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Kaufwarnung

Buchcover, 7.0k

Schroedter, Thomas: Antiautoritäre Pädagogik. Zur Geschichte und Wiederaneignung eines verfemten Begriffes, Schmetterling-Verlag, 2007. 201 Seiten, ISBN 978-3-89657-598-2, 10 Euro

Das Buch kann im Infoladen im Conne Island ausgeliehen werden.

Thomas Schroedter verbreitet sich über Antiautoritäre Pädagogik

      Freiheit freilich. Aber zum Schlimmen
      Führt der Masse sich selbst Bestimmen,
      Und das Klügste, das Beste, Bequemste,
      Das auch freien Seelen weitaus Genehmste
      Heißt doch schließlich, ich hab‘s nicht Hehl:
      Festes Gesetz und fester Befehl.
Mit diesen traurigen Zeilen des späten Fontane eröffnet Bernhard Bueb, langjähriger Leiter der exklusiven Internatsschule Schloss Salem, sein „Lob der Disziplin“(1). Die 2006 bei Ullstein verlegte und fulminant rezipierte „Streitschrift“ verkörpert wie kein zweites Machwerk den pädagogischen Aufbruch unserer Tage. Mit Rütli-Schule und Pisa-Katastrophe im Rücken feiern Zucht und Drill gewaltige Triumphe. Denn Deutschlands Jugend ist viel zu dumm und leider auch brutal. Wo bleibt das Machtwort? Mut zur Erziehung! Rauf aufs Katheder! Den 68er-KuschelpädagogInnen – aufgepasst nun also! – eins aufs Maul! Denn o (Pädagoge) heißt schließlich ‚Knabenführer‘.

Volkspädagogik in der BILD

„Scheiß Schule!“, „Null Bock“, „Verpiss dich“ – was ist bloß los mit unseren Kindern? Mit seinem neuen Buch „Lob der Disziplin“ hat Deutschlands strengster Erzieher Bernhard Bueb eine bundesweite Debatte über Erziehung, Schule und die Fehler der Eltern losgetreten. In einer großen Serie druckt BILD Buebs Erziehungstipps. Heute Lektion 3: „Alle Macht den Eltern!“(2)
BILD: kommt von Bildung! Eine Superplattform für Volkserziehung und Vermittlung. Superbueb:
Dem vierten der Zehn Gebote – du sollst Vater und Mutter ehren – muss heute so dringend Geltung verschafft werden wie zu alttestamentarischen Zeiten, als die Würde und selbst das Überleben der Eltern gefährdet war. Wir nähern uns wieder diesen Zeiten, denn nicht nur die Achtung vor den Eltern, sondern vor den Älteren überhaupt wankt.“ Kurz: „Wir müssen uns dazu durchringen, legitime Macht als Autorität anzuerkennen, die Macht Gottes, die Macht des Staates und die Macht der Erziehungsberechtigten.“(3)

„Elite-Lehrer“ Bernhard Bueb – er wird hier selbstverständlich nur exemplarisch vorgestellt – züchtet harte Hunde und keine Weicheier: das Jungvolk hat „hin und wieder mal kalt zu duschen, zum Beispiel. Da merkt man erst, wie schön warmes Wasser ist.“(4) (‚Ach, fick Dich doch’ schreien jetzt alle Leipziger mit Badeofen. Aber hier geht es nicht um Euch!)
Buebs Erziehung zur Tüchtigkeit offenbart sich in fanatischer Lustfeindlichkeit: „Als Vorbereitung auf das Arbeiten muss ein Kind verzichten lernen. Verzicht auf Freizeit, auf Genuss, auf Ausruhen, auf Müßiggang, auf Unterhaltung, Verzicht, also auf alles, was Spaß macht, das ist die Voraussetzung von Arbeit.“ Beeindruckend, wieviel angestaute Geilheit sich hier in Arbeitswut entlädt.

