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»Aktualisierung eines Konzepts«

Warum wir auch weiterhin Oi!-Konzerte machen und diese auch verteidigen

Als vor zehn Jahren im Newsflyer des Conne Islands die Originalfassung des oben genannten Statements erschien, war es noch vermeintlich einfach, den vielen KritikerInnen – auch denen des nächsten Ladenumfelds – zu erklären, wieso die Etablierung von Skinhead und Oi!-Konzerten Anfang der neunziger Jahre im Veranstaltungsspektrum des Ladens wichtig und gut sei. Auf die durchaus berechtigte Frage, wieso ein antifaschistischer Laden einer Skinheadsubkultur die Tore öffnet, deren politische Attitüde bisweilen weit von den eigenen Intentionen entfernt war, antworteten wir mit überzeugter Gelassenheit: Das Conne Island verstand seinen interventionistischen Anspruch nie in der Tradition klassischer Sozialer Bewegungen, wie jener der AJZ-Szene in den achtziger und neunziger Jahren oder dem kulturellen Horizont einer HausbesetzerInnenbewegung und deren DIY-Gedanken. Im Gegenteil, die Selbstbezogenheit der autonomen Szene nervte uns gewaltig, verkörperte sie doch einen ziemlich stagnierten Kulturbegriff und war gleichzeitig weit davon entfernt, die »großen« Diskussionen dieser Zeit – »Mainstream der Minderheiten«, »Nazis und Popkultur«, »Aneignung von jugend- und popkulturellen Codes« – nachzuvollziehen und in eine politische Praxis münden zu lassen.
Neben diesem, das Conne Island bis heute kennzeichnenden Abgrenzungsbedürfnis, war es aber – neben einer grundsätzlichen, z.B. personellen und musikliebhaberischen Verwurzelung von Oi! im Conne
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Island – ein weitaus entscheidenderer Punkt, der uns den Weg zu den Skinheads wies. Wir wollten das Anfang der Neunziger verlorengegangene subkulturelle Terrain den Nazis wieder streitig machen. Aus heutiger Sicht vielleicht banal, oft versucht, als zivilgesellschaftlicher Ansatz weit verbreitet, letztlich gerade in der Provinz sehr selten geschafft. Aus damaliger Perspektive eine bisweilen existentielle Angelegenheit: Naziüberfälle gehörten in Connewitz ebenso zur Tagesordnung wie eine 80-prozentige Nazi- und Bonehead-Quote bei den Skins. Beim Stichwort Protestkultur und kurzen Haaren hatte man im Osten sehr gute Chancen, bei Nazis zu landen.
Wenn heute mit bisher selten dagewesener Vehemenz, und aus teilweise nachvollziehbaren Gründen, dieser Ansatz sowie die Conne Island-Zusammenarbeit mit den Leipziger Skins kritisiert wird, dann kommen unsere Argumente, die einen grundsätzlichen Richtungswechsel in dieser Angelegenheit abweisen, relativ routiniert. Vielleicht aber auch zu routiniert. Zwar sind wir mittlerweile – auch durch eigene Fehleinschätzungen und Auseinandersetzungen – »geschult«, die KritikerInnen von der Sinnhaftigkeit des Konzepts zu überzeugen. Zusätzlich gibt uns ein durchaus zählbarer politischer wie kultureller Erfolg recht. Das offensive Zugehen des Antifa-Ladens Conne Island auf die Oi!-Szene hat bundesweit dazu beigetragen, den Anti-Nazi-Konsens eben dieser Szene zu stärken. Aber alle Routine und aller zählbarer Erfolg helfen nichts, wenn das Verhältnis von Politik und Kultur am Conne Island missverstanden wird, wenn beispielsweise die politische Bestimmung des Kulturellen als starrer Überbau und nicht auch als permanente Auseinandersetzung und Verhandlung begriffen wird.

Das Eine ist ohne das Andere nicht zu haben...

