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Über die Unmöglichkeit einer Antwort

oder Was zu sagen wäre – Eine Replik auf Jan Gerber

Ursprünglich hatte die sog. „Antifa-Debatte“, ganz allgemein gesprochen, den gesellschaftskritischen Gehalt der Antifa-Bewegung zum Gegenstand. Stellt man die Diskussion zwischen Andreas Reschke, Mario Möller und Roman in einen größeren Zusammenhang, geht es – wieder einmal – um die Frage nach dem Verhältnis von Theorie und Praxis oder anders gesagt: um das von Kritik und Realpolitik. Von den Bananen-Kostüm, 11.2k historischen Debatten unterscheidet sich die gegenwärtige insofern, als nicht nur immer noch keine Revolution in Sicht ist, sondern auch das antideutsche Bezugssystem, von dem alle Beteiligten ausgehen oder sich zumindest daran orientieren, zu einer erheblichen Problematisierung linker Gewissheiten geführt hat. Das Auseinandertreten von Realpolitik und revolutionärer Aktion, von kleinen und großen Schritten, ist überhaupt ein Problem, das erst mit dem Verlust einen revolutionären Subjekts und der emanzipatorischen Perspektive virulent wird. Die frühe Kritische Theorie hatte das bereits in sich aufgenommen. Aus der durch die russische Revolution und den 1.Weltkrieg induzierten Ahnung, dass Revolution wohl nicht anstand, wurde mit dem Nationalsozialismus und der Vernichtung der europäischen Juden die Überzeugung der grundsätzlichen Verstelltheit. Die mit der späten Kritischen Theorie prominent gewordene Denkfigur, im „Angesicht der Verzweiflung“ die Dinge so zu betrachten, „wie sie vom Standpunkt der Erlösung aus sich darstellten“ (Theodor W. Adorno) ist theoretischer Ausdruck dieses praktischen Problems.
Das alles scheint der Kontext zu sein, in dem Jan Gerber sich genötigt sieht, mit dem Hinweis auf den „Kommunismus“ oder – angeblich „weniger auftrumpfend“ – des „ganz Anderen“, seinerseits mit einer Art Metakommentar in die Debatte einzugreifen. Metakommentare – und gerade die Theorie-Linke produziert sie am laufenden Band – haben für den Kommentierenden den Vorteil, den Gegenstand auf einer höheren Ebene verhandeln zu können, ohne tatsächlich etwas über den Gegenstand sagen zu müssen. In Gerbers Fall bedeutet es, lieber etwas über die Teilnehmenden der Debatte zu sagen, als über deren tatsächliches Thema. Dazu wird „einem ehemaligen Redakteur des Conne-Island-Newsflyers“ nicht weniger als der Status des „Kritikers“ abgesprochen und ein begrifflich Rahmen aufgespannt, in dem eigentlich immer schon alles gesagt ist. Dazu muss man freilich die Texte geradebiegen, sie überspitzen und die Richtung zu Ende Denken, wo man meint, dass die Dinge endlich klar sind. Aus Romans Empfehlung, sich über den gesellschaftlichen Standort des eigenen realpolitischen Engagements klarzuwerden und diese Erkenntnis in das Verständnis von Politik und Kritik einzubeziehen, wird in der Gerberschen Lesart die Empfehlung, Verantwortung für Deutschland zu übernehmen. Der allmählich aufgespannte Kontext des sich seine Verhältnisse zurechtbiegenden „Jungakademikers“ (wie alle personalen Kategorien bei Gerber ausschließlich männlich) wird schließlich zu einem Set von Idealtypen hinter denen die Realität sich allenfalls noch erahnen lässt. Im Zweifelsfall psychologisiert man und macht aus einer durchaus treffend beobachtenden partikularen Erscheinung ein allgemeines Gesetz.(1) Über die tatsächliche Verfasstheit der Akademie und den jeweiligen Ergüssen ihrer Mitglieder muss man gar nicht erst sprechen, weil man weiß, dass sie qua Standort nur falsch sein können.(2) Diese und ähnliche Überdrehungen zu monieren zielt jedoch an der Ebene, auf der Jan Gerbers Text angesiedelt ist, vorbei und man könnte sie geflissentlich ignorieren, hätten jene holzschnittartigen Entwürfe der Realität nicht eine so eminent wichtige erkenntnistheoretische Funktion. Dass es im Alltag mit dem Wahren und Falschen selten so einfach ist, das weiß auch Jan Gerber. In die Figur des „Kritikers“, die man rhetorisch evoziert, d.h. in das vornehmlich Medium der Kritik, nämlich Texte, scheint dies in keinster Weise einzugehen. Denn, so steht zu vermuten, auch der „Kritiker“ hat es schwer mit seiner Identität. Denn nicht nur möchte er sagen können, was Gut oder Schlecht, sondern es geht zudem darum, sich abzusetzen von jenen, die zwar die gleichen oder ähnlichen realpolitischen Positionen vertreten, dies aber nicht für den Kommunismus tun(3), sondern einfach, weil sie es für richtig halten.(4) Die Distinktion wird folglich in das Telos der Parteinahme gelegt bzw. – nicht weniger, sondern weit mehr auftrumpfend – in den „Standpunkt des ganz Anderen.“ Dann teilt sich die Welt wieder neu auf, etabliert übersichtliche Verhältnisse und verleiht der eigenen politischen Parteinahme eine höhere Weihe. Ärgerlich ist dies nicht an sich. An einem über das Bestehende hinausgehenden Begriff von Emanzipation wäre festzuhalten, würde man die Implikationen dessen über eine eingespielte Phraseologie hinaus einmal ernstnehmen. Geschieht das nicht, verfällt die mit schweren Begriffen erkaufte Radikalität dem Verdacht, keine der Praxis zu sein, noch gar nicht mal dergestalt, dass man das Problem theoretisch irgendwie „tiefer“ angehen würde. Sie bliebe eine Radikalität der Rhetorik.
Denn was ist das für ein Verständnis des Politischen, das konkretes realpolitisches Engagement zu einer halbherzigen Ersatzhandlung degradiert, im Zeichen einer Befreiung, von der man nicht nur glaubt, dass sie momentan nicht ansteht, sondern die man, so scheint es, sowieso nicht ganz ernst nimmt? Wer nicht fragen möchte, was der Gehalt jenes „ganz Anderen“ sei, wie sich seine Permanenz im historischen Bewusstsein der Menschheit erklärt und was uns die Geschichte seines Ausbleibens eigentlich zu sagen hat, der bringt nicht mehr in Anschlag als eine rhetorische Figur. Deswegen lässt sich Jan Gerber auch nichts anderes vorwerfen, als was er seinerseits den „Jungakademikern“ vorwarf: Begradigung der Realität zum Zwecke der Identitätswahrung. Scherte man aus diesem Rahmen aus, würde man auf den Bruch zwischen Realität und dem, was im Text suggeriert wird, hinweisen und am Ende vielleicht sogar konkrete Positionen und Standpunkte als das diskutieren wollen was sie sind, ohne vorher zu schauen, wie Arbeitswelt und Adoleszenz wohl zusammengebracht wurden, man hätte sich bereits aus dem Gerberschen Universum katapultiert.
Deswegen lässt sich auf Jan Gerber nicht antworten ohne ihn zu verfehlen oder am Text selbst abzuprallen. Und dennoch muss man es – gerade auch um der emanzipatorischen Intention des Ausgangstextes willen. Denn dem vielleicht größten Problem, das sich eine Position wie die Jan Gerbers einhandelt, und an dem tatsächlich einiges hängt, geht man aus dem Weg: Wer im Sinne der Kritischen Theorie das „ganz Andere“ als ein Licht begreift, das auf die Realität scheint und dadurch in ganz besonderer Art und Weise emanzipatorisch handlungsanleitend wird, der muss sich die Frage stellen, wo dieses Licht denn herkommt. Auf diese Frage gibt es grob gesprochen zwei Antworten. Gibt man zu, dass uns die Idee einer besseren Gesellschaft nur aus dem Bestehenden und vor allem – auch das wäre endlich einmal ernstzunehmen – aus einem historischen Überlieferungszusammenhang gegeben ist, dann steht man automatisch auf Seiten einer immanenten Kritik. Dann ließe sich die Unterscheidung, was ein bloßer „Verbesserungsvorschlag“(5) ist und was auf das „ganz Andere“ zielt schon nicht mehr so leicht vornehmen. Theologie wiederum wäre es, das „ganz Andere“ als vollständig von Außen kommend zu denken, als Idee einer Erlösung deren Telos der Widerspruchsfreiheit schon allein durch den Mensch als Naturwesen konterkariert wäre. Ist die Utopie einmal als theologisch ausgewiesen und damit ihre Nichterfüllbarkeit anerkannt, stehen die endlichen Kritiker und Kritikerinnen genauso hilflos da wie in der ersten Variante. Denn um dann noch zu entscheiden, was Gut und was Schlecht ist, bleibt nichts anderes übrig als den Blick auf die Realität und ihre Geschichte zu wenden. Wer keins von beidem tut und stattdessen die Verhältnisse derart leichtsinnig in die personalen Kategorien „Kritiker“ und „Parteigänger der Zivilgesellschaft“ auflöst, gewinnt zwar Distinktion, aber keine Erkenntnis.

