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Die Verdinglichung gesellschaftlicher Verhältnisse im Subjekt

Natur und Geschlecht als Grenzbegriffe

Gesellschaft und Natur, Gesellschaft als zweite Natur, die Naturalisierung gesellschaftlicher Verhältnisse

Ich teile Maihofers Vorsatz Geschlecht (obwohl es, wie im letzten Teil gezeigt, einen Grenzbegriff zwischen Natur und Gesellschaft darstellt) primär vom Standpunkt der Gesellschaft aus zu bestimmen (wobei dazu diese ihrerseits erstmal zu bestimmen wären, was Maihofer auslässt), weil die Gesellschaftsformation, in der wir dies tun, eine gewisse, man könnte sagen – durchschlagende – Dominanz und Determination gegenüber ihren Hervorbringern aufweist bzw. es stellt sich dar, als ob es so wäre, womit die Dominanz auch wirklichkeitskonstitutierend wirkt. Weil die warenproduzierende Gesellschaft sich gerade nicht durch einen mimetischen Umgang mit Natur kennzeichnet und Naturunterdrückung und -beherrschung zu ihren Grundmomenten zählen, kann man annehmen, dass eine eigentliche Natur (nimmt man die Abstraktion mal an) den geringeren Anteil am Geschlecht stellt. Es dominieren die gesellschaftliche Bedeutung und Funktion des Geschlechts und die Verarbeitung des Verhältnisses zur Natur, die sich in der naturalisierten Geschlechterdualität ausdrückt.
Durch einen theoretischen Zugang zur kapitalistischen Gesellschaft über Natur wird man bei Marx schnell fündig: Er kritisiert, dass sich die Gesellschaft vollzieht, als sei sie selber Natur, als unterliege sie Naturgesetzen, denen der Mensch als eigentlicher Produzent der Gesellschaft unterworfen ist. Marx wendet Hegels inhaltliche Bestimmung des Begriffs der ersten Natur auf die zweite an. Gesellschaft – diffamiert als zweite Natur – vollzieht sich blind, begriffslos, zufällig und schicksalshaft. Der Mensch sei noch nicht aus der Naturgeschichte (meint hier einfach: Darwins Evolutionstheorie vom Fressen und Gefressen werden, von Anpassung, und Überleben des Angepasstesten …) hervorgetreten, noch befände er sich in Naturverfallenheit, weil die Produktion plan- und zusammenhangslos den Menschen als objektive Gesetzmäßigkeiten, die sie nicht lenken, gegenübertritt. Bei Friederich Engels heißt es dazu, daß Darwin deshalb die Evolution erkennen konnte, weil er in der kapititalistischen Gesellschaftsordnung lebte und es dort genau so zu geht – was im Umkehrschluss nicht hieße, daß die Lehre von der Evolution Quatsch ist oder nur für Menschen existiert, die im Kapitalismus leben. Ebenso könnte man denken, das diese Erkenntnis zwar nur möglich auf Grund der Gesellschaftserfahrungen der Konkurrenz war, aber dennoch in der Natur diese Prozesse (neben anderen) tatsächlich stattfinden.
Naturbeherrschung, die umschlägt in Naturverfallenheit, ist auch das Grundthema der Dialektik der Aufklärung von Horkheimer und Adorno. Die herrschaftsförmige Vernunft, auch als Aufklärung bezeichnet, werde zum Opfer der eigenen Herrschaftsansprüche. Aufklärung, so wird kritisiert, setze den Naturprozess einfach fort, erreiche so Naturbeherrschung, aber enthalte auch das Potential zur Befreiung – aber nur gegen den Strich gebürstet – sonst zerstöre sich das Ganze selbst – daher: negative Dialektik. Eine Befreiung von Naturabhängigkeit (im Sinne eines Strebens nach absoluter Freiheit) über Herrschaft sei zum Scheitern verurteilt, weil die Gebundenheit des Menschen als selber Natur an Natur nicht überwindbar sei. Jeder Versuch der technischen Überwindung der Naturbedingtheit oder der perfekteren Ausbeutung bzw. Verwertung der Natur, treibe die Individuen weiter in die Abhängigkeit des gesellschaftlichen Naturzusammenhangs.(1)
