des Wortes begegnet sein: Ich meine vor allem das besorgte Lamento über den „Markenfetischismus“ auf den Schulhöfen der Republik, oder etwa den so genannten Konsum- oder PS-Fetisch „heutzutage“. Diejenigen, die den Begriff des Fetischs in dieser Weise bei Talkshows, Elternabenden oder Anti-G8-Camps verwenden, stehen zumeist nicht im Verdacht, es mit kommunistischer Gesellschaftskritik zu halten. Wenn daher an dieser Stelle trotzdem die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit dem Fetischismus betont wird, dann deshalb, weil der Begriff in der Verwendungsweise von Karl Marx für ein Verständnis und eine Kritik der kapitalistischen Gesellschaft hilfreich ist.

1. Begriffsgeschichte

Der Begriff des „Fetisch“ kommt ursprünglich aus dem Portugiesischen und wurde seit dem 18. Jahrhundert in religionswissenschaftlichen Schriften mit einem abwertenden Einschlag gebraucht. In der religiösen Praxis des Fetischismus verehren die Fetischdiener profane sinnliche Gegenstände als übernatürlich Filmheld und magisch. Fetischismus galt daher der von dem Gedanken stetig fortschreitender historischer Entwicklung geprägten Aufklärung als besonders niedrige und primitive Form des religiösen Kultes. Der Fetisch ist als religiöses Objekt ein von den Menschen selbst Hervorgebrachter, sie geben ihm zuerst in ihrer Vorstellung die Attribute der Heiligkeit um ihn dann als äußerliche, fremde und von ihnen unabhängig existierende Macht zu verehren. Dies tun sie, weil sie sich vom Fetischobjekt eine bestimmte Gegenleistung erhoffen. Wenn der Fetisch dem Fetischdiener den erhofften Dienst, z.B. Schutz vor Feinden nicht leistet, widerfährt ihm Absetzung, Entwertung und somit eine erneute Profanisierung. Der Fetisch hat somit zwar eine gewisse Macht über den Fetischdiener, diese ist jedoch keine unbedingte, das Heilige ist nicht völlig unverfügbar. Der Fetischdienst hat also im Vergleich zu den entwickelten Buchreligionen eine gewisse voluntaristische Schlagseite, die Heiligkeit der Objekte bleibt in ihm stets prekär.

2. Was soll der „Fetischismus“ in einer „entzauberten Welt“?

Warum aber verwendet Marx eine religiöse Metaphorik um die Funktionsweise des Kapitalismus zu beschreiben? Leben wir nicht in einer „entzauberten Welt“ (Max Weber), in der Aufklärung, Naturwissenschaft, Technik und mit zweckrationalen Prinzipien operierende Organisationen charakteristisch geworden sind? Ist nicht die Religion zusehends von einer allumfassenden sittlichen Macht zur Privatschrulle herabgesunken und haben nicht die Kräfte des Marktes die irrationalen, partikularistischen Konventionen der Tradition beseitigt zugunsten von universalen, global anerkannten „Werten“ wie Leistung, Kalkulierbarkeit, egoistisches Kosten-Nutzen-Denken und Effizienz? Noch im Kommunistischen Manifest glaubten Marx und Engels, darin dem bürgerlich-liberalem Selbstverständnis verpflichtet, dass diese Entwicklungen, die Erosion der vorkapitalistischen Gesellschaftsformen, zu einem besseren und klareren Verständnis der Gesellschaft durch die Individuen führen müsse: „Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen.“ (MEW4: 465) Dieser Optimismus hinsichtlich der Transparenz der kapitalistischen Form von Ausbeutung und Herrschaft war einer der wesentlichen Gründe für die Fortschrittsbegeisterung und Revolutionsgewissheit, die das aus heutiger Perspektive tragische Pathos des Kommunistischen Manifest ausmachen.(1) Welche Gründe gibt es also für Marx, im Kapital auf den Fetischbegriff zurückzugreifen, der ja eher an primitive Kulte, wie man sie allenfalls noch in „fernen unzivilisierten Kulturen“ findet, erinnert?

