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Die Knarre unter der Schmusedecke

Einige leicht verständliche Anmerkungen zur neuen deutschen Hip Hop-Welle...

Das waren noch Zeiten, als man guten Gewissens die Deutschquote in Radio und Musikfernsehen fordern konnte, als Mia ihre unschuldig spielerische Deutschlandhommage an jeden verkaufen konnten, der dieses seltsam absurde Neue Deutsche Welle Revival gut fand. Im Feuilleton rauf und runter gelobt, von links kritisiert und von rechts schon mehr als ein wenig hoffnungsvoll als Träger eines neuen deutschen Selbstbewusstseins im Pop gefeiert, war der Rummel um diesen Nonsens doch relativ schnell wieder vergessen.
Plötzlich jedoch stand man im Angesicht einer anderen „Neue(n) Deutsche(n) Welle“: dem gleichnamigen Song des Rappers Fler. Unter anderem hieß es da, „Das ist Schwarz-Rot-Gold, hart und stolz. Man sieht's mir nicht an, doch glaub mir, meine Mom ist deutsch.“ und in einem entsprechenden Musikvideo wehte die Deutschlandfahne, vor welcher in arschcooler Mackerpose der Interpret einen Adler auf seiner Hand landen ließ, dazu wurde Falco gesampelt, wohl als Zugeständnis an die Biergärten dieses Landes. Da klappte selbst den Feuilletonisten und anderen Verfechtern der Deutschquote die Kinnlade runter, ab irgendeinem Punkt war es wohl doch zuviel des Guten, zuviel Deutschland, zuviel Stolz, zuviel Schwarz-Rot-Gold. Bushidos Zeile, „Ich bin der Leader wie A.“, tat ihr übriges, um die Wipfel des Zeitungswaldes, vom popkulturellen Popanzblatt bis hin zu seriösen Gefilden, ordentlich durchzuschütteln. „Ist Fler ein Neo-Nazi?“, „Hip Hop von rechts“ und ähnliches gab es da zu lesen über die Geister, nach denen solche Blätter noch ein paar Monate zuvor aus tiefster Kehle riefen. Anstatt sich über die „dicke Kartoffel“ (Eko) Fler zu freuen, der sich trotz seiner teilweise türkischen Abstammung als deutscher Patriot, gar „bis auf's Blut...(als)...deutscher MC“ (Fler) versteht, beschuldigte man dieses junge Musterbeispiel an Geschäftstüchtigkeit, Integration und Patriotismus bei gleichzeitiger Affirmation des ganzen Multikultischwurbels des Rechtsradikalismus. Ein Vorwurf, der ihm, hätte er das Lied, welches ihm übrigens nach den ersten zwei Wochen Gold einbrachte, während der laufenden WM veröffentlicht, sicher so nicht gemacht worden wäre. Allerdings, ein wenig übertrieben hatte er es schon, der Fler, „Ab 1. Mai wird zurückgeschossen“ stand da auf dem ihn bewerbenden Plakat und neben diesem fragwürdigen Slogan prangte der Reichsadler, wo sonst halbnackte Frauen sich räkeln. Dabei präsentiert das Video uramerikanisches Gangsterimage: Ghettos wie in einem billigen Endzeitsetting, tief ins Gesicht gezogene Kapuzen, besprühte Wände, fette Karren, willige Frauen und böse Jungs, aber eben nicht nur Weißbrote wie noch bei Mia. Der Regisseur wollte eigentlich so richtig harte Skins neben Fler stellen, aber da wäre man wohl „in der falschen Ecke“ gelandet, so Fler.