Marx bezeichnet die Geschichte der bisherigen Gesellschaft im Vorwort zum Kapital Band 1 als einen „naturhistorischen Prozeß“ oder in den Grundrissen als „objektiven Zusammenhang der naturwüchsig entsteht“, das meint: Die naturhafte Geschichte muß gebrochen werden, will der Mensch sich emanzipieren.
„Sosehr nun das Ganze dieser Bewegung [der Zirkulation] als gesellschaftlicher Prozeß erscheint, und sosehr die einzelnenen Momente dieser Bewegung [tauschen, kaufen und verkaufen, arbeiten usw.] vom bewußten Willen und besonderen Zwecken der Individuen ausgehn, sosehr erscheint die Totalität des Prozesses als ein objektiver Zusammenhang der naturwüchsig entsteht; zwar aus dem Aufeinanderwirken der bewußten Individuen hervorgeht, aber weder in ihrem Bewußtsein liegt, noch als Ganzes unter sie subsumiert wird.“(2)
Zwar sind bewußte Handlungen der Gesellschaftsteilnehmer Motor ihres gesellschaftlichen Zusammenhangs, aber dieser weist eine Dynamik auf, die über Kraft und Ziel der einzelnen Akte oder auch über Kraft und Ziel der Summe aller Handlungen hinausgeht. Gelenkt, gesteuert oder irgendwie vernünftig gestaltet läuft der Vergesellschaftungsprozeß nicht ab, nein, er unterwirft die, die ihn konstituieren. Die Gesellschaftsmitglieder werden zu Anhängseln des sich immer schneller bewegenden automatischen Subjekts über das sie sich erst zur Gesellschaft vermitteln. Ihr gesellschaftlicher Zusammenhang ist unbeherrscht wie Naturgewalten und vollzieht sich einer inneren Logik nach wie ein Naturgesetz.
„Solcher gesellschaftliche Naturbegriff hat seine eigene Dialektik. Die Naturgesetzlichkeit der Gesellschaft ist Ideologie, soweit sie als unveränderliche Naturgegebenheit hypostasiert wird. Real aber ist die Naturgesetzlichkeit als Bewegungsgesetz der bewußtlosen Gesellschaft ...“ (3)
Wissenschaftliche oder philosophische Reflexionen auf diese sich wie Natur verhaltende eigendynamische Gesellschaft vermögen es häufig nicht den fetischistischen Schein der Natürlichkeit von Gesellschaftlichem zu destruieren. Die verdinglichten gesellschaftlichen Bewegungen zu scheinbar natürlichen Eigenschaften vom Menschen schlechthin, begegnen uns in Sprüchen wie „Der Mensch braucht Herrschaft, denn er ist von Natur aus egoistisch.“ oder: „Männer sind rational und Frauen emotional.“ Dem verdinglichten Denken widmet Marx sich in der sog. Wertformanalyse(4): verdinglichtes Bewußtsein hält gesellschaftliche Qualitäten (z.B. Wert eines Produkts in Warenform) für natürliche, dem Wesen des Dings zugehörige Eigenschaften. In diesem Prozeß (von Georg Lukács als Verdinglichung bezeichnet) erstarrt gesellschaftliche Dynamik zu geschichtsloser Natur.
Dabei sind die gesellschaftlichen Naturgesetze in ihrer Geschichte als erstarrte Geschichte zu begreifen: Marx setzt zwei Möglichkeiten von Naturverständnis: dem ideologischen, in dem Natur als unveränderlich und konstant, als von menschlicher Geschichte völlig unbeeinflußt und selber geschichtslos gilt. Und einem reflektierten, der Natur eben in ihrer Vermittlung mit Mensch und Gesellschaft als veränderlich begreift. Und so wie Natur ihrer Geschichte im ideologischen Verständnis beraubt wird, ist analog dazu Geschlecht zu verstehen (dazu weiter unten).