Mehrere Aspekte sind hier interessant:

– Marx unterstelle eine Strukturanalogie zwischen der Religion und den Kategorien der kapitalistischen Vergesellschaftung. Bereits in den so genannten Frühschriften beschäftigte sich Marx mit dem Problem des falschen Bewusstseins und folgte darin einer geistigen Strömung seiner Zeit. Seit den ausgehenden dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts hatten sich verschiedene radikale Denker, z.B. die „Junghegelianer“, an der Religionskritik abgearbeitet. Von großer Bedeutung für Marx war die in dieser Zeit von dem Philosophen Ludwig Feuerbach formulierte Verkehrungs- bzw. Projektionsthese gewesen: In der Religion gelten die Wesenskräfte des Menschen als nicht-menschliche, fremde, superiore Eigenschaften des Gottes. In der Religion wird ein vom Menschen Gemachtes, ein Produkt seines Kopfes, eine Vorstellung, zum Objekt des Kultes und dadurch der eigenen Unterwerfung. Das Subjekt, der sinnliche Mensch, unterwirft sich hier Gott, dem Prädikat, seiner eigenen Vorstellung und erfährt dadurch eine Art Entwirklichung.
Marx feierte bereits in dem Text Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie(MEW1: 378ff.) diese Feuerbachsche Entdeckung als Vollendung der Religionskritik, der Kritik des Himmels, forderte allerdings auch, dass einer Kritik des Himmels eine Kritik der Erde folgen müsse, welche er zu diesem Zeitpunkt noch primär als Kritik des Rechts und der Politik verstand. Die Kritik der Religion(2) ist die Voraussetzung aller Kritik, aber eben auch nicht mehr als das. Statt nur die religiösen Illusionen zu kritisieren, muss eine Kritik des Zustands erfolgen, in dem die Menschen diese Illusionen überhaupt benötigen. Dies bedeutet eine Hinwendung zur Gesellschaftskritik. Im ca. 25 Jahre später geschriebenen Kapital interessiert sich Marx nun nur noch am Rande für Religion im herkömmlichen Sinn, dafür vergleicht er nun die gegenüber ihren Schöpfern verselbständigten, irrationalen Produkten des menschlichen Kopfes (den Göttern der Religionen) mit den verselbständigten, irrationalen Produkte der menschlichen Hand, den ökonomischen Gegenstandsformen des Kapitalismus und die ihnen entsprechenden sozialen Verhältnisse. Um diese Analogie zu verdeutlichen greift Marx nicht nur auf den Begriff des Fetischismus, sondern auch auf verwandte religiöse, theologische und mythische Begriffe zurück, z.B. redet er von „theologischen Mucken“, „gespenstischer Gegenständlichkeit“ usw. Worin genau der quasi-religiöse Charakter der sozialen Verhältnisse bestehen soll, werde ich später noch kurz anreißen.

– Fetischismus ist ein polemischer Begriff, der als Spitze gegen das oben skizzierte bürgerliche Selbstverständnis zu verstehen ist: Die Menschen sind durch das Abschneiden der alten Zöpfe des Feudalismus und durch die moderne Fortschrittsdynamik des Schneller-Höher-Weiter, die rasante Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten auf allen Gebieten keineswegs aus der Naturwüchsigkeit der„Vorgeschichte“ herausgetreten, für die die Archaik des Fetischismus symbolisch einsteht. Der Begriff erinnert schmerzlich daran, dass eine wirklich vernünftige Einrichtung der Gesellschaft, die Marx als bewusste Planung der Produktion durch die assoziierten Individuen begreift, die somit zu den Gestaltern ihrer eigenen Lebensbedingungen werden, auch in der kapitalistischen Moderne unverwirklicht bleibt. Das Kontinuum von Herrschaft, Ausbeutung und schicksalhafter Heteronomie der Lebensbedingungen wird, entgegen den Beteuerungen liberaler Fortschrittsfreunde, im Kapitalismus nicht aufgesprengt.

– In der Verwendung des Begriffs drückt sich gleichwohl auch ein gewisser Optimismus aus, das der Fetischismus von Ware, Geld und Kapital nach seiner theoretischen Enträtselung durch den Eingriff eines seiner selbst bewussten gesellschaftlichen Gesamtsubjekts dereinst auch praktisch wirkungslos gemacht werden kann, genau wie der religiöse Fetischismus oder auch die (christliche) Transzendenzreligion, die für Marx eine Art sozialer Anachronismus war.

