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Methodische Abstraktion und objektive Semantik

Bemerkungen zu Dieter Wolfs Rekonstruktion der Werttheorie

      „Verhältnis für die Philosophen = Idee“(1) (Karl Marx)
Ware, Geld und Kapital sind gemäß der Theorie von Marx keine natürlichen Eigenschaften von Dingen, sondern historisch bestimmte Produktionsverhältnisse, die sich in Dingen darstellen und als Dinge erscheinen. Über den Charakter dieser speziellen versachlichten, aber doch sozialen Seinsweise existieren auch innerhalb der an Marx anknüpfenden Theoriebildung kontroverse Einschätzungen. Was es bedeutet, dass moderne Reichtumsformen weder bloßes Ding noch reine Intersubjektivität oder psychische Entität sind, das hat sich die neuere marxistische Debatte als Leitfrage gestellt(2).

In der letzten Ausgabe wurde auf die Theorie objektiver Semantik von Dieter Wolf als mögliche Alternative zu Helmut Reichelts Versuch einer Klärung des Charakters der spezifisch ökonomisch-sozialen Gegenstände Ware, Geld und Kapital hingewiesen. Im Folgenden soll ein kursorischer Überblick über zentrale Aspekte von Wolfs Ansatz gegeben werden.

1) Abstraktionsstufen der Wesensanalyse des Werts

Die Beantwortung der Frage nach dem originären Gegenstand der Marxschen Kritik ist nach Wolf nicht von der Klärung des Charakters seiner angemessenen wissenschaftlichen Darstellung zu trennen.
Wolf beansprucht daher zunächst, die zentrale epistemologische Funktion, die Marx der „Abstraktionskraft“ bei „der Analyse der ökonomischen Formen“(3) zugesprochen hat, ausgehend von den komplexeren Formen des dritten Kapitels des ersten ‚Kapital‘-Bandes zu belegen. Der Kern des Wolfschen Vorhabens besteht in der Aufweisung des inneren Zusammenhangs der ersten drei Kapitel und ihres Charakters als „methodisch erforderliche(r)“(4) Abstraktionsstufen in der begrifflichen Entschlüsselung des „Daseins“(5) der kapitalistischen Produktionsweise als System sich wechselseitig voraussetzender Reichtumsformen.

Tabelle, 26.4k
Tabelle 1: Abstraktionsstufen und -prozesse nach D. Wolf

Begonnen wird die Nachzeichnung des Abstraktionsganges im ‚Kapital‘ mit dem dritten Kapitel. Die einfache Zirkulation als Gegenstand dieses Kapitels wird durch eine Abstraktion von ihrem Resultatcharakter konstituiert: Die „Art und Weise, in der sie selbständig für sich betrachtet wird“ verdankt sich ausschließlich „unserer Abstraktion von der Produktion“(6), verstanden als ihr notwendig vorausgesetztes kapitalistisches Produktionsverhältnis („Das Kapitalverhältnis wird als historisch gewordene Bedingung vorausgesetzt, unter der die Warenzirkulation allgemein vorherrscht“(7)). Die einfache Zirkulation ist daher als abstrakte Sphäre des kapitalistischen Gesamtreproduktionsprozesses und nicht als dem Kapitalismus vorhergehende Warenzirkulation Gegenstand der Analyse.
In der Ausgangssituation der Warenzirkulation stehen sich nun Besitzer preisbestimmter Waren und Geldbesitzer einander gegenüber, wobei ihnen die Existenz der Geldform und ihrer ideellen Antizipation im Preis bewusst ist, ohne dass ihnen allerdings der Grund der Geldeigenschaft (allgemeiner Austauschbarkeit) geläufig wäre. Geld ist hier immer schon vorausgesetzt: „Was sichtbar an den Waren erscheint, ist ihr Preis, ihre Gleichheitsbeziehung mit dem Geld“(8). Wesen und Konstitution des Geldes können auf dieser Komplexitätsebene, die den Akteuren als einfachstes ökonomisches Verhältnis erscheint(9), nicht erklärt werden(10), da Geld und bepreiste Waren zirkulär aufeinander bezogen sind: „Die Waren haben einen Preis, weil es Geld gibt, und Geld gibt es, weil sich Waren im Preis auf eine Ware als Geld beziehen, indem sie ihm gleichgesetzt werden“(11). Um nicht dem Schein der Kommensurabilität der Waren aufgrund der Existenz des Geldes zu verfallen(12)und damit Geld in einem fehlerhaften Zirkel nur scheinbar zu erklären, muss die unmittelbare Austauschbarkeit des Geldes als „von der Austauschbarkeit selbst verschiedene Form der Austauschbarkeit“(13) erwiesen werden. Dies kann nur geschehen, indem von der Geld- und Preisform der Waren abstrahiert und eine unsichtbare Gleichsetzung (‚Wesen‘/‚vermittelnde Bewegung‘) als Grundlage der sichtbaren (‚Erscheinung‘/‚Resultat‘) herausgearbeitet wird(14).
Dieses ‚Absteigen‘ vom Konkreten/Komplexeren zum Abstrakten/Einfacheren führt nach Wolf nicht in eine historisch vorgelagerte Epoche zurück, ist auch kein Zurückschreiten auf einer historischen Kausalkette innerhalb eines historiographischen Erklärungsmodells, sondern führt auf eine „methodisch erforderliche“(15) Abstraktionsstufe der wissenschaftlichen Entschlüsselung der „kontemporären Geschichte“(16) der kapitalistischen Produktionsweise. Diese Ebene(n) gibt es „isoliert für sich betrachtet (...) weder (...) in der historischen Vergangenheit noch in der gegenwärtigen Geschichte des Kapitals“(17)

