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Blau-weiß meets dunkelrot

DIE LINKE und Israel. Von Jule Nagel

Es ist kein Geheimnis, dass der Nahostkonflikt mittlerweile auch in der ehemaligen PDS, die mit WASG und versprengten Einzelpersonen und Grüppchen im Juni 2007 DIE LINKE wurde, schwelt. Hinter der Debatte um das Verhältnis zum Staat Israel geht es um Grundzüge eines zeitgemäßen linken Selbstverständnisses, das aus dem Zivilisationsbruch Auschwitz gelernt hat. Im kritischen Fokus stehen dabei das dominierende antiimperialistische Selbstverständnis der Partei, die inhaltliche Schärfe des unzweifelbar vorhandenen antifaschistischen Common Sense und vermittelt auch die Qualität der Kapitalismusanalyse und -kritik. Es ist kein Hirngespinst, dass hinter den schwer inhaltlichen, selbstreflexiven Auseinandersetzungen auch knallharte strategische Fragen – Stichwort Regierungsfähigkeit oder, vulgär gesprochen, Salonfähigkeit – stehen. Eine Partei, die verantwortlich politische Prozesse beeinflusst bzw. beeinflussen will, kann sich nicht mit einer außenpolitischen Position begnügen, die globalen Konflikten nur analytisch und pazifistisch begegnet und gerade Israel hauptsächlich als kriegstreibenden Besatzer versteht.

Nachholende Debatte

Aus dieser öffentlich kaum wahrnehmbar geführten Israel-Debatte wurde pünktlich im Vorfeld des ersten ordentlichen Bundesparteitages der LINKEN im Mai 2008 ein Flächenbrand. Der im Sommer 2007 gegründete Bundesarbeitskreis „Shalom“ des LINKE-Jugendverbandes linksjugend ['solid] machte mit nur einer Pressemitteilung heftig Wirbel. Dass „Norman Paech als Außenpolitischer Sprecher untragbar“ sei, wurde darin aufgrund eines Vortrages des Bundestagsabgeordneten proklamiert. In seinem „Politischen Reisebericht“ über Palästina hatte Paech wie gewohnt antizionistische Ressentiments und Verbrüderungsbekundungen in Richtung Hamas vom Stapel gelassen.

Es war allerdings Gregor Gysi, der zwei Wochen vorher im Rahmen einer von der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung ausgerichteten Veranstaltung zum 60. Jahrestag Israels die Debatte über das Verhältnis seiner Partei zu dem jüdischen Staat eröffnet hatte. Gregor Gysi bezog in seinem Beitrag klar Position: Antizionismus, der sich seinem Wesen nach gegen die historische politische Bewegung für einen eigenen jüdischen Staat richtet, könne keine Position der LINKEN sein, nein „Solidarität mit Israel“ müsse sich die Linke auf die Fahnen schreiben.
Die unmissverständliche Gysische Wegweisung wurde dem BAK Shalom zum perfekten Fahrtwasser: „60-Jahre-Israel“-Aufkleber, die israelische SoldatInnen oder ein küssendes Schwulenpärchen zeigten, ein blau-weiß gehaltener Blog, sowie gezielt gestreute, antizionistische O-Töne des außenpolitischen Sprechers der Linksfraktion, säumten den Weg einer öffentlichen Präsenz, von der andere Arbeitskreise des Jugendverbandes, wie auch dieser selbst, nur träumen konnten. Dabei hat die „bürgerliche Presse“ wohl kein originäres Interesse an der Analyse des Antisemitismus oder der Verquickung von Antisemitismuskritik und Gesellschaftskritik. Es waren v.a. die Fragen nach innerparteilichen Lagerbildungen, personalpolitischen Phalanxen oder nach der Revision der radikalen friedenspolitischen Position der LINKEN, welche die journalistischen BeobachterInnen umtrieben.

