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Yeah, but no, but yeah...

Buchcover

Karin Lederer (Hg.): Zum aktuellen Stand des Immergleichen. Dialektik der Kulturindustrie - vom Tatort zur Matrix. Verbrecher Verlag, Berlin 2008. 220 Seiten

Das Buch kann im Infoladen im Conne Island ausgeliehen werden.

oder: 101 Wörter für Kunst

      „Widerstand ist zwecklos“ (die Borg)
Es gibt eine gute Nachricht und eine schlechte. Dass die gute damit zusammenhängt, dass das von Karin Lederer herausgegebene Buch lesenswert ist, sei schon mal verraten. Hier jedoch erstmal die schlechte Nachricht. Beim Lesen des hier zu Besprechenden erfuhr ich, dass das berühmte Kapitel über Kulturindustrie aus der Dialektik der Aufklärung von T.W. Adorno und M. Horkheimer ursprünglich mit dem schlichten Verweis „fortzusetzen“ (Vgl. ASI, S. 49)(1) endete. Zum aktuellen Stand des Immergleichen versucht, eben dies zu leisten. Bei jener Unternehmung die Charakteristika des Untersuchten auf die zusammengestellten Beiträge ebenso abfärben zu lassen, wie auf die Konzeption des Buches, wäre allerdings nicht notwendig gewesen. Dass die adäquatesten und wortgewandtesten Beschreibungen dessen, was seit Adorno und Horkheimer als Kulturindustrie firmiert, auch im vorliegenden Sammelband noch immer die Zitate aus der Dialektik der Aufklärung sind, liegt nicht nur am Genie der alten Meister und der bleiernen Kreativität der Kulturproduzenten, sondern auch daran, dass die Beiträge im Buch nur sporadisch Neues zu bieten haben. Nun gut. Man könnte einwenden, dass der Titel auch keine „neue Theorie“ sondern eben den „aktuellen Stand“ des Immergleichen verspricht. Und im Prinzip ist das auch das einzig Richtige. Doch um die „falsche Identität von Allgemeinem und Besonderem“ (DDA, S. 128) oder die „Reproduktion des Immergleichen“ (a.a.O.) in den schon in der ersten Hälfte des 20. Jh. etablierten Medien Film, Rundfunk und Fernsehen nachzuweisen, hätte es wahrlich keines neuen Buches bedurft. Wenn sich überhaupt etwas am Kulturbetrieb geändert hat, so sind es doch die konkreten Formen, die der Tauschwert zu seiner Realisierung braucht und nicht die Tatsache, dass eben jene Realisierung der einzige Grund ist, warum Kulturwaren hergestellt werden. Altbekanntes auch noch an Paradebeispielen aufzuzeigen ist nicht unbedingt aktuell und schon gar nicht originell. Ich hätte lieber gelesen, dass und wie die Prinzipien der Kulturindustrie in besetzten Häusern, auf illegalen Internet-Plattformen, auf Raves, in Subkulturen oder bei Aufführungen neuer Musik im Gewandhaus zu Leipzig trotzdem funktionieren.
Denn davon liest man in keinem der Beiträge auch nur ein Wort. Viel eher schwingt im gesamten Buch – mal explizit, mal subtil – eine Unterscheidung zwischen Kunst und Kulturindustrie mit. Die Fragen nach der Kunst – was sie ist, ob sie Teil der Kulturindustrie ist oder deren Gegensatz, ob es sie noch gibt, ob diese Fragen beantwortet werden können usw. – wären in der Tat eine interessante Sache gewesen – erst Recht auf „aktuellem Stand“. Die Einleitung allerdings (welche den Vorwurf, „wie der Gegenstand so die Betrachtung“, auch noch selbst bemüht und die Einleitung ins Buch mit einem Pilotfilm für Serien vergleicht) enttäuscht in dieser Hinsicht am meisten. Auf wenige Seiten gedrängt tummeln sich hier auf der begrifflichen Spielwiese die „niedere Kunst“ (12) bzw. die „sogenannte niedere Kunst“ (12), die „frühere höhere Kunst“ (13), die „leichte Kunst“ (13) und die „autonome, bürgerliche Kunst“ (13). Mitspielen dürfen außerdem noch die „niedere Massenkultur“ (13), das „Amusement“ (13), die „wirkliche Unterhaltung“ (13) und viele andere. Wenn so viele Begriffe miteinander spielen ohne ein Namensschild dabei zu haben, ist es wirklich schwer, sie auseinander zu halten. Und ein Unterscheidungsmerkmal, das dem Leser mit auf den Weg gegeben wird, liest sich dann so: „Weisen moderne Kunstwerke auf nicht eingelöste Glücksversprechen hin, und deuten damit an, dass das Unglück nicht notwendig wäre, so betreibt die Kulturindustrie die ,Verklärung der alltäglichen Katastrophe zum Glück‘.“ (21)
Also sind Filme, die auf nicht eingelöste Glücksversprechen hinweisen moderne Kunstwerke(2)? Und Bilder des sozialistischen Realismus Kulturindustrie? Das klingt noch weniger handfest wenn man noch einmal vier Seiten zurück blättert: „der relative Freiraum, den die autonome bürgerliche Kunst beim Heraustreten aus feudalen Abhängigkeitsverhältnissen gewann, ging in Folge der Durchkapitalisierung ihrer Sphäre wieder verloren.“ (17) Dieser Prozess ist ist die „Verwandlung von Kunstwerken in Waren“(17). Kunst gab es also offenbar geschätzte 100 Jahre, ihre modernen bzw. modernsten Vertreter erkennt bzw. erkannte man daran, dass sie die alltägliche Katastrophe nicht zum Glück verklärten, Waren sind keine Kunst, Kulturindustrie ist nur welche, wenn sie nicht auf uneingelöste Versprechen hinweist, wirkliche Unterhaltung gibt es nur als Kunst – also z.B. im Hinweis auf uneingelöste Versprechen – aber Kunst (mit autonomem Wesen) gibt es nicht mehr, und wenn doch, dann nicht, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