Die damit erreichte Ebene besteht in der Ausgangssituation des Austauschprozesses (Beginn des zweiten Kapitels des ‚Kapital’), in dem die Akteure einfache, nichtpreisbestimmte Waren aufeinander beziehen, die sich als bloße Einheiten von Gebrauchswert und Wert gegenüberstehen. Bevor darin die praktische Genese des Geldes durch das Handeln der Warenbesitzer innerhalb spezifischer Formbestimmungen erklärt wird, die das Geld noch nicht voraussetzen(18), widerlegt Marx Wolf zufolge fetischistische oder das Geld als „willkürliches Reflexionsprodukt der Menschen“(19) fassende Erklärungsansätze der Genese einer unmittelbar austauschbaren Ware:
Die Geldware als Gegenstand, worin alle anderen Waren ihre Werte darstellen, scheint ihre Eigenschaft als (allgemeine) Äquivalentform „unabhängig von dieser Beziehung als gesellschaftliche Natureigenschaft zu besitzen“(20), womit die vermittelnde Bewegung (...) in ihrem eignen Resultat“ verschwindet und „keine Spur zurück“ lässt(21). Da Marx den Geldfetisch nur als weiterentwickelte, „sichtbar gewordne“ Gestalt des Warenfetischs fasst(22), den er im ersten Kapitel dechiffriert, ist seine Klärung auf eine weitere Abstraktionsstufe verwiesen.

Auch die „beliebte Aufklärungsmanier“(23), das Geld als Reflexionsprodukt der Menschen durch un-/bewusste Gedanken der Einzelnen in einem imaginären vorgesellschaftlichen Zustand oder vertragstheoretisch durch bewusste Übereinkunft der Warenbesitzer zu erklären, muss nach Wolf scheitern: In der ersten Variante wird einem (und demselben) Gegenstand durch un-/bewusst im Kopf der isolierten Warenbesitzer ablaufende
Denkakte die Eigenschaft unmittelbarer Austauschbarkeit und gesellschaftlicher Gültigkeit zugeschrieben. Ein gesellschaftlich Allgemeines ist aber vor dem gesellschaftlichen Kontakt der Einzelnen nicht aus ihren subjektiven kognitiven Leistungen heraus begründbar. Marx kann zudem zeigen, dass die Interessenlage in der prämonetären Ausgangssituation des Austauschs so viele allgemeine Äquivalente wie Waren(besitzer) hervorbringen und dies die Existenz eines tatsächlich allgemeinen Äquivalents ausschließen würde. In dieser Situation gibt es also „so viele allgemeine Äquivalente in den Köpfen der Warenbesitzer (...) wie Waren“(24). Die zweite Variante einer vertraglichen, bewussten Verabredung zur Herstellung eines allgemeinen Äquivalents stellt „einen nachträglichen Versuch dar, das bereits Vorhandene unter Benutzung dessen zu erklären, was sich bereits mit dem Vorhandenen vor aller Augen sichtbar abspielt“(25), nämlich der bewussten Beziehung auf das Geld als allgemeines Tauschmittel. Des Weiteren unterstellt sie die Einsicht in den Zusammenhang der gesellschaftlichen Arbeit und die bewusste Herstellung dieses Zusammenhangs, setzt also direkte Vergesellschaftung voraus, welche die Existenz von Ware und Geld gerade ausschlösse.