Norman Paech enthielt sich einer inhaltlichen Reaktion auf die Vorwürfe seiner im medialen Fokus stehenden KritikerInnen, im Gegensatz zu ein paar, ihm tendenziell nahe stehenden LINKE-PolitikerInnen. In einem in Reaktion auf die Gysi-Rede veröffentlichten Papier(1) insistieren die VerfasserInnen – unter ihnen MdB Ulla Jelpke und MdEP Sahra Wagenknecht – zwar vor allem auf die „Tradition und Notwendigkeit des antiimperialistischen Kampfes“ und arbeiten sich kritisch am Begriff der Staatsräson ab, zum dem die LINKE nach Gregor Gysi ein entkrampftes Verhältnis entwickeln solle, v.a. bezogen auf ein solidarisches Verhältnis zum Staat Israel. Doch auch ungewohnt neue Töne sind von den ProtangonistInnen des „Fundi“-Flügels zu vernehmen: „Wir wissen, dass es manchmal schwer ist, genau zu bestimmen, wo Grenzen überschritten werden und Kritik an Israel in das Wideraufleben antijüdischer Ressentiments übergeht. Wem das Fingerspitzengefühl für diese Grenze und das Wissen um die Probleme fehlt, sei angeraten, zu dieser Frage lieber zu schweigen.“ Außerdem verbiete sich „gerade in Deutschland jeder Vergleich der israelischen Politik mit der der Nazis. Nicht eines der widerlichen Klischees, mit denen die Nazis ihren sechsmillionenfachen Mord an Juden ideologisch zu legitimieren suchten, darf sich in einer Argumentation eines Linken wiederfinden“. Und weiter: „Eine Konferenz in Teheran, die meint, das Ausmaß des Holocausts neu erforschen zu müssen“ dürfe für die LINKE „kein Kavaliersdelikt sein“.
Besonders tief geht die Antisemitismus-Kritik der AutorInnen allerdings nicht. So fehlt auch in diesem Papier eine Positionierung zu Hamas und Co., denen im antiimperialistischen linken Weltbild der Status von emanzipatorischen Befreiungsbewegungen zukommt. Es ist bekannt, dass deren Kampf um das Selbstbestimmungsrecht des „palästinensischen Volkes“ nur um den Preis der Auslöschung Israels zu haben ist. Solange der islamische Antisemitismus also ausgeklammert bleibt, bleibt auch die vorsichtige Kritik israelbezogenen Antisemitismus' ein Lippenbekenntnis.
Im Zuge des Libanonkrieges war der außenpolitische Sprecher des Parteivorstandes der Partei, Wolfgang Gehrcke sogar mit Parlamentariern der libanesischen, mit der HAMAS verbändelten und vom Iran unterstützten Hisbollah zusammengetroffen. Zu einer Nahostkonferenz von Linksfraktion und Rosa-Luxemburg-Stiftung im November 2006 wurde als „Vertreter der Zivilgesellschaft“ der der HAMAS angehörende palästinensische Regierungssprecher Dr. Ghazi Hamad eingeladen.

Umgang mit Kritik

„Üble Methoden“(2) warf Norman Paech dem BAK Shalom, den er als „Boygroup des Henryk M. Broder“ bezeichnet, vor. Wer hier tatsächlich üble Methoden verwendet, muss genauer betrachtet werden. So hört mensch, dass in Bundestagsfraktionskreisen arbeitsrechtliche Konsequenzen (sprich die Entlassung) gegen Protagonisten des BAKs gefordert wurden.
Während politische Kontroversen für die Mutterpartei ganz normal, wenn nicht gar essentiell sind, ist sich der Jugendverband nicht zu blöd, restriktiv in die „Israel-Debatte” einzugreifen. Dem BAK Shalom soll faktisch der Mund gestopft werden.
War bereits die Gründungsveranstaltung von linksjugend ['solid] im Mai 2007 ein Feldzug gegen libertäre, moderne link(s_radikal)e Positionen, illustriert das Vorgehen des nunmehr von der Strömung „Antikapitalistische Linke“ dominierten Verbandes ein dogmatisches Verständnis sondergleichen. Am 13. 6.2008 beschloss dessen Vorstand („BundessprecherInnenrat“), dass der BAK Shalom Gelder an den Verband zurückzahlen soll. Hintergrund sei die satzungsmäßige Festlegung, dass Öffentlichkeitsarbeit nicht durch die Arbeitskreise, sondern durch den Vorstand allein getätigt werden darf. Ein Arbeitskreis darf also faktisch nicht öffentlich arbeiten. Die Aufkleber, Flyer etc. die der BAK bisher auf Kosten von linksjugend ['solid] herstellen ließ, bedeuten in der Lesart dieses illustren Gremiums die Ausbeutung der „in der Satzung getroffenen Festlegungen betreffs der thematischen Organisationsfreiheit im Bundesverband für strömungspolitische Bestrebungen“ und das Unterlaufen der „demokratischen Meinungsbildungsstrukturen des Verbandes“. Satzungen werden in der Linken auch als Herrschaftsinstrumente benutzt; die Jünger stalinistischer Methoden wissen sie offensichtlich anzuwenden. In diesem Sinne ist es nicht unwahrscheinlich, dass der BAK Shalom das für den 15.8. anberaumte innerverbandliche Schiedsverfahren verliert. Dass die Intervention des linksjugend-Vorstandes inhaltlich motiviert ist und nicht zuforderst einer wachsamen Formalientreue entspringt, liegt derweil auf der Hand. Schon als sich der BAK Shalom zu konstituieren ankündigte, wurde die „Gegen“-Gründung eines BAK Freies Palästina in Aussicht gestellt, die sich freilich nie vollzog. Ein Schiedsverfahren wäre wohl dann nicht initiiert worden, wenn es eine schlüssige, inhaltliche Gegenposition zu denen des BAKs gegeben hätte, was nicht unspannend gewesen wäre.
Anscheinend lassen die intellektuellen Ressourcen der Führungsschicht der linksjugend inhaltliche Debatten nicht zu. Aus den bundesweiten Jugendverbands-Gremien wurden innerhalb eines Jahres beinahe alle Protagonisten verdrängt, die emanzipatorische, durch die undogmatische und kritische Linke geprägte Positionen, vertreten und den Anspruch eines (begrenzten) politischen Pluralismus nicht nur nominell vor sich hertragen. Beruhigend scheint nur, dass einmal mehr bestätigt wird, dass Ausschluss, Verbot und Restriktionen die Praxis der Dummen und autoritär Fixierten sind.