Natürlich wird hier mit der Provokation vermittels eines Tabubruchs gespielt und die folgenden aufgebauschten Diskussionen über möglichen Nazi-Rap dürften zum Erfolg der Single einiges beigetragen haben. Allerdings stellt sich dieser vermeintliche Tabubruch in eine Reihe mit denen weniger erfolgreicher MCs hierzulande. Beispiele gefällig? Bitte: „Brothers Keepers featuren mich nicht, denn ich bin Adolf Hitler.“ (Olli Banjo), „Damit die Bullen Schmerzen leiden entführe ich ihre Kinder und werd zu Dr. Himmler“ (Basstard), „Meine Gang sind Jungs mit SS-Tattoo und Trenchcoat“ (Denana), „Affen wie Afrob fliehn aus dem Zoo und halten sich für MC`s“, „Ich schick deine Kinder ins KZ“ (Ronald MacDonald) und das wohl bekannteste Beispiel an sogenanntem „Rap von Rechts“ Dissau Crime „Dissau predigt den Endsieg. Erlebt meine Aura, wie die Massen Adolf Hitler.“, „Ich hab da noch was: Jedem das Seine! Denk an den Satz, auf dem Weg ins Gas meiner Stadt“(1), „Sag lieber gar nichts, sprich deutsch! Kauderwelsch ist Rotze, scheiß Votze. Ja, ich bin ein Nazi, von wegen Stasi, ich schlag sie. Die SS hab ich als Rückendeckung.“ Aufgrund des Engagements der lokalen Antifa und anderer Bürgervereine wurde schließlich im März 2005 ein Ermittlungsverfahren gegen Dissau Crime eingeleitet und es kam zur Anklage. Vor Gericht präsentierte einer der Beschuldigten eine durch ihre Scharfsinnigkeit geradezu bestechende These, nämlich die, dass nach den Vorkommnissen in Rostock-Lichtenhagen und dem Mord an Alberto Adriano sowieso alle ostdeutschen Jugendlichen als Nazis abgestempelt würden und deshalb,
Conne Island Saal, 29.7k

Eine alte Ansicht der Conne Island-Saal-Fassade
auch seine Schlussfolgerung liegt nahe, wollte man halt „etwas Makaberes mit Schwarzem Humor“ machen. Auf die Frage, ob er denn ein Nazi sei, antwortete er, dass er „die CD nicht als rechts“ ansehe und betonte einen wichtigen, der Anklage offensichtlichen nicht geläufigen, Fakt: „Es ist im Hip Hop nicht gerade chic, als Nazi da zu stehen.“ und verwies danach auf seine guten Kontakte zur örtlichen „alternative(n) Szene“. Der Beklagte hat hier eine ungeschriebene Wahrheit ausgesprochen. Hip Hop gilt aufgrund seiner Herkunft per se als irgendwie links und multikulturell, enthebt praktisch seiner Form nach schon jegliche Anschuldigung, die man gegen seine Protagonisten vorbringt ihrer Legitimation. Man wiegt sich im sicheren Hafen des Genres, der das eigene Schiff, ganz egal welche Munition man von ihm aus abfeuert, schon nicht untergehen lassen wird, schlagen die Wellen der Empörung auch noch so hoch. Mal davon abgesehen, dass Schiffe wie Dissau Crime versenkt werden sollten und zwar nicht nur durch gerichtliche Beschlüsse, funktioniert dieses Hafenprinzip in den Zeiten der Postmoderne nicht mehr, Nazis tragen Baggypants und fette Sneaker, Hardcoreshirts und ähnliche ehemals eher links codierte Kleidung. Hier findet auch nicht der vielerorts beschworene Diebstahl von Codes statt, teilweise ist die Überraschung ob dieser Erkenntnis tatsächlich noch groß, sondern diese fliegen vielmehr lustig durch den Raum und die Kids greifen nach jenen, die ihnen zusagen und basteln sich daraus eine Identität. So verwundert es nicht, dass sich junge Neonazis nach einem Bushidokonzert von dem „Kanaken“ (Bushido) Autogramme holen. Inwieweit bei diesem Beispiel ideologische Überschneidungspunkte in Bezug auf Themen wie Amerika entscheidend sind, beleuchtet einer der im Anhang aufgeführten Artikel, weshalb dies hier vernachlässigt werden soll. Bushido ist auch da ein Vorbild an Toleranz, wenngleich er sich von Rechten abgrenzt, doch solange alle bei einem Konzert Spaß haben und „die Typen niemandem etwas tun“ (Bushido) wirken seine Auftritte in seinen Augen wohl wie Sozialarbeit für Minderbemittelte.