Also zum einen verläuft die warenproduzierende Gesellschaft naturprozeßartig, zum anderen hat sie ihrerseits die Tendenz sich selber zu naturalisieren, d. h. sich und ihre spezifischen Kategorien und Gesetzmäßigkeiten als allgemein Menschliche hinzustellen. Sie gelten gemeinhin als jeder menschlichen Gesellschaft eigen, weil sie aus der Natur, dem Wesen des Menschen entspringen. Das passiert in bewußten und weniger bewußten, d.h. ideologischen Verarbeitungen der Verdinglichung gesellschaftlich entstandener und hervorgebrachter Verhältnisse. Zum Beispiel im Produkt in Warenform, das an sich wertvoll zu sein scheint, das Wert ist. Verdinglichtes Bewußtsein nochmal von Marx beschrieben:
„Der Mystizicmus der Waare entspringt also daraus, dass den Privatproduzenten die gesellschaftlichen Bestimmungen ihrer Privatarbeiten als gesellschaftliche Naturbestimmtheiten der Arbeitsprodukte, das die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse der Personen als gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen zueinander und zu den Personen erscheinen. Die Verhältnisse der Privatarbeiter zur gesellschaftlichen Gesamtarbeit vergegenständlichen sich ihnen gegenüber und existieren daher für sie in den Formen von Gegenständen.“ (5)
Wenn die Verhältnisse sich der Naturalform der Dinge bemächtigen, werden diese dementsprechend ihrer wirklichen Eigenheit entkleidet. Sind Produkte in Warenform Wert, gelten sie als Wert; es wird von ihrer konkreten Sinnlichkeit und Dinglichkeit abgesehen. Sie sind dann Träger von Wert. Um das zu sein, reicht es aus, für irgendwen irgendeinen Gebrauchswert darzustellen. Welcher ist gleich. Das gesellschaftliche Vermittlungsverhältnis läuft darauf hinaus, dass von der Sinnlichkeit der Produkte, also vom dinglichen Reichtum, abgesehen wird. Als Ware ist das Produkt sein Gegenteil. Seine materielle Qualität kann sich nur in irrationalen Erscheinungsformen, nämlich als Wert, äußern.(6) Indem die Produkte als Verkörperung ihres Gegenteils, des Werts nämlich, auftreten, werden sie reduziert auf irgendein materielles Substrat, das nur die Vorbedingung, die Grundlage für die gesellschaftliche Abstraktion Wert darstellt, von der dann wiederum (wenn Ware zu einer der beiden Erscheinungsformen des Kapitals wird) abstrahiert wird. Natur hier in Form eines Produkts, genau genommen bearbeitete Natur, wird zur bloßen Funktion im objektiven Naturprozeß der Gesellschaft.
Dennoch: Da die Produkte als Waren tote, dinghafte Realität sind, die als objektive Notwendigkeit menschliches Leben wie Schicksal beherrscht, stellen sie zugleich auch – verdeckt und verschleiert – die Verkörperung des menschlichen Stoffwechsels mit der Natur dar. Es ist eine fetischistische Verkehrung, dass im Kapitalismus die Natur unwichtige, irrelevante und unbedachte Vorbedingung für den scheinbar tatsächlichen Zweck der Produktion, nämlich der Wertschöpfung darstellt.
In Marxens reflektiertem Naturbegriff tritt Natur nie als ursprünglich Gegebenes auf. Immer wird sie in der Widerspieglung im menschlichen Bewußtsein begriffen. Die Natur ist nicht für sich, sondern, und damit ist ein aufklärerischer Anspruch verbunden, soll für uns, den Menschen sein. Noch ist sie es nicht, der Mensch begegnet der Übermacht der Natur mit Gewalt, Naturbeherrschung bleibt bzw. verstärkt die Naturverfallenheit. Die Naturbeherrschung richtet sich gegen den Menschen, sein Zusammenleben ereignet sich ebenfalls wie Natur. Wiederum ist der Mensch unterworfen und geknechtet, nunmehr von dem gesellschaftlichen Zusammenhang, den er selbst – unbewusst und undurchschaut – mit seinen eigenen Handlungen konstituiert.

