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„Männer sind halt so.“

Eine Antwort auf „Der ist doch sonst ganz nett...“ aus dem CEE IEH #156 von der mfg

Einleitung

Eine umfangreiche Zusammenstellung von Klischees, die seit Ende der 1970er Jahre über Pornografie geäußert wurden, findet sich in einem Text im letzten Conne Island Newsflyer #156. Die Gruppe mfg (meine frauengruppe) schreibt dort in „Der ist doch sonst ganz nett... Frauenverachtung in nah und fern, Teil 2“ über den Zusammenhang zwischen Patriarchat, Pornografie und Sexismus. Dabei wird ein internationaler Vergleich zwischen westlichen Demokratien und „dem Islam“ oder „islamistischen Staaten“ unternommen sowie das Patriarchat historisch hergeleitet. All dies soll im Folgenden nicht behandelt werden. Mir geht es einzig um die Positionen zu Pornografie. Alle im Folgenden kursiv gesetzten Zitate stammen aus dem Text „Der ist doch sonst ganz nett…“ der Gruppe mfg.

Schon die Nennung von Teresa Orlowski als Pornodarstellerin lässt auf das gehobenere Alter der Autorinnen und Autoren schließen. Leider auch auf das ihrer theoretischen Positionen, denn diese scheinen wie die Karriere besagter Darstellerin ein Relikt aus vergangenen Zeiten zu sein. Diskurse zum sex-positiven Feminismus nimmt mfg nicht zur Kenntnis (allenfalls als Fußnote), stattdessen wird sich auf sehr fragwürdige Forderungen der Anti-Porno-Kampagnen der 1980er Jahren bezogen. Und genauso rückschrittlich wie die Positionen der deutschen PorNo-Kampagne seit jeher waren, wird gegen Pornografie und vermeintlich unterdrückerische Sexualpraktiken agitiert.

Empirie, Lustmord, Mainstream

Die gesamtgesellschaftliche Wirkung von Pornos nachweisen zu wollen, wird rein empirisch kaum möglich sein. Nur versucht die Gruppe mfg genau das und stolpert bei diesem Unterfangen über einige Widersprüche. So wird behauptet, es gäbe einen Zusammenhang (zwischen was eigentlich? vermutlich ist an der Stelle Pornokonsum durch Männer gemeint) und sexuell motivierten Straftaten. In der Fußnote an entsprechender Stelle wird die Aussage allerdings relativiert. Aber warum besteht dann ein Zusammenhang? Und warum wird hier eine nach eigenem Bekunden „problematische“ Aussage aufgegriffen und ein empirisch nicht verifizierbarer Kausalzusammenhang angeführt?
Später im Text wird eine andere Studie zitiert und danach steht am Ende von Pornokonsum „Amoklauf oder der Lustmord“ mit fließenden Übergängen. Oder eben auch Vergewaltigung, die angeblich in vielen Pornofilmen vorherrscht. Die mediale Repräsentation von Sexualität (es geht in erster Linie um bewegte Bilder, Literatur etwa bleibt außen vor) gilt damit als bedrohliches Unterfangen, bei dem am Ende der Mord steht – wenn nicht eine Strafinstanz als gesellschaftliches Über-Ich dazwischenfunkt und das Schlimmste verhindert.

Wenn es hakt mit der Empirie, wird die Auswahl der Phänomene im Sinne der Theorie zurechtgebogen: „Pornoschauspielerinnen dieser Branche sind Karikaturen gesellschaftlicher Schönheits- und Attraktivitätsvorstellungen: groß und schlank bis auf die silikonprallen Brüste, langhaarig, schmollmündig.“ Was einzig belegt, dass die Autorinnen und Autoren dieser Aussage ihren Gegenstand nicht kennen. Sicher, das genannte Beispiel gibt es auch im riesigen Warenangebot der Pornoindustrie, neben vielen anderen Körpereigenschaften und Praktiken. Täglich kommen neue Kategorien dazu, für alle vorhandenen oder potentiell möglichen Bedürfnisse und Fetischismen. Mfg versucht dagegen das Genre auf einen Idealtypus zu reduzieren, an dem stellvertretend der Sexismus nachgewiesen werden soll. Aber wenn es sich dabei um Karikaturen und damit eine Überaffirmation gesellschaftlicher Normen handeln soll, warum werden diese bestätigt?