Ein nennenswertes Beispiel einer mehr als brüchigen Codierung von Hip Hop mit bestimmten Eigenschaften ist wohl der Song „Fremd im eigenen Land“ von Advanced Chemistry, der damals eine Reaktion auf den erfahrenen Rassismus im Alltag der Musiker widerspiegelte. Wenige Jahre später sampelte eine Crew namens „Anti“ diesen, schubste die Migranten aus der Opferrolle heraus und setzte sich selbst ein, als „Ostnigger“, die im eigenen Land behandelt würden „wie Asylanten“, quasi der eingemeindete Ostdeutsche als neues Opfer staatlicher Repression und des Rassismus im Alltag. Doch damit nicht genug, schließlich kickte MC Pain auf dasselbe sample die Zeilen „Türken werden immer reicher und Deutsche immer ärmer (...) Verbrennt diesen Toystaat (...) Die Ausländer werden immer mehr in diesem Staat.“ Fragt man bei solchen oder ähnlichen Äußerungen nach, so schlägt einem in den meisten Fällen die empörte Begründung entgegen, dass wäre alles nur battle, gar nicht so gemeint, überspitzt, etc, etc. Natürlich gibt es aufgrund solcher Tracks auch szeneinternen Streit, aber die heilige antirassistische Kuh Hip Hop dürfte ein für allemal geschlachtet worden sein, trotz abstrusester Begründungen, wie zum Beispiel dieser, in Auszügen zitiert, der Gruppe MOR.: „Das Wort Nigga in den Texten von MOR (deren Mitglied oben zitierter Ronald MacDonald ist, Anm.d. A.) ist nicht rassistisch gemeint, sondern in einem strengen Hip Hop Kontext zu verstehen. Sprich: man nimmt ein eigentlich rassistisches Wort und dreht es solange um, bis das Gegenteil davon herauskommt.“ Das ist klar, so wie in diesen tollen Ghettofilmen, da bezeichnen sich ja auch immer alle als „Nigga“. Es dürfte allerdings fraglich sein, ob die Deutschen von MOR mit ihrer lustigen Flaschendrehlogik in der Bronx auch so gut ankommen, es käme auf einen Versuch an. Aber selbst gestandene, im Glauben an einen „strengen Hip Hop Kontext“ aufgewachsene junge Männer haben ein Einsehen, wenn es um ernste Themen wie Rassismus geht. „Dass das Wort Nigga von anderen in letzter Zeit inflationär und auch sehr unbedacht benutzt wurde ist scheisse. Aus diesem Grund haben MOR den Gebrauch des Wortes Nigga stark eingeschränkt.“ Also echt ihr anderen MC`s, ständig dieses N-Wort, dabei reichen doch zehn Erwähnungen pro Album, nehmt euch ein Beispiel an den Jungs hier. „Mor ist und war eine multinationale Crew mit einem Humor, der sich radikal über Tabuthemen lustig machte. Wo andere übermäßig politisch korrekt sein wollten, da war MOR über die Maßen politisch unkorrekt. (...) Und das sollten wir nicht vergessen: ES GIBT'S KEIN DEUTSCHNATIONALEN HIP HOP! Kapiert.“(2) Dass es keinen deutschnationalen Hip Hop gibt, sollten die Jungs von MOR mal beim nächsten Spiel von Lok Leipzig den jüngeren Bushidoshirts tragenden Zuschauern erzählen – da dürfte man sich schon eher auf den gemeinsamen „Humor“ einigen, denn obwohl es sich bei den Anwesenden nicht unbedingt um „multinationale Crew(s)“ handeln dürfte, so sollte doch der gemeinsamen Erheiterung aufgrund von „Tabuthemen“ nichts im Wege stehen. In einem kleinen Kreis von aufgeklärten Bekannten sind solche Statements hin und wieder vielleicht ganz witzig, wenn man aber so einen Schmus aufnimmt und veröffentlicht, dann sollte man sich über entsprechende Reaktionen nicht wundern.
