home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[163][<<][>>]

Das bürgerliche Subjekt und sein Anderes

Zur Subjektivierung der Geschlechtscharaktere.

Wenn es auch spätestens seit Simone de Beauvoir zum Gemeinplatz geworden ist, dass die Frau nicht als solche geboren, sondern dazu gemacht wird, halten sich hartnäckig bis heute die Bilder von der passiven, gefühlvollen, empathischen Frau und des aktiven, durchsetzungsfähigen, sich selbst kontrollierenden Mannes. Die Konnotationen und Assoziationen darüber, was Männlichkeit bedeutet und was unter Weiblichkeit zu verstehen ist, reproduzieren sich weiterhin und werden recht erfolgreich in Bestsellern wie „Warum Männer nicht zuhören und Frauen nicht einparken können“ vermarktet. Doch nicht nur der Mainstream, auch Feministinnen waren nicht gefeit davor, Frauen als fürsorglich und friedliebend anzusehen, während Männer als kalte, gefühllose Kriegstreiber galten. Dabei handelt es sich aber auch nicht allein um Vorurteile, sondern tatsächlich entsprechen ja auch viele biologisch als Mann oder Frau Einsortierte dem jeweiligen Geschlechtsstereotyp.
Wenn man heut zu Tage zum Beispiel mit Jugendlichen spricht, wissen sie immer noch allzu gut, wie ein richtiger Mann und eine richtige Frau zu sein und noch besser, wie er oder sie nicht zu sein hat. Die Jungs, die in den Augen der Anderen zu weich sind, eine falsche Stimme haben oder die falschen Klamotten tragen, gelten als schwul und dementsprechend auch als Mädchen. Das wird quasi synonym gebraucht. Vor allem in der Pubertät, in der die Geschlechtsidentität noch prekär ist.
Mädchen wissen, ohne sich lange darüber zu verständigen, genau, was so ein richtiger Mädchentag ist: da legen sie sich gegenseitig Masken Passbild, 51.6k auf, frisieren und schminken sich. Die meisten Mädchen verstehen unter einer guten Figur nicht nur, dass sie bis an die Magersüchtigkeit grenzend dünn sind, sondern auch, dass sie nicht zu viele Muskeln zulegen, um nicht männlich zu erscheinen. Es ist also klar, dass es eine ganz Menge Arbeit bedeutet, bevor man eine Frau oder ein Mann ist und dass Mann oder Frau werden nicht der Biologie naturwüchsig entspringt, sondern Arbeit an der eigenen Natur ist, auch wenn dies nicht unbedingt als Arbeit wahrgenommen wird. Die Geschlechtsidentität zu finden ist aber für die meisten Jugendlichen ein so aufreibender Prozess, dass man das 8.-10 Schuljahr auch abschaffen könnte, weil da ohnehin niemand in der Lage ist, sich zu konzentrieren.
So halten sich nicht nur die Vorurteile hartnäckig in der Welt, sondern die Subjekte entwickeln in der Regel eine eindeutige Identität und dass auch schon sehr früh. So früh, dass man meinen könnte, dass der Geschlechtscharakter nichts mit gesellschaftlichen Prozessen zu tun hat. Viele, auch emanzipierte Frauen, beklagen sich darüber, dass ihre Mädchen ganz gegen ihren Willen dringend das Prinzessinnenkleid wollen und die ganze Einrichtung rosafarben ist. Das geschlechtsspezifische Verhalten von Jungen wird dagegen oft nicht negativ erwähnt, da findet es eher Aufmerksamkeit, wenn sich Jungen nicht geschlechtskonform verhalten.
Ein beliebtes Argument gegen die Gesellschaftlichkeit der Geschlechtscharaktere ist deswegen, dass viele Kinder, selbst wenn sie noch ganz klein sind, schon die Geschlechtsstereotypen aufweisen und Jungs nach Autos und Mädchen nach Puppen verlangen, egal was die Eltern ihnen vorleben oder was sie ihnen zum Spielen geben.
Deswegen sind es in der Regel diejenigen, die nicht so ganz in das Bild passen, die auf die Gesellschaftlichkeit dieses Prozesses verweisen. Die Homosexuellen, die Transsexuellen, die Transgender. Diese sind dann auch in den letzten 15 Jahren als politische Identifikationsbewegung beliebt gewesen, nachdem sich die Frauenbewegung in die Queer-Bewegung transformiert hatte und die Uneindeutigkeit der Geschlechtscharaktere, sowie der Antiessentialismus, zum politischen Ziel geworden ist. Judith Butler liefert bis heute den theoretischen Background für diese Bewegung. Die Subjektwerdung als Zwangsidentifizierung zu verstehen, wie Butler dies tut, hat ja auch tatsächlich einiges für sich. Butler stellt sich die Frage, wie ein scheinbar eindeutiges männliches oder weibliches Subjekt entsteht. Die Zwänge, die hier wirksam werden, haben bei ihr nichts mit politischen oder ökonomischen Kategorien zu tun, sondern sollen schon in der Struktur der Sprache angelegt sein.
Butler hat zwar eine elaborierte, an der Psychoanalyse Lacanscher Prägung orientierte Theorie dieser Zwangsidentifizierungen, wie sie es nennt, entwickelt – aber nur um jeden Zusammenhang mit dem Kapitalismus zu streichen. Hier soll der Versuch unternommen werden, die Idee der Zwangsidentifizierungen auf eine materialistische Grundlage zu stellen.

