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Das Problem heißt Deutschland

Die sächsische Antifa auf der Suche nach dem guten Mügelner.

Es gibt Gegenden in Deutschland, vor allem im Osten, wo die 90er Jahre anscheinend noch immer nicht vergangen sind. Ein Mob von mehr als 50 gewöhnlichen ostdeutschen Jugendlichen prügelte bei einem Stadtfest in Mügeln aus Indien stammende Menschen quer über den Marktplatz. Sie riefen dabei „Ausländer raus!“ und versuchten in die Pizzeria einzudringen, in die sich die Angegriffenen flüchten konnten. Nach übereinstimmenden Aussagen der Opfer und der Polizei wurde die Hetzjagd von den anderen, ebenso gewöhnlichen ostzonalen Stadtfestbesuchern mit Applaus bedacht. Unmutsbekundungen blieben aus
Was diese Geschehnisse mit jenen der 90er Jahre verbindet, sind weniger die Angriffe selbst, die so tatsächlich auch in anderen Gegenden hätten stattfinden können, als die Reaktionen darauf. Quasi als Beleg dafür, dass die Berliner Republik samt ihrer staatsantifaschistischen Bemühungen in der ostdeutschen Provinz bis zum heutigen Tag nicht angekommen ist, wurde jenes Muster aktiviert, dass aus unzähligen anderen braunen Nestern mehr als bekannt ist: Die Polizei ermittelte zunächst „in alle Richtungen“.
Später, als rassistische Beweggründe nicht mehr zu leugnen waren, wurde „ein fremdenfeindliches Motiv nicht mehr ausgeschlossen“. Sogleich fühlte sich der Bürgermeister persönlich verunglimpft. Er halluzinierte eine Verschwörung westdeutscher Medien und beteuerte mehrfach, dass es in seiner Stadt keinen Rechtsextremismus gebe(1). Falls Rechtsextreme an diesem Überfall beteiligt gewesen seien, seien sie von außerhalb gekommen. Die Aussagen des Dorfpatrons kulminierten in der Argumentation, dass sich die Deutschen untereinander geschlagen hätten, wären die Inder nicht vor Ort gewesen(2). Generell habe sich die Situation nur „hoch geschaukelt“.
Kritik an diesem zwar bekannten, aber doch insgesamt seltener gewordenen Reaktionsmuster kam vor allem aus den Reihen der Repräsentanten der Berliner Republik. Deren Motivation speist sich zwar einerseits aus der Sorge um den Wirtschaftsstandort Deutschland. Andererseits meinen sie ihren Antifaschismus jedoch durchaus ernst, da verprügelte Ausländer nicht so recht zum Bild des geläuterten Deutschlands passen wollen. So kritisierten Medienvertreter und Politiker parteiübergreifend nicht nur die Tat selbst, sondern vor allem die dummdreisten Entschuldungsversuche des Bürgermeisters.
Im Zuge der Medienberichterstattung meldeten sich schließlich immer mehr Politiker, Wissenschaftler und Journalisten zu Wort, die wussten, wie mit der Situation umzugehen sei: Es gebe ein Problem mit Rassismus im Osten, man dürfe das nicht verschweigen, man müsse etwas dagegen machen, und die NPD gehöre sowieso verboten. Bei diesem Auftrieb der guten Deutschen durfte die Antifa selbstverständlich nicht fehlen.
Eigentlich hätten antifaschistische Gruppen in das sächsische Kaff fahren müssen, um den Anwohnern ihren Rassismus um die Ohren zu hauen. Denn in einer Kleinstadt wie Mügeln, wo bei einem Übergriff alle glotzen und klatschen, hinterher aber selbstredend niemand aufklärende Aussagen bei der Polizei machen will, gibt es keine unbedarften Bürger, an deren Vernunft hätte appelliert werden können. Doch genau dies wurde bei der spontanen Antifa-Demo „Das Problem heißt Rassismus“ am 21. August immer wieder versucht. Mit Rufen wie „Schämt euch!