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Gegengeschichte

Buchcover, 50.4k

Bini Adamczak: Gestern morgen. Über die Einsamkeit kommunistischer Gespenster und die Rekonstruktion der Zukunft“, Unrast Münster 2007

Das Buch ist im Infoladen im Conne Island zur Ausleihe erhältlich.

Nach „Kommunismus für Kinder“ liefert Bini Adamczak eine drastische Bestandsaufnahme kommunistischer Vergangenheitsbewältigung
In „Office Space“, dem Realfim von „Beavis & Butthead“-Schöpfer Mike Judge über die Hölle der Büro-Cubicles und des Arbeitens allgemein, kriegt sich eine Angestellte nicht mehr ein, als sie beim Postausteilen unter den Empfängern auf einen Michael Bolton stößt. Genervt antwortet er ihr, daß das wirklich sein echter Name sei und er dennoch nicht mit dem Sänger gleichen Namens verwandt sei. Als sie weg ist, wird er von seinem Kollegen gefragt, warum er seinen Namen denn nicht ändern würde, wenn ihm das ständig passiert. Darauf antwortet er: „No way. Why should I change? He‘s the one who sucks.“
Ähnlich ließe sich argumentieren, wenn die Frage aufkommt, warum am Begriff „Kommunismus“ festzuhalten ist: Was bisher unter diesem Namen veranstaltet wurde, so könnte geantwortet werden, war eben keiner, basta. Diese Position unterstützte nicht zuletzt auch Bini Adamczak mit ihrem Kommunismus-Kinderbuch(1), in dem alle bisherigen Versuche mit der schönen Refrain-Zeile „Nein, nein, das ist nicht der Kommunismus“ enden.
Doch so berechtigt und nötig es ist, die Praxis kommunistischer Parteien und Regierungen vom Vorhaben einer klassenlosen Gesellschaft zu trennen und somit das Projekt aus der vorrangigen Besetzung durch Traditionsmarxisten und Antikommunisten herauszubekommen, so wichtig ist auch Adamczaks nunmehr in einem weiteren Buch ausgebreitete Erkenntnis, daß vieles von dem, was eben kein Kommunismus war, dennoch von Kommunisten geplant und herbeigeführt wurde.
Dieses zweite Buch mit dem Titel „Gestern morgen“(2), das sie selbst als „Kommunismus für Kommunistinnen“ ansieht, ist insofern auch Kommunismus für Erwachsene oder für alle, die jenseits des bloßen Vorhabens über mögliches weiteres Vorgehen nachdenken und sich für das geschichtliche Desaster verantwortlich fühlen; für alle, denen klar ist, daß die bloße Beteuerung, beim nächsten Mal wird es ganz anders laufen, wenig überzeugend wirkt, solange so wenig und so reaktiv über das Ganze des Scheiterns gesprochen wird.
Denjenigen, die sich statt dieser Reflexion blindlings auf die Theorie, auf Marx zurückbesinnen, um die reine Idee wiederherzustellen und wiederzubeleben, unterstellt Adamczak, auf diese Weise die „beunruhigende Frage“ zu verdecken, „ob die mangelnde Revolutionsbereitschaft der Massen nicht eher historische als ideologische Gründe hat. Als handele es sich – nach den Revolutionen des 20. Jahrhunderts! – bei der Skepsis gegenüber allen kommunistischen Versprechungen lediglich um falsches Bewusstsein und nicht vielmehr um richtiges.”
Schon im Kinderbuch schaute Adamczak konsequent dorthin, wo derzeit viel zu wenig hingeschaut wird – nämlich am „Bilderverbot“ vorbei auf den Weg statt auf das Ziel: „[…] wie sollen Menschen machen können, was sie wollen, wenn sie garnicht wissen (wollen), was sie wollen“.(3) Nun rückt Adamczak in der Rückschau die Zeitperiode in den Mittelpunkt, die im linken Diskurs eigentlich nur in Form von Rechtfertigungen oder wechselseitigen Anklagen verhandelt wird. Das ist angesichts der Schrecken dieser sowjetischen Jahre 1917 bis 1939 verständlich, wirkt jeder Neupositionierung jedoch intensiv entgegen.