Butler vom Kopf auf die Füße gestellt

Der Versuch, das Geschlechterverhältnis als Zwangsidentifikation zu begreifen, die niemals ganz aufgeht und die man überwinden oder flexibilisieren will, wie Judith Butler dies macht, trifft zumindest das Lebensgefühl des liberalen Bildungsbürgertums so sehr, dass dies vielleicht schon den Erfolg der Butlerschen Theorie erklären könnte. Die Theorie kann sowohl Bilder von Männlichkeit und Weiblichkeit erklären, als auch, warum der Einzelne in der Regel zwar eine eindeutige Geschlechtsidentität entwickelt, aber dieser niemals ganz entspricht, sondern sowohl weiblich als auch männlich konnotierte Eigenschaften hat. Bei Judith Butler wird die Geschlechtsidentität erzwungen durch die heterosexuelle Matrix, einer überpersonalen, sprachlichen Struktur. Trotz des Bezugs auf die Psychoanalyse findet die Identitätsbildung nicht in der Familie statt, oder in anderen Einrichtungen wie Schule oder Freundeskreis. Die Matrix schwebt quasi im luftleeren Raum, jenseits aller gesellschaftlichen, ökonomischen und historischen Dimensionen. Sie scheint vom Himmel gefallen zu sein und mit unserer empirischen Wirklichkeit nur peripher zu tun zu haben. Hier wird das Resultat einer historischen Entwicklung, indem der Einzelne gezwungen wurde, eine eindeutige Geschlechtsidentität anzunehmen, als ontologische Invariante verallgemeinert und als überhistorische Notwendigkeit begriffen, die höchstens zu flexibilisieren oder zu reflektieren ist, aber nicht ganz abgeschafft werden kann. Für Butler geht das symbolische System tiefer als das soziale, das verwandtschaftliche und das politische System. Deshalb besteht ihr politisches Projekt darin, die symbolische Ordnung umzudeuten und die von der symbolischen Ordnung anerkannten Positionen auszuweiten. Das heißt im Klartext, auch Lesben, Schwulen, Queers und Transsexuellen die Menschenrechte und Staatsbürgerrechte anzuerkennen, oder noch klarer ausgedrückt bedeutet es nichts anderes, als dass auch Homosexuelle heiraten, Kinder adoptieren und die Gen- und Reproduktionsmedizin nutzen dürfen sollen.
Marx hat diese Vorstellung, dass Ideen – oder wie Butler es ausdrückt: symbolische Ordnungen – verantwortlich für das Weltgeschehen seien – oder in poststrukturalistischer Sprechweise: die Welt konstruieren – in der „Deutschen Ideologie“ am Beispiel der Junghegelianer kritisiert.(1) Diese gingen davon aus, dass die Religion die Geißel der Menschheit und verantwortlich für alles Übel sei. Marx bestritt, dass die religiösen Vorstellungen und nicht die Produktionsverhältnisse das wären, was die Bedingungen der Menschen präge. Die in der „Deutschen Ideologie“ entwickelte Kritik kann gut auf Judith Butler angewendet werden. Falsche Vorstellungen und Ideologien als Ursache von Macht und Herrschaft auszumachen, würde laut Marx darauf hinauslaufen, eine Veränderung des Bewusstseins anzustreben. Es würde auf die Forderung hinauslaufen, das Bestehende anders zu interpretieren. Damit würde jedoch nicht die wirkliche Welt bekämpft werden, sondern nur Phrasen. Dabei sei es genau umgekehrt: die Vorstellungen seien eine Reflektion auf die Produktionsverhältnisse. Und bekämpft werden sollen nicht die Vorstellungen, sondern die Produktionsverhältnisse.
Dadurch, dass Judith Butler von diesen Produktionsverhältnissen abstrahiert und eine Matrix, die als sprachlicher Code zu verstehen ist, die Subjekte erzeugen soll, verewigt sie diesen Subjektstatus durch Enthistorisierung. Bei Butler waren die Menschen schon immer Subjekte und sie werden es auch immer sein. Dem soll im Folgenden entgegen gewirkt werden, indem das Subjekt, welches Butler beschreibt, in seiner historischen Genese gezeigt werden soll und die Subjektposition von den kapitalistischen Produktionsverhältnissen her reflektiert werden soll.
Was unter Subjektsein zu verstehen ist, soll dabei ebenso herausgearbeitet werden. Soviel kann schon mal verraten werden: auch wenn biologische Frauen ebenso Subjekte werden können, ist Subjektsein erstmal untrennbar mit Männlichkeit verbunden.

