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Rohr

review corner Buch, 1.8k

Die Sensation Thomas Bernhard

„Was tust du, wenn du, der du erniedrigst bist, stirbst...“

Literarische Veröffentlichungen zu dem zeitgenössischen österreichischen Autor Thomas Bernhard eint das starke Interesse an seinem scheinbar beliebig deutbaren Werk, weniger an seinem realen Leben. Eine nicht geringe Zahl solcher verheddert sich geschwind in dem von Bernhard gewobenen Netz aus „autobiographischen“ Fakten. Besonderer Augenmerk liegt auf den Schriften „Der Keller“, „Der Atem“, „Die Kälte“, „Ein Kind“, „Die Ursache“. Sie gelten als gute Einführung und Erklärung für sein gesamtes Werk. Dennoch scheint es bedeutsam darauf hinzuweisen, dass trotz unzähliger vermeintlicher Deutungen zu seiner Kindheit, seine Literatur zwar als selbstreflexive wahrgenommen werden sollte, doch in solch bewusster Verarbeitung folgt letztendlich ständig eine distanzierte Verfremdung. Es gilt also, dem Leser aufzuzeigen, dass Bernhard in seiner Prosa ein Selbst konstruiert hat, welches mit der Annäherung an sein Ich nur spielt.
Bernhard forcierte ein prinzipielles Missverhältnis zwischen Handlung und vieldeutiger Rede seiner Protagonisten. Diese Ambivalenz machte gerade verschiedenste Codierungen und Funktionalisierungen seiner Texte möglich.
Die Rarität seiner Selbstkommentare forderten die „Autonomie“ in der Textinterpretation, erlangten den Status von „Spielmaterial“ für die Interpreten.

Diese rätselhafte Unverbindlichkeit wiederum macht es schwer, Bernhard und sein Werk getrennt voneinander wahrzunehmen. Der selbsternannte „Übertreibungskünstler“ betrieb ein lebenslanges „Theatermachen“ im Doppelsinn des Wortes – einer, der auch in seiner Lebensführung „Theater gemacht habe“.
Der Lückenhaftigkeit der Bernhard-Forschung zum Trotz, kann man ihr doch wertvolle Indizien entziehen, die das Verständnis der Bernhardschen Prosa erleichtern sollten.

Thomas Bernhard wurde am 09. Februar 1931 als uneheliches Kind einer Dienstbotin und eines Tischlers, „ das Produkt eines ‚date-rapings`“ in den Niederlanden geboren. Seit 1932 lebte er bei seinen Großeltern in Wien. Unter der Abwesenheit der Mutter und dem Verschwinden des nie gekannten, ihn verleugnenden Vaters leidend, fand er wohl in dem Großvater, dem Heimatdichter Johannes Freumbichler bald den Ersatzvater. Johannes Freumbichler sorgte trotz ärmlicher Verhältnisse nachhaltig für die künstlerische und musikalische Ausbildung des Jungen und wird zur prägenden Persönlichkeit in Bernhards Jugendjahren. Später wird Bernhard diese Zeit als seine glücklichste bezeichnen.
Freumbichler verdankt Thomas Bernhard den Sinn für die Philosophie, für das „Höchste, Allerhöchste“. Auch die Auseinandersetzung mit Montaigne, Schopenhauer, Blaise Pascal ist entscheidend für Bernhards späteres Wirken. In den politischen Urteilen des Großvaters (So verlachte Freumbichler in einer Notiz „die Millionen Dummköpfe“, die den Anschluss an das „Dritte Reich“ begrüßten.) scheint der Enkel Anregungen gefunden zu haben.
Konflikte mit der Mutter führten zur Versendung in ein nationalsozialistisches Erziehungsheim im Thüring`schen Saalheim, später in ein katholisches NS-Internat in Salzburg, auch dies ein Mehr an traumatischen und später literarisch verarbeitbaren Erfahrungen.1947 beendete Thomas Bernhard vorzeitig seine Schulausbildung und begann eine Kaufmannslehre.