3. Aspekte des Fetischismus: Verselbständigung und Naturalisierung des Sozialen

Ich werde jetzt noch kursorisch auf die Marxsche Bestimmung des Begriffs eingehen und kurz einige Abgrenzungen zu anderen Konzeptionen „falschen Bewusstseins“ vornehmen.(3) Außerdem ist es mir wichtig, auf die Rolle einer Kritik des Fetischismus für ein Projekt menschlicher Emanzipation und das Verständnis des Scheiterns eines solchen Projekts bisher hinweisen.
Oftmals beschränkt sich eine Diskussion des Fetischismus auf den so genannten „Warenfetischismus“, der im ersten Kapitel des Kapital behandelt wird (z.B. in dem Klassiker des westlichen Marxismus Geschichte und Klassenbewusstsein von Georg Lukács). Das greift jedoch neueren Interpretationen zufolge zu kurz. „Das gesamte ‚Kapital’ (…) stellt zugleich eine Formtheorie der Arbeit und eine Fetischtheorie des Bewusstseins dar.“(4) Der Zweck dieses Unterfangens liegt aber nicht in der Verbesserung einiger ökonomischer Theorien, sondern darin, in kritischer Absicht aufzuzeigen, wie bereits in der einfachsten Kategorie, der Ware als „Elementarform“ des Reichtums im Kapitalismus, die Keimform für eine fatale gesellschaftliche Entwicklung liegt, die schließlich in dem „Verhängnis“ resultiert, als das Marx das Kapitalverhältnis bezeichnet. Gleichzeitig geht es Marx darum, zu zeigen, wie sich dieses Verhängnis bereits in seiner elementarsten Kategorie selbst verschleiert, solange es nicht mithilfe wissenschaftlicher Abstraktionskraft begriffen und durch eine praktische Aktion aus der Welt geschafft wird. Marx möchte zeigen, dass sich innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise eine eigengesetzliche Handlungslogik herausbildet, die zwar von den Individuen hervorgebracht wurde, also ein rein gesellschaftlich/historisches Erzeugnis ist, sich aber dennoch ihrer Kontrolle entzieht. Sie hat sich zu einer ihrem Handeln vorausgesetzten, gesellschaftlichen Macht verselbständigt (die gleichwohl immer wieder durch Handlungen der Menschen reproduziert werden muss). Als eine solche usurpatorische Verkehrung von Subjekt und Objekt, ein „Quidproquo“, kennzeichnet Marx das Kapital als gesellschaftliches Verhältnis. Das Kapital ist dabei der sich selbst vermittels der Handlungen der Individuen in der Konkurrenzsituation immer weiter maßlos verwertende Wert, das übergreifende Subjekt der Gesellschaft, dessen Konstitution und Bewegung naturähnlich von statten geht.(5) Wichtig ist an dieser Darstellung der Formbegriff, der als Springpunkt für ein kritisches Verständnis von Marx gelten kann. Es geht Marx gerade nicht darum, ewige dialektische Gesetze von Natur, Gesellschaft und Geschichte darzustellen, ein Missverständnis, dass in der Rezeptionsgeschichte wahlweise negativ als anmaßender quasi-theologischer Determinismus oder positiv als Beweis höchster Wissenschaftlichkeit bewertet wurde. Dass Marx die Logik des Kapitals mit Naturgesetzen vergleicht, soll nicht dessen ewige Geltung anzeigen. Es geht vielmehr um die Verdeutlichung ihres erbarmungslos-objektiven Charakters und der Machtlosigkeit der Einzelnen dieser ihnen vorgelagerten Handlungslogik gegenüber. Es spricht daraus des Weiteren die resignative Einsicht in das nur allzu bekannte Unvermögen vieler Menschen, diese kritisch als gesellschaftlich/historische, somit abschaffbare Form zu begreifen, die durch eine andere Form der gesellschaftlichen Reichtumsproduktion ersetzt werden könnte. Was den Fetischismus ausmacht, ist also sowohl eine objektive Verselbständigung der gesellschaftlichen Verhältnisse der Dinge gegen die Produzenten, als auch eine subjektive Naturalisierung der gesellschaftlichen Formen Ware, Geld, Kapital, Lohnarbeit usw. seitens der Produzenten. Einerseits erhalten die Dinge, die Arbeitsprodukte und ihre Bewegung eine reale Macht über die Menschen, wie das religiöse Fetischobjekt, dem sich die Fetischdiener in ihrem Handeln unterwerfen. In diesem Sinne spricht Marx auch davon, dass die Verhältnisse den Menschen so scheinen, wie sie an sich sind, der Fetischismus ist also einerseits eine richtige Widergabe der verkehrten Verhältnisse. Es reicht also