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„Hey, ich will, dass unser Publikum tanzt.“


Auszug aus einem Interview mit The Pipettes, 9.1k
(komplettes Interview unter www.revolver-club.de)

The Pipettes, 51.4k Revolver Club: Auch wenn ihr mit moderneren Sounds mischt, Haupteinfluss für die Pipettes sind 60ies-Girlpopbands wie die Ronettes oder die Shangri-Las. Diese Bands waren damals Marionetten von Produzenten und legendären Plattenfirmen. Die haben den Sängerinnen gesagt, was sie singen, wie sie sich bewegen und was sie anziehen sollen. Da hat dann aber schon ein Wandel stattgefunden und es gibt einen Unterschied zwischen denen und euch, oder?

Gwenno: Klar, unbedingt. Unsere Auftritte sind zwar auch ganz genau strukturiert, aber trotzdem gibt es definitiv niemanden, der uns sagt, was wir zu tun haben. Wir haben die komplette kreative Kontrolle über das, was wir ausdrücken wollen. Bei uns ist es nicht so, dass wir die Visitenkarte eines Produzenten sind. Bei den Pipettes handelt es sich um Bandmitglieder, die zusammenarbeiten. Neben der Band gibt es niemanden, der kreativen Einfluss auf uns hat. Da funktionieren wir wie andere Bands auch, selbst wenn wir natürlich ein viel strukturierteres Output haben.

Revolver Club: Trotzdem wird es bestimmt Leute geben, die euch zugestehen, dass ihr toll ausseht, Klasse tanzt und singt. Die Zuständigkeit für das Songwriting werden diese Leute aber eher bei den Jungs vermuten …

Rose: Mit genau diesen Vorurteilen wollen wir uns auseinandersetzen und das Publikum konfrontieren. Häufig gibt es auch miese Kritiken, in denen der Rezensent genau das schreibt: die Mädels tanzen ganz schön, richtig gut singen können sie nicht, und die Instrumente werden von den Jungs gespielt. Das zeigt die Hierarchie, die bei Bands immer zugrunde gelegt wird.
Wie wir uns auf der Bühne präsentieren, unterscheidet sich aber total von der Art und Weise, wie wir ansonsten mit der Band arbeiten. Wir wissen, dass wir für die Jungs gleichwertige Bandmitglieder sind, die in die kreativen Prozesse eingebunden sind. Warum sollen wir das der Welt aber ständig beweisen?
Wenn wir auf der Bühne stehen, haben wir viel mehr Lust, mit dem Publikum Spaß zu haben und zu tanzen, statt uns angestrengt zu beweisen. Wenn du hinter einem Instrument stehst, ist das sehr einschränkend. Klar, es ist schon so, dass die Musikszene von Männern dominiert wird. Momentan ist es einfach so, dass du als Frau niemals den gleichen Respekt bekommen wirst, der einem Typen entgegengebracht wird. Aber warum sollen wir uns von dieser Tatsache einschränken lassen und fremdbestimmt gegen etwas anarbeiten?
Wir könnten natürlich ganz angestrengt beweisen, dass wir an den Instrumenten genausoviel können wie irgendwelche Kerle. Scheiß drauf! Die Leute beurteilen dich eh, wie es ihnen gerade passt. Warum sollen wir also nicht einfach das machen, woran wir Spaß haben? Ich will ja nicht das machen, von dem ich denke, dass ich es im Sinne des Kampfes für Gleichberechtigung tun sollte. Schließlich wollen wir ja auch gar nicht langweilige Muckerinnen repräsentieren. Ich habe einfach keine Lust, irgendjemanden irgendwas zu beweisen. Wir sind voll damit zufrieden, dass wir in einer Band sind, bei der wir ins Songwriting eingebunden sind. Hey, ich will, dass unser Publikum tanzt. Wenn wir nicht tanzen, wie kannst du dann von irgendjemand anderen erwarten, dass er tanzt?

Revolver Club: In letzter Konsequenz unterscheidet ihr euch gar nicht so sehr von Riot-Grrl-Bands wie Le Tigre, oder? Le Tigre schreiben Songs, in denen sie den Kampf um Gleichberechtigung thematisieren, und mit ihren Auftritten versuchen sie, ein Exempel zu statuieren. Ihr aber macht einfach, worauf ihr Bock habt. Das Ziel ist gleich, nur die Methoden sind komplett anders …

Gwenno: Ja, es ist die gleiche Programmatik. Klar, wir arbeiten nicht mit der Aggressivität, mit der Le Tigre vorgehen, aber wir teilen mit ihnen ganz sicher viele Gefühlslagen.
Wir bringen diese Punkte eben freundlicher rüber. Trotzdem schockiert die Leute, was wir machen, da es extrem aus dem Rahmen des Üblichen fällt. Auf den Gesichtern im Publikum kann ich sehr oft die Frage lesen, wie zur Hölle wir das nur tun können.
Die Pipettes verfolgen ganz sicher keine politische Agenda, aber mit dem, was wir machen, berühren wir natürlich politische Fragen. Das passiert schon allein, weil die Musikwelt von Typen gemacht ist.
Es ist gerade eine interessante Zeit. Jetzt passiert etwas, das auf die Riot-Grrl-Bewegung folgt. Bei der Riot-Grrl-Bewegung ging es darum, zu demonstrieren, dass man auch als Frau in einer Band bestehen und all die Dinge tun kann, die Typen können. Und zwar genauso gut. Jetzt haben wir aber eine neue Ära, was nicht zuletzt natürlich auch ein Verdienst der Riot-Grrl-Bands ist.
Wir haben heute ganz viele Frauen in ganz unterschiedlichen Bands, und diese Frauen können es auch wieder wagen, feminin zu sein.
Wir wollen auf der Bühne einfach das machen, was wir tun würden, wenn wir sowieso in dem Club wären. Ein Pipettes-Auftritt soll sich anfühlen, als ob wir in die Disco gehen würden.

Revolver Club: Glaubt ihr, dass ihr es bald aufs NME-Cover geschafft habt?

Gwenno: Nein, wir werden niemals auf dem NME-Cover sein. Die Pipettes sind nicht die coolste Band auf diesem Planeten. Und wir sind Mädchen. Mädchen schaffen es nie auf den Titel, es sei denn, man macht auf Debbie Harry. Wir sind nicht hart genug, wir sind nicht cool genug, und schließlich haben wir die Pipettes ja unter anderem auch als eine Gegenbewegung zum NME gegründet. Gegen die Gesetze, die der NME aufstellt, gegen ihre fade Vorstellung von Rock'n'Roll.
Der NME bedient eine Tradition, die auf die Beatles zurückgeht. Das ist nicht die Schuld der Beatles, sondern die Art und Weise, wie sie vermarktet wurden. Titelbildchancen haben seitdem eigentlich nur vier beste Freunde, die zusammen Musik machen. Sie müssen cool sein. Und dünn.




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last modified: 28.3.2007