Die Beliebigkeit mit der anschließend auch die Beiträge des Buches „irgendwie“ unter einen Hut gebracht werden ist hierbei nur exemplarisch: „Das sie vereinigende Band ist also der Begriff der Kulturindustrie, wie er von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno [...]geprägt wurde“ (7) Dass dieses Band z.B. den ungemein klugen Beitrag von Gerhard Scheit (Gute Nachricht, kommt gleich) oder Passagen von Renate Göllner und Tobias Ebbrecht mit den weniger guten Beiträgen Karin Lederers und Tobias Ruttners zusammenhält, hatten die Erfinder des Begriffes wohl nicht im Sinn. In „CSI, Dupin und Holmes“ lässt uns Ruttner(3) bspw. Auf acht Seiten wissen, dass seine privaten Vorlieben eher durch alte Detektivgeschichten als durch diesen ganzen neumodischen Quatsch wie CSI: Miami befriedigt werden. Bei letzterer Serie fehlt ihm die „rechte Freude an der Betätigung der Vernunft“ (169) bzw. dass der Zuschauer „selbst keine Schlüsse ziehen kann“ (169) und sein Beitrag endet mit der Weisheit, dass Dupin und Holmes „unschlagbar“ seien „was das fröhliche Mitknobeln angeht“ (169). Und auch Karin Lederer gibt nach kurzen Gedanken zum Verhältnis von Science-Fiction und Utopie auf über 30 Seiten einen Einblick ins Star-Trek-Universum, der nicht sehr viel lehrreicher als Wikipedia ist und den ich hier mal mit den Worten zusammenfassen will „bürgerrechtlich, antirassistisch, atheistisch und noch dazu unterhaltsam aber dann doch irgendwie nicht Karl Marx“. Was in diesem Zusammenhang „das vereinigende Band“ (7) des Begriffes der Kulturindustrie bedeutet, habe ich schon jetzt bei einem langen Bücherregal – sagen wir mal bei Hugendubel – vor Augen: Thriller, Fantasy, Krimi, Kochbuch, Begriff der Kulturindustrie.
Doch jetzt die gute Nachricht: Gerhard Scheit, z.T. Tobias Ebbrecht und Renate Göllner nehmen das „fortzusetzen“ tatsächlich ernst und versuchen, den Begriff der Kulturindustrie um jene Facetten zu ergänzen, die Adorno und Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung unterschlagen. Und das macht das Buch tatsächlich lesenswert. Noch vor der Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg verfasst, beschwört das Kulturindustriekapitel immer schon das Äußerste: jedes Radio sei im Prinzip schon die Goebbelsschnauze, der kulturindustrielle Konsument sei „virtuell schon der Nazi“ (zit. Nach Scheid, ASI, S. 44) und das ganze Prinzip verschiebe die „Befriedigung auf den Tag des Pogroms“ (a.a.O.). Diese – wie Scheid schreibt – „hysterische Theoriebildung“ (44), übergeht den unterschiedlichen Gehalt der Kulturprodukte verschiedener Länder. Um ihren Tauschwert zu realisieren, müssen sich die Waren den Käufern in aller Regel in die Arme schmeißen und somit im Fall ideologischer Botschaften die Stimmung der Massen treffen. Allein dieser Unterschied erklärt annähernd die Kluft zwischen amerikanischen und deutschen Produktionen. Nach Scheid muss es also darum gehen, „auf welche Weise die Konsumenten der Kulturindustrie sich jeweils mit politischen Instanzen identifizieren; ob also nicht die Kritik des Staats auf diesem Gebiet erst noch zu eröffnen wäre“ und weiter: „Mit welcher Macht identifiziert sich der Einzelne [...]? Mit dem Kapitalverhältnis in jedem Fall. Und auch mit dem Staat, dem Souverän, der nur die andere, die politische Seite dieses Verhältnisses ist. Aber gerade diese Seite ist – im Gegensatz zu der des Wertes – mit sich selbst nicht identisch, existiert nur in Form voneinander sich unterscheidenden Staaten, während alle Kapitalien und Kapitalgruppen im Kapitalverhältnis unterschiedslos aufgehen.“ (55)(4)
In den Beiträgen Göllners und Scheids wird dann auch (vor allem interessant für Menschen, die diese Serien kaum oder nicht kennen, wie mich) sehr eindrucksvoll das Verhältnis der Deutschen zu ihren Stars in Tatort, Türkisch für Anfänger oder Der Fürst und das Mädchen aufgezeigt, und dargestellt, wie stark hier durch die Schauspieler hindurch die Volksgemeinschaft agiert. Ganz im Gegensatz zum Gehalt von Serien wie King of Queens oder Desperate Housewives. Und auch wenn Tobias Ebbrecht m.E. zu selbstverständlich mit Kunstbegriffen hantiert, die Prinzipien der Kulturindustrie durch bestimmte Filme z.T. unterlaufen sieht oder solch aufgeplusterte Vokabeln wie „Superzeichen des Holocaust“ (117) bemüht; seine Ausführungen zum deutschen Filmwesen, insbesondere die Geschichte der UFA als Weiterführung eines militärischen Propagandaapparates nach dem Ersten Weltkrieg und ihr vorauseilender Gehorsam gegenüber den Nazis, sind sehr aufschlussreich zur deutschen Spezifik im Film. Nur einen Beitrag zur ostdeutschen Entwicklung und deren Fortführung in den öffentlich-rechtlichen Anstalten wie dem MDR habe ich wirklich vermisst.
Und um zum Schluss nochmal den Vergleich aus der und über die Einleitung zu bemühen (sie wäre mit dem Pilotfilm einer Serie vergleichbar), kann ich resümieren: Das von Karin Lederer herausgegebene Buch ist wie eine Serie. Zunächst hat man den Eindruck, das wichtigste schon zu kennen (Adorno/Horkheimer) dann geht’s aber mit einem Knaller in der ersten Folge los (G. Scheid), streckt sich dann spannungstechnisch ein wenig (T. Ebbrecht), ist in den mittleren Folgen langweilig und belanglos (K. Lederer, F. Ruttner) und zieht kurz vor Schluss noch mal an (R. Göllner) damit man das Ganze gut in Erinnerung behält. Und weil der Vergleich blödsinnig ist und es langsam Zeit wird, mal irgendwas zu schreiben, was diese ganze Rezension beenden könnte, will ich noch einmal die Autoritäten zitieren:
      „Von Kultur zu reden war immer schon wider die Kultur“ (Adorno/Horkheimer, DDA, S. 139)