Geschlecht als Strukturkategorie – Naturbeherrschung und Weiblichkeit

Der Naturbegriff, den Marx (und im Anschluß an ihn die Kritische Theorie) vertritt, ist gekennzeichnet durch Auslassungen und blinde Flecke bezüglich des Geschlechterverhältnisses als Austragungsort der Gesellschaft-Natur-Dialektik. Die Identifikation von Frau mit Natur, von Natur mit weiblich wurde unkritisch übernommen. Auch Alfred Schmidts Arbeiten zum Marxschen Materialismus(7) geben sich geschlechtsneutral, er spricht vom Menschen an sich – auch in seiner Beschäftigung mit menschlicher Natur und materialistischer Anthropologie. Trotz dieser ignoranten Neutralität (Landweer) stellt sich die Frage, ob seine fetischkritischen Betrachtungen des Marxschen Naturverständnisses nicht doch auch Mittel bereit hält, um den Ort der Austragung des beherrschenden Mensch-Naturverhältnisses – das Geschlechterverhältnis – auf der Ebene theoretischer Konzeptualisierungen zu betrachten. Wenn Schmidt lediglich vom Menschen an sich spricht, kann er konsequenterweise nicht verstehen, mit welcher Gewalt der Begriff des Menschen gegen die einzelnen durchgesetzt wurde. Eine Kritik an der Subjektform läßt er vermissen. Soll der Begriff des Menschen alle Einzelnen umfassen, handelt es sich um einen in die Zukunft gerichteten Begriff, der davon absieht, dass der Mensch in der sachlichen Vergesellschaftung ein geschlechtlich bestimmtes Wesen ist und dass Naturbeherrschung in der Konstruktion zweier scheinbar natürlicher Genusgruppen, als Verhältnis von autonomen Geist- und Kulturschöpfer (und
-geschöpf) Mann und umsorgendes, erdverbundenes Naturwesen Frau bearbeitet wird.
Den beiden Genusgruppen korrespondiert eine Aufspaltung der Gesellschaft in einen öffentlichen Bereich (Wirtschaft, Politik, Recht usw.) und eine private Sphäre (Familie, Kinder, Pflege). Ich meine gesellschaftliche Strukturen, die heute aufweichen, oder besser gesagt, sich aus ehemals äußeren Strukturen immer weiter in das Individuum verlagern. In dem Sinne, dass heute die klassische Arbeitsteilung der Geschlechter verstärkt jedes einzelne Individuum, ob Mann oder Frau, mit sich selbst auszumachen hat. Die klassische Sphärentrennung in öffentlich und privat hat weiterhin ihre Wirksamkeit, obwohl die Frau sich doppelt vergesellschaftet (Becker-Schmidt) und der moderne Mann auch mal zwei Monate Babypause einlegt. Diese Modifikationen heben Trennung und Geschlechtsspezifik nicht auf, darum bleibt auch die Analyse von Elvira Scheich zum Zusammenhang von naturalisierenden Geschlechtskonstruktionen und deren gesellschaftskonstituierender Wirksamkeit im Konnex des Umschlagens von Naturbeherrschung in Naturverfallenheit aktuell. Sie begreift „das Patriarchat als eine Konstitutionsbedingung formaler Vergesellschaftung.“ Das verdeutlicht sich, „wenn nicht allein die Negation der Produktion, den Bezugspunkt der Kritik bildet, sondern zugleich auch deren Komplement, die private Reproduktion“. (8)