Im Original: Platon

Ein neurotischer Spinner als Praeceptor Germaniae. Warum auch nicht: Das „Lob der Disziplin“ beherrscht den pädagogischen Markt(5) und ist ja auch keine Schöpfung des bornierten B.B., sondern findet sich im Original schon bei Platon. In dessen Staat wird vorgemacht, wie man der demokratischen Laissez-faire-Pädagogik zu begegnen hat. Angewidert beschreibt Platon, wie die demokratisch verfasste Polis durch ein Übermaß an Freiheit in wüstes Chaos ausarte – „bis schließlich sich die Anarchie auch bei den Tieren einwurzelt“ und Hunde, Pferde und Esel – gemeint sind Sklaven, Kinder und Frauen – ihren Herren den Gehorsam verweigerten.
Der Lehrer fürchtet in dieser Lage die Schüler und schmeichelt ihnen, die Schüler machen sich nichts aus den Lehrern, nichts aus den Erziehern. Und überhaupt stellen sich die Jungen den Alten gleich und wetteifern mit ihnen in Wort und Tat, die Alten lassen sich zu den Jungen herab und sind voll Freundlichkeit und Gefälligkeit gegen sie und ahmen sie nach, um nur ja nicht unliebenswürdig und herrisch zu erscheinen.(6)
Mut zur Erziehung! empfiehlt da auch Platon. Zunächst freilich – soweit sind wir heute noch nicht wieder – veredeln die Philosophenkönige die Schar der Zöglinge mit Hilfe der Viehwirtschaft entlehnten Rassezucht (459e)(7) und deportieren alle über 10 Jahre alten Bürger aufs Land (541a). Jetzt beginnt die fröhliche Gymnastik (Leibesübungen nennen es die Deutschen) und bald schon sind die kleinen Bälger reif für die kalte Dusche: „Du erinnerst dich: die Knaben müsse man, so sagten wir, zu Pferd als Zuschauer in den Krieg führen und sie, wenn es nicht gefährlich sei, nahe heranbringen und wie die Hunde am Blute kosten lassen.“ (537a) Schön poppig.

Wie Platon so strebt auch die zeitgenössische Disziplinarpädagogik danach, das offenbare Chaos in feste Befehlsstrukturen der autoritären Gesellschaft aufzulösen. Das eigensinnige Individuum soll sich der geistigen und weltlichen Macht beugen, soll den Gehorsam gegenüber Gott und Staat als sein Schicksal „anerkennen“ (Bueb). Formaler Autorität das Wort reden aber heißt, die bestehenden Verhältnisse von Ausbeutung und Gewalt universell heilig zu sprechen. Die Jungen sollen die Alten respektieren weil sie alt sind, die Untergebenen den Oberen gehorchen weil sie oben sind – nichtrationale, bloß traditionelle und überaus unglaubwürdige Herrschaft, die dem Einzelnen auch in der Schule umso strenger eingebläut werden muss. Genau darum geht es jener pädagogischen Tendenz, die auf Grundlage scharfer Selektion nach mutiger Erziehung zu absoluter Leistungsbereitschaft schreit: Sie bricht den Willen des Einzelnen und macht ihn gefügig für seine gesellschaftliche Verwertung. Die Schule wird zum Bootcamp.

theorie.org: Antiautoritäre Erziehung

Was soll man auf all diese gewaltigen Knüppeleien vernünftigerweise erwidern? In der Reihe theorie.org verkauft der Schmetterling-Verlag seit Mai 2007 ein von Thomas Schroedter verfasstes Buch zum Thema: „Antiautoritäre Pädagogik. Zur Geschichte und Wiederaneignung eines verfemten Begriffes“. Die zukunftsträchtig in Neon und Schwarz gebundenen theorie.org Büchlein sollen „verständlich aufbereitetes Überblickswissen vermitteln“ und zwar „ohne oberflächlich zu sein“. Zeit also für eine „überschaubare und zugleich fundierte Darstellung antiautoritärer Theorie und Praxis“, wie auf dem Buchrücken ganz richtig geschrieben steht: Der Band soll vor dem Hintergrund der Geschichte der autoritären Erziehung die wesentlichen Merkmale antiautoritärer Pädagogik vorstellen – und scheitert dabei aufs Kläglichste.