Die Pluralität des Genres wird auf Eindeutigkeiten reduziert und so wird der Sexismus im Mainstream lokalisiert. So wird per Definition am Anfang das zu untersuchende Feld eingeengt: es soll nur um heterosexuelle Mainstream-Pornos gehen, alles andere sind „vermeintliche Minderheiten-Neigungen“, die zu skurril, abweichend oder unbedeutend sind, um untersucht zu werden.
Aber was bzw. wo ist der Mainstream? Die These des „Mainstream der Minderheiten“ (Holert/ Terkessidis 1996) und damit des Aufweichens des eindeutig bestimmbaren Mainstreams war gestern, die Autorinnen und Autoren konstruieren einen homogenen Mainstream, von dem vermutet wird, dass er sexistisch sei. Und schon kommt als Ergebnis genau das heraus, was zu Beginn behauptet wurde: sexistische Pornos sind sexistisch. So dient an anderer Stelle eine wahllos herausgegriffene Spammail als Beleg.
Was ist mit einem Phänomen wie BBW (Big Beautiful Women), bei dem im Porno Schönheitsideale subversiv umgedreht werden? Michael Goddard dazu: „As with the masochistic scenario and many porn scenarios, the BBW world is a utopian one, a kind of curved and folded non-space of encounter, in which the reality principle, the patriarchal symbolic order and Euclidean geometry are all suspended.“ (Goddard 2007) Die These von mfg, dass Porno „frauenverachtend sein und Gewalt gegen Frauen verherrlichen muss“ wird dem Genre insgesamt nicht gerecht.

Es verflüssigen sich die Normen, die Grenzen der Heterosexualität werden durchlässig und damit lässt sich nicht zu alten Kategorien zurückkehren, als das alte Patriarchat mit einer binären Eindeutigkeit noch voll intakt war. Der Sexualforscher Volkmar Sigusch fasst die Pluralisierung und den Wandel von Sexualorientierungen als „Neosexualitäten“, die sich als Lebensstile generieren und nicht mehr eindeutig einer fixen Kategorie zugeordnet werden können. Dies geht laut Sigusch bei Sadomasochismus, Transsexualismus und Bisexualität mit einer Ent-Pathologisierung und zunehmenden gesellschaftlichen Akzeptanz einher. Statt vormals abweichende Sexualitäten auszugrenzen wird nun die Selbstoptimierung des Subjekts zum Imperativ und es herrscht der „Zwang zur Vielheit“ (Sigusch 2005).

Fremdenzimmer, 43.5k

Endstation Sadismus

„Wenn zum Standard gehört, dass Männer in Pornofilmen die Position des Strafenden einnehmen, der Frauen durch möglichst harte Penetration züchtigt, weil sie`s nicht anders verdienen, und der Schmerz der gevögelten Frau als Lustreiz fungiert nicht nur in Machwerken, die explizit auf SM-Vorlieben ausgerichtet sind (EMMA 5/2007) – dann sind die sadistischen Anklänge nicht zu übersehen und die Grenzen zwischen Lust und Qual fließend.“

Patriarchale Gesellschaft heisst nach mfg „oben und unten“, und das wird direkt auf Geschlechter als Sadismus für Männer und Masochismus für Frauen übertragen. Frauen sind danach masochistisch sozialisiert, Männer sadistisch und das bedeutet Unterdrückung. Was es mit Sadismus und Masochismus auf sich hat und was die Autorinnen und Autoren darunter verstehen, wird nicht beantwortet. Eine Krankheit? Ein Synonym für aggressive Charaktereigenschaften? Eine Form nicht-genitaler Sexualität?