Sowohl vertragstheoretisch-konventionalistische als auch subjektivistisch-psychologistische Wert- und Geldtheorien verfehlen nach Wolf die Konstitution der ökonomischen Formen im Kapitalismus als eines spezifisch gesellschaftlichen Verhältnisses von Sachen (in das sie von Menschen unter bestimmten Bedingungen gestellt werden). Die in diesem Verhältnis an den Sachen stattfindende Realabstraktion von ihrem Gebrauchswertcharakter und die Darstellung des Werts im Gebrauchswert einer ausgeschlossenen Ware werden von o.g. Theorien in ein unmittelbares Verhältnis zwischen Menschen in Bezug auf eine Sache oder schlicht in die Psyche aller Einzelnen aufgelöst, wobei eine im Austauschprozess erfolgende Abstraktion nur als allen Einzelnen gleichermaßen, d.i. gesellschaftlich aufgenötigte Nominalabstraktion gedacht werden kann und die Naturwüchsigkeit dieses Prozesses in Gestalt des Unbewussten, in die Köpfe der Menschen verlagert, wieder auftaucht(26).
Die wirkliche Konstitution von allgemeinem Äquivalent und Geld wird nun durch eine unbewusste gesellschaftliche Tat der Warenbesitzer vollzogen. Die Menschen ‚handeln, bevor sie gedacht haben’, sie ‚wissen nicht’, was sie da tun, aber ‚sie tun es’, so Marx. Ihre Unbewusstheit ist dabei „ein Nichtwissen über das (...), was im gesellschaftlichen Verhältnis der Sachen vor sich geht“(27), über die Genese der ökonomisch-sozialen Eigenschaft der allgemeinen Austauschbarkeit der Geldware. Unbewusst meint hier also keinen dem Bewusstsein unzugänglichen psychischen Gehalt, in dem auf irgendeine mysteriöse Weise Wertformen konstituiert würden. Die gesellschaftliche Tat ist einerseits ein wirkliches Verhältnis der Akteure zueinander durch die Inbezugsetzung ihrer Arbeitsprodukte, also weder eine Form direkter Vergesellschaftung noch ein innerpsychischer Akt, andererseits machen sich im bewusstseinsvermittelten Kontakt der Menschen „die ihnen unbewussten Bedingungen der Entstehung des Gesellschaftlich-Allgemeinen geltend“(28). Bewusst beziehen sich die Akteure nur auf das Geld, das ihnen „aber nicht als Erscheinungsform des Werts“(29) gegeben ist. Der Widerspruch zwischen Gebrauchswert und Wert in den noch nicht preisbestimmten Waren der Ausgangssituation des Austauschs, d.h. der „Widerspruch zwischen der individuellen und der gesellschaftlich allgemeinen Seite des praktischen Prozesses“(30), der sich darin geltend macht, dass jeder Warenbesitzer seine Ware als allgemeines und alle anderen Waren als nur besondere Äquivalente betrachtet, findet seine Bewegungsform in der praktischen Hervorbringung eines allgemeinen Äquivalents, der realen Verdopplung von Ware(n) in Waren(n) und Geld. Dieser Konstitutionsakt ist unsichtbar im alltäglichen Prozess der Warenzirkulation enthalten und wird von Marx durch gedankliche Abstraktion herausgearbeitet(31).