Man kann also feststellen, dass im Gegensatz zu den hier aufgeführten Beispielen, und es sind nur einige von vielen, der olle Fler mit seinem Multikultipatriotismus den er letzten Endes propagiert, nur aufgrund seines jugendgefährdenden Images und seiner Popularität, die wiederum dem schlechten Musikgeschmack der Jugend geschuldet ist, solch einen Wirbel verursachen konnte. Jede staatlich finanzierte und von der Öffentlichkeit bejubelte Gedenkveranstaltung für die deutschen Opfer des Dresdner „Bombenterrors“ stellt seinen Popelsong in den rechten Schatten, wobei sowohl Fler als auch die deutsche Öffentlichkeit ihre tiefe Abneigung gegen die Befreier teilen dürften. Auch ist der Song genauso „rechts“ wie das seit neuestem schwarz-rot-güldene MTV-Logo oder die drei jungen Mädchen, die auf die Frage des französischen Polyluxaußenreporters, ob denn die Deutschen, welche früher vom Engländer als „böse Nazis“ bezeichnet wurden, nach der WM als wahlweise „freundliche Nazis“, „liebe Nazis“ oder „immer noch böse Nazis“ bezeichnet würden, geschlossen antworteten, „Als liebe, freundliche Nazis.“
Auch reden Rapper wie Fler und Bushido sich nicht mehr mit der Begründung heraus, Hip Hop könne aufgrund seiner Herkunft gar nicht rechts sein, sondern sie sind viel „geschickter“. Nach dem Motto, „Ich bin doch ein Migrant“ oder wahlweise „Ich bin doch ausländischer Abstammung.“ wendet man das rassistische Ticket und besetzt es positiv.
Es ist eben nicht mehr, wie zu Anfangszeiten des Hip Hop in Deutschland, egal woher man kommt, sondern die Abstammung ist mittlerweile wichtiger Bestandteil der Identität geworden. Bei Savas war es noch egal, dass es ein Türke ist, der das Mic in die Hand nimmt, er bestach und besticht, bei aller gerechtfertigten Kritik, die man an ihm üben kann, durch seine Skills, ebenso wie Sammy Deluxe, nebenbei gesagt zwei Ausnahmeerscheinungen im deutschen Rap. Sie verkaufen zwar auch ein Image, doch das Produkt setzte neben ihm eben auch auf Qualität, die den Wiedererkennungswert entscheidend mitbestimmte, ein Umstand, der mehr und mehr ins Hintertreffen gerät. Sido ist vor allem seine Maske, eine Art Superheld, was er auch selbst in Interviews immer wieder betont. Er ist der Idealtyp des kleinen, ungeliebten und verpickelten Jungen, für den sich Mädchen nie interessiert haben, der plötzlich, wie ein Schmetterling, der sich aus seiner Verpuppung befreit, zu etwas Größerem mutiert. Erst die Maske verleiht ihm die Kraft eines echten Gangsters, sich haufenweise Drogen reinzupfeifen, jede Menge Frauen zu betören und natürlich zu rappen. Bushido hingegen ist, wie einige seiner Kollegen, komplett „real“, ein harter Vorstadtaraber, der Drogen verkauft, Leute umboxt, „weiße deutsche Mädchen“ (Bushido) vögelt und auch sonst so einiges auf dem Kerbholz hat: Ein Outlaw, ein fieses Ghettokind(3) , ein Migrantensprößling, der sich mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln wirtschaftlich durchsetzt und dabei auf den Rechtsstaat scheißt. Und was ist Fler? Fler ist der stolze Deutsche neuen Typus, der kein politisch korrektes Blatt vor den Mund zu nehmen braucht, da er ja mit Arabern chillt und selbst „arabische(s) Blut“ (Fler) in sich trägt. Der „schwule Zigeuner“ Tomkat beispielsweise könne sich „ganz krass mit seiner ganzen Sinti-Sippe in den Arsch ficken.