Thomas Schroedter (Jg. 1955) skizziert im Vorwort sein Anliegen folgendermaßen: „Die Diskussion der Voraussetzungen einer Veränderung der Erziehung und der Gesellschaft, in denen autoritäre Strukturen verschwinden und ein mitmenschliches Verhalten zwischen den Generationen herrscht, sollte nach der Lektüre des Buches fundierter möglich sein, das würde mich freuen.“ (S. 9)
Ausdrücklich bekennt sich der Autor zum „Mut zur Lücke“, würde doch eine umfassende Darstellung seines Anliegens ein vielbändiges Lebenswerk bedeuten. Ein solches ist LeserInnen und Autor selbst fürs erste erspart geblieben, und das ist gut so – alle beide müssten schlechterdings daran zu Grunde gehen. Schroedters Text ist nicht nur eine sprachliche Zumutung, sondern auch inhaltlich äußerst wirr und so leider völlig ungenießbar. Wer sich durch diese 189 Seiten durchgequält hat, verbreitet schlechte Laune – und ist nicht schlauer als zuvor.
Das erste Kapitel „Erziehung“ soll einer allgemeinen Begriffsklärung dienen. Hastig werden zwei Schuldefinitionen aus einem Lehrbuch der 70er Jahre bemüht, um festzustellen: „Ein wesentlicher Aspekt der zitierten Definitionen von Erziehung ist die Abgrenzung von anderen Begriffen innerhalb der Pädagogik. Diese Abgrenzung der konkreten Ebene des direkten und indirekten Einflusses von einer eher abstrakteren Ebene, die eine Eingliederung in die Gesellschaft beschreibt, ist nicht überall zu finden.“ (Seite 17). Weiterhin wird definiert der Begriff „Enkulturation“: „Während die Enkulturation alle Prozesse beschreibt, die den Menschen zum handelnden Teil einer Gesellschaft machen, versteht man unter Sozialisation ‚eine besondere Klasse von kulturellen Inhalten, nämlich die sozialen’. [Korn 1996, S.52](8)(18). Enkulturation und Sozialisation werden freilich im Folgenden synonym verwendet, mal positiv mal eher abfällig. Ferner spricht sich der Autor in Kapitel 1 für eine egalitäre Erziehungssituation aus: „Eine solche egalitäre Situation, wäre auch dadurch geprägt, dass die Autorität des Erziehenden aus seiner Kompetenz und seiner Persönlichkeit resultiert und nicht aus seiner Funktion als Erziehender abgeleitet ist. Die Edukanten würden in dieser Situation den Erziehenden Respekt aufgrund dieser Autorität entgegenbringen, die sie aber durch Respektlosigkeit aufheben können.“ (20)
Hier stolpern wir über die wohl systematischste Differenzierung des Autoritätsbegriffs im ganzen Text: jene allesentscheidende Doppeldeutigkeit von rationaler Überlegenheit aufgrund von Sachkenntnis und Expertise auf der einen, und erzwungener Herrschaft durch Gewalt und Tradition auf der anderen Seite ist damit auch schon erledigt. In einer bemerkenswerten Fußnote (bemerkenswert übrigens schon deshalb, weil es nur alle zehn Seiten eine zu sehen gibt) erklärt der Autor sehr persönlich, für alle Rechtschreibfehler einzustehen und nicht etwa seinen Volksschullehrer, der ihn mit dem Stock zu schlagen pflegte, verantwortlich zu machen (25).

