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Gustavs Pilgerreise

Replik auf eine Unglaublichkeit

Im CEE IEH #159 gab die Gruppe „Gustav Sobotka“ einen Text zum Besten, bei dessen Lektüre man sich fragt, welche Unannehmlichkeiten die Pilgerreise(1) der Autoren durchs Bildungssystem pflasterten. Angetreten ist die Gruppe, um ein für alle mal klar zu stellen, dass eine Beschäftigung mit den ostdeutschen Verhältnissen nur verhüllen würde, dass „Westdeutsche und ihre Freunde, die Österreicher, nicht minder gefährlich sind“(2). Dabei nehmen sie sich beispielhaft meinen Text zum Zusammenhang von Ostidentität und nationalem Sozialismus vor, um damit eine Reihe weiterer Autoren mit abzukanzeln. Leider verraten die Sobotkas nicht, auf welche Aufsätze sie sich weiterhin beziehen. Das bleibt nicht die einzige Fehlleistung ihres Textes. So gelingt es der Gruppe vor lauter Verwunderung nicht, den korrekten Titel jenes Aufsatzes anzugeben, den sie zu kritisieren gedenkt(3).
Was soll man Leuten antworten, die Inhalte nur rudimentär wahrnehmen und daraufhin einen Text produzieren, der von Gerüchten und kruden „Analysen“ lebt? Hat eine solche sprachliche Grausamkeit(4), die den Text der Gruppe durchzieht, eigentlich mehr verdient, als sie den Autoren um die Ohren zu hauen und sie fortan links liegen zu lassen? Da letztlich die Redaktion mit dem Abdruck des Textes der Gruppe Sobotka Positionen wieder diskussionswürdig gemacht hat, die längst ihres ideologischen Gehaltes überführt wurden, sehe ich mich veranlasst, das Ganze doch nicht auf sich beruhen zu lassen. Dabei will ich hier nicht noch einmal ausführen, warum und wie ich den Zusammenhang von Ostidentität in Form eines bekennenden Zonenpatriotismus’ und der Verfestigung einer Ideologie des nationalen Sozialismus im Osten herstelle. An dieser Stelle soll es aber sehr wohl um die Zurückweisung der gröbsten Fehlinterpretationen und Falschaussagen der Gruppe Gustav Sobotka gehen.

Erbstreit

Die Gruppe behauptet, die ins Visier genommenen Autoren und letztlich ich würden davon ausgehen, „der Osten sei alleiniger Erbe des Nationalsozialismus“. Nur frage ich mich: wo steht das? Davon ist an keiner Stelle die Rede und somit sucht man wie an so vielen anderen Textstellen einen Beleg aus dem Ausgangstext! Im Gegenteil: in CEE IEH #152 und #155 habe ich in einem etwas anderen Zusammenhang dargestellt, dass der Westen ebenso auf den Resultaten des NS basiert. Aber: das funktioniert(e) da eben anders, nämlich durch die Bannung des volksgemeinschaftlichen Bedürfnisses in Konsum und Wiederaufbau und durch eine gewisse Zivilisierung im Zuge der Westbindung. Der Osten dagegen bewegt(e) sich auf wesentlich traditionsbeladeneren Pfaden, und die jetzige Situation ist nicht losgelöst von einer politischen Tradition einfach so vom Himmel gefallen. Beruhen sowohl die westdeutsche als auch die ostdeutsche Gesellschaft auf ihre je eigene Weise auf den Resultaten des NS, so ist es schlichtweg eine Lüge, zu behaupten, im Westen wäre die Wahrscheinlichkeit, Opfer einer kollektiven Hetzjagd, die wie in Mügeln als Volkssport des gewöhnlichen Mobs daherkommt, ebenso hoch, wie in ostzonalen Brachen, die bei der Gruppe Sobotka in aller Konsequenz auch noch als „Erholungsgebiet“ durchgehen.