Hinter der Sexualität, die Lust verspricht, lauert der Schmerz. Mfg möchte dabei implizit klare Grenzen – hier die gute, reine Lust, dort die abzulehnende Qual (Anmerkung: es geht hier um einvernehmliche, sexuelle Handlungen). Insbesondere sexueller Sadismus und Masochismus widerlegen diese Idee. Gerade letzterer scheint für die Gruppe mfg so ungeheuerlich, dass er als Option noch nicht einmal in Betracht gezogen wird: Menschen ziehen Lustgewinn aus dem Zufügen bzw. Erleiden von Schmerzen und der Unterwerfung. Dass Schmerz und Lustempfinden kaum voneinander zu trennen sind, kann mit dem Lacanschen Begriff der „Jouissance“ gefasst werden, wobei bei der sexuellen Perversion (im Freudschen Sinn) Genuß nicht direkt, sondern durch das Erzeugen von Lust im Anderen erfahren wird – und der Masochist nach Slavoj Žižek die Lust in kleinen Portionen in der Knecht-Herr-Konstellation zurückstiehlt (Žižek 1997).

Pornos gelten laut mfg als Vorstufe zum Sadismus, und dieser als besonders schlimmer Gewaltexzess, der sich gegen Frauen richtet. Aber was ist, wenn Frauen Lust an der Unterwerfung beim Sex empfinden? Das darf es nicht geben. Alice Schwarzer brachte diese Ablehnung auf den Punkt: Weiblicher Masochismus ist Kollaboration. Dass sich der unterworfene Partner gerade durch die Geste der Unterwerfung in einem Rollenspiel Lust verschafft, wird verleugnet – das individuelle Empfinden zählt nicht. Aber gerade beim Thema BDSM (Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism) werden oft die tollsten Projektionen aufgeworfen, die mehr über die Verfasstheit der Projizierenden, als über den Gegenstand selbst aussagen. Mfg schafft es innerhalb von einem Satz von BDSM zu Pädophilie und Snuff-Pornos (wenn ein Genre nicht existiert, wird es eben von Catherine MacKinnon erfunden – und dann kann man es ja immer mit Verweis auf die Quelle zitieren) zu kommen. Mit anderen Worten: hier geht es um die Kategorie Sexualverbrechen. Dass gerade BDSM das Gegenteil von ungezügelter Gewaltausübung darstellt, belegen die Umgansformen dieser Subkultur, in der sich die Verhaltensregel „safe, sane, consensual“ als Standard etabliert hat. Es handelt sich bei den Protagonisten um Bürgerinnen und Bürger, die auf die Freiwilligkeit eines Vertragsverhältnisses setzen. Hier herrscht ein Konsens der Beteiligten darüber, dass alles, was außerhalb dieses Vertrags liegt, eine Straftat darstellt. Die bürgerlichen Vorstellungen innerhalb der BDSM-Community begünstigen also keineswegs einen schädigenden Exzess, sondern setzen auf ein reglementierendes Vertragswerk, das die Unversehrtheit der Beteiligten garantiert und eine temporäre Gewaltanwendung in eine enge, rechtliche Form zwingt. Man könnte an dieser Stelle herumjammern, dass die Verkehrsformen des bürgerlichen Staates affirmiert werden. Man kann diese Praktiken aber auch einfach realpolitisch als Schutz des Individuums vor sexualisierter Gewalt begreifen. Und das ist eben alles andere als das schrankenlose Ausleben von Gewalt.

Sexualität und Herrschaft

In welcher Welt lebt die Gruppe mfg eigentlich, wenn nach ihrer Auffassung Pornos verschämt in finsteren Kellerräumen geguckt werden? In öffentlichen (CSD, Loveparade) und semi-öffentlichen (Clubs, Darkrooms) Räumen wird homo-, hetero- und sonstwie gevögelt, was das Zeug hält, oder der eigene Körper exhibitionistisch zur Schau gestellt. Heute läuft im Nachmittagsprogramm im Fernsehen das, was vor 20 Jahren selbst nach Mitternacht für einen mittelgroßen Skandal gesorgt hätte. Die Pornoindustrie weicht wie die Kulturindustrie in ihrer postfordistischen Formation auf und wird zu einer riesigen D.I.Y.-Mitmachveranstaltung (was sich in der Netzkultur von youtube und youporn niederschlägt).