Das Resultat des Handelns der Warenbesitzer (im zweiten Kapitel) ist also durch ihnen unbewusste Bedingungen festgelegt, ihre Handlungslogik folgt einem in ihre Handlungen immer schon eingelassenen Formzusammenhang gesellschaftlicher Sachen(32): Die Produktionsverhältnisse nehmen im Kapitalismus den Charakter eines gesellschaftlichen Verhältnisses von Sachen an, eine gegenständliche Form, in der sich unbewusst der gesellschaftlich allgemeine Charakter der nützlichen Arbeiten herstellt. Das erste Kapitel des ‚Kapital’ stellt nun eine notwendige Abstraktion vom praktischen Verhalten der Wareneigner dar, eine „theoretische, gedachte“(33) Beziehung der Waren aufeinander, in der die Genese ihrer spezifisch gesellschaftlichen Eigenschaften als Wertdinge bzw. als Geldding geklärt wird. Was hier z.B. in der Wertformanalyse ‚sich entwickelt’ und ‚entsteht’, das allgemeine Äquivalent, entsteht „durch einen logischen Schluss“(34) des Wissenschaftlers, wird als logisch notwendig erwiesen, ohne dass damit dessen reale Entstehung, die nur Resultat des praktischen Verhaltens der Warenbesitzer sein kann, erklärt wäre. Marx gibt für diesen Abstraktionsstatus des ersten Kapitels, der von historisierenden bzw. „praxeologischen“ Lesarten der Wertformanalyse verkannt wird, eine Reihe expliziter Hinweise, so, wenn er erst zu Beginn des zweiten Kapitels anmerkt, dass die „Waren nicht selbst zu Markte gehen können“(35) oder er die Differenz zwischen der gedanklichen und der praktischen Genese der Wertformen betont(36). Auch das sog. ‚Fetischkapitel’, in dem die systematische Verkennung des Charakters der Reichtumsformen durch die Warenbesitzer erläutert wird, kann Wolf zufolge als Legitimation für das Absehen von den Akteuren im ersten Kapitel (Abschnitt 1 bis 3) verstanden werden(37).
Auch innerhalb des ersten Kapitels macht Wolf noch zwei Abstraktionsschritte aus. Es wird zunächst vom universellen Verhältnis aller Waren aufeinander abstrahiert, da „dasjenige, was im Verhältnis von Milliarden Arbeitsprodukten geschieht, auch im Verhältnis nur zweier Arbeitsprodukte geschieht“(38). Schließlich wird auch noch von diesem Verhältnis zweier Waren abstrahiert. Die ‚einzelne Ware’ als Elementarform, im Sinne einer Einheit verschiedener Bestimmungen „abstrakteste(s) Konkretum“(39) der kapitalistischen Produktionsweise, ist Resultat dieser methodischen Operation, wobei zwar vom Warenverhältnis, nicht aber von dem, was die jeweilige Ware nur in und durch dieses Verhältnis ist, abgesehen wird(40).
Zusammenfassend wird der jeweilige Gegenstand der ersten drei Kapitel des ‚Kapital‘ von Wolf wie folgt charakterisiert: „Das erste Kapitel hat zum Gegenstand (...) die durch das gesellschaftliche Verhältnis der Sachen bestimmte Struktur“. Im zweiten wird „die durch das gegensätzliche Verhältnis zwischen Gebrauchswert und Wert bestimmte Struktur“ der Warenbeziehung „und das dadurch bestimmte Handeln“ analysiert. Im dritten Kapitel schließlich behandelt Marx die durch den „Gegensatz von preisbestimmter Ware und Geld bestimmte Struktur des gesellschaftlichen Verhältnisses der Sachen und das dadurch bestimmte Handeln“(41).