Die Genese des bürgerlichen Subjekts

Die Geschichte bürgerlicher Subjektivität hängt eng zusammen mit dem Jahrhunderte lang andauernden Kampf der bürgerlichen Klasse um die politische Macht, die sie in den verschiedenen bürgerlichen Revolutionen ab dem 17. Jahrhundert dann auch sukzessive gewann.
„Alle Menschen sind frei und gleich an Rechten“ schreibt sich die bürgerliche Gesellschaft bis heute als ihren politischen Wahlspruch auf die Fahnen – auch wenn sich dieser Anspruch bis heute nicht verwirklichen lässt. Dies hindert jedoch politisch Aktive nicht daran, immer weiter für den Einschluss und die Anerkennung anderer Lebensformen zu kämpfen, so auch die Queer-Bewegung. Auch die Frauenbewegung hat immer wieder im Namen der Menschenrechte für ihre Rechte gekämpft. Diese sind vor allem das Recht zu wählen und das Recht auf Arbeit. Und das zeigt schon bei recht oberflächlicher Betrachtung den bürgerlichen Charakter der Frauenbewegung.
Die Ideologie der Menschenrechte rekurriert auf eine menschliche Natur, wie sie überhaupt erst durch die bürgerliche Produktionsweise entstanden ist und verallgemeinert diese, als etwas Überhistorisches, für alle Zeit und für jeden Menschen Geltendes: das ist das Ideologische an ihr. Doch wird so durch die Menschenrechte eine Natur des Menschen festgeschrieben, durch die die Ausschlüsse erst produziert werden. Um dies zu verstehen, muss man sich anschauen, von welchem Menschen die Rede ist, wenn man von den Menschenrechten spricht. In den Menschenrechten erscheint der Mensch als egoistischer Mensch, der im Kampf Aller gegen Alle steht. Hier hat man als anthropologische Konstante das festgeschrieben, was sich in der Durchsetzungsgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft entwickelt hatte.
Die Menschenrechte sollen garantieren, dass jeder Mensch gleichermaßen die Freiheit hat, als individualisierter Mensch seinen egoistischen Privatinteressen nachzugehen, die jeweils nur im anderen Menschen ihre Schranke findet. Das politische Gemeinwesen ist der bürgerlichen Ideologie nach zum bloßen Mittel für die Erhaltung dieser Menschenrechte herabgestuft, denn der Staat soll der bürgerlichen Verfassung nach diese Menschenrechte garantieren. Dies gilt jedoch immer nur so lange, wie der Staat nicht in Gefahr ist, dann werden auch die Menschenrechte eingeschränkt, wie z.B. die Versammlungsfreiheit, die Pressefreiheit usw. Konstitutiv für den bürgerlichen politischen Staat war die Auflösung der Zünfte in die unabhängigen Individuen, deren Verhältnis jetzt das gleiche Recht ist. Der Mensch wird jetzt aufgeteilt in einen politischen Menschen und einen privaten Menschen. Der Mensch, wie er als Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft ist, erscheint aber notwendigerweise als der natürliche Mensch im Gegensatz zum politischen Menschen, weshalb auch die Menschenrechte, die den Bourgeois zur Grundlage haben, als die Rechte des Menschen schlechthin gelten. Denn gerade dieser bürgerliche Mensch erlebt sein eigenes Streben nach Gewinn und nach Entfaltung als sein natürliches Interesse, dem nur der Staat Grenzen vorschieben kann.(2)
Doch diese egoistische Monade war nicht der Mensch, wie die Natur ihn geschaffen hatte, sondern das Produkt der sich ab Ende des 15. Jahrhunderts durchsetzenden bürgerlich-kapitalistischen Verhältnisse. Die feudale Gesellschaft wurde zuerst in England zerschlagen und viele Bauern wurden von ihrem Land vertrieben, zum Teil vom absolutistischen Staatsoberhaupt und zum Teil vom Feudaladel und den Gutsbesitzern, die aus dem Ackerland große Weideflächen machten, da sie die Wolle für die Manufakturen der Textilverarbeitung brauchten. Marx hat diesen ganzen gewaltvollen und grausamen Prozess im „Kapital“, im Kapitel zur ursprünglichen Akkumulation beschrieben.(3) In diesem Prozess wurden aus vormals abhängigen Pächtern dann Kapitalisten, die über die Mehrwertproduktion Profit erzeugten. Diese Pächter standen jetzt alle in Konkurrenz zueinander und mussten sich zudem noch gegen die freigesetzten Arbeiter wehren, die als Vagabunden durch die Gegend zogen und raubten. Die Freisetzung der Bauern hatte tatsächlich zu einer Art Kampf Aller gegen Alle geführt, jedoch mit deutlichem Machtüberschuss auf Seiten der neuen feudalen Klasse.