Durch eine nicht ausgeheilte Rippenfellentzündung lebensgefährlich an Lungentuberkulose erkrankt, wird der erst 16jährige in ein Sanatorium gebracht und als „Todeskandidat“ deklariert im „Alterszimmer“ abgestellt. Die Schwestern betreten das Sterbezimmer nur noch, um den Pulsschlag zu erfühlen und bei dessen Ausbleiben die Toten heraus an den n o c h Lebenden vorbeizuführen. Dieser Szenarie entwuchs Bernhards energischster Wille: „J e t z t will ich leben… jetzt muss ich w e i t e r atmen.“

Der „existenzentscheidende“ Großvater, zeitgleich mit dem Tode ringend, schied einen Monat später nach ärztlicher Fehldiagnose dahin.
Ein Jahr darauf erlag die Mutter ihrem Krebsleiden.
Verschiedene weitere Klinik- und Sanatoriumsaufenthalte konfrontierten Thomas Bernhard mit der Unausweichlichkeit des Todes: „Wenn wir ein Ziel haben, so scheint es mir, ist es der Tod.“ (Verstörung), „Das Aus ist das Ziel“ (Heldenplatz).
„Es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt“, sagte er 1968 anlässlich der Verleihung des Kleinen Österreichischen Staatpreises. Die Relativierung aller anderen Werte angesichts des Dahinsiechens wurden in Bernhards Werken zu einem wichtigen Motiv.
In der Zeit seiner wiederkehrenden Aufenthalte in verschiedenen Sanatorien entsteht auch die Beziehung zu seinem „Lebensmenschen“, der 37 Jahre älteren Hedwig Stavianicek. Sie wird ihn bis zu ihrem Tod 1984 begleiten und in der „Tante“, wie er sie nannte, deuten Biographen den „Mutterersatz“. Ihrer Bekanntschaft verdankte er die Einführung in die Wiener Gesellschaft.
Im Sanatorium schließlich begann Bernhard auch mit dem Schreiben; die ersten Kurzgeschichten (1950) erschienen noch unter einem Pseudonym.
In den Fünfziger Jahren arbeitete er als Journalist, studierte später am Salzburger Mozarteum. 1963 gelang ihm nach der Veröffentlichung mehrerer Lyrikbände mit dem Roman „Frost“ der Durchbruch. Ab 1970 zählte Bernhard zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Dramatikern.

Wie wird Bernhard gelesen? Seine hauptsächlichen Charaktere sind Denker, überwältigt von etwas, dass die Regeln ihrer intellektuellen Projekte bricht. Es erscheinen Wissenschaftler (Ja!, Die Billigesser), Philosophen (Korrektur, Der Untergeher) oder Musikologen. Einzelgänger, sind es meist, Suicidale, Kranke, angeblich Verrückte. In ihren Monologen spricht der Wahn der grotesken Welt, das Hadern mit der Realität. Kafkaesk mutet manchem Biographen Bernhards Prosa an, auch er stellte sich den bestehenden Verhältnissen mit eisernem Sarkasmus. Wie dem jungen Kafka wurden auch ihm vermehrt Trostlosigkeit und Depressivität vorgeworfen. Marcel Reich-Ranicki zählt Bernhard neben Kafka, Novalis, Büchner und Celan zu „unseren düsteren und zerrissenen Dichtern, diesen Getriebenen und Besessenen, diesen unheilbaren Alpträumern und ewigen Amokläufern der Literatur“.

Ein Blick auf Bernhards Sprachmethodik bietet sich hier als klärendes Moment an.
Was verbirgt sich hinter den endlos verschachtelten, rhythmisch-musikalischen Monologen, auskommend ohne Pausen und Reflexionen?
Die belastende Lungenerkrankung wird als Ursache für seine „atemlose“ Schrift genannt, andrerseits kann die Frage aufkommen, was in diesen eifernden Paragraphen übergangen wird oder verloren geht.
Seine musikalische Verbundenheit betonte Bernhard stets und so liegt die Vermutung, er habe in „Verstörung“ und dem „Untergeher“ sogar konsequent Bachsche und Brahmsche Kompositionsprinzipien angewandt, nicht fern.
Sicher ist, dass die Musik einen gewichtigen, gar „notorischen Gegenstand“ in Bernhards Werk darstellt. Es ist nun nicht der Fall, dass Bernhard explizit über Musik spricht, sie ist vielmehr d a s Kennzeichnende für seine Sprache. Manch einer macht sogar einen „sängerischen Gestus“ in seiner Schreibweise aus, benennt den Wiederholungseifer Bernhards als „Wiederholungsmusik“. Der Autor bestätigt:„…was ich schreibe, kann man nur verstehen, wenn man sich klarmacht, dass zuallererst die musikalische Komponente zählt und dass erst an zweiter Stelle das kommt, was ich erzähle.“ In „Auslöschung“ ist über die deutsche Sprache zu lesen, sie sei „ohne jede Musikalität, ja vollkommen antimusikalisch.