Walther Schrotfels

Anmerkungen

(1) Das in diesem Zusammenhang herausgestellte „Bedürfnis nach Kontingenz“ bezeichnet den Sachverhalt dabei äußerst missverständlich. Schließlich geht es in dem was Gerber beschreibt um das Herstellen von Verbindung, Kohärenz, von Notwendigkeit und Zusammenhang. „Kontingenz“ meint genau das Gegenteil, nämlich Unverbundenheit und Zufälligkeit.

(2) Dieses Detail entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Ein Argument mit dem Hinweis auf seinen Standort und seinen Entstehungszusammenhang zu delegitimieren, d.h. es nicht immanent zu widerlegen, sondern durch externe Zusammenhänge zu relativieren, genau das ist es, was man immer wieder der sog. Postmoderne vorgeworfen hat.

(3) Ein Beispiel dafür ist die derzeit virulente und auch in Gerbers Text durchscheinende Kritik an der „falschen Israelsolidarität“ bzw. der „Politikberatung.“

(4) Überhaupt liegt an diese Stelle ein Problem. Wenn Gerber einfordert, dass die Parteinahme „ihre Grenzen reflektiert“, zu wem spricht er da? Sind es nicht die RealpolitikerInnen, die genau das tun, nämlich von ihrer Praxis nicht mehr zu erwarten als sie leisten kann? Sind es nicht die „Kritiker“, die glauben, mit punktuellem realpolitischen Engagement gerade auf mehr zu zielen, als die Praxis eigentlich impliziert? Das Verhältnis von Pragmatismus bzw. Instrumentalismus (den Gerber zu empfehlen scheint) und Idealismus (der anderseits die Richtschnur des Pragmatismus sein soll) ist eins der ungeklärten Probleme des Textes.

(5) Auch das ist reichlich zynisch, wenn man die existentiellen Dimension bedenkt, mit der sich zivilgesellschaftliche Initiativen weit öfter auseinandersetzten als die Mehrheit der AutorInnen dieses und ähnlicher Blättchen, einschließlich des Autors dieser Zeilen.


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last modified: 20.5.2008