“ So spricht ein ungebundener multikultureller Patriot mit street credibility, der den Vorwurf des Rassismus schon aufgrund seiner Herkunft entkräftet und nicht müde wird zu betonen, Nazis können ihn gar nicht leiden, da er ja selbst ein „Halbkanake“ sei. Hätte er nicht diesen badboy-Status, er wäre das perfekte WM-Maskottchen geworden, eine Vorzeigefigur für das neue geläuterte Deutschland, aber Drogen, Gangsterquatsch und offene Homophobie haben dies wohl verhindert. Es ist mittlerweile also entscheidend, sich ein entsprechendes Image zu zulegen, um auf dem heiß umkämpften deutschen Hip Hop Markt nicht unterzugehen. Azad beispielsweise tritt vor Filmaufnahmen aus dem Zweiten Weltkrieg auf und der DJ spielt ständig Schüsse und das metallische Klicken einer Waffe, die entsichert wird, ein. Flankiert wird er bei seinen Performances von zwei monströsen Bodyguards, die ihn wohl vor den scheißgefährlichen Anwesenden (Durchschnittsalter 15) schützen sollen. Um seinem Image und der Herkunft Rechnung zu tragen, wedelt die Menge irgendwann mit kurdischen Flaggen, Deutschland ist tolerant und international geworden. „Ich sage den Kids: Wenn ihr auf Play drückt und meine CD hört, bekommt ihr siebzig Minuten aus meinem Leben – wenn ihr auf Stop drückt, seid ihr wieder in eurem Leben, mit euren Eltern, euren Lehrern und der Polizei, die euch verhaftet, wenn ihr Mist baut.“ (Bushido) Es sind natürlich nicht wirklich siebzig Minuten aus dem Leben eines Mannes, der bis vor kurzem noch bei seiner Mutter wohnte und in seiner Freizeit gern „Alpha Centauri“ sieht. Er fungiert eher als moderner Großstadtmärchenerzähler, genau wie seine ganzen anderen Gangstakollegen aus Deutschland, die überwiegend männliche Jugendliche mit ihren postpubertären Allmachtsphantasien unterhalten. Es ist der Reiz des Verbotenen, des Kriminellen, der Rebellion, der auf die Kids ungeheuer anziehend wirkt, da sich in ihrem Alltag Vergleichbares nicht wirklich abspielt und Eltern sowie Medien sich gemeinsam über die vorgetragenen Geschichten ihrer gewählten Helden empören. Der Erzähler wirkt umso glaubhafter, je weniger man sich in der Realität mit ihm vergleichen kann, je unbekannter die Welt ist, der er entstammt, Bushido und Azad beispielsweise nutzen ihre Herkunft als eine Art bekanntes Mysterium, das ihnen angeblich eine Extraportion Härte und Gefährlichkeit verleiht. Nicht umsonst sind gerade die Verkaufszahlen in eher ländlichen Gegenden entscheidend gewesen für den kommerziellen Erfolg des deutschen Gangstarap.(4)
Auf der einen Seite darf man Statements dieser „Künstler“ natürlich nicht als harmlose Tabubrüche bagatellisieren, ein Argument welches nicht selten in Stellung gebracht wird, wenn Sozialarbeiter Erklärungsversuche für die rechten Tendenzen in ihren zu betreuenden Jugendclubs suchen. Allerdings kann man sie auch nicht für jeden Blödsinn zur Verantwortung ziehen, den ihre Hörerschaft verübt. Es gibt sie eben doch, die Trennung zwischen Fiktion und Wirklichkeit, die Verantwortung des Individuums für die eigenen Taten. Wenn deutsche Gangstarapper die Bühne betreten, wird der Filmprojektor angeworfen und die siebzig Minuten aus „ihrem Leben“ werden abgespult, ein Großteil des Stoffs dürfte jedoch frei erfunden sein. Das Argument, die Rapper wären Schuld an der Verrohung der Jugendlichen, an sexistischen Übergriffen und Drogenproblemen, ist eines von Leuten, die die Ursachen gesellschaftlicher Probleme reduzieren und krampfhaft nach einem