Die gute Arbeit zum Aufbau des Sozialismus

Die Sobotkas sind der Ansicht, dass der sozialistische Arbeitsbegriff eine irgendwie fortschrittliche Angelegenheit sei, da schließlich „im Sinne des Aufbaus des Sozialismus gearbeitet wurde“ und es deshalb schon gar nicht sein könne, dass der Wahn produktiver Arbeit und der offensive Proletenkult sogar in Form gestählter Männerkörper sich an das Original der Nazis hielt (ob bewusst oder unbewusst sei hier mal dahingestellt). Ähnlich gestrickt ist das Argument, dass sich sozialistischer wie nazistischer „‚Volks’-Begriff“ grundlegend unterscheiden würden. Dabei ist es doch so, dass beide Konzepte des Volkes negativ gestiftet waren; als Abgrenzung gegen Klassenfeinde einerseits und Volksgemeinschaftsfeinde andererseits. Das Konzept Volksgemeinschaft ist in seiner Vernichtungspraxis das konsequentere und setzt das wahnhaft um, was im Grunde in jeder Volkskonstitution angelegt ist und zunächst in Latenz verharrt. Die Kategorie des Volkes wird nicht harmloser, nur weil sie als sozialistische daherkommt!
Einen weiteren Bock schießen die Autoren, wenn sie anführen, dass vietnamesische Gastarbeiter „zumindest ideologisch dem deutschen Arbeiter gleichgestellt“ waren, ja dass es gar eine „Freundschaft mit der UdSSR (gab), die im Alltag (…) manifest wurde“. Die so genannte
Moderne Hausfrau, 32.1k
Gleichstellung ist eine sich hartnäckig haltende Legende, die jeder Faktenlage widerspricht, es sei denn man findet es besonders egalitär, wenn bestimmte Gruppen von Arbeitskräften (und um nichts anderes handelte es sich hierbei) kaserniert wurden und privater Kontakt mit Deutschen – sagen wir es wohlwollend – nicht gerade gefördert wurde. Ebenso verhält es sich mit der „Freundschaft“ zur damaligen Sowjetunion: „Scheiß Russen“ scheint mir da noch die freundlichste Wahrnehmung zu sein.
Wo man vorher gern eine Unterscheidung hätte, nämlich bei den „Arbeitsbegriffen“(5), da setzt man seltsamer Weise später bei Dingen, die nun wirklich nichts miteinander zu tun haben, alles gleich. Dass im Osten das Betriebskollektiv nur mit der Ausweitung auch auf die privaten Lebensbereiche zu haben war und dies auch bewusst von den Leuten so betrieben wurde und weiterhin betrieben wird, ist der Transformationsforschung zu entnehmen. Um diese Exklusivität anzuzweifeln, zaubern die Autoren ein Schlagwort aus dem Ärmel. Es kommt jetzt die „postfordistische Organisationsform ‚Team’“ des Westens ins Spiel.
Da die Autoren offenbar etwas aufgeschnappt haben, ohne sich mit dem dahinter stehenden Inhalt auseinanderzusetzen, sorge ich gern für Aufklärung. Es handelt sich hier nachgerade nicht um eine Form der Kollektivierung, die Gemeinschaft simulieren oder stimulieren soll, sondern es ist eine Reaktion auf die Krise des westdeutschen Produktionsmodells Anfang der 1990er Jahre, als das Stocken des Wirtschaftswunders auch dem Letzten deutlich wurde. Eine (!) Strategie damals war dieses Modernisierungsmodell der Arbeitsorganisation in Form einer Rücknahme der rigiden Arbeitsteilung. Schlagworte dafür sind die Re-Professionaliserung von Produktionsarbeit, die Dezentralisierung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten und letztlich ein Abbau von Hierarchien in der Unternehmensorganisation. Ziel war es, durch die Schaffung flexibler Einheiten im Unternehmen und im Idealfall durch die Koppelung von Innovations- und Produktionssphäre Reserven zu mobilisieren, die Wettbewerbsnachteile ausgleichen sollten(6). Es dürfte auf der Hand liegen, dass ein solches Konzept, dass nicht die Formierung einer Opfergemeinschaft zum Ziel hat, sondern offensiv auf den Markt ausgerichtet ist und darüber hinaus die Privatheit des Einzelnen mehr oder minder sichert, eben nicht vergleichbar ist mit einer regressiven Form von Vergemeinschaftung, für die beispielhaft eben jene Zonenkollektive stehen.