Von den Zeitgenossen, vor allem auch von solchen der herrschenden Schicht, wie Thomas Hobbes, wurde das neue Zeitalter damit begründet, dass die menschlichen Leidenschaften von Natur aus zu immer mehr Macht streben und im Naturzustand der Mensch des Menschen Wolf sei. Bei Hobbes kommt auch schon das Motiv vor, dass später für die bürgerlichen Verfassungen konstitutiv wird: die Gleichheit. Gleich sind die Menschen nach Hobbes, weil sie alle in der Lage sind sich zu töten. Das heißt, dass sie sich im Naturzustand ohne Staat alle gegenseitig umbringen würden für ihr Profitstreben. Die Durchsetzung kapitalistischer Gesellschaften brachte Bürgerkriege, Handelskriege und Religionskriege mit sich, es war eine Situation hergestellt, in der das Eigentum sowie Leib und Leben ständig in Gefahr zu sein schienen. Um das Eigentum zu sichern, sollten die Bürger nach den real ausgeführten Theorien z.B. von Hobbes und Rousseau einen Teil ihrer Freiheit aufgeben und sich dem Staat unterordnen. Denn nur dieser könne die mörderischen Leidenschaften disziplinieren. Ausgeführt wurde die Disziplinierung zu Beginn durch harte Strafen: Diejenigen, die nicht zur Arbeit gingen, eine Arbeit, von der sie gerade erst freigesetzt worden waren, konnten mit der Todesstrafe rechnen, oder es wurden ihnen die Ohren abgeschnitten oder die Hände, wenn sie beim Diebstahl erwischt wurden.(4) Durch die Revolution jedoch wurde der Souverän, also das Oberhaupt des Staates, verallgemeinert und demokratisiert, d.h. zugleich immer mehr verinnerlicht. Die Trennung des Einzelnen in politischen und bürgerlichen Menschen, in Citoyen und Bourgeois, war abgeschlossen. Der Stellvertreter des Staates wurde die Vernunft, mit der der einzelne seine Leidenschaften selbst kontrollieren konnte. Herr seiner selbst zu sein, und ein Verhältnis der Herrschaft über sich zu errichten, also Subjekt zu sein, war die Bedingung, um guter Staatsbürger zu sein, sein Eigentum verwalten zu können und Oberhaupt der Familie zu sein. Ziel bürgerlicher Gesellschaft und der Aufklärung verpflichteter Philosophen wie Kant war es nun „das die Menschen ihre Geschicke in die eigenen Hände nehmen“, also ein handlungsfähiges Subjekt zu sein. Doch blieb das unter der Herrschaft des Wertes immer Ideologie. Denn das Ziel, die Geschicke in die eigenen Hände zu nehmen, blamierte sich eben allzu oft an der Realität – und zwar daran, dass sich der Wert eben erst auf dem Markt realisiert (oder eben dort nicht realisiert). Auch der zur Arbeitskraft degenerierte Arbeitnehmer muss sich ständig selbst disziplinieren, denn dies ist die Bedingung der Möglichkeit, um seinen Wert als Arbeitskraft auf dem Markt realisieren zu können bzw. seine Arbeitskraft verkaufen zu können. Von wirklicher Kontrolle über die Verhältnisse kann kaum geredet werden, aber gerade durch die prekäre Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt muss die Herrschaft über die eigene Natur aufrecht erhalten und die Vorstellung bestehen bleiben, dass es möglich ist, durch die Kontrolle dieser Natur auch eine Kontrolle über die Verhältnisse zu bekommen. Jeder Versuch, sich der Selbstkontrolle zu entledigen muss abgewehrt werden und jeder Wunsch, sich der Disziplinierung zu entziehen muss verdrängt werden – und an denen projektiv gehasst werden, bei denen ein Ausleben des Wunsches vermutet wird: dies sind die Frauen oder die Homosexuellen. Wie zu zeigen sein wird, ist der Mensch, der seine Kontrolle über sich bewahren kann, als männlich definiert, und derjenige, der den Kontrollverlust herbeiführen kann, der Homosexuelle oder weiblich.