Singularitäten vor der Geschichte retten

Dabei ist vor allem Bini Adamczaks Umgang mit Geschichte bemerkenswert. Im Kinderbuch markierte sie den Übergang vom Weg zum Ziel, vom Dargestellten zum „Bilderverbot“, durch den Protest der Figuren, die ab diesem Punkt sich von keiner Autorin mehr ihre Geschichte schreiben lassen wollten, da sie dies ab sofort selbst zu tun beabsichtigten. Es ist daher kein rein künstlerischer Kniff, wie in vielen Besprechungen des Buches anklang, daß Adamczak die Protagonisten ihres zweiten Buches, die Kommunisten, dadurch ernstnimmt, daß sie ihre Geschichte erzählt und zu diesem Zweck am Schlußpunkt dessen ansetzt, was sie zu erzählen hat. Die Geschichte läuft nicht bloß „rückwärts“ oder „gegen den Strich“, wie der Umschlagtext ankündigt, sie ist auf „Rekonstruktion“ aus, auf Spurensuche. Dazu ist es beinahe unvermeidlich, der Chronologie entgegenzuarbeiten; die Nacherzählung der Ereignisse würde – wie sonst auch zumeist – Determinismen und innere Logiken auftürmen, bis die Singularitäten darin verschwänden. Um den Versuch unternehmen zu können, den Hitler-Stalin-Pakt, die peinigenden Verhöre, die Massenmorde und die Selbstanklagen der Hundertfünfzigprozentigen zu verstehen, muß mit diesen Dingen begonnen werden(4), müssen sie in ihrer ebenso schillernden wie erschreckenden Absurdität ausgebreitet werden: „Von der Geschichte her kommend, rückwärts gehend, können wir ein gespenstisches Gespräch mit den Toten zu führen versuchen. Uns langsam vortasten an die Momente der Hoffnung, die ohne Lüge nur durch die Geschichte hindurch, nicht an ihr vorbei zu bergen sind.“
Am Anfang des Buches steht deshalb der poetische Fokus, die lautmalerische Zeichnung des grotesken Moments im Jahr 1939, in dem Kommunisten von Kommunisten an die Nazis ausgeliefert werden.(5) Jessica Zeller, die das Buch für die „Jungle World“ rezensierte(6), entdeckte hier „geschwollenen pseudo-literarischen Duktus“, wo es Adamczak doch ganz offenkundig um möglichst intensive Vergegenwärtigung eines tatsächlich kaum zu verstehenden Moments geht. Von diesem Punkt, der nicht vom Schlimmsten, sondern vom Inkommensurabelsten gebildet wird, arbeitet sich Adamczaks Erzählung vor – also zurück – in eine trotz der Ferne und Fremdheit merkwürdig vertraute Welt, in der auch noch das Bündnis mit Hitler nach dem dialektischen Dreh abgesucht wird, der es „rückbinden könnte [...] in den Sinnzusammenhang einer aufhebenden Strategie“, der es richtig machen würde, der Sache dienlich.
Es tut weh, diese damaligen Sätze zu lesen, diese eben nicht rückbindbaren Aussagen, die eine Sammlung von Gedankengefängnissen um das kommunistische Projekt bauten, dabei ausgiebig Anleihen im Religiösen und Militärischen machten; allesamt Diskursformen, die bis heute bei Apologeten aller Couleur wohlvertraut geblieben sind. Ob die jeweilige Lieblingsdiktatur schöngequatscht wird oder in strammem Klang militärische Einzelmaßnahmen gerechtfertigt werden, immer wird die Dialektik nicht durchgehalten und denjenigen rechtgegeben, die der Meinung sind, es gäbe eine Zwangsläufigkeit, mit der aus kritischer Unterstützung Apologetentum werde. Diese Legitimationsdiskurse sind aus herkömmlicher historischer Herleitung nicht aufzuknacken, weil sie in aller Regel auf ihr beruhen: „Deswegen dieser Aufbau, der am Ende seinen Anfang nimmt. Deswegen dieses Verfahren einer antihistorischen Historiographie, die nicht antihistoristisch ist, gegen einen bestimmten Begriff der Geschichte gerichtet, sondern gegen die Geschichte selbst. Die nicht wie Genealogie im Rekurs auf die Vergangenheit die Gegenwart verständlich machen will, sondern deren unerfüllte Zukunft, eine mögliche Gegenwart, die nie gegenwärtig werden konnte.“