Gewerkschaften als West-Import

Dass in dem Zusammenhang auch eine Gewerkschaftsfeindlichkeit im Westen feststellbar ist, bestreitet niemand; schon gar nicht, dass es im Westen Formen paternalistischer Unternehmensführung gibt. Es geht um die Summe der ansonsten vielleicht relativ harmlosen Einzelphänomene in der Zone. Und diese Summierung ist für den Osten eben charakteristisch und erfasst eine ganze Gesellschaft, die sich beständig betrogen fühlt. Die Skepsis gegenüber den Gewerkschaften basiert dabei weniger darauf, dass man diese generell verurteilt. Sie werden schlichtweg als notwendiges Übel angesehen, das die krassesten Auswüchse verhindert, aber dennoch werden sie (auch bei Beschäftigten) als West-Import verstanden. Bei einer repräsentativen Befragung von Belegschaften in ostdeutschen Unternehmen gaben 47% der Befragten an, dass sie ihre Probleme im Unternehmen im Einvernehmen mit der Geschäftsleitung und ohne die Gewerkschaften lösen; 48% stimmen der Aussage zu, dass die Gewerkschaften mit ihrer Westorientierung nicht in den Osten passen.(7) Das sind noch relativ moderate Äußerungen der seitens der Gustavs eingeforderten Statements der Arbeiter. Also lassen wir die Arbeiterklasse zu Wort kommen:

Die Stimme der Arbeiter

Auch wenn ich bereits auf den Zitatenschatz in Sören Pünjers Text „Zonen-Simone im Unglück“ (Bahamas 50/ 2006) verwiesen habe, was die Verteidiger der Zone unbeeindruckt ließ, so möchte ich dennoch ein paar Versatzstücke daraus für jene präsentieren, die das antideutsche Schmuddelblatt meiden wie der Teufel das Weihwasser: „Wir sind kaputtgemacht worden von einer Westfirma, die sonst ihre Plattenspieler nicht losgeworden wäre.“ (ebd., S. 42) „Frau Merkel ist die größte Vaterlandsverräterin! (…) Sie ist doch ne Ostdeutsche. Aber sie hat absolut nichts für den Osten übrig. (…) Weil sie sich von den Wessis beeindrucken lassen hat.“ (ebd.; S. 42f.) „Ich wähl die Linken“ (ebd., S. 43), denn „(i)ch würde die NPD nie wählen. (…) Nee, die haben schon ‘nen bitteren Nachgeschmack, so früher mit Hitler und so. Damit identifiziere ich mich natürlich nicht. Aber die Jugendlichen, ich muß Ihnen sagen: Mein großer Sohn hat letztes Jahr NPD gewählt“ (ebd., S. 43), womit die innerfamiliäre Querfront gesichert wäre, denn, so die bekennende Linke: „Man braucht hier endlich mal jemanden, der eine klare Linie hat“ und „es würde endlich mal Zeit, daß ganz Deutschland auf die Straße geht.“(ebd., S. 43)
Ähnlich wie Zonen-Simone „analysiert“ die Gruppe Gustav Sobotka ganz klassenkämpferisch: Meint Simone, dass die Jugendlichen alle keine Perspektiven hätten und es eben daher zwangsläufig ist, dass man wie ihr Sohn und letztlich sie selbst zum Nazi wird, so liest sich das bei Bewunderern der sozialistischen Arbeitswut etwas weniger ordinär. Laut Sobotka müsse man nämlich in Rechnung stellen, mit anderen Worten den Ostdeutschen zu Gute halten, dass die „Arbeitslosigkeit und damit verbundene Armut in Ostdeutschland weit höher als in Westdeutschland (ist)“. Das musste den adornitischen Schnöseln mal gesagt werden.
Man sollte meinen, die Zeiten, in denen jemand noch ernsthaft öffentlich verkündete, dass man bei der Kritik von Nazismus den „materiellen Aspekt“ der Täter zu berücksichtigen hätte, seien vorbei. Ein solcher Unsinn ist schlichtweg nicht diskutabel! So etwas gehört in die junge welt, ins Neue Deutschland oder eben an die Stammtische dieser Autoren, die bei der Formierung ostdeutscher Nazibefindlichkeiten allen Ernstes darauf verweisen, dass diese sich ja berechtigter Weise als Opfer fühlen und Opfer, das kennt man, sind von Haus aus zu allem ermächtigt, da sie auf jeden Fall mit der Empathie bewegungslinker Reiseleiter rechnen können. Da ist von „Versagungserfahrungen“ und „Leistungsdefiziten“ die Rede, die vom politischen System ausgingen. Mit einem derartigen Erklärungsansatz, der jeder materialistischen Kritik von Staat, Kapital und Subjekt Hohn spricht, kann man auch die Formierung der Deutschen zur nazistischen Volksgemeinschaft im NS und das suicide bombing ihrer Nachfolger schönreden. Man wünscht sich fast das BgR zurück, das in seinem Einflussbereich zumindest dafür sorgte, dass ein solcher Stuss über die WG-Tische verrückter Klassenkämpfer nicht hinauskam.

