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Kalter Krieg reloaded?

Spätestens seit der Rede Vladimir Putins auf der Münchner Sicherheitskonferenz ist die internationale Rolle Russland in vieler Munde. Dabei kommt es häufig zu Fehlschlüssen und falschen Annahmen, die sich oft aus Klischees und klassischen Feindbildern speisen. Inwieweit diese Einschätzungen gerechtfertigt sind, und was den Vertretern solcher Positionen teilweise zu entgegnen ist, dazu einige Anmerkungen von Jusovka Tablinova

Die Außenpolitik der Russländischen Föderation in den Jahren nach dem Auseinanderbrechen der UdSSR war kaum sichtbar. Bis auf die etwas halsbrecherische Besetzung des Flughafens der Hauptstadt des Kosovo, Priština, nach dem Ende der NATO-Angriffe 1999, war von einer irgendwie gearteten aktiven Rolle russischer Außenpolitik nicht viel zu spüren.
Seit dem Amtsantritt von Vladimir Putin im Jahr 2000 hat sich dies geändert. Man versucht, offensiv eine eigene Rolle zu finden: so ist laut
Reaktion auf die frühe medizinische Problematisierung des Rauchens:

Werbung, 15.1k

Eine Werbeanzeige für spezielle Zigaretten gegen (!) Asthma, Husten und Kurzatmigkeit (1885)

Werbung, 21.6k

Die Packung eines "milden Gesundheitstabaks"

Werbung, 5.2k

Der Entwurf eines Werbeplakats für ein entnarkotisiertes Rauchprodukt, das sogar für Kinder unbedenklich sein soll (1890)

Werbung, 29.0k

"Was selbst Ärzte rauchen, das kann für mich sicher nicht schädlich sein"

Werbung, 33.2k

Ende der 1920er Jahre unternahmen die Tabakkonzerne vielfältige Anstrengungen, um Filter- und nikotinarme Zigaretten herzustellen. In dieser Werbeanzeige von 1928 werden die "schädlichen Nebenwirkungen" des Rauchens bereits thematisiert: bemerkenswert ist hierbei die ausdrückliche Bezugnahme auf wissenschaftliche Experten und der selbsbewusst formulierte Satz "Rauchen ist gesund".



Anti-Werbung, 11.0k

Eine sehr direkte Art der Aufklärung: US-Gesundheitsorganisationen addieren seit einiger Zeit öffentlich die jährlichen Opfer rauchbedingter Krankheiten


(Siehe auch: Editorial)
dem außenpolitischen Konzept von 2000 eines der Hauptziele „die Erhaltung und Stärkung (...) seiner starken und geachteten Positionen in der Weltgemeinschaft, die von allen am besten den Interessen der Russischen Föderation als einer Großmacht und einem einflussreichen Zentrum in der modernen Welt dienen würde (...)“. Diese eigene Rolle versuchte man zwischen den Jahren 2000 und 2005 durch die Etablierung bzw. Festigung des eigenen Einflussbereiches in der Region der Staaten der ehemaligen Sowjetunion und durch die Konsolidierung der ökonomischen und politischen Verhältnisse innerhalb des eigenen Landes zu erreichen. Was zumindest im ersten Punkt auf den Widerspruch einerseits der EU und andererseits der Eliten in den betroffenen Staaten treffen musste. Das Ergebnis dieser Taktik war ein scheinbarer Misserfolg, wie die „farbigen Revolutionen“ z.B. in der Ukraine oder Georgien zeigten. Doch führte der große Erfolg im zweiten Punkt dazu, dass die Politik des Staates zunehmend den für die warenproduzierende Gesellschaft typischen Charakter annehmen konnte: Verwertungsbedingungen zu sichern.
In den letzten zwei bis drei Jahren ist nun im postsowjetischen Raum als Reaktion darauf die Tendenz zu beobachten, dass Russland nun nicht mehr darauf orientiert ist, mit „klassischen“ Mitteln „Einfluss zu sichern“, sondern den Interessen der eigenen Nationalökonomie Geltung zu verschaffen. So ist also eine positive oder negative Bezugnahme auf die russische Politik fehl am Platze, denn sie verwirklicht das, was in der modernen Gesellschaft im Vordergrund steht: Business – as usual.
Im Vordergrund einer Kritik oder positiven Bewertung steht außerdem oftmals das angeblich freundschaftliche Verhältnis zum Iran. Der Iran als mittelbarer Nachbar Russlands ist natürliches Blickfeld als Markt für die heimische Wirtschaft.
Dabei hat Russland als Letzter Interesse an einer atomaren Bewaffnung des Mullahstaates – die betreffenden Sprengköpfe würden ganz direkt die südrussische Region bedrohen. Außerdem würde ein auch militärisch starker Iran ebenso das Mächtegleichgewicht im bereits hochfragilen Kaukasus beeinflussen.
Viel mehr will sich die russische Wirtschaft auch hier ein Standbein sichern und politisch möchte man den Unsicherheitsfaktor Iran unter Kontrolle halten(1). In diesem Zusammenhang muss auch der zweite übliche Zustimmungs- oder Kritikpunkt gesehen werden: Der angebliche Antiamerikanismus der russischen Taktik.
Das Verhalten der russischen Regierung gegenüber den USA ist vielmehr ein Zeichen der aktuellen internationalen politischen Struktur: weg von einem bipolaren Bild bis 1990, über ein angeblich monopolares mit den USA als Mittelpunkt hin zu einem multipolaren System, in dem die USA und Russland nur zwei Spieler unter Vielen sind.