Was bleibt, wenn man sich der Lektüre Bernhards annimmt und absieht von einer bibliographischen Deutung?
Neben Bachmann war er eine der Hauptpersonen in der Auseinandersetzung mit Österreich. Ein von tiefem Hass getriebener Melancholiker.
Zum Skandaldichter avancierte er spätestens nach der „causa Heldenplatz“: 1988 fand die Uraufführung zeitgleich zum 50. Jahrestag des „Anschlusses“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland statt. Es war der intensivste Literatur- und Theaterskandal. Bernhard hatte sich einer massiven Front aus gegnerischer Häme, Spott und sogar Gewaltbereitschaft innerhalb und außerhalb des österreichischen Kultur- und Politikbetriebes zu stellen.

Die „causa Holzfällen“, einer vernichtenden Kritik seiner Jugendfreunde einschließlich der Mäzene, rief einen ähnlichen Eklat hervor. Unter Missachtung des Grundrechts der Kunstfreiheit und aufgrund eines zweifelhaften Gutachtens, das nicht einmal korrekt wiedergegebene und aus dem Zusammenhang gerissend Zitate des Romans anführte, wurde das Buch unmittelbar nach seiner Auslieferung mit polizeilicher Gewalt in allen Buchhandlungen Österreichs beschlagnahmt.
Er hat eine ganze Gesellschaftsschicht, ihren intellektuellen Verfall beschrieben. Seine Literatur hat der österreichischen Gesellschaft den Spiegel vorgehalten, ihre faschistoiden und antisemitischen Anlagen, die österreichischen Befindlichkeiten sichtbar gemacht. Seine Skandale funktionalisierte er in ausgemachter Perfektion, seine „performances“ unterwarfen alle seine „Mitspieler“; zerrte die dünkelhaften Verachteten auf die Bühne, instrumentalisierte sie marionettenhaft, und keinem fiel es ein, aus seinem höchstpersönlichen Spektakel auszubrechen. Die Bestätigung der Bernhardschen Thesen lieferten die Debilen ganz von selbst, indem sie in wutschäumender schier unerträglicher Manier garstige Verunglimpfungen ausstießen, ihn als „Vaterlandsverräter“ betitelten. Die Aufführung „Holzfällens“ gar, wurde als Attacke an „sechs Millionen debile Österreicher“ wahrgenommen, hochrangige Politiker bis hin zum Bundespräsidenten eilten herbei, um sich schützend vor ihr brüskiertes Volk zu stellen.

Was Bernhard als „Heimat“ erlebte, war jedoch von starker Ambivalenz geprägt: „die zweite Schuld“ , das Verschweigen der Barbarei, das Bernhard für gravierender hielt als diese selbst, der kulturpolitische Mief der fünfziger Jahre, der Selbstverrat der Sozialdemokratie und der Avantgarde standen positive Erfahrungen, wie seine tiefe Freundschaft mit Paul Wittgenstein und anderen Gönnern aus dem aristokratischen Umfeld, diametral gegenüber.
Dem deutschen Publikum sei gesagt, dass es nicht ganz sicher ist, ob es im Sinne Bernhards handelt, wenn es annimmt, dass in Österreich immerzu alles am schlimmsten sei. Es finden sich auch zu deutschen Zuständen, klare Aussagen und Interventionen seitens Bernhards. Eine intensive Auseinandersetzung erfolgte in seinen namentlich darauf hinweisenden „Deutschen Stücken“.
Bernhards Drama „Vor dem Ruhestand. Eine Komödie von deutscher Seele“ beispielsweise stellte eine subtile und differenzierte kulturelle Auseinandersetzung mit dem „Deutschen Herbst“ dar. Es thematisiert die damalige Kontinuität des Nationalsozialismus in der bundesdeutschen Justiz und Poltik, also jene verleugnete Macht der NS-Täter nach 1945, die ein wichtiger Auslöser linksterroristischer Waffengänge war.