Dass es diese Liberalisierung von sexuellen Darstellungen gibt, ist zunächst zu begrüßen, denn so lässt sich offen darüber verhandeln, was Bedürfnisse von Individuen sind und sein könnten. Aber die Gruppe mfg scheint die Pornografie wie den entwichenen Geist aus der Flasche wieder zurücksperren zu wollen: nämlich in die Schmuddelecke der bürgerlichen Gesellschaft. Getreu einer dystopischen, pessimistischen Weltsicht entwickelt sich alles von ganz schlimm nach noch viel schlimmer: mehr Gewaltsex, mehr Pornos, mehr Unterdrückung, mehr Sexismus. Die durch Pornos entfremdete Sexualität ist Wut, Rache, Hass, Aggression gegenüber der emanzipierten Frau. Das Patriarchat hat sich in den Überbau als Pornophantasie geflüchtet und wirkt dort unverändert weiter als „sexuelle Herrschaft“. So droht diese Phantasie ständig wirkungsmächtig zu werden und sich aus dem Rückzugsraum Porno heraus in der Wirklichkeit zu manifestieren.

Bei dieser Beschreibung werden gesellschaftliche Rollen letzten Endes als unveränderlich gekennzeichnet: egal ob zu Beginn des Patriarchats oder in der Bundesrepublik 2008 geht es ganz überhistorisch um die „maskuline Identität“, die – eine Prise materialistische Krisentheorie dazu – durch gesellschaftliche Umbrüche bedroht ist und sich in ihrer ganzen Grausamkeit in der Krisensituation unvermittelt offenbart. Zwar gibt es oberflächlich ein paar veränderte Erwartungsansprüche an den modernen Mann; vom Grundcharakter bleibt er aber der patriarchale Unterdrücker.

So wird Sex zum Schlachtfeld des Machtkampfes zwischen Männern und Frauen. Wo die Vertreterinnen und Vertreter beider Gruppen mit antagonistischer Interessenlage notgedrungen zusammenkommen – im Bett – kommt einzig das Patriarchat zum Vorschein. Heterosexueller Verkehr ist Krieg der Geschlechter in einem Nullsummenspiel: Gewinne werden nur auf Kosten der Gegenseite, auf Kosten des anderen Geschlechtes realisiert. Bei dieser Frontkonstellation der sozialen Großgruppen müssen notgedrungen die Interessen des Individuums unter die Räder kommen: dieses zählt nur als Protagonist der einen oder anderen Seite. Insbesondere Frauen, deren Interessen sich nicht mit den Interessen ihres Geschlechtes decken (im Falle des weiblichen Masochismus), muss aus dieser Position heraus zwingend im Einklang mit Alice Schwarzer der Vorwurf des Verrats der objektiven Interessenlage gemacht werden. Und dieses eingeschränkte Analyseraster bedingt auch den Befund: Sexualität wird von mfg ausschließlich auf Machtverhältnisse hin untersucht und nicht als Bereich der Lust. Und so lautet der Befund dann auch nur: Herrschaft, Unterdrückung und illegitime Machtausübung.

Von der unterdrückerischen Sexualpraktik zur normierten Sexualität

„Der typische Pornogucker wird nach dem Konsum nicht aus dem Hobbykeller hervor schleichen und von seiner Lebensabschnittsgefährtin stracks Taten verlangen, die dem ähneln, was im Filmchen grade Teresa Orlowski mit ihm angestellt hat.“

Die in Pornos dargestellten Handlungen sind so abscheulich, dass sich die Feder von mfg sträubt weiter fortzufahren und die Gruppe es den Leserinnen und Lesern selbst überlässt, diese Leerstelle zu füllen. Worin sollen denn diese Techniken bestehen, die so schlimm sind, dass man sie noch nicht einmal benennen mag: Cumshot, anale Penetration, Anilingus oder Squirting? Was auch immer mfg sich an dieser Stelle vorstellt: bestimmte Sexualpraktiken gelten als unterdrückerischer als andere und damit als ablehnenswert. Wie immer ist es der Mann, der, aufgestachelt durch Pornos, diese stigmatisierten Praktiken von der Frau einfordert, um sie dadurch zu demütigen. Dass Sexualpraktiken eben nicht nur im Film, sondern als real ausgeführte Handlungen vorkommen, ist für mfg undenkbar. Dass diese Praktiken von Frauen eingefordert werden könnten, ebenso. Und dass etliche dieser Praktiken auch in schwulen Pornos vorkommen, dürfte hinsichtlich ihres sexistischen Gehalts ein noch zu erklärendes Phänomen darstellen.