Entfokussierung

Nun wäre es zu einfach und unehrlich, in einem eindimensionalen Bashing des eigenen politischen Backgrounds zu verharren, auch wenn dies den in der kleinen Leipziger-Szene-Welt verhafteten KritikasterInnen einerseits und denen, die allein Vorurteile bestätigen wollen, gefallen würde.
Mag das Schiedsverfahren gegen den BAK Shalom auf die Schwäche der eigenen Position im Jugendverband hinweisen, liegen die Dinge in der weitaus relevanteren Mutterpartei nicht so klar.
Der BAK Shalom baut auf die Vorarbeit der zuerst aus Leipziger LINKE-Zusammenhängen initiierten Intervention gegen antizionistisch-antisemitische Töne gegen Israel und Parteinahmen für und die Einladung eines Vertreters einer islamistischen Terrororganisationen im Jahr 2006. Ein offener Brief(3) und ein Aufruf für die Ausladung des HAMAS-Sprechers Dr. Ghazi Hamad von einer Konferenz der Linksfraktion im Deutschen Bundestag und der Rosa-Luxemburg-Stiftung(4) sorgten für positive Feedbacks. Der Aufbau eines Netzwerkes, das gegen israelbezogenen Antisemitismus, für eine fundierte Kapitalismusanalyse und für eine klare Distanzierung von diktatorischen, antiemanzipatorischen Befreiungsbewegungen eintritt, war damals auf den Weg gebracht. Anfeindungen vor allem aus der ostzonalen Parteibasis sah mensch sich schon damals ausgesetzt, doch traten bundesweit Personen und Zusammenhänge zutage, die Israel-Solidarität als zentralen Pfeiler des linken Selbstverständnisses und Wirkens bejahten. Auch die in der Ost-Linkspartei harsch angegriffene Ausstellung „Das hat‘s bei uns nicht gegeben. Antisemitismus in der DDR“ wurde von Mitgliedern der Partei und vor allem von Entscheidungsträgern in der Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützt und begleitet.

Die Frage, ob das gezielte Angreifen verantwortlicher Personen, das mit viel Schlamm und Machtorientierung verbunden ist – das Agieren „von oben“ also oder das Ringen um inhaltliche Hegemonie im Sinne einer allmählichen Verschiebung von zementierten Meinungshoheiten durch die besseren Argumente, sprich die Sensibilisierung für die verschiedenen Facetten aktuellen Antisemitismus’ – die bessere Interventionsstrategie wäre, prägte schon die Debatten auf dem Initiativtreffen zur Gründung des BAK Shalom. Die „Abschussstrategie“ hat ihr Ziel offensichtlich nicht erreicht, Prof. Paech denkt nicht daran, der Forderung der „Broder-Jünger“ nachzukommen. Die geschaffene Öffentlichkeit und neue Netzwerke sind allerdings für den BAK und seine SympathisantInnen eine gute Basis, auf deren Grundlage im BAK über einen Strategiewechsel nachgedacht wird. Ein paar mehr fundierte inhaltliche Marker anstelle besonders bunter Israel-Accessoires wären wohl tatsächlich angebracht. Aber immerhin: dass Norman Paech im nächsten Jahr noch mal aussichtsreich auf einer Bundestagswahlliste platziert wird, ist keineswegs in trockenen Tüchern.