sisyphos

Literatur:

• Karin Lederer (Hg.): Zum aktuellen Stand des Immergleichen, Berlin 2008 (hier ASI)

• Theodor W. Adorno/Max Horkheimer: Dialektik der Aufklärung, Frankfurt a.M. 1988 (hier DDA)

Anmerkungen

(1) Alle Zitate, die nur durch eingeklammerte Zahlen gekennzeichnet sind, beziehen sich auf das rezensierte Buch

(2) Tobias Ebbrecht beschreibt z.B. die Spiderman Trilogie des 21. Jh. in seinem Beitrag im Buch als eben solche Filme

(3) Sein zweiter Beitrag behandelt „Warum es kein Zufall ist, dass Neonazis Matrix und Herr der Ringe mögen“ (195 ff.) und handelt u.a. von den in beiden Filmen dargestellten Vorstellungen von Opfer und Schicksal.

(4) Und weiter: „Die Dialektiker der Aufklärung haben es im Kapitel über die Kulturindustrie versäumt, Veit Harlans Jud Süß mit Casablanca von Michael Curtiz oder Paula Wessely in Heimkehr mit Greta Garbo in Ninotchka zu konfrontieren. Und noch die im engeren Sinn musikalischen Unterschiede zwischen Fehrbelliner Reitermarsch und Glenn Millers In The Mood, von Charly Parker ganz zu schweigen, hätten Adornos Kritik des Jazz präzisieren können“ (55 f.)

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last modified: 20.5.2009