Scheich arbeitet in ihrer Auseinandersetzung mit dem kritischen Theoretiker Alfred Sohn-Rethel zwei „Formen der Gesellschaftlichkeit von Biologie“(9) heraus: Abstraktion und Legitimation. Abstraktion meint die Degradierung von Natur zum Träger gesellschaftlicher Verhältnisse, spricht die fetischistische Verkehrung an, die gesellschaftliche Qualitäten der Dinge als deren natürliche Eigenschaften erscheinen läßt. Dinge ist hier übergreifend gemeint, da ja die gesellschaftliche Funktion des Geschlechts als Strukturkategorie der Gesellschaft im und am menschlichen Körper verdinglicht wird. Demnach ist Abstraktion ein Synonym zu Georg Lukács Begriff der Verdinglichung. Die zweite Form, Legitimation verweist auf die Funktion biologistischer Erklärungen sozialer Sachverhalte, nämlich ein gesellschaftliches System darüber zu stabilisieren und ideologisch zu untermauern, daß notwendige Funktionen der Gesellschaft aus der allgemeinen Natur des Menschen erklärt werden. Und was der Natur derart zugehörig erklärt wird, ist damit statisch und gegeben und nicht veränderbar. So die weiblichen Stereotype von Emotionalität und Sorgsamkeit, die diejenigen gesellschaftlichen Aufgaben stützt, übernimmt, die sich nicht profitabel oder nur unter Qualitätsverlust wertförmig organisieren lassen(10). Beide Formen der Gesellschaftlichkeit von Natur finden sich auch bei Marx, aber nicht in Bezug auf die Stellung der Frau in der kapitalistischen Gesellschaft. Scheich bezieht sich auf Sohn-Rethel, da sie bei ihm Weglassungen und Abwesenheiten exemplarisch offenlegt, die aus der Trennung von Produktion(11) und Aneignung (Konsumtion) resultieren.
In der sich mit der Trennung von Produktion und Reproduktion herausbildenden neuen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern, verdoppelt und spaltet sich zugleich das Naturverhältnis.(12) Es verdoppelt sich, indem zweierlei Naturumgang gelebt wird, es spaltet sich über die gesellschaftliche und subjektive Abspaltung der Naturgebundenheit und -bedingtheit.
„Ein zentrales Moment, über das die Abspaltung(13) eines anderen Naturverhältnisses gesellschaftlich organisiert ist, lässt sich im Verhältnis der Geschlechter erkennen. Im Gegensatz zur Rationalisierung und Formalisierung von Politik, Ökonomie und Natur erscheint der weibliche Lebenszusammenhang, Hausarbeit und generative Fähigkeiten der Frauen als unmittelbar einheitliches, natürliches Geschehen.“ (14)
Aber nicht nur die gesellschaftliche Reproduktion der Gattung Mensch oder die Erledigung unprofitabler aber notwendiger Arbeiten wird im Kapitalilsmus über die Naturalisierung des weiblichen Geschlechts strukturiert. Das Bild von der natürlichen Frau ist ebenso nötig zur Subjektkonstitution. Hier wird die eigene Naturgebundenheit und -bedingtheit psychisch abgespalten und verkehrt verarbeitet. Das männlich-autonome Subjekt baut sich unter Absehung realer Natürlichkeit auf. Diese These Sohn-Rethels erweitert Scheich: Diese abgespaltene Naturgebundenheit wird zum Zweck der Selbstdisziplin, der Naturbeherrschung am eigenen Leib(15) bei der Frau verortet. Historisch konstituieren sich männliche und weibliche Körper unterschiedlich, der männliche unter Abstraktion vom eigenen Natursein, der weibliche gerade als der Inbegriff von Natur.
Die Funktion des Körpers als Träger gesellschaftlich – auch unbewusster – Bedeutungsgehalte bestimmt diesen zu einem priviligierten Ort, an dem sich die soziale Differenz der Geschlechter und ein geschlechtsspezifisch gespaltenes Naturverhältnis niederschlagen und wieder auffinden lassen.(16)