“ wurde an ein Gewissen appelliert, dass es in solchen Wastelands schlichtweg nicht gibt. Fernab aller Erkenntnisse der Antifa-Debatten der letzten Jahre taten die angereisten Antifaschisten so, als gäbe es den „bösen Nazi“ und den „guten Deutschen“. Die „guten Mügelner“, an deren massenhafte Existenz die Organisatoren der spontanen Demonstration tatsächlich zu glauben scheinen, waren dann auch die Adressaten des Protests. Während antifaschistische Ausflüge nach pogromartigen Ausschreitungen früher eng mit dem Begriff „Strafexpedition“ verbunden waren, scheinen hinter den entsprechenden Interventionen heute Bekehrungsphantasien zu stehen. Noch vor Kurzem zu Recht als hässliche, archaische und unzivilisierte Horde bezeichnet, ist das ostdeutsche Dorfracket heute Objekt antifaschistischen Appeasements. So forderten die angereisten Antifaschisten die Mügelner Dorfgemeinschaft – wenn auch im Brustton eines strengen Papas – über Megafon dazu auf, „den Arsch hochzukriegen“. Dass die Angesprochenen aber genau drei Tage vorher eindrucksvoll den „Arsch hochgekriegt“ hatten, wollten die Antifas offenbar nicht wahrhaben. Folgerichtig fragten die schwarz gekleideten Nazijäger ihre Schützlinge mit anklagend-moralisierenden Sprechchören: „Wo, wo, wo wart ihr am Samstag?“ Als ob das nicht bereits aus Berichten sämtlicher Tageszeitungen hervorgegangen wäre! Während FAZ, SPIEGEL, SZ, FR und Co. längst von den wildgewordenen Dorfbewohnern schrieben, bastelte sich die Antifa fleißig einen Gegensatz von rassistischen Tätern und friedliebender Normalbevölkerung zurecht. So flehte man die Mügelner immer wieder geradezu an, diese These zu beweisen. Einige Demonstranten verließen etwa mit Spendendosen bewaffnet den Demonstrationszug, um auf dem Marktplatz Geld für die Opfer des Angriffs zu sammeln. Unterstützt wurde dieses an Peinlichkeit kaum zu überbietende Ansinnen von einer Durchsage über das Megafon, in der die Dörfler aufgefordert wurden, „wenn schon nicht am Samstag, dann wenigsten heute etwas gegen Nazis zu tun“.(3) Die Mügelner hingegen sahen aber logischerweise keine Notwendigkeit für einen solchen Ablasshandel: Wo kein schlechtes Gewissen existiert, braucht es auch nicht frei gekauft zu werden. Statt Geld in die Kassen der verzweifelt von Marktplatzbesucher zu Marktplatzbesucher gehenden Antifaschisten zu werfen, beobachtete die Dorfgemeinschaft das Treiben der antifaschistischen Ablasshändler offensichtlich gelangweilt und apathisch. Die Antifa wollte das Buhlen um die Gunst der Herumstehenden aber dennoch nicht aufgeben. Immer wieder machte sie den Dörflern Angebote, die selbstverständlich nicht angenommen wurden: „Bürger lasst das Glotzen sein, reiht euch in die Demo ein!“ bettelten die Autonomen, wie um zu beweisen, dass auch sie noch oder wieder in den 90er Jahren verweilten. Durch die unerwidert bleibende Liebe zu den Mügelnern, die sich weder einreihen noch Geld spenden wollten, sondern lieber den Kopf schüttelten und gegen die Medien und angereiste Chaoten schimpften, ließ man sich allerdings nicht beirren. Dem verklärenden Weltblick eines unglücklich Verliebten gleich, schien das offensichtliche Desinteresse vielmehr zu bedeuten, dass man sich eben mehr anstrengen müsse. Die zaghaften Versuche einiger weniger Demonstrationsteilnehmer, die den penetranten Liebeserklärungen wenig abgewinnen konnten und sich dementsprechend nicht am Verhaltenskodex der Mehrheit orientierten, wurden mit der Begründung unterbunden, dass dies „keine Punkte“ bringe. Bei Indymedia antwortete ein User auf Kritik am Appeasement gegenüber der Mügelner Dorfgemeinschaft: „Wer die Gesellschaft verändern will, sollte selbige auch mitnehmen und nicht an ihr vorbeirandalieren.“ Er befand sich damit genau in jenem Sumpf des emanzipatorischen“ Politikmachens, wie es bei der „Leipziger Antifa-Gruppe“ (LeA), die im großen Stil nach Mügeln mobilisiert hatte, seit einiger Zeit üblich ist. Bereits bei einer Demonstration im April in Markleeberg, die die LeA mitorganisierte, wurde immer wieder der gemeine Markleeberger angesprochen, der angeblich „Angst vor den Nazis“ und deshalb ein automatisches Interesse an der Einreihung in die antifaschistische Volksfront gegen Nazis hätte. Das Buhlen um die Sympathie der Bevölkerung und das Sammeln von Antifa-„Bonuspunkten“ gehören offenbar mittlerweile zum Standardrepertoire dieser Gruppe. Während frühere sächsische Antifagruppen immer wieder auf die Widerwärtigkeit ostzonaler Dorfgemeinschaften und den Charakter des Staatsantifaschismus verwiesen, scheint sich die neue Antifa-Generation damit in die Gemeinschaft der guten Deutschen einordnen zu wollen.