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Hobbyarchäologische Umwege

Im folgenden Kapitel „Wie die Erziehung autoritär wurde“ will S. die Wurzeln der Unterdrückung von Kindern und Jugendlichen ausfindig machen. Allerdings könne es hier nicht um eine „Kultur- oder Sozialgeschichte autoritärer Erziehung“ gehen. Was dann folgt? „Eine Kultur- oder Sozialgeschichte autoritärer Erziehung“! Wir begeben uns ins „Mittelpaläolithikum, 100.000 bis 50.000 Jahre v.u.Z“: Und siehe! „Die Hauptnahrungsgrundlage bestand aus gesammelten Pflanzen und Kleintieren.“ (30) Wobei noch hinzugefügt werden muss: „Der Jäger des Mittleren Altpalälithikums führte ein äußerst prekäres Leben.“ (31). Immer tiefer verirrt sich S. in blödsinnige Hobbyarchöologie: „Die Dorer sind wahrscheinlich als patriarchales Hirtenvolk um 1000 v.u.Z. In das heutige Griechenland eingewandert. Ob sie durch Eisenbewaffnung die dort lebenden Völker besiegt haben, oder ob es sich um eine Vermischung gehandelt hat ist umstritten.“ (32) Wie ein wilder Ziegenbock springt S. durch Zeit und Raum, von Mesopotamien bis Alaska, und auch die Gahuka-Gama-Indianer kommen nicht zu kurz! Es soll wohl darum gehen, historisch die Entstehung von sogenannten Initiationsriten aufzuzeigen, die den Jüngling in den Kreis der Erwachsenen einführen. Zu denken geben gleichwohl vielmehr solche Sätze: „Die Anhäufung von Schultexten an bestimmten Orten deuten (sic!) auf Orte hin, an denen das Lesen und Schreiben gelernt wurde.“ (34‘) Radikale Bildungstheorie, überschaubar und zugleich fundiert!
Mit Phantasie kann man hier und da sogar erahnen, was der Autor in etwa auszudrücken gedachte. Ärgern muss man sich aber immer. Überall lauern Demonstrativpronomen ohne jeden Bezug blöd herum. Im folgenden Beispiel etwa kann auch beim schärfsten Kombinieren weder „diese Klasse“ noch „diese Erziehung“ irgendeinem zuvor behandelten Gegenstand zugeordnet werden:
„Im weltoffenen Athen hatte der Handel als Haupteinnahmequelle dieser Klasse den Ackerbau, der in Sparta Grundlage der Herrschaft war, abgelöst. Die entwickelte Form dieser Erziehung etwa vom 4.Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung an, war Teil eines Einflusses des ‚Hellenismus‘ auf die nachfolgenden Reiche Alexanders des Großen und des römischen Imperiums. Sie wurde allerdings immer wieder zitiert, verklärt und war Vorbild für Erzieher über Jahrhunderte hinweg.“ (43). Zitiert oder was?! Deine Mudda wird zitiert, Dicker.

Unerhört Unverstanden, wiederholt widersprüchlich

Generell gelingt es dem Autor kaum, sich verständlich zu machen – oder wie hier, nur beim dritten Versuch. Bezogen auf das Höllenkonstrukt im Katholizismus heißt es:
Die Prügel, oder besser gesagt, die Angst vor einer direkt erfahrbaren Bestrafung wurde ergänzt durch die Angst vor einer Bestrafung, deren Härte lediglich durch die Vorstellungskraft Grenzen gesetzt sind. Mit den Drohungen von Höllenqualen gegenüber den irdischen Strafen wird der körperlichen Brutalität eine Grausamkeit zur Seite gestellt, die nur im Kopf des Edukanten stattfindet. Einer Dualität der Strafe wird hier der Weg geebnet, der die körperliche Bestrafung um die seelische erweitert.“ (51)
Überhaupt verbrennt sich der Autor an der schwierigen Theologie gehörig die Finger, wenn er ausgerechnet den gekreuzigten Jesu Christi als „Vorbild absoluten Gehorsams“ auslegt, weil dieser den Tod ertragen habe, anstatt sich doch gegen den Befehl des Vaters zu wehren. (53)