Jener Satz eines ehemaligen Conne Island-Mitarbeiters zum Verhältnis von Politik und Kultur meinte vor allem die Eiskeller-typische Abgrenzung gegen die Connewitzer Selbstverwirklichungsmentalität. Das, was damals auf diejenigen gemünzt war, die als KiezbewohnerInnen berechtigterweise für ihren Friede-Freude-Eierkuchen-Ansatz kritisiert wurden, trifft heute zu Teilen auf die zu, welche die antifaschistische Entwicklungsgeschichte des Conne Islands ohne seine kulturpolitische Entwicklung füllen.
Denn selbst wenn man zum Idealisieren neigt, ist doch offensichtlich, dass politische (aber auch kulturelle) Institutionalisierung, Ausdifferenzierung, fehlende Ladenidentifikation und einfaches Desinteresse wichtige Gründe für das derzeitige Dilemma der vertrackten Diskussion um Skinhead-Kultur am Conne Island sind. Dass ein Laden, der sowohl politisch auf der Höhe der Zeit agiert, einen antifaschistischen Grundkonsens vor sich her treibt, eine Spende zur Bildungsoffensive (ehemals »Antifa-Mark«) einsammelt und von linken Gruppen genutzt wird, gleichzeitig überregional die anerkannteste Institution sowohl in Sachen Oi!, Hip Hop, Indie oder auch Techno ist, ist einmalig. Und natürlich einem großen Pluralismus und einem gleichzeitigen Zurücknehmen und ebenso anstrengenden wie permanenten Aushandeln von vielen Beteiligten geschuldet.

Es ist durchaus richtig zu sagen, dass das Conne Island dann am stärksten – symbolisch wie argumentativ – rüberkam, wenn sein (kultur)politisches Umfeld stark war. Wenn politische Diskussionen und aktuelle Diskurse über gesellschaftliche Konflikte (Nazis, deutscher Bürgermob, Nine-Eleven, Geschichtspolitik usw.) auf den Laden abfärbten. Sei es durch personelle Überschneidungen oder inhaltliches Thematisieren innerhalb des Kulturalltags.
Vielleicht hat es mit dem folgerichtigen Ableben einer »Kulturlinken« zu tun, dass heute auf dem Gebiet ästhetischer Vermittlung von politischen Positionen im Kulturbetrieb des Conne Island – und auch die Skinheaddiskussion gehört in dieses Feld – die Unkenntnis das Feld dominiert. Hatte damals an der »Poplinken« vor allem der allwissenden Habitus, der permanente popkulturelle Ideologietransfer und der Hang zum Distinktionsgewinn genervt, so fehlt heute im Politumfeld jene Bezugsgröße fast vollkommen: Die Frage, ob die Attraktivität von politischen Initiativen, insbesondere hinsichtlich der Integrationskraft für Jugendliche und Kids, auch von einer »kulturellen Praxis« abhängig ist, stellen sich heute nur noch die Wenigsten. Holt man sich seine MitstreiterInnen doch weniger durch die »Empörung« über die derzeitige Situation des Kapitalismus, sondern zumeist über die Straße – aus einer Mischung aus politischer Entrüstung und der Faszination anderer Alltagspraxen.
Insofern brachte die »Kulturfraktion« auch immer den nötigen Schuss Pep sowie ein »Auf der Höhe der Zeit- und Chic-sein« in die Conne Island-Szene und war bzw. ist letztlich das Sprungbrett für die eine oder andere Politgruppenkarriere.