Kronzeuge für Anti-Kapitalisten: der Dalai Lama

Dass man es bei der Gruppe Sobotka mit ausgewiesenen Anti-Kapitalisten zu tun hat, wird deutlich, wie diese sich über meinen Verweis auf Marxens Abhandlung zur britischen Herrschaft in Indien fast gänzlich um den Restverstand lachen. Man muss sich auf der Zunge zergehen lassen, wie Leute ernsthaft den zweifelsfrei vorhandenen Eso-Scheiß und den Bezug auf den Lieblingstibeter der Deutschen in aller Welt dafür benutzen, all das, was nun wirklich als zivilisatorischer Überschuss des Kapitalismus anzusehen ist, über Bord zu werfen: das Potential der Kategorie Individuum, die unbestreitbar ein Resultat der kapitalistischen Entwicklung und von nichts Anderem ist. Bei aller Skepsis gegenüber einer Aufklärung, die in den totalen Verblendungszusammenhang mündet, lässt sich nicht leugnen, dass der Kapitalismus die Bedingung der Möglichkeit schafft. Denn in ihrem individualistischen und antifeudalen Verständnis und damit als Kritik an naturwüchsigen traditionellen gesellschaftlichen Verhältnissen impliziert die bürgerliche Gesellschaft die Idee einer freien Assoziation der Individuen und somit auch die Möglichkeit eines besseren Lebens. Sie versetzt den Einzelnen in die Lage, dem Zwangskollektiv zu entkommen, in das er hineingeboren wurde und forciert die sprichwörtliche Flucht vom dörflichen Landleben in die Stadt und somit die Transformation der ursprünglichen Gemeinschaften in Gesellschaft.

Das Verhängnis der Fußnoten

Für den bekennenden Zoni scheint das jedoch die Kriegserklärung schlechthin zu sein, ist für ihn doch die Konkretisierung und Personalisierung alles Abstrakten ein Bedürfnis. Genau das sollte der Verweis auf Postone untermalen; wie auch mein Hinweis auf die antisemitische Denkstruktur(8). Wenn die Autoren den nicht ganz bedeutungslosen Fußnoten etwas mehr Beachtung geschenkt hätten, was bei einer angestrebten Textkritik sich als klarer Vorteil erweisen würde, so hätte man sich die süffisante Aussage, dass ihnen noch keine Pogrome gegen Westdeutsche aufgefallen wären, ersparen können. In der Anmerkung steht nämlich folgendes: „Gleichwohl gilt es zu bedenken, dass die Konsequenzen für einen ‚arroganten Wessi’ nicht die gleichen sind, wie im NS für Jüdinnen und Juden. Es geht um die Struktur der Feindbestimmung. Dem Westdeutschen droht nicht die Vernichtung. Ähnlich gilt dieser wie der ‚verjudete’ Abweichler im NS als grundsätzlich therapierbar und für die Gemeinschaft nicht ganz verloren, sieht er seine Verfehlung ein. Ein ähnlicher Mechanismus ist übrigens im Umgang mit Naziaussteigern zu beobachten: Gelten die mittels Kleiderordnung erkennbaren Nazis seit Schröders Aufstand der Anständigen als anachronistischer Standortschreck und als Volksfeind, gegenüber denen sich die Reihen der modifizierten deutschen Volksgemeinschaft schließen lassen, so ist andererseits klar, dass allen Aussteigern, die ihre Verfehlung gegenüber der Gemeinschaft der Standortschützer eingestehen und dem Zeitgeist folgen, eine mannigfaltige mediale Aufmerksamkeit, ja Berühmtheit, als Belohnung gewährt wird“(9).

