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Im Osten nichts Neues


Hannes Gießler hat Recht und Unrecht zugleich(1). Er hat Recht, wenn er die Verharmlosung des Islam durch zahlreiche Linke kritisiert und darauf hinweist, dass Deutschland nicht mehr die Pogromrepublik der frühen neunziger Jahre ist. Das neue Deutschland ist links, multikulti und weltoffen. Seine Protagonisten verlangen „wegen Auschwitz“ nach mehr Verantwortung, ihr bester Freund ist Jude oder zumindest Mitglied einer Klezmer-Band, sie wollen Kulturen schützen und bringen dem Islam aus diesem Grund besondere Begeisterung entgegen. Gießler hat ebenfalls Recht, wenn er erklärt, dass der bunte Nationalismus im innenpolitischen Rahmen weitaus harmloser ist als der Ausländer-raus-Nationalismus der neunziger Jahre. Er irrt sich allerdings, wenn er die zivilisierende Wirkung dieses Nationalismus einfach für den Osten der Republik konstatiert. Außerhalb der wenigen Großstädte hat das neue Deutschland dort nämlich keine Chance. Nur wenige Kilometer vom Leipziger Zentralstadion entfernt, in Orten mit unappetitlichen Namen wie Delitzsch, Grimma oder Schkeuditz, hätte Gießlers Aha-Erlebnis – ein Mann mit schwarzer Hautfarbe wird von einer Fußballmeute mit freundlichen Rufen