Elfriede Jelinek (von einer tschechischen Zeitung als „Thomas Bernhard im Rock“ bezeichnet) hatte einst vorausgesagt, „dass an Thomas Bernhard kein Autor mehr vorbeikommen wird. Er ist der größte Stilist und er spricht einen dermaßen selbstgewissen Herrschaftsdiskurs, dass jeder andere Autor an ihm gemessen wird und auch in Zukunft an ihm gemessen werden wird. Er ist das Maß der österreichischen Literatur, und alle übrigen sind das „Andere“. Und keiner wird je mit ihm mithalten können.“

Im Todesjahr des Dichters erfreuen zwei Neuerscheinungen die Literaturwelt. Es sind die ersten aus dem Nachlaß des 1989 Gestorbenen. Zumindest die erste, 1980 entstanden, darf als ernsthafte autobiographische Schrift empfohlen werden. „Meine Preise“ seziert die rituelle Verstümmelung jeglicher zart aufkeimenden Literaturfähigkeit in der brachialen Maschinerie des österreichischen (und auch deutschen) Preisliteraturzirkus. Da wird fast wahllos der nächste Preisträger ausgewählt, um diesen dann bei der öffentlichen Zurschaustellung mit ignorant- dämlichen Grußworten zu demütigen, ihrer Beliebigkeit zu versichern und am der Ehrung folgenden Tage die „Wanze, die man vertilgen müsse“(so ein Wiener Zeitungsredakteur nach einer skandalösen Dankesrede Bernhards) für ihr obligates Fehlverhalten zu tadeln.

Der Staatsbeschimpfer setzt sich in diesem zeitlich an die fünf „autobiographischen“ Erzählungen anschließenden Prosawerk, mit der komödienhaften Huldigung seiner Persönlichkeit durch nicht enden wollende literarische Auszeichnungen auseinander und erlaubt dem Bernhardliebhaber einen Blick auf den „ganzen Bernhard“. Mit Enttäuschungen ist gottlob nicht zu rechnen. Der Meister seziert seine Opfer. Die öffentlichen Dichterehrungen verabscheut er, ist sich dennoch nicht zu wohlfeil, eine solche und die mit ihr verbundenen Preisgelder auszuschlagen, auch die sich anhäufenden durch Immobilienkauf verursachten Schuldenberge abzuzahlen. Die Ambivalenz, mit der er gleichzeitig selbstüberzeugter Träger des Büchnerpreises ist oder die Vergabe n u r des kleinen Österreichischen Staatspreises beklagt und dafür widerlichste Übelkeiten ausstehen muss, bspw. in illustrer Runde selbst einmal als Juror in einer delikaten Diskussion mit dem Satze konfrontiert wird, man könne doch nicht noch einen Juden als Preisträger bestimmen, verwandelt Bernhard zu realsatirischen Köstlichkeiten. Diese Zumutungen liefern ihm nur neuen Stoff, seinen unlimitierbaren Hass auf das „Schranzentum“ Österreichs niederzulassen.

Da der Veröffentlichungstermin für die zweite Neuerscheinung (, die eine solche gar nicht mehr ist, da seit Januar 2009 bereits ein Hörbuch mit Ausschnitten des Buches existiert) „Der Briefwechsel- Thomas Bernhard- Siegfried Unseld“ bereits mehrere Male nach hinten verschoben wurde, kann man nur hoffen, dass der 13. Mai 2009 nun unverrückbar feststeht und sich ähnlich beachtliches erwarten lässt wie bei „Meine Preise“.

EDTA

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last modified: 22.4.2009