Sündenbock suchen. Ein Jugendlicher, der das neue Cannibal Corpse-Album reinlegt, rennt nicht nach dessen Genuss auf die Straße und meuchelt wahllos Leute mit der Kettensäge; ebensowenig führt ein Splatterfilm dazu, das eben Gesehene in die Tat umsetzen zu wollen. Im Punk/HC Bereich wird auch nicht selten zu drastischen Maßnahmen geraten (Bonzen aufhängen, Nazis umbringen, Vergewaltigern die Geschlechtsteile abhacken, etc.) und trotzdem sollte es doch eher selten zu solchen Vorkommnissen aufgrund des gerade Gehörten gekommen sein. Die Gründe für Gewalt, Sexismus, Homophobie, etc. sind eben nicht die kritisierten Rapper, wenn auch ihre Haltung und Aussage in den wenigsten Fällen zur kritischen Auseinandersetzung mit diesen führen dürfte. Sie verkaufen nichts als die Affirmation des Bestehenden, die bei ihnen weiter geht als in den meisten anderen Produkten der Kulturindustrie, die Bejahung unmittelbarer Unterdrückung. Sexualität funktioniert bei ihnen immer nur als eine Art Bestrafung, die Frau muss vermittels roher männlicher Gewalt gefügig gemacht werden, am besten noch im Rudel. Es wirkt, als wolle man das begehrte Objekt dafür peinigen, dass es eben jenes Begehren in einem selbst auslöst, welches verhindert, dass man mit seinen homies abhängen oder hustlen kann. Viele dieser Texte hinterlassen übrigens den Eindruck, ein heterosexueller Mann würde während er einen Porno sieht, einen Großteil seiner Aufmerksamkeit den Genitalien der männlichen Darsteller widmen. Interessant ist hier der Fall der Bremer Rapperin Lady „Bitch“ Ray, die eben genau dieses Sexualverhalten positiv rezipiert. In ihrem Track „Hengzt, Arzt, Orgi“(5) beschreibt sie explizit den Geschlechtsakt mit drei Männern, bei dem sie sich als unterwürfiges Sexspielzeug präsentiert. Davon abgesehen, dass ihre skills weder mit denen einer Lil` Kim oder Foxy Brown konkurrieren, dürfte es sich um eine leicht zu durchschauende PR Kampagne handeln. Was hier jedoch schon fast grotesk anmutet, sind die Reaktionen der männlichen Kollegen in unzähligen Foren des Internets. Außer dass aufgrund ihrer türkischen Abstammung das Wort „Ehrenmord“ des öfteren fiel, bezeichnete man sie in der Regel als „Schlampe“, „Nutte“, etc. und zwar kamen diese Bemerkungen nach teilweise eigenem Bekunden von Leuten, die auch sonst sogenannten Pornorap hören, allerdings nur aus dem Munde männlicher Interpreten. Es wirkt, als würden kleine heterosexuelle Jungs, die Dank des Internets mit einem profunden Wissen über verschiedenste sexuelle Praktiken ausgestattet sein dürften, plötzlich erschrocken reagieren, wenn eine Frau, ja eine Frau, plötzlich das affirmiert, was in ihren Augen eigentlich eine Erniedrigung bedeutet, solange aber völlig legitim ist, als dass ein Mann der Befehlende oder Erzählende ist. Das, was im Pornorap an Frauen idealisiert wird, sexuelle Gefügigkeit, ein „gesundes Maß“ an Perversion und Promiskuität, schlägt, wenn diese Eigenschaften dann scheinbar tatsächlich von einer realen Frau in Anspruch genommen werden, in Abneigung um. Es ist wie in dem neuen Multikultismasher von Fler „Das beste aus zwei Welten“, dort wird das Frauenbild festgemacht, welches man in Wahrheit an seiner Seite wissen will. Keine Schlampe, eine junge Frau deutsch-türkischer Abstammung soll es sein, gut erzogen, monogam, stolz und respektvoll gegenüber Eltern und Familie, alter Wein in neuen Schläuchen sozusagen.