Das Verwerfliche: Das Homosexuelle

An der Homosexualität unter Männern wird nicht so sehr gehasst, dass zwei gleichgeschlechtliche Partner sich lieben, sondern dass dabei ein Mann passives Sexualziel ist und beherrscht werden kann. Diese Passivität wird mit Kontrollverlust assoziiert und ist deshalb so angstbesetzt für das bürgerliche Subjekt, das glaubt, mit diesem Kontrollverlust seine Handlungsfähigkeit und letztendlich seine Existenz zu verlieren. Doch hat die Aufrechthaltung der Kontrolle seinen Preis: Die Verdrängung eigener homosexueller Anteile. Dass dies für die Konstitution männlicher Subjektivität notwendig ist, hat Michel Foucault in „Der Gebrauch der Lüste“ an der Mann- oder Subjektwerdung im alten Griechenland aufgezeigt.(5)
Deutlich wird hier, dass der Mann im Verhältnis zur Homosexualität seine Selbstkontrolle unter Beweis stellt. Diese Analyse kann mit Einschränkung auch für die bürgerliche Gesellschaft gelten, da es in der Antike für den herrschenden Mann notwendig war, den Subjektstatus einzunehmen, also ein Verhältnis der Herrschaft über sich zu selbst zu errichten, um andere zu beherrschen. Das Verhältnis von Männlichkeit, Sexualität und aktivem Begehren tritt am Beispiel der Antike nur offensichtlicher zu Tage, da hier die Verdrängung von homosexuellen und passiven Triebzielen noch nicht so vollkommen war. Der Mann hatte sich im antiken Griechenland, um ein richtiger Mann zu sein, eine Herrschaft über sich selbst anzueignen. Dieses Verhältnis zu sich selbst wurde hauptsächlich über das Verhältnis zur Sexualität bestimmt. In der Art und Weise wie man im Verhältnis zu sich Mann war, d.h. wie man die Mannestätigkeit kontrollieren und meistern könne, die man in der sexuellen Praxis Anderen gegenüber ausübte. Das Verhältnis zu den Sexualpartnern war hierarchisch angelegt und hatte sich moralisch an dem Ideal des aktiven Begehrens zu orientieren. Eine Unterscheidung zwischen homosexuell und heterosexuell gab es in dem Sinne nicht, vielmehr verlief die Linie zwischen dem Akzeptablen, Anerkannten und dem Verworfenen, zwischen Aktivität und Passivität, sowie zwischen maßvollem Umgang und maßloser Übertreibung. Der freie Bürger hatte in Bezug auf seine Sexualpartner die aktive Position einzunehmen, die Unfreien und die Frauen die passive. Nur als Knabe, jedoch nicht als Erwachsenem, ist es auch dem freien Mann erlaubt, selber die Rolle des passiven, begehrten Subjektes einzunehmen. Aber auch hier darf er sich nicht wie ein Spielball behandeln und beherrschen lassen. Er darf nicht der willfährige Partner der Lüste werden und sich nicht einfach besiegen lassen oder kampflos sich hingeben. Auch die männliche Prostitution oder der Verdacht, eine solche auszuüben, wurden verurteilt. Denn die gängige Vorstellung war, dass jemand, der sich in den sexuellen Beziehungen beherrschen lässt, kaum in den bürgerlichen und politischen Betätigungen den Platz des Herrschenden einnehmen könnte.
Hier ist eigentlich schon alles angelegt, was in der bürgerlichen Gesellschaft mit Homosexualität verknüpft wird: die Sorge, kein bürgerliches Subjekt mehr zu sein, das auf Mäßigung hält und sich davor schützt, sich seinen passiven Triebzielen einfach hinzugeben. Gerade indem der Jüngling sich der Gefahr der Passivität aussetzt, dürfen diese passiven Triebziele hier noch als bewusste erscheinen, damit er sich in der Abwehr ihnen gegenüber zum richtigen Mann entwickelt.
In der bürgerlichen Gesellschaft dagegen gilt die Homosexualität, die Liebe zwischen Männern, nicht mehr als eine Form der Sexualität unter anderem, sondern als das ganz Andere zur richtigen, männlichen Sexualität. Es erscheint so, als ob das Bedürfnis nach Homosexualität beim Mann in der bürgerlichen Gesellschaft vollkommen abgespaltet wird. Um nicht in den Verdacht zu geraten, die passive Rolle einzunehmen, muss die Homosexualität als Ganzes abgewehrt werden.