Fußball I, 14.4k Fußball II, 25.9k Fußball III, 19.3k

Conne Island-Fußballturnier zum 15. Geburtstag
begrüßt – vermutlich anders ausgesehen. Sportplätze, Tank- und Bushaltestellen in der sächsischen, mecklenburgischen oder sachsen-anhaltinischen Provinz sind auch weiterhin no go areas für Schwarze.
In diesen Gegenden bemüht man sich zwar gelegentlich um die Aufnahme ins neue Deutschland. Allein, diese Bemühungen misslingen regelmäßig.
Beispiel Pömmelte: Der Ort in der Nähe von Magdeburg geriet Anfang des Jahres in die Schlagzeilen, weil fünf autochthone Jugendliche einen 12jährigen schwarzen Jungen so gedemütigt und gefoltert hatten, dass er in ein Krankenhaus eingeliefert werden musste. Die Dorfgemeinschaft versuchte zunächst, sich in die große antifaschistische Einheitsfront aus empörten Nachrichtensprechern, schockierten Landtagsabgeordneten und einem fassungslosen Landesvater einzureihen. Die örtlichen Honoratioren trafen sich, gründeten den obligatorischen Runden Tisch und sprachen zunächst über einen Jugendclub. Anders als vor dem „Aufstand der Anständigen“, als rechte Gewalt noch als stummer Schrei nach einer Jugendbegegnungsstätte begriffen wurde, ging es diesmal allerdings nicht um Räumlichkeiten für eine örtliche Neonaziclique. Mit Hilfe eines Sozialarbeiters sollten die Dorfjugendlichen vielmehr vor den Zugriffen „rechter Ideologen“, die man in der acht Kilometer entfernten Kreisstadt verortete, geschützt werden. Ganz im Stile der neuen Republik, die „aus der Geschichte gelernt hat“, wurde am Runden Tisch zudem kritisch über die „Unkultur des Wegsehens“ diskutiert.
Also alles neues Deutschland? Nicht ganz. Denn bereits nach kurzer Zeit demonstrierte die Dorfgemeinschaft ihre Unfähigkeit, sich das Ethos und die Sprachregelungen der geläuterten Republik vollständig zu Eigen zu machen. Weitaus entsetzter als über die barbarische Freizeitbeschäftigung des eigenen Nachwuchses waren zahlreiche Einwohner beispielsweise über die Presseberichterstattung: Ein Teilnehmer des Runden Tisches beklagte sich darüber, dass über dem Dorf „kübeleimerweise brauner Dreck“ ausgegossen werde, ein Bürger behauptete gegenüber Journalisten, dass es „mit den Schwarzen doch immer Ärger“ gebe, und andere Ureinwohner drohten angereisten Reportern schon mal mit der Reitpeitsche. Kurz: Die Empörung über die Tat trat – eher untypisch für das neue Deutschland – regelmäßig hinter die Sorge um den Ruf des Ortes zurück.
Solche halbherzig und erfolglos betriebenen Aufbruchsversuche ins neue Deutschland sind keine Einzelfälle. Sie lassen vermuten, dass hierzulande langfristig eine Entwicklung zu beobachten ist, die entfernt an die Situation in Frankreich erinnert: In den Zentren schreitet die Herausbildung einer modernen und weltoffenen Republik weiter voran. Hier ist man hip, mag Gerald Asamoah und trägt Schwarz-rot-gold nicht wegen der Vergangenheit, sondern aufgrund der deutschen Vorreiterrolle in Sachen Ökostrom. In der ostdeutschen Peripherie hingegen bildet sich die ländliche Version der Banlieues heraus. In diesen Gegenden, in denen der Staat oft der einzige Arbeit- und Geldgeber ist und das bestimmende Gefühl Langeweile heißt, verbindet sich die Vorstellung, von allen anderen immer nur übervorteilt, reglementiert und betrogen zu werden, mit der Sehnsucht nach der starken Hand, aggressivem Lokalpatriotismus und einem dumpfen Antikapitalismus. Hier haben die Menschen, die sich oftmals weigern, ihre Scholle zu verlassen, tatsächlich keine Zukunft. Sie sehnen sich darum nach der Vergangenheit zurück. Die Wahlerfolge der Linkspartei/PDS sind ebenso Ausdruck dieser Sehnsucht wie der Retro-Boom um Bautzener Senf, Spreewaldgurken und Club Cola.
Bei ihrer Suche nach der Vergangenheit stehen die Bewohner der postindustriellen wastelands allerdings vor zwei Problemen: 1. Als die Vergangenheit Gegenwart war, in der Ära Honecker also, konnten sie ihr nicht allzu viel abgewinnen; Ostprodukte waren in dieser Zeit bekanntlich nicht sonderlich beliebt. 2. Die guten alten Zeiten, an denen nicht viel gut war, können – nicht zuletzt dank der eigenen Beteiligung an den einschlägigen Montagsdemos und der nächtlichen Abwicklung des örtlichen LPG-Bestandes – nicht wiederkehren.
Da sie keine Zukunft mehr haben und die Vergangenheit unwiederbringlich ist, simulieren die Einheimischen regelmäßig den Weltuntergang. Im Bewusstsein ihrer eigenen Überflüssigkeit, das ohnehin zur Grundausstattung jedes Arbeitskraftbehälters gehört, in den ostdeutschen Abbruchgebieten allerdings besonders stark ausgeprägt ist, sind die Menschen mit selbstzerstörerischer Aggressivität erfüllt. So richtet sich das Verfolgungs- und Vernichtungsbedürfnis der enthemmten Eingeborenen längst nicht mehr nur gegen „Zugereiste“, „Ortsfremde“ und „Auswärtige“. Die Existenz dieser auswärtigen Feinde hält sie lediglich zeitweilig davon ab, sich gegenseitig zu zerfleischen.
In diesem Klima allgemeiner Verrohung und wehleidiger Aggressivität spielen organisierte Neonazis tatsächlich keine große Rolle mehr. Wenn der Feuerwehrverein zugleich Bürgerwehr ist, die Jugendmannschaft des Fußballvereins illegale Einwanderer jagt, und das gemeinsame Vorgehen gegen Gemeinschaftsschädlinge im örtlichen Fleischereifachgeschäft abgestimmt wird, verlieren sie ihre Avantgardefunktion. Der ideologische Kitt, der die Gemeinschaft am Zerfallen hindert und oft nur noch dazu dient, das Straf- und Verfolgungsbedürfnis der Einheimischen weltanschaulich zu überhöhen, wird nicht von der örtlichen Kameradschaft geliefert. Hierzu ist die Linkspartei/PDS weitaus besser in der Lage. Denn im Gegensatz zu den Neonazis haftet ihr weder das Image des Gemeinschaftsschädlings an, der die eigene Region in Verruf bringt, noch wird sie als Westimport wahrgenommen.
Das heißt: Auch wenn ostdeutsche Dorfgemeinschaften in Folge der staatlichen Antifa-Kampagnen Demonstrationen gegen Neonazis organisieren, wird sich östlich der Elbe in den nächsten Jahren nicht so viel verändern. Vor dem Hintergrund von Ost-Identität, sozialer Verwahrlosung und aggressivem Selbstmitleid werden die natives der Magdeburger Börde, der Sächsischen Schweiz oder der Mecklenburger Seenplatte so bald nicht über das zaghafte Erlernen einzelner Sprachregelungen des bunten Nationalismus hinauskommen. In den entvölkerten Regionen Ostdeutschlands, in denen ohnehin kein vernunftbegabter Mensch investieren will, wird weder das gebetsmühlenartig vorgetragene Gebot, dass man Investoren auch dann nicht totschlagen darf, wenn sie eine dunkle Hautfarbe haben, auf große Beachtung stoßen. Geschweige denn wird sich hier die für das neue Deutschland typische Begeisterung für fremde Kulturen, Stämme und Riten, flippige Ethnobekleidung, Töpferkurse, Yoga und vegetarische Restaurants einstellen. Im Bewusstsein, dass sie auf der Welt nichts mehr zu suchen hätten, werden sich die einschlägigen Dorfgemeinschaften auch weiterhin regelmäßig in Horden wild um sich schlagender Asozialer verwandeln, die allen – und letztlich auch sich selbst – nach Besitz, Leib und Leben trachten. Auch wenn die Landsleute in Berlin, Frankfurt/Main und Leipzig inzwischen „weltoffen, multikulti und nett“ sind.

Christoph Beyer

Anmerkung

(1) Die relative Gefahr des eigenen Landes, Jungle World Nr. 33, 16.8.06, http://jungle-world.com/seiten/2006/33/8323.php

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last modified: 28.3.2007