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CEE IEH live

Kommunismus – Aber wie?

Die „freie Entfaltung der Einzelnen“ und „die Rücknahme der Staatsgewalt durch die Gesellschaft“ (Marx)


In den Ländern, in denen im 20. Jahrhundert der Sozialismus eingeführt wurde, entstanden stark verstaatlichte Gesellschaften. In der Kritik des Gothaer Programms aber hatte Marx proklamiert: „Die Freiheit besteht
Do., 21.05.2009, 19:30 Uhr
Conne Island

Referieren werden Hannes Gießler und Peter Christoph Zwi. Nach dem Referat besteht die Möglichkeit zur Diskussion.

darin, den Staat aus einem der Gesellschaft übergeordneten in ein ihr durchaus untergeordnetes Organ zu verwandeln“. An anderen Stellen hatte Marx die „freie Entfaltung eines jeden“ beziehungsweise die „Aufhebung des Widerstreits von Individuum und Gattung“ proklamiert. Stattdessen aber wurde in den sozialistischen Gesellschaften der Widerstreit tendenziell zuungunsten des Individuums „gelöst“. Was war geschehen?
Um kommunistischer Gesellschaftskritik die Treue zu halten und eine entsprechende Praxis dereinst wieder möglich und wünschenswert werden zu lassen, müssen mit kritischer und begrifflicher Schärfe unter anderem diese beiden Fragen beantwortet werden: Warum die sozialistischen Gesellschaften starke Staaten als auch die Unterordnung des Individuums zeitigten? Ihnen wird sich auch die Veranstaltung widmen, und zwar unter Bezugnahme auf Karl Marx, Theodor W. Adorno, Georg Lukács und die Situationisten.

Hannes Gießler wird zu Marx und Adorno sprechen. Zuerst wird er die Marxschen Ziele, nämlich Freiheit des Individuums und möglichst wenig Staat, herausstellen und mit den Realitäten im „real existierenden Sozialismus“ konfrontieren. Dann wird er bestimmte Dispositionen und blinde Flecken im Marxschen Werk, die möglicherweise zur Entwicklung des „real existierenden Sozialismus“ beigetragen haben, aufzuzeigen versuchen. Dabei wird er zurückgreifen auf die Philosophie Adornos, dem sich angesichts der Entwicklungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Frage aufdrängt, wie das Kapital aufgehoben werden kann, ohne damit einen völkischen oder realsozialistischen Kollektivismus heraufzubeschwören. Adorno hält also an dem Ziel fest, das Kapital aufzuheben, sieht aber deutlich, dass diese Aufhebung mit der Gefahr verbunden ist, hinter Errungenschaften der kapitalistischen Moderne zurückzufallen. Um diese Fragen zu beantworten, taucht Adorno tief in den philosophischen Kategorienkosmos ein und wartet mit überraschenden Ergebnissen auf: Hatte etwa Georg Lukács in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts besonders Marx' Entfremdungs- und Verdinglichungskritik zustimmend aufgegriffen, richtet Adorno genau dagegen seine Kritik – Entfremdung und Verdinglichung seien Bedingungen von Humanität und Individualität. Die Aufhebung von Entfremdung und Verdinglichung hingegen birgt die Gefahr der Abschaffung von Individualität und Humanität zugunsten einer verwalteten Welt und Kollektivität. Doch was bedeuten diese Einsichten hinsichtlich der Aufhebung des Kapitals?

Der zweite Referent, Peter Christoph Zwi, wird über das Spätwerk Georg Lukács', das im osteuropäischen Kontext entstand, und die theoretische Praxis der Situationisten im westlichen Europa vor und nach 1968 sprechen. In seinem Spätwerk beschäftigt sich Lukács, ebenfalls in grundlegender Auseinandersetzung mit dem philosophischen Kategoriensystem, mit den Bedingungen der Freiheit des Einzelnen, die im „real existierenden Sozialismus“ unterminiert worden ist. Genauer: Er beschäftigt sich mit der Ontologie von Allgemeinem, Besonderem und Einzelnem. Denn im Verhältnis des Ganzen zu seinen Teilen als auch zu seinem Nichtidentischen bestimmt sich Freiheit historisch konkret als je individuell und zugleich in revolutionärer Assoziation zu erringende „Gattungsmäßigkeit für sich“. In seinen stalinismuskritischen Überlegungen zu möglichen kommunistischen Übergangsformen der Totalität des gesellschaftlichen Seins  hält Lukács allerdings an der Notwendigkeit einer neo-leninistischen, parteistaatlich repräsentierten und regulierten Rätedemokratie fest. Dem möchte Zwi die Konzeption der Situationistischen Internationalen gegenüber stellen, die zeitgleich mit Lukács die modernen Möglichkeiten einer „Rücknahme der Staatsgewalt durch die Gesellschaft“ (Marx)  nach dem Modell der Pariser Commune beziehungsweise proletarische Organe einer “generalisierten Selbstverwaltung“ postuliert  hat, welche zwar noch bestimmte „staatsanaloge“ Aufgaben einer Klassenherrschaft  im Sinne der durch nichts außerhalb ihrer zu repräsentierenden individuellen „Zivilisierten“ übernehmen müssten,  aber zugleich für die „Klasse des Bewußtseins“ nicht nur nominell, sondern auch tatsächlich „kein Staat im eigentlichen Sinne mehr“ sein dürften. Die radikale Überwindung jeder Verdinglichung und Entfremdung in den Alltagsverhältnissen der gesellschaftlichen Individuen sei dafür ebenso Bedingung wie Resultat.

Klammerbeutel



Hannes Gießler, Jg. 1979, Leipzig, Autor des CEE IEH und Mitglied der Gruppe in Gründung (Leipzig).

Peter Christoph Zwi, Jg. 1951, Frankfurt am Main, unter anderem Coautor von: Situationistische Revolutionstheorie (Bd. 1 & 2), Schmetterling Verlag 2005, und Mitverfasser zweier Beiträge in dem Buch: Spektakel – Kunst – Gesellschaft, Verbrecher Verlag 2006.

Mit freundlicher Unterstützung der Rosa Luxemburg Stiftung

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last modified: 22.4.2009