Verhältnis von Geschlechtsidentität und Heterosexualität

War in der Antike ein spezifisches Verhältnis zur Liebe zu Männern für die Konstitution der Geschlechtsidentität von Bedeutung, so wird in der bürgerlichen Gesellschaft die Verdrängung homosexueller Wünsche überhaupt konstitutiv für die Geschlechtsidentität. Um die Abwehr des passiven Triebziels geht es dabei immer noch, obwohl dieser Abwehrmechanismus jetzt viel mehr auf dem unüberbrückbaren Gegensatz von Mann und Frau aufgebaut ist, wie Judith Butler herausgearbeitet hat. Hier ist die Theorie Judith Butlers sehr brauchbar, weil mit ihr aufgezeigt werden kann, wie auch das Innere des Menschen bis in die Begehrensstruktur hinein durch die gesellschaftlichen Verhältnisse geprägt ist.
Bei Butler wird der Einzelne in die symbolische Ordnung hineingeboren, die nach dem Gesetz des Vaters strukturiert ist, dass die Gesellschaft konstituiert und prägt. Butler benutze ich hier, da bei ihrer Theorie aus psychoanalytischer Sicht der Prozess der Ausschließungen des Homosexuellen zur Bildung der einheitlichen Geschlechtsidentität besonders gut sichtbar wird.(6)
Dieser fußt auf der Verwerfung homosexueller Begehrensstrukturen und gegengeschlechtlicher Identifizierungen. Zwar identifiziert man sich laut Butler, klassisch freudianisch, sowohl mit der männlichen als auch mit der weiblichen Geschlechtsidentität, sowie mit dem gleichgeschlechtlichen und gegengeschlechtlichen Begehren, aber die normative Kraft des Gesetzes erzwingt die Annahme eines Geschlechts, aus dem es dann auch kein Entkommen gibt. Die Geschlechtsidentität kann, wenn man Butler soweit folgen will, als eine notwendige Zwangsidentifizierung verstanden werden. Und tatsächlich ist es ja viel einfacher, sich zum Beispiel einer nationalstaatlichen Identität zu entziehen als der geschlechtlichen. Doch ist diese Geschlechtsidentität immer nur vordergründig eine einheitlich männliche oder weibliche, sie bleibt immer prekär, da die homosexuellen Möglichkeiten und die gegengeschlechtlichen Identifizierungen immer bestehen bleiben, allerdings als Verworfene.
Denn wenn auch die Heterosexualität die kulturfähige Identifizierung ist, so bleibt doch die Homosexualität als imaginäre Phantasie bestehen. Das Homosexuelle wird genau deshalb gehasst, weil es nicht das Andere ist, sondern alle latent homosexuell sind. Ein Bedürfnis, dass jedoch permanent verdrängt werden muss, um die einheitliche Identität weiter aufrecht zu halten.
Die Angst zu verweiblichen, also die Kastrationsdrohung, führt laut Butler beim Mann dazu, die Verdrängung aufrecht zu erhalten.(7) Mit der Angst vor der Homosexualität ist also nicht nur die Angst verbunden, passiv zu sein, sondern vor allem die, nicht-männlich genug, das heißt kein bürgerliches Subjekt zu sein.
Implizit sagt das auch Butler. Für sie wird die Verwerfung aufrechterhalten aus Angst vor der Psychose, die die Vorstellung begleitet, in die Zeit vor dem Gesetz und der Annahme eines eindeutigen Geschlechts zurückzufallen – eine Zeit ohne feststehende Identifizierungen und Begehrensstrukturen – denn diese Zeit ist genau die Zeit vor der ödipalen Phase, die konstitutiv ist für die Subjektwerdung für den Jungen und seine Identifizierung mit dem Vater, der für das Realitätsprinzip steht. Butler selbst sieht schon auch, dass hier die Gefahr bestünde den Subjektstatus zu verlieren, darüber hinaus stellt sie aber auch noch eine Angst vor dem Tod fest, die die Verwerfung weiter aufrecht hält.
Dass diese beiden Ängste aufeinander verweisen, möchte Butler anscheinend so nicht wahrhaben. Denn wenn sie auch richtigerweise auf die Gewaltförmigkeit und Instabilität bürgerlicher Subjekte, für die die Abwehr von Homosexualität und gegengeschlechtlicher Identifizierung konstitutiv ist, hingewiesen hat, so hat sie dieses Subjekt gleichzeitig auch hypostasiert.
Dadurch, dass es Butler politisch nicht um die Abschaffung der bürgerlichen Gesellschaft, sondern um eine Transformation der klassischen amerikanischen Lobbypolitik geht, die auf eine Sicherung und Stärkung des Einflusses der jeweils vertretenen gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen zielt, ist ihr Ziel auch nicht die Abschaffung des Staatsbürgersubjekts, sondern kann als linksliberaler Beitrag zur Demokratisierung der Gesellschaft gelesen werden, bei der die Integration von bislang ausgestoßenen Gruppen in die staatliche Gemeinschaft gefördert werden soll.(8)
Butler kritisiert die bisherige Interessenpolitik, die sich auf eine einheitliche Identität der Frau bezogen habe und will stattdessen Bündnispolitik machen. Analog dazu propagiert sie fluktuierende Identitäten, die wechselweise entstehen und sich wieder auflösen. Notwendig bleibt der von Butler beschriebene Prozess der Subjektwerdung jedoch nur solange, wie Kapital und Staat bestehen. Dies (implizit) als überhistorische Konstante anzunehmen, affirmiert nur die bürgerliche Gesellschaft und fördert nur die Ausschlüsse, die sie doch bekämpfen will. Denn der Verlust des Subjektstatus und der damit verbundene Kontrollverlust, ist für das Subjekt mit der Angst verbunden, seinen Lebensunterhalt nicht fristen zu können.