Die Naturalisierung des gesellschaftlichen Menschen sowie die „Identifizierung des weiblichen Geschlechts mit den gesellschaftlichen und biologischen Funktionen der Reproduktion führte dazu, die neue Grenze zwischen Kultur und Natur entlang der sozialen Differenz der Geschlechter zu fixieren.(17)
Frauen sind in der Warengesellschaft doppelt vergesellschaftet (Becker-Schmidt). Das klassische Subjekt ist der Mann, der seine Gesellschaftlichkeit durch den Ausschluß der Frau aus der Gesellschaft setzt. In diesem Sinne werden Frauen zum Komplement des Subjekts. Die Subjektkonstitution geschieht mittels Beherrschung und Unterdrückung der eigenen Natur. Die psychische Abspaltung der eigenen Naturabhängigkeit wird über Projektion verarbeitet. Das Projektionsobjekt ist die Frau, sie wird zum quasi reinen geschichtslosen Naturwesen. Für sie bedeutet das, dass sie Gesellschaft zwar über ihre Reproduktionsleistung wesentlich mitträgt, ihr aber ihre Gesellschaftlichkeit mit der Begründung abgesprochen wird, sie genüge nur ihrer Natur, wenn sie sich liebevoll um Mann, Heim und Kind kümmert. Heute ist sie gleichermaßen warengesellschaftliches Subjekt und nimmt als solches an Kapitalakkumulation und Tauschabstraktion teil. Frauen treten ebenso als Charaktermasken des sich verwertenden Werts auf und müssen in sich ebenso wie die Männer die Subjektstruktur aufbauen. Damit bedürfen sie ebenfalls einer Abspaltung des Natürlichen. Frauen befinden sich heute im Dilemma einerseits autonome Subjekte zu sein und als solches die eigene Natur zu beherrschen und andererseits Natur zu repräsentieren. Beides vergesellschaftet sie, sowohl Natur zu sein, wie auch Natur abspalten zu müssen. Und hier (in der doppelt vergesellschaften Frau) zeigt sich das Grunddilemma des Subjekts, nämlich zugleich Natur zu sein, wie auch sie beherrschen zu müssen.
Die Kategorie ‚Geschlecht‘, die Aufspaltung der Menschen in Kulturwesen und Naturwesen verweist auf die Dialektik von Natur und Gesellschaft, die aus Naturunterdrückung resultiert. Carmen Gransee betont in kritischer Anknüpfung an Scheich,
„Den unterschiedlichen Formen der Naturvergessenheit korrespondieren die Variationen des Phantasmas des Weiblichen. Geschlechterdifferenz stellt in dem Sinne eine Chiffre dar, die auf etwas anderes verweist: die Unentrinnbarkeit der Naturgebundenheit der menschlichen Existenz und ihre gleichzeitige Leugnung. In der projektiven Konstruktion von Weiblichkeit wird somit ein Grenzphänomen zur Darstellung gebracht, das sich Vereindeutigungen wie willkürlichen Abspaltungen widersetzt, zugleich aber geeignet scheint, um unentrinnbare Trennungsphänomene zu spiegeln. (Gransee, Carmen, Grenz-Bestimmungen, Zum Problem identitätslogischer Bestimmungen von „Natur“ und „Geschlecht“, Hannover 1999, S. 204)
Das duale Geschlechterverhältnis ist also als Ausdruck des fortbestehenden, gegensätzlichen destruktiven herrschaftlichen Natur-Gesellschafts-Verhältnisses zu sehen. Die naturalisierte Weiblichkeit drückt hier als Grenzphänomen, die Unüberwindlichkeit der Naturgebundenheit und die Notwendigkeit ihrer Leugnung unter gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen aus.