Die gegenläufige Chronologie des Buches wird so zur Gegengeschichte, zur Konfrontation der geschichtlichen Kontingenz mit der verwalteten historischen Wahrheit der kommunistischen Parteien. Die Geschichte behält ihre Zwangsläufigkeit somit nur in den Köpfen derer, die sie damals um den Preis ihrer eigenen Vernichtung richtig auszulegen suchten. Diejenigen, die die Vorgeschichte, ihre Geschichte, beenden wollten, erklärten die „Weltgeschichte zum Weltgericht“ und institutionalisierten sie zunächst in der unteilbaren Partei, später in ihrer wesenhaften Verkörperung Stalin.
Adamczaks Buch wird so schon formal zu einem Mahnmal, das daran erinnert, daß Aufstände gegen die Weltgeschichte – der der Frauen, der der Juden, der der Arbeiter und so fort - immer zunächst präzedenzlos sind und sich eben gegen die bisherige Geschichte durchsetzen müssen statt sie irgendwie zu „erfüllen“ oder zu „vollenden“.
Nichts von dem, was Adamczak aus der Gegengeschichte kratzt, kann als überwundenes Problem angesehen werden. Wer Anhängern des Kommunismus nicht glaubt, daß sie sich geändert haben, daß sie beabsichtigen, beim Wiederholungsfall anders vorzugehen, dem gibt Adamczak mit der Decodierung des Umgangs mit der Vergangenheit recht.
Weder hält sie „schamhaftes, schuldbewusstes Verscharren der Toten“ für angemessen, weil es „noch immer in der Logik des Kalten Krieges verhaftet“ dem Aberglauben folge, „es handle sich beim Erinnern der Opfer um eine antikommunistische Strategie, das Nennen ihrer Namen entfessle einen prokapitalistischen Fluch.“ Dieses verdrängende Vergessen funktioniere als „Verteidigung des angeblich realen Sozialismus“ und bestätige „die Behauptung ihrer Gegner, das sei schon der Kommunismus gewesen, und wenn nicht die einzige, so doch immerhin eine Alternative zum Kapitalismus, zu dem es folglich keine Alternative gibt.“
Noch sieht Adamczak im Versuch des scheinbar radikalen Neuanfangs die Lösung. „Freie Wahl einer neuen Terminologie!“, höhnt sie. „Als könnte hier ein neuer Name mehr leisten als die guten, geläuterten, besten Absichten zu bekräftigen. Als könnte er auch an den Gefahren etwas ändern, die unter verändertem Namen unbehindert von wissender Vorsicht fortleben.“
Zurecht geht Adamczak davon aus, daß diese beiden Formen von Verdrängung auch die vorherrschende Art des Umgangs der heutigen Kommunisten mit ihrer Geschichte darstellen. Diesen Mut zur unangenehmen Minderheitenposition bringt sie ebenso bezüglich der Aussichten für ein neues kommunistisches Projekt auf, wenn sie schreibt, „es gibt keinen Kommunismus in Latenz, keine neue Gesellschaft, die in der alten schon schläft“.
Aus dieser Perspektive fehlt jedes Vertrauen auf eine historische Bewegung, die es bloß zu befördern gelte. Die Revolution werde sich nicht einfach einstellen, wenn sich alle nur möglichst glaubensfest ans Bisherige der Bewegung klammern; die erhoffte Zukunft „muss zuvor aus den Momenten der Vergangenheit gelöst werden, in denen sie stecken geblieben ist“.