Nachtrag: Oberflächliche „Soziologie“ der Partei DIE LINKE

Die Partei die LINKE ist mittlerweile weder nur noch ostdeutsche Provinzpartei, die ihr demokratisch-sozialistisches Profil zugunsten eines reduzierten „Pro-Ostdeutschland, Pro-Arbeit und Contra-Stiefel-Nazi- Forderungskataloges“ einebnen will, wie es ein wahrscheinlicher Entwicklungspfad für die PDS gewesen wäre. Sie wird allerdings niemals die Ansprüche an ideologische Homogenität erfüllen, wie es in ihrer Wahrnehmung begrenzte Linksradikale implizit einfordern. Gerade nach der „Neugründung“ vor über einem Jahr und im Angesicht zahlreicher Wahlen sowie einer Programmdebatte schwelen in der Partei Strömungskämpfe. Auf der einen Seite steht dabei eine starke Front, die auf verbalradikalen Sozialpopulismus setzt. Ihr Hauptaugenmerk liegt auf der Beseitigung des „Hauptwiderspruchs zwischen Kapital und Arbeit“. Antisemitismus stellt in deren Sinne kein eigenständiges Phänomen dar, im Gegenteil ist die „altsozialdemokratische Position“ in ihrer oberflächlichen Kritik des Kapitalismus anfällig für verschwörungstheoretische, antisemitische Argumentationsmuster, wenn sie beispielsweise das Finanzkapital verdammt und Heuschrecken-Vergleiche anwendet.
Auf der anderen Seite steht vor allem der „Realo“-Flügel, der zwar das demokratisch-sozialistische Profil der alten PDS retten will, Grund- und Freiheitsrechte stark macht und Israel-Solidarität einen wichtigen Stellenwert einräumt. Doch wird sich hier auch sukzessiv linker kapitalismus- und staatskritischer Wurzeln entledigt. Zugespitzt kann diese Strömung als das SPD-Pendant zur modernisierten Sozialdemokratie mit ihrem „Dritten Weg“ bezeichnet werden.

Zwischen diesen hart gezeichneten Polen ist es vor allem das lose Netzwerk „Emanzipatorische Linke“, das Menschen und Zusammenhängen Raum bietet, die durch die radikale Linke, durch linke soziale Bewegungen und undogmatische Ideenschulen geprägt sind und sich nicht pragmatisch auf die Funktionsweise von Parteien einlassen sowie Machtmechanismen und Deutungshoheiten hinterfragen wollen. Für die Arbeit gegen Antisemitismus in seinen verschiedenen Facetten, die nicht vorrangig auf im realpolitischen Raum vertretbare außenpolitische Positionen reduzierbar sein soll, ist dieser Zusammenhang wohl immer noch die beste Ansprechpartnerin, wenngleich es ihr an Organisierung mangelt und der Anspruch, die Dinge differenziert und ausgewogen zu betrachten, zu oft zu abstrakt-beliebigen Nicht-Positionierungen führt.

Die Autorin ist Mitglied im Landesvorstand der LINKEN.Sachsen, arbeitet im linXXnet und ist Mitinitiatorin der Israel-Debatten in der LINKEN (www.israel-debatte.de)

Anmerkungen

(1) Staatsräson und Regierungsbeteiligung, 22.5.08, die-linke.de/partei/zusammenschluesse/ kommunistische_plattform_der_partei_die_linke/dokumente/ staatsraeson_und_regierungsbeteiligung

(2) dieses und folgend Zitate von Norman Paech aus seinem Newsletter vom 9. Juni 2008, www.norman-paech.de/index.php?id=449#c1745

(3) www.linxxnet.de/aktuell/07-08-06_offener-brief-israel.htm

(4) www.israel-debatte.de/texte.html





Amerika, 40.9k


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last modified: 24.8.2008