Verharmlosung der PDS

Die Gruppe unternimmt nun einiges, um jene Kameradschaft zu entlasten, die stets bei der Mobilisierung des ostdeutschen Gefühls des Betrogenseins ganz vorn dabei ist. Die PDS steht nicht nur in vorderster Front, um es dann nicht gewesen zu sein: sie hat das Urheberrecht für die Strategie der Verteidigung der Scholle der Ostdeutschen. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob die PDS politische Macht hat oder nicht – sie ist im Osten Volkspartei. Und jenen Parteien, die laut Sobotka angeblich „ein viel größeres Anhänger- und Wählerpotential“ haben, nämlich CDU und SPD, kann man mit Sicherheit auch nicht nachsagen, offensiv die Loslösung vom ostdeutschen Heimatkult zu fordern. Um die
Moderne Hausfrau, 27.0k
These noch zu verschärfen: Im Osten gibt es keine Parteien mehr, sondern nur noch Zonis, die sich im Zweifelsfall immer zur Volksfront gegen allerlei Zumutungen zusammenfinden. Eine solche Konstellation erzeugt das Klima, wo es selbstverständlich ist, gar nicht mehr in Frage zu stellen, „dass (und warum, M.M.) es gerade der regionale, nachbarschaftliche, freundschaftliche und/oder familiäre Nexus ist, der Heimatverbundenheit und das Bedürfnis nach Sicherheit, Ruhe, Ordnung und Kollektiv produziert und reproduziert“, was die Gruppe Sobotka gern vom politischen Wirken der PDS abkoppeln möchte. Mag die PDS unverständlicher Weise immer noch als Kommunistentruppe durchgehen und von vielen deshalb als nicht wählbar angesehen werden, so bleibt dennoch ihre Verantwortung für die Verankerung des ostdeutschen Verfolgungswahnes über alle Parteigrenzen hinweg.

Die Alten, die Jungen oder Alle?

Die Gruppe Sobotka gibt in einem weiteren Abschnitt ihres Textes zu erkennen, dass es offenbar möglich ist, kollektiv den Inhalt eines Textes so umzubiegen, dass es passt. So schreiben sie: „Die Ostidentität verschwindet immer mehr, wie Mario Möller in seinem Exkurs zum Generationenkonflikt zumindest schon andeutet, allerdings erklärt er nicht, warum es nicht die Alten sind, die mordlüstern und brandschatzend durch die ostdeutschen Einöden ziehen und Jagd auf alles Fremde machen, sondern ihre widerlichen Enkel“. Von einer tatsächlichen Abnahme der Ostidentität ist bei mir keine Rede. Tatsächlich schreibe ich folgendes: „Auf betrieblicher Ebene könnte, wie Vergleiche der Gruppen unter bestimmten industriesoziologischen Fragestellungen betreffs Zufriedenheit und Interpretation der sozialen Beziehungen nahe legen, künftig in etwas anderer Form der Konflikt zwischen Tradition im Sinne tatsächlich nationalsozialistischer Vorstellungen und einem an Deregulierung gewöhnten Sozialcharakter zum Ausdruck kommen, was letztlich auch zu unterschiedlichen Präferenzen und Wahrnehmungen der von allen favorisierten Gemeinschaften in den unterschiedlichen Generationen führt. Ein Grund zur Hoffnung bestünde eventuell, sollten sich tatsächlich in den jungen Generationen gemeinschaftsskeptischere Sozialcharaktere herausbilden. Vieles scheint jedoch dafür zu sprechen, dass der Konflikt lediglich ein Verteilungskampf um die letzten Reste der auf den Resultaten des NS basierenden Nachkriegsordnung ist. ‚Gegen die eigene Brut und ihre nationalrevolutionären Zumutungen verteidigen die Noch-Nutznießer der letzten nationalen Revolution zäh deren Errungenschaften: Pension, Rente und kündigungsgeschützten Arbeitsplatz. Sie werden verteidigt gegen die, die ebenfalls in den Genuss dieser Errungenschaften kommen wollen und mit ihrem Hass gegen ‚das Undeutsche’ überdeutlich enthüllen, worauf sich der Anspruch der Alten allein gründet: Aufs Deutschsein. [...] Die Jungen reklamieren für sich das nationalsozialistische Ticket, das die Alten ihnen verweigern, weil es nur noch von ihnen selbst eingelöst werden kann – Gnade der frühen Geburt.’(10) In einem bleiben aber Junge wie Alte konform: Die Ablehnung des nunmehr geforderten Lebensmodells des nicht mehr unmittelbar volksstaatlich verankerten ‚autarken Selbstversorgers’(11), der lediglich in privater Absicht am Bruttosozialprodukt werkelt und Distanz zum Staat hält.“
Der aufmerksame Leser wird jetzt feststellen, dass es mir um einen inneren Konflikt geht. Die Alten schlagen nicht zu, sondern, um Wolfgang Pohrt in Bezug auf Rostock-Lichtenhagen zu bemühen, klatschen Beifall. Sie tun das, weil sie gut finden, dass die Ausländer auf die Mütze bekommen und in gleichzeitiger Vorfreude darauf, dass die Jungen in den Knast wandern und als Konkurrenten wegfallen.