Körperlose Gespenster

Es sind denn auch die religiöse Hingabe an die Partei und wiederum deren Pochen auf Linientreue, die Adamczak besonders ins Visier nimmt. Die unzähligen Versionen des Bewegungsschlagers „Die Partei hat immer recht“ reduziert Adamczak auf die Formel „Kritik schadet“. Antifaschismus wird in der Situation des fälligen Bruchs mit dem Stalinismus zum Anlaß für einen „Positionierungszwang“, die Kommunisten „konstituieren die Materialität einer binären Logik“, die ihnen nur „Treue und Gehorsam gegenüber der Linie der Partei“ läßt. Die Partei wird – schon unter Lenin – zum vorgestellt Widerspruchsfreien im allgemeinen Widerspruch. Um diese Unbeflecktheit zu wahren, wird erst jegliche Opposition unterbunden, schließlich in den Dreißigern die Partei immer mehr mit der quasi-jenseitige Verkörperung ihres Prinzips, mit Stalin identifiziert.
Das Büchlein stellt sich also in mehrfacher Hinsicht daneben, nach draußen an die frische Luft, und die Autorin fragt gleich passend dazu: „An wen addressiert sich ein Text, der sich selbst in einem Außerhalb der Auseinandersetzung seiner Adressatinnen imaginiert [...]?“ Wie der Untertitel verrät, sprechen hier Gespenster mit Gespenstern, die einst furchteinflößenden, dann an sich selbst gescheiterten mit den heutigen körperlosen, durchsichtigen. Was allgemeines Interesse sein sollte, der Kommunismus, verfügt heute über keine nennenswerte Lobby. Keine mächtige Gesellschaftsklasse verknüpft ihr Interesse mit der allgemeinen Emanzipation. Der Vorwurf von Nadja Rakowitz und Peter Christoph(7), im Kinderbuch kämen keine Klassenkämpfe vor, die Revolution finde „gewissermaßen auf dem Abenteuerspielplatz eines fiktiven ‚herrschaftsfreien Diskurses‘ statt“, trifft zwar zu, aber das kann kaum Adamczak zum Vorwurf gemacht werden – wo sind die über den Kapitalismus hinausweisenden Klassenauseinandersetzungen denn gegenwärtig zu besichtigen? Gibt es denn wirklich mehr als diffuse Hoffnungen darauf, daß die Vorstellungen von optimaler Produktion und optimalem Konsum, die der Kapitalismus mit der Realität immer effizienterer Fertigung und immer direkterer Distribution genährt hat, sich in eine allgemeine Forderung nach Aneignung und bedürfnisorientierter Organisation verwandeln? Oder daß einzelne Segmente der Ökonomie sich von der Verwertung abkoppeln, nur weil gerade für den kurzen Augenblick der Einführung und Verbreitung neuer Technologien auf einigen Gebieten Unternehmen mit nicht-marktförmigen Strukturen konkurrieren müssen?
Wie auch immer die Lage einzuschätzen ist, positive Rückbesinnung scheint nur in Verbindung mit schonungsloser Kritik an der Vergangenheit sinnvoll zu sein, an den selbstgemachten Stereotypen, den essentialistischen Formen, den Ikonen und identitätsstiftenden Großereignissen. Die Russische Revolution hat „keinen Jahrestag“, schreibt Adamczak, „weil sie sich nicht an einem Tag ereignet und auch nicht an zehn.“ Für Adamczak findet die Revolution jenseits ihrer Symbole und der großen Politik statt: „Ungeplant, ohne militärischen Befehl, ohne gesetzliche Legitimation, wild also, führen Bäuerinnen überall auf dem Land Bodenenteignungen durch, desertieren Matrosinnen oder setzen ihre Offiziere ab. Studentinnen schreiben ihren Professorinnen ein neues Programm für das Fach Geschichte vor, Soldatinnen laden die Feldgeistlichen zu ihren Versammlungen ein, um deren ‚Leben einen neuen Sinn zu geben‘. Hotelbedienstete weigern sich, Trinkgelder anzunehmen und die kleinen Schülerinnen verlangen Boxunterricht, um von den großen Schülerinnen gehört und respektiert zu werden.“
Indem sie diese Äußerungen erwachenden Selbstbewußtseins und einsetzender sozialer Verantwortlichkeit zur Revolution selbst erklärt, liefert Bini Adamczak ein Beispiel für eine nicht-traditionalistische Bezugnahme auf das Projekt der allgemeinen Emanzipation und verwirft ganz praktisch die Notwendigkeit einer kommunistischen Ahnen- und Heldengalerie.
Der Bruch mit der Geschichte kann nur eine Premiere sein.

Daniel Kulla

Anmerkungen

(1) „Kommunismus. Kleine Geschichte wie endlich alles anders wird“, Unrast Münster 2004

(2) Gestern morgen. Über die Einsamkeit kommunistischer Gespenster und die Rekonstruktion der Zukunft“, Unrast Münster 2007

(3) Zu den wenigen erfreulichen Ausnahmen gehört Hannes Gießlers Text „Der Verein freier Menschen“ über die Gemeinsamkeiten von Marxscher Utopie und Realsozialismus im CEE IEH #146 (www.conne-island.de/nf/146/23.html)

(4) Wobei Adamczaks Material eher exemplarisch als auch nur übersichtshaft vollständig ist; es fehlen etwa die deutschen Kommunisten, die nach 1933 in Deutschland auf das Signal zum bewaffeneten Partisanenkampf warteten, es nie bekamen und schließlich von den eigenen Leuten aus dem Verkehr gezogen wurden.

(5) Im Herbst 1939 übergab der sowjetische Staatssicherheitsdienst NKWD aus Deutschland geflohene Kommunisten an der Grenze an die Gestapo.

(6) „Gespenster revisited“ in: Jungle World 54/2007 (jungle-world.com/seiten/2007/45/10935.php)

(7) Rezension im „Diskus“, nachzulesen unter www.unrast-verlag.de/unrast,3,0,226.html

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last modified: 25.3.2008