nicht aus, den Fetischismus als Ideologie(6) zu verstehen. Es gibt z.B. im Kapitalismus Antisemiten und es gibt einen Zusammenhang zwischen Antisemitismus und Kapitalismus, es sind jedoch keineswegs mit Notwendigkeit alle Menschen im Kapitalismus Antisemiten und es ist ebenso wenig notwendig für das Fortbestehen des Kapitalismus, dass alle Menschen Antisemiten sind. Ausnahmslos alle Menschen sind jedoch gezwungen, ihr Leben in den „verrückten“, fetischistischen Formen zu fristen, „sich darin zu bewegen“(MEW25: 787) und diese, zumindest in praxi, zu akzeptieren. Eben dies begründet auch die Unmöglichkeit, dem Fetischismus mit dem Lieblingswerkzeug vieler Linker zu Leibe zu rücken, der Dekonstruktion. Auch wenn durch ein solches Verfahren erarbeitet wird, dass es Geld usw. „eigentlich“ gar nicht gibt, bzw. alles auch ganz anders gelesen werden könnte, bleibt es doch völlig unzureichend, denn auch wenn wir uns andere Vorstellungen/Anordnungen von Zeichen über die Formen machen, so bleiben wir doch gezwungen, in ihnen zu handeln, spätestens, wenn wir irgendwelche sinnlichen Bedürfnisse befriedigen wollen: Dies funktioniert im Kapitalismus in der Regel nur durch Verwendung von Geld und den Erwerb von Waren. Das schließt theoretische Kritik natürlich nicht aus. Obwohl der Wert ein „nur“ Gedachtes ist, hat er eine Objektivität, die der von Natureigenschaften gleicht, die Wertgegenständlichkeit der Arbeitsprodukte ist also, wie Marx in paradoxer Sprache formuliert „gesellschaftliche Natureigenschaft“. Dabei fällt auf, dass die Individuen ihre Fetische nicht mehr einfach beliebig wechseln können, wie im archaischen Fetisch. Der Fetischismusbegriff bei Marx kennzeichnet sich also durch eine „Wendung ins Objektive“.
Nun wird aber im Fetischismus der falsche, verkehrte Zustand, mit seinen verrückten Formen abermals falsch im Bewusstsein aufgenommen (und somit keineswegs einfach widergespiegelt). Was im fetischistischen Bewusstsein nämlich gerade verloren geht, ist die ganze Vermittlungsbewegung, wie sie in der Wertformanalyse gezeigt wird: „Die vermittelnde Bewegung – die Tatsache, dass diese Form [hier ist das Geld gemeint, J.K.] nur in einem spezifischen, gegenständlich vermittelten, sozialen Verhältnis zwischen Menschen als unmittelbare Inkarnation des Werts gilt – [verschwindet] im Resultat.“ (Elbe 2005) Die Wertgegenständlichkeit der Waren bzw. die Funktion des Geldes, „allgemeiner Repräsentant des stofflichen Reichtums“ (MEW23:147) zu sein, die jeweils Resultate einer gesellschaftlichen Beziehung der Dinge durch die Menschen sind, erscheinen als natürliche Eigenschaften der Dinge und werden dadurch zum Rätsel. Der empiristische Alltagsverstand unterscheidet nicht mehr zwischen den natürlichen Eigenschaften eines Dings und solchen, die ihm nur in bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen von Dingen zueinander zukommen.(7) Die Individuen haben es ja in ihrem Alltag immer schon mit diesen fertigen Formen zu tun, die sie wie selbstverständlich denken und handelnd umsetzen, sie fühlen sich in diesen Formen „völlig zu Hause“(MEW25: 838). Der kapitalistische Verwertungsprozess verwächst überall mit den stofflichen Bestimmungen des Arbeitsprozesses und erzeugt so eine ganze Reihe von Mystifikationen, die sich schließlich zu einer veritablen „Religion des Alltagslebens“ (Marx) verdichten, die die Einsicht in die spezifische gesellschaftliche Formbestimmtheit des Produktionsprozesses verstellen, die dort statthabende Ausbeutung unsichtbar machen und den Gedanken an eine Transzendenz dieser Formen erst gar nicht aufkommen lassen. Der Fetischismus als subjektive Naturalisierung rührt also einerseits aus der Beschaffenheit der Formen selbst, andererseits ist in seiner universalen Verbreitung einer der wesentlichen Gründe für den Fortbestand des objektiven Fetischs, der gegenüber den Bedürfnissen der Produzenten verselbständigten Produktionsverhältnisse, zu sehen. Das Befolgen der Sachzwänge, Gesellschaft als „Lauf der Dinge“ erscheint so als ewiges Naturschicksal und Emanzipation wird aller Voraussicht nach vertagt auf den Sankt-Nimmerleins-Tag.