Die Sache mit den Gleichheitszeichen

Nirgends habe ich behauptet, dass „Ostdeutschland = Nationalsozialismus“ sei. In Ostdeutschland tritt aber in konzentrierter Form das auf, was sich am nationalsozialistischen Modell orientiert und auf diesem basiert. Und zwar nicht in Form „vermeintlich(er) oder tatsächlich(er) neofaschistischer Organisationen“. Um diese geht es nämlich überhaupt nicht, da sie für den Osten insgesamt keine Avantgardefunktion besitzen. Es geht um die flächendeckende ideologische Anknüpfung an all jene Versatzstücke, die konstitutiv für den NS waren. Sicher kann man im Stile der Gruppe Sobotka jetzt positivistisch antanzen und hier und da eben auch diese Phänomene beobachten. Keine Frage, all diese Sachen, die ich in „Ostidentität“ beschrieben habe, wird es im Westen auch geben. Die Frage ist doch die, ob diese Dinge randständig bleiben – oder sich wie im Osten zu einem allseits anerkannten Massenbewusstsein verdichten. In den Zonenbrachen ergänzen sich die Einzelphänomene kumulativ, greifen ineinander und schaffen damit jenes Heimatschutzklima, wo Hetzjagden wie in Mügeln keiner exklusiven Nazi-Organisation(12) bedürfen!
Es ist keine Relativierung des NS, wenn man darauf hinweist, dass die polit-ökonomische Konstellation, die den NS ermöglichte, eine spezifisch deutsche ist, da sie in Deutschland zur Realität wurde, aber dennoch nicht auf einen bestimmten historischen Zeitpunkt oder ein geografisches Gebiet ein für alle mal beschränkt bleiben muss, sich also durchaus als Exportschlager erweisen kann. Dabei sagt niemand, dass Djihadismus, Islam oder Ummasozialismus mit dem NS identisch wären. Gesagt wird aber, dass diese Formen der zeitgemäße Ausdruck nazistischer Krisenbewältigung im internationalen Maßstab sind. Ebenso verhält es sich – natürlich auf einem ganz anderen Level – mit der Ostidentität: sie basiert auf Elementen, die den NS einst konstituierten. Nicht umsonst verweise ich in meinem Aufsatztitel auf einen Zusammenhang von Ostidentität und nationalem Sozialismus und nicht auf die Identität der ostdeutschen Zustände mit der Realität im NS.