PS: Auf der unbeirrbaren Suche nach dem „guten Mügelner“ wurden die angereisten Antifaschisten gegen Ende ihrer Demonstration übrigens doch noch fündig: Ein offenbar angetrunkener Herr an einem Fenster, der mit einiger Sicherheit auch dem Umzug der Freiwilligen Feuerwehr oder dem Autokorso eines Trabbitreffens zugewunken hätte, applaudierte den Antifaschisten. Nach so langem Warten auf einen „Guten“ waren die Antifas folgerichtig aus dem Häuschen und beklatschten frenetisch das Objekt ihrer Bemühungen.

Mission accomplished. Game over.

Andreas Reschke

Anmerkungen

(1) Mit seinen Versuchen, die Übergriffe zu bagatellisieren, hatte der Bürgermeister Gotthard Deuse sogar in vielen Punkten unfreiwillig recht. Tatsächlich ist Mügeln keine Stadt mit einer besonders gut organisierten rechten Szene. Die Behauptung, dass es solche Vorfälle auf allen Stadtfesten gebe, ist ebenfalls nicht von der Hand zu weisen. Auch der Aussage, dass eine Parole wie „Ausländer raus!“ in Mügeln jedem mal über die Lippen kommen könne, ist voll und ganz zuzustimmen.

(2) Auch mit dieser als Schutzbehauptung gedachten Aussage wird unfreiwillig die Wahrheit ausgesprochen. Sind gerade keine konsensfähigeren Opfer – wie die Inder – zur Stelle, schlägt man sich eben untereinander die Köpfe ein. Daraus werden dann allerdings die berüchtigten Wirtshaus- und Massenschlägereien und keine Hetzjagden.

(3) Auf die Frage, ob er mit seinen Angeboten das Gewissen der Mügelner beruhigen wolle, antwortete einer der Organisatoren der Spontandemo in Mügeln augenzwinkernd, dass man das alles nur wegen der Presse mache. Aha! Nach der nächsten Hetzjagd folgen dann das spontane Verteilen bunter Luftballons mit Antifa-Symbolik an Kinder und der unangemeldete Anstich eines Fasses Reudnitzer für deren Väter auf dem örtlichen Marktplatz. Die Höhepunkte eines solchen Festes, das man „Bunt statt Braun“ nennen könnte, stellen dann der Auftritt einer sorbischen Volkstanzgruppe sowie ein Percussion-Workshop von Schwarzafrikanern für rechte Jugendliche. Eine gute Presse wäre garantiert.


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last modified: 25.9.2007