Todessehnsucht

Dies erinnert nicht von ungefähr an Freuds Konzept des Todestrieb, das er in „Jenseits des Lustprinzips“ entwickelt hat, weil er eine Erklärung dafür suchte, warum nicht alle Seelenvorgänge von Lust begleitet sind oder zur Lust führen. Neben dem Realitätsprinzip, das nicht jede Lust zulasse, um überlebensfähig zu bleiben und den verdrängten Triebregungen, bei denen auch die Ersatzbefriedigungen Unlust hervorrufen, erkennt Freud im Wiederholungszwang eine Bedingung der Unlust. Dieses Phänomen hat er bei Opfern von Zugunglücken, die immer wieder von der Katastrophe träumen, beobachtet und er sieht es bei Menschen walten, die immer wieder dieselben unglücklichen Liebesgeschichten durchleben. Von diesem Phänomen des Wiederholungszwangs schließt er auf den Todestrieb. Denn der Zwang zur Wiederholung sei ein dem Trieb wesentlich zukommendes Moment. Freud geht davon aus, dass das Ziel des Lebens ein Zustand sei, den es kennt, und zu dem es wieder hin möchte: der Tod. „Das Ziel alles Lebens ist der Tod, und zurückgreifend: Das Leblose war früher da als das Lebende.“(9)
Dieser Wunsch nach dem Tod ist, wie auch schon Marcuse sagte(10), ein Wunsch nach dem spannungslosen Zustand. Ziel des Triebes sei laut Marcuse somit nicht der Tod, sondern ein Ende des Leidens.
Ein Zustand also, bei dem die Disziplinierung der eigenen Natur aufgehoben würde. Einen solchen Zustand kann man sich im Kapitalismus nur als Todeszustand vorstellen. Was auch insofern seine Berechtigung hat, als dass der Mensch, wenn er sich nicht mehr selbst Gewalt antun würde, tatsächlich kaum Chancen hätte, seine Arbeitskraft zu verkaufen und somit nur noch auf Grund der Gnade des Staates überleben darf oder in anderen Teilen der Welt tatsächlich stirbt. Der Wunsch nach dem Aufhören des Leidens ist der Wunsch, die Kontrolle über das Selbst aufzugeben, und muss somit bei Strafe des Untergangs vom bürgerlichen Subjekt abgewehrt werden.
Der Todestrieb selbst gibt sich laut Freud nur selten offen zu erkennen; jedoch sieht er ihn im Sadismus walten. Der Sadismus ist bei ihm eine einseitige Verschiebung auf die aggressiven Anteile des Sexualaktes. Lust wird dadurch gewonnen, den Anderen zu demütigen oder ihm Schmerzen zuzufügen. Sadismus ist dabei mit männlich und aktiv assoziiert, Masochismus mit passiv und weiblich. Eine Beimengung von Aggression sei bei den meisten Männern üblich und der Sadismus als Perversion unterscheide sich nur darin von gängigen Formen der Sexualität, dass hier ausschließlich über Demütigung Lust empfunden wird.
Daran angelehnt sind die Unterschiede zwischen allgemein gängiger Sexualität, Sadismus als Spiel, sowie Vergewaltigung fließend. Insgesamt geht es um die Bemächtigung und Überwältigung des Anderen. Aber wessen muss man sich bemächtigen? Es ist der Todestrieb, der, so Freud, vom Ich abgedrängt worden sei, und erst am Objekt zum Vorschein käme. Dieser Todestrieb, oder vielmehr in meiner Lesart, der Wunsch danach, die Kontrolle aufzugeben, wird somit auf den Anderen projiziert. Der Andere, oder besser die Andere, so die Phantasie, hätte die Macht, dem Sadisten die Kontrolle zu entziehen, und deshalb muss dies mit allen Mitteln verhindert werden; am besten funktioniert das natürlich dadurch, dass die Frau so passiv wie möglich ist oder gemacht wird, wenn nicht gar getötet wird. Historisch wurde den Hexen diese Macht über Männer zugesprochen, wofür sie verbrannt wurden, später dann Prostituierten oder anderen „Ludern“, die ihre weiblichen Reize dazu nutzen könnten, den Mann in den Ruin zu stürzen. Letztendlich kann jedoch aufgrund dieser Projektion das Berechnende und Verdorbene in jeder Frau verborgen sein.(11)