Immer rüpelhafter rasen wir durch die Jahrhunderte, nicht ohne vor faustdicke Widersprüche gestellt zu werden. Über Erasmus von Rotterdam etwa heißt es: „Gottesgläubigkeit und Staatstreue zeichnen seine (sic!) Werke aus.“ (66) Fünf Seiten später dann soll Erasmus „antiautoritär in der Kritik der mittelalterlichen Autoritäten“ gewesen sein! Irgendwo in der frühen Neuzeit wummst es dann wieder gewaltig: [1.] Wird in den städtischen Schulen die Allmacht der Kirche gebrochen und der Inhalt des Unterricht „zugunsten weltlicher Interessen verschoben“. [2.] Kommt es zu einer „Konstruktion von Kategorien, die nicht mehr die Frau als minderwertigen Mann und das Kind als kleinen Erwachsenen sahen“ und [3.] war im Strafkatalog der Frankeschen Schule in Halle „das willkürliche Prügeln nicht mehr vorgesehen.“ Diesmal nur sechs Zeilen später dreht S. alles soeben gesagte um genau 180 Grad: „[3.] Die Rute bleibt Erziehungsmittel Nummer eins, [2.] die patriarchale Autorität geht gestärkt aus den Auseinandersetzungen hervor und [1.] die autoritären Fraktionen des christlichen Glaubens bestimmen weiterhin die ideologische Ausrichtung.“ (75) Macht sich da jemand einen Spaß mit uns? Welch gammeliger Quark in den Augen des Lesers!

Mit Zwischenhalt/Zwischenstop bei Rousseau („steht für die Verkörperung einer Verbindung von Ökonomie, Politik und Pädagogik, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt“, (76) und Marx (der „in der Deutschen Ideologie die Kinder zu ‚Sklaven des Mannes‘ machte, (99) kommen wir endlich zu den Beispielen gelungener antiautoritärer Schulpraxis: In Francisco Ferrers „Escuela Moderna“ wurde schon 1901 koedukativ und ohne Noten unterrichtet. Nicht uninteressant, doch schon ist wieder Blödsinn angeagt: „Die ‚moderne Erziehung‘, die Ferrer als Schlüssel zu einer besseren Gesellschaft sah, wurde von seinen Feinden, besonders in der katholischen Kirche, als genauso gefährlich angesehen wie ihre positive Wirkung bei den Anhängern dieser Erziehung. Eine solche Überhöhung der Erziehung prägte die Herangehensweise der Reformpädagogen wie die ihrer Gegner gleichermaßen.“ (126).

Schmetterling-Verlag enteignen!

Nicht erst jetzt hat der Text auch den letzten Rest Glaubwürdigkeit eingebüßt. Der Verfasser, das ist leider sonnenklar, hat selbst die Masse des Materials kaum verdaut und gibt unter großen Bauchschmerzen krude Bruchstücke – genauer: Erbrochenes zum Besten.
Kurios vielleicht noch die Überlegung, dass es nicht einsichtig sei, „warum ein professionelles Verhältnis des Erziehenden gegenüber dem Zögling weniger libidinös besetzt sein soll, als das zwischen Eltern und Kindern.“ (152) Oh je.
So oder so: „Die Gewerbefreiheit war zum Beispiel zusammen mit dem englischen Adel eingeführt worden.“ (154) Das schließt aber mitnichten, immer mal wieder, oder gar nicht ganz und gar vielleicht auch doch – manchmal – nicht mit aus, nämlich das quasi: „Elektronische Medien vermitteln Wissenswertes, Vorbilder und Verhaltenscodices und die Unterwerfung nimmt mitunter sklavische Züge an, und dies oft entgegen erzieherischer Interventionen.“ (170)
Dass sich schließlich der Verfasser solcher Sätze nicht schämt – autoritäres Patriarchat hin oder her – die „allmähliche Demontage des Schutzraumes der traditionellen Familie“ zu bejammern, kann nicht mehr verwundern. (182)
Um Verzeihung, wenn hier mit unnötiger Härte nachgetreten wird. Wir lassen ja nur noch Frust ab!
Viel gemeingefährlicher noch als der Autor, der bemüht aber unglücklich noch den einfachsten Gedanken durch den Fleischwolf nudelt, erscheint uns der Schmetterling-Verlag, der diesen Schmarrn so abdruckt und in einzigartigem Etikettenschwindel der Theoriemeute als „fundierte wissenschaftliche Abhandlung“ und schließlich als „Überblick über die europäische Geschichte mit besonderem Blickwinkel“(9) verhökert. Hier wurde derart auf das Lektorat geschissen, dass sage und schreibe elf Quellenangaben im Literaturverzeichnis verschlampt wurden (25, 34, 65, 92, 96, 103, 107, 110, 151, 167)! Alles in allem: dringende Kaufwarnung!