Nachwort

Alles in allem bleibt der bittere Beigeschmack, dass mit dem Text der Gruppe Gustav Sobotka ein unglaubliches Niveau für das CEE IEH erreicht ist. Es geht mir nicht darum, dass Positionen nicht kritisiert werden dürfen oder Kontroversen ausgetragen werden. Es geht schlicht darum, ob Behauptungen, die man anstellt, mittels Quellen belegbar sind. Eine ganze Handvoll Zitate wird von den Autoren aufgefahren, um das Ganze mit Soziologenversatzstücken zu einem Geschwätz zu verdichten, das völlig sinnentleert ist(13). All das wäre ja noch hinnehmbar, ginge es um einen Text zu einem Thema, das der Gruppe irgendwie auf den Nägeln brennt und mit anderen erst einmal nichts zu tun hätte. Aber es geht ja erklärtermaßen bei Sobotka darum, der Verwunderung Ausdruck zu verleihen, warum bestimmte Leute zu einer Position kommen. Also wohlwollend ausgedrückt um Kritik. Herausgekommen ist eine unsägliche Gerüchtesammlung.
Die Redaktion schritt nicht einmal ein, als meine kritische Darstellung der Gründe für das, was im Osten zum Alltagsbewusstsein gehört und sich ganz real (!) bspw. in Mügeln zeigte (und eben nicht auch zeitgleich bei einem ähnlichen Vorfall in Westdeutschland, wo das Partyvolk den zivilisatorischen Impuls hatte, sich nicht den Schlägern anzuschließen, sondern diese zu verjagen!), als „Suche nach der ostdeutschen Volksgemeinschaft“ verunglimpft wurde, als wäre die Existenz des unsäglichen Zonenpatriotismus nicht der schlagende Beweis. Dem Leser wird gar der ungeheuerliche Vergleich der Darstellung der Realität (!) im Osten mit dem Wahn (!) der RAF und Konsorten nicht erspart. In aller Konsequenz gerate ich in den Verdacht, ein „identitäres Abgrenzungsbedürfnis“ gegen gar nicht vorhandene Phänomene zu hegen. Mit anderen Worten mindestens als verrückt durchzugehen.

In einem anderen Zusammenhang wies Adorno auf den Affekt derer hin, die, unfähig zur Erkenntnis gesellschaftlicher Realität, jene beschimpfen, denen diese Unfähigkeit nicht zur Tugend ward: „Widerstand gegen die repressive Gesamttendenz kann kleinen Minderheiten vorbehalten sein, die sich auch noch dafür beschimpfen lassen müssen, daß sie elitär sich aufführten. Nachvollziehbarkeit ist ein Potential der Menschheit, nicht jetzt, hier, unter den bestehenden Umständen vorhanden. Wohl vermag, was einer verstehen kann, der Möglichkeit nach auch jeder andere verstehen, denn im Verstehen ist jenes Ganze am Werk, durch welches auch Allgemeinheit mitgesetzt wird. Aber um diese Möglichkeit zu aktualisieren, genügt nicht der Appell an den Verstand der anderen, wie sie sind, nicht einmal Erziehung; wahrscheinlich bedürfte es der Veränderung jenes Ganzen, das seinem eigenen Gesetz nach heute weniger das Bewusstsein entfaltet als deformiert.“ (Einleitung in den Positivismusstreit)

Mario Möller

Anmerkungen

(1) Den Begriff benutzten die Autoren, um so etwas wie Biografie und Lebensweg zu umschreiben.

(2) Sofern nicht anders ausgewiesen beziehen sich alle Zitate auf den Text der Gruppe.

(3) Aus dem „Zusammenhang von Ostidentität und nationalem Sozialismus“ wird bei den Sobotkas ein „Zusammenhang von Ostdeutschen und nationalem Sozialismus“. Das verwundert auch kaum, entpuppt sich das ganze Unterfangen doch als Verteidigungsschrift des Zonentums. Aber dazu im weiteren Verlauf mehr.

(4) Ein Beispiel soll genügen: „Reduziert man den Nationalsozialismus und dessen Beständigkeit auf den Osten Deutschlands, fällt man noch vor jene Aussage Adornos zurück….“. Hinter ein bestimmtes Niveau kann man jedoch maximal zurückfallen. Was die unterstellte Reduktion auf den Osten angeht, so mehr im weiteren Verlauf dieses Textes.