Weiblichkeit und Passivität

Während das männliche Subjekt alles verdrängt, was mit Kontrollverlust zu tun hat – und das ist für es besonders der Wunsch, passives Triebziel zu sein (den es mit Unmännlichkeit und Schwulsein gleichsetzt) – und alle die hasst, die es an seinen Wunsch, sich nicht mehr disziplinieren zu müssen, erinnert, also die Homosexuellen und die Frauen, darf die Frau nicht zu aktiv sein. Butler spricht davon, dass die Verwerfungen geschlechtsspezifisch unterschiedlich seien. Um eine weibliche Position einzunehmen, müsse die Position der Kastration angenommen werden. Nicht die Kastrationsdrohung, sondern die Angst, einen mörderischen Phallus zu besitzen, also zu kastrieren, oder zu vermännlichen und für Männer nicht mehr attraktiv zu sein, ist hier Ursache für die Zwangsidentifikation.(12)
Denn auch wenn die Frauen durch den Kampf der Frauenbewegung den Subjektstatus erkämpft haben, oder gerade weil sie jetzt eben auch im Beruf ihren Mann stehen, oder Arbeit und Familie mehr oder weniger prima unter einem Hut bringen, hat die Frau nicht ganz zu Unrecht Angst, ihre Weiblichkeit zu verlieren und nicht mehr Triebziel für den Mann zu sein.
Dass Passivität mit Weiblichkeit in eins gesetzt ist, und Aktivität mit Männlichkeit, ist somit nur die halbe Wahrheit. Eine Wahrheit jedoch, die aufgrund ihrer Unsicherheit immer wieder erneuert und teilweise gewalttätig hergestellt werden muss. Denn das männliche Subjekt muss ja gerade, weil es ein starkes Bedürfnis danach hat, passiv zu sein und die Kontrolle über sich zu verlieren, Aktivität ganz eindeutig mit Männlichkeit verknüpfen; sowie Passivität eindeutig mit Weiblichkeit, weil das Aktive an der Frau die Kastrationsdrohung schürt. Erst eine Gesellschaft, in der es nicht mehr notwendig wäre, eine Herrschaft über sich selbst zu errichten, um überleben zu können, und das Bedürfnis danach, nicht mehr leiden zu wollen und die Kontrolle über sich zu verlieren, keine Angst mehr auslösen würde, eine Gesellschaft also, die keine kapitalistische und keine patriarchale mehr wäre, würde zu einer Aufhebung dieser strengen Gegensätze von männlich und weiblich, Aktivität und Passivität, führen.

Andrea Trumann

Anmerkungen

(1) Karl Marx: Die Deutsche Ideologie, 1953: 13-48.

(2) Karl Marx: Zur Judenfrage (MEW 1): 362-370

(3) Karl-Marx: Das Kapital (MEW 23): 741-791

(4) Rudolf zur Lippe: Bürgerliche Subjektivität. Autonomie als Selbstzerstörung, 1975: 33-70

(5) Michel Foucault: Der Gebrauch der Lüste. Sexualität und Wahrheit 2, 1986: 253-273.

(6) Für Judith Butler muss Lesbischsein und Schwulsein gleichermaßen abgewehrt werden. Dies stimmt jedoch historisch so erst einmal nicht. Die lesbische Liebe wurde lange nicht so hart bestraft wie die schwule Liebe. Sie wurde in den Gesetzbüchern oft nicht einmal erwähnt. Das liegt eben auch daran, dass die Frau keinen Penis, der den Phallus repräsentiert, hat – und sowieso in dieser Gesellschaft für eine passive, hingebende Rolle prädestiniert ist. Deshalb erscheint die lesbische Liebe für den Mann gar nicht als richtige Sexualität und wird deshalb eher nicht ernst genommen, nicht ernsthaft als eine Bedrohung betrachtet.

(7) Judith Butler: Körper von Gewicht, 1993: 129-162.

(8) Tjark Kunstreich / Uli Krug: Dekonstruktion heißt Domestizierung. In: Bahamas Nr.26., 1998: 35-42.

(9) Sigmund Freud: Jenseits des Lustprinzip. In: Studienausgabe: Psychologie des Unbewussten (Bd. 3), 2000: 248.

(10) Herbert Marcuse: Triebstruktur und Gesellschaft, 1968: 219-233.

(11) Im Liebesspiel der deutschen Linken sind meiner Einschätzung nach die Aufteilungen in männlich = aktiv und weiblich = passiv nicht so vollkommen unabhängig von den empirischen Geschlechtern, wie es manchmal den Anschein hat. Aber selbst wenn die empirischen Geschlechter es umgekehrt zur stereotypen Konnotation miteinander treiben, wird ihnen auch genau das bewusst sein. Das wusste auch schon Freud, dessen Geschlechterbegriff fortschrittlicher war, als oft behauptet: „Es ist unerläßlich, sich klarzumachen, dass die Begriffe ‚männlich‘ und ‚weiblich‘, deren Inhalt der gewöhnlichsten Meinung so unzweideutig erscheint, in der Wissenschaft zu den verworrensten gehören und nach mindestens drei Richtungen zu zerlegen sind. Man gebraucht männlich und weiblich bald im Sinne von Aktivität und Passivität, bald im biologischen und dann auch im soziologischen Sinne. (...) Diese ergibt für den Menschen, dass weder im psychologischen noch im biologischen Sinne eine reine Männlichkeit oder Weiblichkeit gefunden wird. Jede Einzelperson weist vielmehr eine Vermengung ihres biologischen Geschlechtscharakters mit biologischen Zügen des anderen Geschlechts und eine Vereinigung von Aktivität und Passivität auf, sowohl insofern diese psychischen Charakterzüge von den biologischen abhängen als auch insoweit sie unabhängig von einander sind.“ (Siegmund Freud: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. In: Studienausgabe: Sexualleben (Bd. 5), 2000: 123)

(12) Judith Butler: Körper von Gewicht, 1993: 129-162

home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[163][<<][>>][top]

last modified: 20.2.2009