Das große Schlußwort zum schadenfroh auf der Zunge zergehen lassen:
Der Traum, über eine ‚gute Erziehung‘ die Kinder und mit ihnen die Welt zu verbessern, ist die universale Umsetzung des Traums, dass der Sohn das väterliche Geschäft aufgrund der Erziehung gut, ja vielleicht besser weiterführt. Dem liegt die Erkenntnis zu Grunde, dass die Welt nicht gut ist, wie sie ist. Diese Feststellung ist banal, doch bedarf es einer ungeheuren Leistung des menschlichen Denkens, die ganzen Fakten, die in ihrer Gesamtheit nicht nur pessimistische Daueranwandlungen hervorrufen, sondern eine allgemeine Suizidgefährdung nach sich ziehen müssten, so zu verarbeiten, dass sie entweder verdrängt oder so verarbeitet werden, dass dieser Zustand nicht eintritt. Vielleicht ist es ja sogar besser zu sagen: nicht in dem zu erwartenden Umfang eintritt. Dies ist eine wesentliche Leistung der Enkulturation und vor allem auch der Schule, die uns lehrt, für Prüfungen eine Unmenge von Material zu erlernen, die am Tag danach nicht selten unter der Zuhilfenahme von Alkohol und anderen little helpers möglichst dem Vergessen überstellt wird.“ (189)
Na dann Prost!

Ein anderes Mal: Wie die Nazis „Wächter im höchsten platonischen Sinne“ erzogen, wie die Militärische Erziehung nach Tucholsky an das „Männchen im Mann und an das Fleischfressende im Menschen“ appelliert, und wie Adorno lieber mit den Kindern lateinische Stilistik paukt, „als daß sie törichte Klassenreisen nach Rom machen“...

Studienrat Groll

Anmerkungen

(1) Bernhard Bueb: Lob der Disziplin: Eine Streitschrift, Berlin 2006. Dagegen: Micha Brumlik (Hrsg.): Vom Missbrauch der Disziplin. Antworten der Wissenschaft auf Bernhard Bueb, Weinheim/Basel 2007.

(2) Kinder müssen Mutter und Vater achten. Ex-Direktor des Elite-Internats Salem plädiert für Respekt und Autorität, BILD vom 13.09.2006, www.bild.de/BTO/news/aktuell/2006/09/13/erziehung-serie-teil3/erziehung-serie-tel3.html

(3) Ebd.

(4) Elite-Lehrer klagt an. „Der Mangel an Disziplin ist das größte Problem unseres Landes!“, BILD vom 21.04.2006, www.bild.de/BTO/news/aktuell/2006/04/21/disziplin-mangel/disziplin-mangel.html

(5) Vgl. etwa Bestseller bei Amazon: www.amazon.de/b/ref=dp_brlad_entry?ie=UTF8&node=188715

(6) Platon: Der Staat, Stuttgart 1982, 562c-564b.

(7) „Nach unseren Ergebnissen müssen die besten Männer mit den besten Frauen möglichst oft zusammenkommen, umgekehrt die schwächsten am wenigsten oft; die Kinder der einen muss man aufziehen, die der anderen nicht, wenn die Herde möglichst auf der Höhe bleiben soll.“

(8) Die Quellenangabe [Korn 1996] taucht nirgendwo wieder auf. Dazu später mehr.

(9) www.schmetterling-verlag.de/download.php?id=188



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last modified: 21.1.2009