(5) Die Autoren stellen die nicht belegbare Behauptung auf, alles würde gleichgesetzt. Mir geht es stattdessen um eine Fortführung bestimmter Traditionsbestände in der DDR: Proletenkult, schaffende Arbeit, Berufsehre, Unterordnung ins Kollektiv. Damit korrespondiert, dass es seitens der Arbeiterschaft in der DDR eine ausgeprägte Feindschaft gegenüber der Verwaltung gab. Das heißt eben auch: gegen „Unproduktive“ waren die Reihen fest geschlossen. Das heißt noch lange nicht, dass es dabei um die Vernichtung wie im NS geht. Es bedeutet nur, dass die strukturelle Feindbestimmung sich an der des NS bzw. traditioneller deutscher Werte orientierte! Über den Einwand, man müsse doch den Unterschied zwischen dem Führerprinzip im NS und der Organisation der DDR-Betriebe beachten, wäre gesondert nachzudenken. Zunächst würde ich entschieden hinterfragen, ob man vom Führerprinzip im Sinne autoritärer und klar strukturierter Befehlswege im NS überhaupt sprechen kann. Franz Neumanns Behemoth wäre diesbezüglich sicher der erste Einwand. Wenn man sich die „Chaosqualifikationen“ in den DDR-Betrieben ansieht und die vielen informellen Strukturen der Materialbeschaffung etc., dann wäre vielleicht sogar der Verweis auf den Racket-Begriff unter bestimmten Vorzeichen fruchtbar.

(6) Damit behaupte ich nicht, dass die Krisenhaftigkeit des Kapitals vermittels solcher Strategien in den Griff zu bekommen sei. Mir geht es nur darum, den Unterschied klar zu machen.

(7) Vgl. Michael Behr, Thomas Engel, Andreas Hinz, Mario Möller: Produktive Leistungsgemeinschaften und erzwungene Arrangements. Ergebnisse einer Beschäftigtenbefragung in der Metall- und Elektroindustrie 2005/ 06 in allen fünf neuen Bundesländern, Jena 2006

(8) Diese Begrifflichkeit bezieht sich auf Matthias Küntzel und meint, dass sich die homogene und harmonische Wir-Gemeinschaft im existenziellen Kampf mit einem äußeren bedrohlichen Feind, als dessen permanentes Opfer man sich fühlt, befindet. Das Ganze kommt auch ohne empirische Juden aus!

(9) In der aktualisierten Version, die in bonjour tristesse 02/ 2008 (Anmerkung 25) abgedruckt ist und auf die sich die Autoren beziehen.

(10) Uli Krug: Krieg der Generationen. Deregulation vs. Nationaler Sozialismus., in: Bahamas Nr. 33., S. 21-24.

(11) ebd., S. 23

(12) Nur am Rande: selbst die organisierten Nazis gelten als Westimport und Form von Unterjochung. Das war Tenor von Leuten, die bei einer kürzlich stattgefundenen Diskussion in Saalfeld mit einem Thüringer Pfarrer, der im Frühjahr für Aufsehen sorgte, da er aus eigener Erfahrung bzw. der seiner indischstämmigen Frau und der Kinder von verbalen wie körperlichen Angriffen berichtete, die ausdrücklich nicht von erkennbaren Neonazis begangen wurden und dass genau das die Besonderheit des Ostens sei. Er wurde als Nestbeschmutzer der Region quasi in den Westen zurück vertrieben, und in der anschließenden Diskussion war es Konsens unter so genannten Antirassisten, dass es in der DDR keinen Rassismus gab, da man ja die „kleinen Negerkinder mit krausem Haar“ so niedlich fand.

(13) Vielleicht sollte die Redaktion einen Wettbewerb starten, um dieses Rätsel, welches sich im letzten Abschnitt der Gruppe befindet, zu entschlüsseln: „So wie die Ablehnung der Gruppenidentität konstituierend sein kann für die Identität des Individuums, so kann umgekehrt diese wiederum Teil eines größeren Kontexts werden. Die Dialektik der Identitäten ist in eine Richtung nicht aufzulösen.“


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last modified: 18.12.2008