Geschlecht, Natur und Erkenntnis

Es sollte deutlich geworden sein, dass Natur selber schon Vermitteltes, im Konnex Weiblichkeit und Geschlecht bearbeitet wird. Der Mensch ist besondere Natur, weil er sich von Natur, also auch von sich selbst abhebt, indem er ein Bewußtsein von sich entwickelt. Zurückfallen in Bewußtlosigkeit bloßer Natur flößt Angst ein, äußere Natur bedroht den schlecht angepaßten Menschen in seiner Existenz, darum strebt er nach absoluter Unabhängigkeit von ihr. Die Dialektik der Aufklärung besteht darin, dass sich das Streben nach völliger Freiheit in absolute Abhängigkeit und Verfallenheit umkehrt, aber dennoch die Möglichkeit völlig freier Individualität erzeugt. Die Eigendynamik der kapitalistischen Produktionsweise ist die Spitze der Naturverfallenheit. Aus Angst vor Natur schaffte der Mensch sich eine künstliche Welt, die wieder nur wie Naturgewalten über den Menschen rollt. Freiheit bleibt im Kapitalismus Utopie. Adorno sieht die Verwirklichung der Freiheit in der Versöhnung mit der Natur liegen. Versöhnung: Das bedeutet die Trennung bleibt bestehen, Natur und Gesellschaft lösen sich nicht ineinander auf. Der Mensch freundete sich mit seinem Naturdasein an – dazu gehört wohl auch die Akzeptanz von Vergänglichkeit. Noch wird Natur als das sowohl ersehnte, wie auch erbittert gefürchtete und darum beherrschte in den identitätslogischen Konstruktionen von Weiblichkeit gespiegelt und fehlbearbeitet. Das Bild der Frau oder Weiblichkeitsvorstellungen enthalten neben der Erinnerung an eigene Naturgebundenheit so etwas wie ein Glücksversprechen auf Versöhnung mit Natur. Ebenso offenbart sich in der weiblichen Subjektivität die Disparität der heutigen Individuen. Als Subjekt müssen sie Natur abspalten und beherrschen, die sie doch gleichzeitig selber sind.
So spannend die Frage auch ist, mir ging es nicht darum zu klären, ob der menschliche Körper qua ursprünglicher Natur ein geschlechtlicher ist. Oder, ob die vorhandenen Geschlechtscharaktere und Geschlechteridentitäten aus der Beschaffenheit der natürlichen unterschiedlichen Geschlechtskörper resultieren. Auch die Fragen der theoretischen Gegenrichtung nach der sozialen Konstruktion von Geschlecht sind meines Erachtens nach noch zu sehr in der Natur-Kultur-Dichotomie und ihren ideologischen Verarbeitungen zur Legitimation des bestehenden Geschlechterverhältnisses verhaftet. Zudem verlieren diese Ansätze die Befreiung des Menschen aus dem Blick, die Freisetzung nicht nur von den Lasten, die ein Naturdasein mit sich bringt, sondern gerade auch von einer Gesellschaft, die ihrerseits sich ihnen gegenüber wie Natur gebärdet und eine zweite Natur aus den Naturalisierungen des Gesellschaftlichem schafft . Das weibliche Geschlecht stellt die Naturalisierung der Abspaltung und die Abstraktion der eigenen Natur dar (Stichwort: Subjektkonstitution). Dabei wird die Gesellschaftlichkeit der Weiblichkeit und des weiblichen Lebenszusammenhangs ihrerseits verleugnet und als unmittelbar dargestellt. Die Vermittlung des scheinbar Unmittelbaren aufzuzeigen, ist bei der Frage „Was ist Geschlecht?“ der Vorzug zu geben.

Micha Böhme

Im CEE IEH #164 erschien der erste Teil dieses Textes.

Anmerkungen

(1) Zur Übersicht vgl. F. Volpi, Werkvorstellung der Dialektik der Aufklärung
in: Großes Werkelexikon, S. 9

(2) Karl Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, Berlin, 1953, S. 111. [Hervorhebung M.B.]

(3) Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, GS 6, Frankfurt a.M., S. 349

(4) Vgl. Karl Marx, Das Kapital Bd. 1, MEW 23, S. 62

(5) Karl Marx, Das Kapital, Urfassung von 1867, Hildesheim 1980, S. 39 [Hervorhebung M.B.]

(6) Vgl. Hans-Georg Backhaus, Zur Dialektik der Wertform, Untersuchungen zur marxschen Ökonomiekritik, Freiburg 1997

(7) Z.B. Alfred Schmidt, Der Begriff der Natur in der Lehre von Karl Marx, Frankfurt 1962

(8) Elvira Scheich, Naturbeherrschung und Weiblichkeit, Denkformen und Phantasmen der moderenen Naturwissenschaften, Pfaffenweiler 1993, S. 69

(9) a. O. Scheich, S. 273

(10) Vgl. u.a. Roswitha Scholz, Der Wert ist der Mann, Das Geschlecht des Kapitalismus

(11) Scheich übernimmt von Sohn-Rethel den überhistorischen Begriff von Produktion, der jeglichen menschlichen Stoffwechselprozeß mit der Natur meint.

(12) Vgl. a.O. Scheich, S. 99

(13) Der Begriff der Abspaltung entstammt der Psychoanalyse und verweist auf die psychische Struktur des bürgerlichen Subjekts, das sich als Autonomes nur begründen kann, indem es die eigene Naturgebundenheit und Sterblichkeit von sich abspaltet und auf Andere projiziert. Nicht nur das hierarchische Geschlechterverhältnis auch der Rassismus hat hierin seine psychischen Ursprünge.

(14) a.O. Scheich, S. 39 [Hervorhebung M.B.]

(15) a. O. Scheich, S. 154

(16) a.O. Scheich, S. 131

(17) a.O. Scheich, S. 261

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last modified: 22.4.2009