Johannes Knauss

Anmerkungen

(1) Für die Arbeiterbewegung sollte ein solcher „marxistischer Rationalismus“ (Detlev Claussen) ergänzt um Manipulations- und Agententheorien typisch werden, was besonders für die Einschätzung des modernen Antisemitismus fatale Folgen hatte. Dieser konnte vor dem Hintergrund dieses Rationalismus nur als rückständiges Überbleibsel der Vormoderne begriffen werden, das durch die weitere kapitalistische Durchdringung des sozialen und ökonomischen Lebens verschwinden würde, nicht jedoch als eine moderne Form von ideologischem Antikapitalismus. Vgl. für den Zusammenhang von Bewusstseinstheorie, Ökonomiekritik und Revolutionstheorie in der geistigen Entwicklung Marxens: Ingo Elbe: „Umwälzungsmomente der alten Gesellschaft“, in: F. Kettner, P. Mentz (Hg.): Theorie als Kritik, Freiburg 2008.

(2) Vgl. „R wie Religionskritik“ von Walter Schrothfels in CEE IEH #164.

(3) Es ist klar, dass ich in diesem Text nichts „beweise“, ja, nicht einmal die Begriffe herleite. Ohne eine Betrachtung der Kategorien Ware, (abstrakte) Arbeit, Wert, und Wertform muss jede Rede über Fetischismus im Status bloßer Versicherungen verbleiben. Ich möchte daher nur einige Hinweise geben, die vielleicht das Interesse wecken, sich selbst mit dem Kapital zu beschäftigen.

(4) Ingo Elbe: Thesen zu Fetischcharakter der Ware und Austauschprozess, online unter: www.rote-ruhr-uni.com/texte/elbe_fetischcharakter.pdf (2005).

(5) Tatsächlich sind die Einzelnen im Rahmen dieses Prozesses nach Marx nur Charaktermasken, Personifikationen ökonomischer Kategorien. Diese Formulierungen sind natürlich eine Spitze gegen liberale Vorstellungen von entfalteter Individualität und Freiheit im Kapitalismus, indem die Begrenzung individueller Spielräume von Handlungsautonomie durch die Sachzwänge denunziert wird. Nimmt man Marx ernst, so kann man nicht einfach von einer persönlichen Herrschaft der Kapitalistenklasse im Kapitalismus sprechen, sondern, so paradox es klingt, von einer unpersönlichen Herrschaft der Dinge: auch der Kapitalist ist nur „personifiziertes, mit Willen und Bewusstsein begabtes Kapital…seine Seele ist die Kapitalseele. Das Kapital hat aber einen einzigen Lebenstrieb, den Trieb, sich zu verwerten, Mehrwert zu schaffen“(MEW23: 168, 247). Das bedeutet nicht, dass man an die Kapitalistenklasse keine Forderungen (z.B. nach höheren Löhnen, geringerer Arbeitszeit usw.) stellen sollte, nur sollte man sich darüber im Klaren sein, dass jeder Kapitalist danach streben muss, seine Arbeiter profitabel auszubeuten, wenn er in seiner Funktion als Kapitalist noch eine Weile erfolgreich bleiben möchte, dass sein ökonomisches Überleben also vom Befolgen struktureller Zwänge abhängt. Vgl. für eine falsche linke Kritik an der „Sachzwanglogik“, die die Rede von Sachzwängen als Vorwand abtut, statt den Skandal der realen Wirkmacht von Sachzwängen zu kritisieren: Stefan Grigat: Fetisch und Freiheit, Freiburg 2007, dort S.263ff.

(6) Vgl. „I wie Ideologie“ von Martin Dornis in CEE IEH #163.

(7) „Da aber Eigenschaften eines Dings nicht aus seinem Verhältnis zu anderen Dingen entspringen, sich vielmehr in solchem Verhältnis nur betätigen, scheint auch der Rock seine Äquivalentform, seine Eigenschaft unmittelbarer Austauschbarkeit, ebenso sehr von Natur zu besitzen, wie seine Eigenschaft, schwer zu sein oder warm zu halten. Daher das Rätselhafte der Äquivalentform, das den bürgerlich rohen Blick des politischen Ökonomen erst schlägt, sobald diese Form ihm fertig gegenübertritt im Geld.“ (MEW 23: 72).

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last modified: 20.5.2009