So wird von mfg Sexualität ausgehend von einem „Normalfall“ der Heterosexualität aus gedacht. Per Negativbestimmung landet mfg bei einer normierten Sexualität. Was bleibt übrig, wenn die als negativ beschriebenen Sexualpraktiken subtrahiert werden? Das Idealbild einer vom Schweinkram gesäuberten Sexualität, die als Vanilla-Sex von heterosexuellen Paaren im Ehebett praktiziert wird. Hier trifft leider wie die Faust aufs Auge, was die Schriftstellerin Virginie Despentes in einem Interview in der Jungle World formuliert: „Männliche Heterosexualität wird durch die Anti-Porno-Bewegung reguliert und aufrechterhalten. [...] Realpolitisch sind Anti-Porno-Initiativen meistens pro-heterosexuelle Familienbewegungen.“

Vordergründig will der Text Geschlechterklischees entlarven mit scheinbar ironischer Verwendung von Floskeln wie „zur Karrierefrau gemausert“. Im Endeffekt bewegt er sich aber genau innerhalb der Geschlechterklischees, die er vorgibt zu bekämpfen: die schützenswerte Frau, die vor der ungezügelten, lauernden, männlichen Sexualität in Sicherheit gebracht werden muss. Auf der einen Seite die gute, weibliche Sexualität, auf der anderen die von Porno- und Gewaltvorstellungen durchseuchte männliche Unterdrückersexualität. Implizit wird damit eine Sexualität eingefordert, die frei von den als pervers gebrandmarkten Praktiken sein soll. Und das markiert die Norm, die sich als moralischer Imperativ durch den Text zieht. Sexualität wird ausgehend vom heterosexuellen „normalen“ Sex als Zweierbeziehung zwischen Mann und Frau gedacht. Und der haben sich dann auch Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und sonstige Abweichende unterzuordnen.

Fazit

Dass viele Pornos sexistischer Mist sind, will ich nicht bestreiten. Blöde Anmachen, Grabschereien und Vergewaltigungen? Auch das sind Zumutungen und massive Bedrohungen, denen Frauen leider immer noch ausgesetzt sind. Nur ändern sich diese Tatsachen nicht zum Besseren durch eine Kritik, die sexuelle Handlungen generell ausschließlich als Bedrohung definiert.

Sehr gut ist dagegen am Text der Gruppe mfg, gerade nicht nach dem Klassiker der verkürzten Medienkritik ein kulturelles Phänomen (in der jüngeren Vergangenheit waren das bisher unter anderem: Rap, Heavy Metal, Videorekorder, Miniröcke, Comics, Jazz) für gesellschaftliche Missstände verantwortlich zu machen, sondern diese Phänomene in einer spezifischen gesellschaftlichen Verfasstheit zu verorten – auch wenn dies durch die überhistorische Betrachtungsweise misslingt.

Leider kann mfg nicht nachweisen wie Pornokonsum und Sexualverhalten in Beziehung zueinander stehen. Stattdessen werden markige Parolen herausgebollert wie: „Das Ja zum Porno ist kein Ja zur Emanzipation.“
Emanzipation für wen oder was und wovon oder wofür eigentlich? Lesben, Schwule, Bi`s und Transgender und deren Bedürfnisse hinsichtlich pornografischer Erzeugnisse tauchen in dem Text nicht auf, denn das würde einige Verwerfungen hinsichtlich des scheinbar klaren Unterdrückungsverhältnisses Mann-Frau produzieren. Wo Linke inzwischen eigene Queer-Pornofestivals organisieren und auf Veranstaltungen wie der „Arse Electronika“ über Politik, Technik und Pornos diskutieren, wird von mfg getreu der Doktrin des deutschen Steinzeit-Feminismus der Pornografie ein „No pasaran!“ entgegengeschleudert. Am Rande: Insbesondere Alice Schwarzer sollte sich als Stichwortgeberin und Bündnispartnerin aufgrund einer Vielzahl von Gründen erledigt haben. Der offensichtlichste ist wohl die seit Jahrzehnten in immer neuen Variationen vorgetragene Gleichsetzung des Holocaust mit der Frauenunterdrückung, was die Prostituiertenorganisation Doña Carmen anlässlich der Verleihung des Börne-Preis an Alice Schwarzer ausführlich dokumentierte.