Nun kann man sich allerdings ein Stück weit zurücklehnen, alles nicht so schlimm wie es scheint. Wenn man sich mal das Alter des durchschnittlichen Hörers dieser Musik anschaut, dann wird man schnell feststellen, dass alles, was über 18 Jahre alt ist, einen doch eher geringen Teil an Kaufkraft in die Waagschale wirft. Der Rausch der Provokation ist irgendwann verflogen und aufgrund der Realität, die eben nicht zulässt, dass alle Musikkonsumenten dieses Genres Zuhälter, Dealer oder erfolgreiche Rapper werden, dürfte sich auch dieser Trend bald erledigt haben. Ich prophezeie jetzt einfach mal einen neuen Turn hin zu Gitarrenmusik(6), an dem Bands wie Tokio Hotel und die Killerpilze nicht ganz unschuldig sind und die Emometalwelle, welche sich in Amerika schon wieder langsam zurückzieht, wird bald MTVIVA auch in Deutschland überrollen. Spätestens dann klemm ich mir „Diary“ und „Reign in Blood“ unter den Arm, wühle mich durch die Horden tobender Jugendlicher und predige Wein statt Wasser. Alten Wein zwar, aber ein Klassiker bleibt ein Klassiker und schmeckt allemal besser als dieser synthetische Kram.

Schlaubi

Zum Weiterlesen:

„Unkritische Popkultur.“ Leserbrief zur Auseinandersetzung um Kool Savas, CEE IEH #113
„Preaching to the converted.“ Anmerkungen zu Kool Savas, CEE IEH #113
„Was in der Musik nicht sein soll?! Über AGGRO und CO“, CEE IEH #125

Anmerkungen

(1) In Dessau, der Heimatstadt dieser jungen „Talente“, wurde das Gas Zyklon B zur Vernichtung der europäischen Juden produziert.
(2) Rechtschreibfehler im Orginal
(3) Allein der Begriff Ghetto sollte in diesem Land eigentlich auf Empörung stoßen, nicht etwa weil es hier, solange man auch suchen mag, kein Pendant zu denen Amerikas gibt, sondern vielmehr aufgrund seiner sprachlich-historischen Komponente innerhalb der deutschen Geschichte. Hier meint er eben mehr als „nur“ verwahrloste rechtsfreie Räume.
(4) Ein Umstand, der übrigens, wenn auch in kleinerem Rahmen, dem Genre des Deutschpunk vor nicht allzu langer Zeit zu relativ großer Beliebtheit verhalf.
(5) Hierbei handelt es sich um drei Rapper (Bass Sultan Hengzt, Frauenarzt, King Orgasmus), die in ihren Texten immer wieder die vorher genannte Form der Sexualität beschreiben.
(6) Diese wird wohl bis auf wenige Ausnahmen aus Deutschland kommen. Kritikwürdig ist hier vor allem die angebotene Qualität, denn es gibt’s sie noch nicht, die deutschen Bullet For My Valentine.

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last modified: 28.3.2007