Zurückeroberung der Definitionsmacht

Die Verbindung von Skinheads zum Conne Island gab es seit jeher. Natürlich nicht als Konzept, zu Beginn in erster Linie über Personen, Freundschaften und musikalische Vorlieben. In der Gruppe Reaktion, aus der letztlich das Conne Island entstand, strahlte die grundsätzliche Offenheit gegenüber Subkulturen auch auf die Glatzen aus. Im Klassiker Haare auf Krawall ist dieses Verhältnis von einem Protagonisten sehr treffend beschrieben: »Ich denke mal, daß wir viele Leute, die sinnlos rechte Parolen geschrieen haben, zum Faktor Spaß überreden konnten, aber ich kenne keinen [...] der mit uns mitgezogen ist, der zu den Faschos gegangen wäre.«
Dass Skinheads Anfang der neunziger Jahre in den meisten Fällen Boneheads waren, denen jeder »ordentliche« Skin den Anspruch des Skinhead-Seins abgesprochen hätte, war in dieser Zeit durchaus ein Problem. Ganz alltäglich und existentiell, denn Naziüberfälle, nächtelanges »Häuser schützen« und Angriffe auf Treffpunkte und Konzerte waren Gang und Gebe. Durchaus nachvollziehbar entstand aus dieser Situation, neben klassischen offensiven Antifa-Aktivitäten, auch ein Update von Analysen, um die »Kulturelle Hegemonie« von Nazis zu durchbrechen. Die Phänomene Nazismus und Jugendkultur hatten sich in dieser Zeit so stark einander angenährt, dass von einer hegemonialen Nazijugendkultur gesprochen werden konnte. Dass Nazis eine Symbolik aufgriffen, die (linken) Jugendkulturen eigentlich schienen – Stichworte »Rebellion«, »Protest«, »Gewalt« – warf nicht wenige Weltbilder über den Haufen und führte folgerichtig zu einem verstärkten Hinterfragen dieser »Eigentlichkeit«.
Neben einem grundsätzlichen Problematisieren des »Subkulturbegriffs« und seiner inhaltlichen Ausstrahlung, war eine Konsequenz dieser Zeit allerdings auch sehr realpolitisch. Um die Stellung halten zu können, musste den Nazis jugendkulturell – also ganz praktisch – das Wasser abgegraben werden. Skinheadkonzerte hatten daher Mitte/Ende der neunziger Jahre neben der unerhörten Attraktivität für die Szene auch den Anspruch, »real Skinhead-Life« zu vermitteln, waren »pädagogisches« Konzept und vermochten es, so einigen Dumpfbacken den Kopf zu waschen. »Politik« hatte draußen zu bleiben, Spaß und ein explizit formulierter Anti-Nazi-Standpunkt waren Grundlage für die Etablierung von Oi! im Conne Island auf breiter Basis. Die Rahmenbedingungen waren immer klar: Conne Island und Skinheads sorgen dafür, dass Nazis nicht in den Laden kommen. Sollten Leute, die gerne den Arm heben, durchschlüpfen, waren die Glatzen die ersten, die alle Nazis in Sekundenschnelle und nachdrücklich des Saales verwiesen. Dass dies nie selbstverständlich und einfach ablief, hart erkämpft werden musste und innerhalb kontroverser Diskussionen und Auseinandersetzungen permanent neu verteidigt wurde, ist hierbei ein ganz entscheidender Punkt. Die Leipziger Skinheads trugen damit maßgeblich dazu bei, was heute als selbstredend existiert, und genießen zu Recht das Vertrauen des Ladens.
»Veränderlich- und Entwicklungsfähigkeit« sind dabei, wie die eigene Reflexion, Kategorien, die innerhalb dieser »Konzeption« eine durchaus tragende Rolle spielen. Mit »akzeptierender Jugendsozialarbeit« hat dies nur in böswilliger Betrachtungsweise zu tun. Weder vertritt das Conne Island eine »ModernisierungsverliererInnenthese« in der wir Nazis als Opfer der Verhältnisse oder ähnliches sehen, noch wird hier Faschos irgendeine Form von Verständnis entgegengebracht, im Gegenteil.
Sowohl in Einzelfällen – wenn z.B. ehemalige Nazis als Gast zu Conne Island-Konzerten wollten – als auch bei strittigen Bands, entschied das Conne Island stets an individuellen Fakten und am konkreten Handeln der Personen oder KünstlerInnen. In den allermeisten Fällen hat dies dazu geführt, »Problemfälle« zu binden und »Grauzonen« zu klären. Die transparent gehaltenen Diskussionen um Bands wie Springtoifel, 4 Promille oder Perkele im Oi! oder Agnostic Front und Discipline im Hardcore sind kleine Erfolgsgeschichten mit riesiger Wirkung. Auch durch die – oftmals freundschaftliche – Bindung ans Conne Island ist heute das Image dieser Bands klar.

Wer nichts macht, macht nichts falsch...