Wie steht es eigentlich mit den Arbeitsbedingungen von Sexarbeiterinnen und –arbeitern, gerade in der Pornoindustrie? Das wird von mfg zwar kurz und abstrakt angerissen, aber die konkreten Produzentinnen und Produzenten bleiben außen vor, im Unterschied zum entsprechenden Diskurs in den USA. Ganz paternalistisch werden Frauen in der Sexindustrie zu Opfern verklärt, die sich „von irgendwelchen Widerlingen auf experimentell-unbefriedigende, wahrscheinlich schmerzhafte Art haben ficken lassen“. Man könnte sich stattdessen mit real existierenden Akteurinnen und Akteuren sowie den Zuständen der Branche auseinandersetzen. Etwa mit der ehemaligen Prostituierten, Feministin und Alternative-Porno-Aktivistin Annie Sprinkle, die das Genre in einem aufklärerischen Sinn reinterpretiert (Buszek 2006).

Auch Frauen haben das Recht, sich aus dem reichhaltigen Angebot der Sexualpraktiken und ihrer medialen Repräsentation zu bedienen und selbstbestimmt zu entscheiden, was ihnen davon zusagt und was nicht. Oder wie Carole Vance 1984 gegen die Antiporno-Feministinnen argumentierte: „Feminism must increase women`s pleasure and joy, not just decrease our misery.“ (zit. nach Vance 1992)

Was heißt das für eine materialistische Perspektive? Erstens könnte man nach dem emanzipatorischen Potential von Porno fragen. Dies am ehesten entlang der Achse Körper-Technik und am utopischen Gehalt von Porno (etwa die Auflösung des eindeutig kodierten Körpers). Zweitens kann Porno als Kunstform eine Kritik der bürgerlichen Gesellschaft transportieren. In gänzlich verschiedener Intention und Form zum Beispiel bei Marquis de Sade – Juliette, Georges Bataille – The Story of the Eye, Stewart Home – Pure Mania, Matias Faldbakken – Macht und Rebel, Bruce La Bruce – The Raspberry Reich. Drittens: Statt die vorhandenen Bedürfnisse der Subjekte als falsch zu diffamieren, gilt es genau dort anzusetzen. Der sex-positive Feminismus als hedonistische Strategie ist bis heute ein vernünftiger Weg, um sexuelle Selbstbestimmung und den Kampf gegen Sexismus unter einen Hut zu bekommen. Es geht darum, den Kampf um die Aneignung der Produktionsmittel der Lüste zu führen.

unkultur Blogunkultur.olifani.de

Verwendete Literatur:

Buszek, Maria Elena (2006): Pin-Up Grrrls. Feminism, Sexuality, Popular Culture. Durham and London: Duke University Press

Doña Carmen e.V. : Schwarzer-Äußerungen: Offener Brief an die Jüdische Gemeinde Frankfurt vom 6. Mai 2008

Goddard, Michael (2007): BBW: Techno-archaism, Excessive Corporeality and Network Sexuality. In: Jacobs, Katrien/ Jansen, Marije, Pasquinelli, Matteo (Hrsg.): C'LICK ME: A Netporn Studies Reader. Amsterdam: Institute of Network Cultures

Holert, Tom/ Terkessidis, Mark (1996): Einführung in den Mainstream der Minderheiten. In: (dieselben): Mainstream der Minderheiten. Berlin-Amsterdam: Edition ID-Archiv

MacKinnon, Catherine (1987): Das kalte Herz. In: EMMA Oktober 1987

„Porno bedroht die männliche Sexualität.“ Interview mit Virginie Despentes in Jungle World Nr.9/2008

Sigusch, Volkmar (2005): Neosexualitäten. Über den kulturellen Wandel von Liebe und Perversion. Frankfurt/Main, New York: Campus

Vance, Carole S. (Hrsg.) (1992): Pleasure and Danger: Exploring Female Sexuality. Boston: Routledge & Kegan Paul

Žižek, Slavoj (1997): The Plague of Fantasies, London, New York: Verso.

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last modified: 24.8.2008