In diesem Zusammenhang stellt in den Augen der Moskauer Administration allerdings der geplante amerikanische Raketenabwehrschirm in Europa, der sich bereits durch die Auswahl der Standorte in Polen, der Tschechischen Republik und Georgien nicht nur gegen den Iran, sondern eben auch strategisch gegen Russland richtet, ein Problem dar. Dies löst, wie eben auch die Stationierung von Nicht-GUS-Truppen in der unmittelbaren russischen Nachbarschaft (wobei hier natürlich auch Verlusterfahrungen von Gebieten, die seit Jahrhunderten russisches Staatsgebiet waren, eine Rolle spielen), Bedrohungsängste aus.
Auf diesem Gefühl baute auch Putins Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz auf. Er konstruierte ein positives Bild der Welt während des Kalten Krieges im Gegensatz zur jetzigen weltpolitischen Situation.
Doch dies ist reine Rhetorik. Putin strebt keine Welt der statischen Machtblöcke an, er ist vielmehr an den wirtschaftlichen und politischen Interessen des russischen Staates orientiert. Dieses Konzept ermöglicht eine äußerst flexible Außenpolitik. Von daher ist nicht von einer Restauration der bipolaren Weltordnung auszugehen. Russland steht vielmehr auch in Konkurrenz zu anderen Mächten, die ihnen Märkte oder Einflusssphären streitig machen könnten. Vor allem China und Indien sind hier zu nennen.

Innenpolitisch gibt es in Russland zweifelsohne Defizite des demokratischen Systems. „Demokratie“ wird in der russischen Öffentlichkeit primär mit den Jahren der Jelzin-Administration und damit den o.g. und anderen Verlusterfahrungen auf allen Ebenen – sowohl sozial als auch ideologisch – verbunden. Der Begriff „Demokratie“ steht also für den Großteil der RussInnen für Massenverarmung, Usurpation vormals gesellschaftlichen Eigentums durch oligarchische Strukturen und schließlich politisch für den Verlust früherer Größe.
In jeder Transformationsgesellschaft ist eine Ungleichzeitigkeit der Liberalisierung auf ökonomischer und gesellschaftlicher Ebene zu beobachten. Zur Ermöglichung einer geordneten Verwertung ist ein funktionierender Staat notwendig, welcher im postsowjetischen Raum eben gerade seit 1990 nicht mehr vorhanden war. Vielfältige lokale racket-artige Strukturen, ob dies nun am einen Ende der Skala hochkorrupte lokale Gouverneure oder am anderen Ende die Separatisten in Tschetschenien waren, standen diesem stabilen Staat im Wege. Deshalb kam es in der Vergangenheit zu einer Zentralisierung der Verwaltung und der Schaffung von Institutionen unter straffen Führung der Kremlverwaltung – es war im Jahr 2000 keine andere handlungsfähige Instanz vorhanden. Dabei ist das Umfeld und die Politik des Präsidenten nicht demokratisch legitimiert, trifft jedoch auf Zustimmung in der russischen Bevölkerung. Der Lebensstandard ist in den letzten Jahren massiv gestiegen, und neben einer Konsolidierung der staatlichen Machtposition kam es eben auch zu einer Konsolidierung der Lebensverhältnisse.
Im Ausblick ist es abzuwarten, ob nach dieser Phase der tatsächlichen Einschränkung persönlicher Freiheitsrechte eine Liberalisierung eintritt. Anzeichen dafür gibt es durchaus, wie zum Beispiel die nicht gerade zurückhaltende Kritik an und abnehmende Unterstützung von wesentlich gruseligeren Systemen im postsowjetischen Raum wie bspw. Belarus zeigt. Auch die anstehenden Präsidentschaftswahlen im März 2008, bei denen Putin nicht wieder antreten darf und nach derzeitiger Einschätzung dies auch nicht durch eine Verfassungsänderung versuchen wird, zeigen durch die momentan zu erwartende Konkurrenz zweier gleichstarker Konkurrenten, dass das oftmals strapazierte Bild einer Diktatur in Russland so nicht stimmt.

Bei der Betrachtung der politischen Verhältnisse ist ein Denken in Strukturen des Kalten Krieges nicht angebracht. Vielmehr ist die Außenpolitik an kurzfristigen (ökonomischen) Interessen orientiert, während die Innenpolitik auf die Relegitimierung und Stabilisierung des Staates zielt. Also genau das, was jeden modernen Staat kennzeichnet.

Anmerkung

(1) Entgegen der Vermutung in Deutschland liegt der russischen Öffentlichkeit übrigens auch das Schicksal Israels durchaus am Herzen. Durch die russische Alija hat ein sehr großer Teil der Bevölkerung persönliche Beziehungen zu Israelis. Außerdem fühlt man sich gemeinsam als Opfer islamistischen Terrors.

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last modified: 28.3.2007