KritikerInnen dieses Modells freilich hatten die politische Glaubwürdigkeit des Ladens an diesem Punkt schon immer in Frage gestellt. Und oftmals auch zurecht, denn trotz größtmöglich versuchter Transparenz gab es im Werdegang und in der Vermittlung von Entscheidungen des Conne Islands an manchen Punkten durchaus Mankos. Unbenommen ist der vom Conne Island gewählte Weg nicht jedermanns/fraus Sache. Unbenommen sind die Differenzen vieler Conne Island-MacherInnen- und BesucherInnen in Punkto Arbeits- oder Nationenbegriff, Geschlechterrollen, Proll- und Saufkultur der Skinheadszene enorm – und berechtigt. Niemand verdenkt den Leuten die Kritik am Antikommunismus einiger Combos.
Wenn nötig, hat das Conne Island hier auch Konsequenzen gezogen. Die Bands Lokalmatadore und Kassierer beispielsweise werden die Bühne des Conne Island aufgrund ihrer frauenverachtenden und sexistischen Texte auch perspektivisch nicht betreten. Von den New Yorker Agnostic Front und den Holländern von Discipline verlangten wir ebenso ein Statement zu problematischen Textinhalten, wie zuletzt von Stomper 98. Alle Beispiele illustrieren weder einen »Sonderweg« in der kulturpolitischen Betrachtung von Oi!, noch die bisweilen unterstellte Wankelmütigkeit oder Inkonsequenz. Sie sind vielmehr die gelebten Ergebnisse unseres Verständnisses von politischem Agieren im Kulturellen. Ein Agieren, das einzelfallabhängig und individuell ist, aber gleichzeitig spartenübergreifend gleichbedeutende, wenn auch auf Szenespezifiken reflektierende Maßstäbe anlegt und um deren Verwirklichung ringt. Neben einem antifaschistischen und antirassistischen Grundkonsens, den wir bisweilen auch explizit ausgesprochen einfordern, gehören z.B. auch die Ablehnung von Antisemitismus, Homophobie und Sexismus dazu. Exempel und symbolische Entscheidungen können innerhalb dieser Auseinandersetzungen ebenso statuiert und getroffen werden, wie Bands und KünstlerInnen nach geführten Auseinandersetzungen auch »rehabilitiert« werden können.
Gleichzeitig ist Oi! am und im Conne Island bis heute – auch personell – fest verwurzelt: als mehr oder minder zelebrierte Subkultur und gern gehörte Musik. Die Leipziger Skinheads supporten seit Jahren den Laden, das Conne Island unterstützt innerhalb eines sehr bewussten und gereiften Prozess die Szene, ihre Bands und Konzerte. Die Relevanz und der beschriebene Laden-Umgang sind also keine abstrakte »Vorstellung«, sondern ziemlich »real«. So wie einst Punk und Hardcore, später vielleicht die »Hamburger Schule« und noch später Techno das kulturelle Profil des Conne Islands prägten, so trifft dies ebenso – bis heute – auf Oi! zu. Trotz mancher politischer Gratwanderungen hielten wir dabei eigene Verrenkungen in Grenzen. In heftigen Diskussionen wurden die »Leitlinien« von Oi! – siehe oben – am Conne Island festgezurrt. Sie dienen heute nicht nur uns, sondern bundesweit für VeranstalterInnen, Bands und Konzertläden als Orientierung.
Durchaus hat sich die subkulturelle Situation in den vergangenen Jahren verändert. Mit Sicherheit ist die Bedrohungssituation in Leipzig allgemein und für eine Skinheadszene im Speziellen durch Naziskins heute weitaus geringer als Mitte der neunziger Jahre. Falsch wäre es unserer Meinung nach, aufgrund dieser Kausalität – deren bundesweite Durchsetzung wir bezweifeln – das praktizierte Konzept in Frage zu stellen. Es mag vielleicht vermessen klingen, aber dass wir in Leipzig und Umgebung mit einer nazifreien Skinheadszene hantieren können, ist auch ein Ergebnis der jahrelangen Arbeit des Conne Islands mit der Szene – und umgekehrt. Die Situation in Leipzig ist nicht zuletzt deshalb so »luxuriös«, weil das Conne Island an diesen Punkten investiert hat. Investiert in politische Auseinandersetzungen anstelle rigider Abgrenzung. Investiert in ein permanentes »Hinweinwirken« in eine Szene, die dies durchaus auch an- und ernstnahm. Bis heute ist dieser Erfolg genug der Motivation, um hier weiterzumachen und dranzubleiben.

Conne Island im Dezember 2008


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last modified: 18.12.2008