2) Konsequenzen: Objektive und intersubjektive Semantik

Die hier im Kontext einer Klärung des Sinns der Abstraktionsebenen der ersten drei Kapitel des ‚Kapital’ gegebenen Bestimmungen lassen sich hinsichtlich der Klärung des Charakters ökonomisch-sozialer Gegenständlichkeit wie folgt zusammenfassen:
Marx’ Erkenntnisobjekt ist, im radikalen Bruch mit der politischen Ökonomie, eine spezifisch ökonomisch-soziale Gegenständlichkeit, die im Paradigma einer Formtheorie der Arbeit analysiert wird. Marx unterscheidet darin zwischen dem generellen Vergesellschaftungszwang arbeitsteiliger Produktion und einer bestimmten Form der Vergesellschaftung konkret-nützlicher Arbeiten unter Bedingungen isolierter Privatproduktion.
Auf dieser Ebene des Historisch-Spezifischen sind nun mit Helmut Brentel(42) drei Formdimensionen zu unterscheiden: Die kapitalistische Gesellschaftsform bezeichnet die aus dem Klassenverhältnis zwischen Kapital und Lohnarbeit resultierende universelle Form privat-arbeitsteilig organisierter Produktion. Die Vergesellschaftungsbedingungen der Arbeit sind der antagonistische Grund der ökonomischer Form, die widersprüchliche Weise, durch die die Arbeit als zur Gesamtarbeit erst zu vermittelnde gesetzt ist. Aus diesem Grund resultieren nun die ‚Substanz‘, die ‚Gegenständlichkeit’ und die ‚Form‘ des Werts: Die Wertsubstanz und der Wert als ihre Gegenständlichkeit als spezifische Vermittlungsform dissoziierter Privatarbeiten bzw. -produkte sowie die notwendig sachliche Existenzweise dieser ‚Gegenständlichkeit‘, die Wertform Geld. Notwendig ist diese sachliche Erscheinungsform nun nach Wolf, weil die Gesellschaftlichkeit der Warendinge, ihre Wertdimension, sich nur in der Gegenständlichkeit ihrer Gesellschaftlichkeit, der Gebrauchswertdimension der jeweils anderen Waren, äußern kann. Dies liege nicht nur in der rein gesellschaftlichen Existenzweise des Werts begründet, sondern auch in der spezifischen Ausdrucksweise der Gesellschaftlichkeit von Gegenständen: „Da der Wert der einzelnen Ware in keinem von ihrem Gebrauchswert verschiedenen Medium erscheinen kann (die Ware ist ein toter Gegenstand, der keine Gesten hat, keine Sprache besitzt usw.), kann der Wert an ihr überhaupt nicht erscheinen. Die Ware ist nicht als das vom Gebrauchswert verschiedene Gesellschaftliche, sondern einzig und allein als Gebrauchswert fassbar. Muss die Ware als Wert erscheinen und kann sie dies in keinem andern Medium als in dem des Gebrauchswerts tun, dann kann die Ware nur in einem Gebrauchswert erscheinen, der vom Gebrauchswert der Ware verschieden ist“(43). In der Wertform erhält der Wert sinnlich-gegenständliche Selbständigkeit, womit bereits die Tücken des Warenfetischs, des illusionären Verwachsens gesellschaftlicher Bedeutungen einer Sache mit ihrer Naturalform, beginnen.

Diese Differenzierung von sozialen Formen wird von Dieter Wolf als eine verschiedener Modi des Geltens gefasst: Die Gleichheitsbeziehung der Waren, in der die gemeinsame Eigenschaft der Arbeitsprodukte, Arbeitsprodukte schlechthin zu sein („Modus des Seins“(44)), als gesellschaftliche Form der Privatarbeiten gilt, als Eigenschaft, die der Gleichheit nur innerhalb des Austauschs zukommt (Wert als erster „Modus des Geltens“(45)) wird dabei von der zweiten semantischen Struktur der Darstellungsbeziehung der Wertform, in der der Gebrauchswert der zweiten Ware (Modus des Seins) als Wert der ersten gilt (Wertform als zweiter Modus des Geltens) unterschieden. Im Modus des vom Gelten zu unterscheidenden Seins befinden sich Waren also hinsichtlich der Eigenschaften, die sie unabhängig von jedem besonderen gesellschaftlichen Zusammenhang aufweisen – ihrer Eigenschaften, Gebrauchswerte und Produkte menschlicher Arbeit überhaupt zu sein. Die doppelte Semantik des gesellschaftlichen Verhältnisses von Sachen besteht nun in Eigenschaften, die die Sachen im und durch den spezifischen, aus dem Austausch der Arbeitsprodukte bestehenden Bezug erhalten, in den sie von Menschen unbewusst gesetzt werden.
Wolf zufolge sind also weder das bewusste Tun der Menschen noch die Sachen selbst, sondern die gesellschaftlichen, aus dem Austausch bestehenden Beziehungen, in die Menschen die Sachen bringen, die Bedingung für das, was Wert und Wertformen sind, d.h. für das, was auf der Abstraktionsstufe des ersten Kapitels Geltung bewirkt.
Formanalyse hat nach Wolf damit den Charakter der kognitiven Freilegung von extramentaler Bedeutungsentstehung und Abstraktionsvorgängen(46). Die im Kapitalismus erzeugte objektive Semantik von Wert und Wertform, die hier zugleich „die praktische Wirksamkeit des Seins“(47) erhält, also einen strukturellen Zwang auf das Handeln der Akteure ausübt, ist Grundlage der bewussten, intersubjektiv konstituierten Semantik, der „bewusste(n) Verabredung, in der ein Ding [...] um des Funktionierens der Warenzirkulation willen die von ihm verschiedene Bedeutung der unmittelbaren Austauschbarkeit [...] erhält“(48). Die bewusste Auswahl eines als Geld fungierenden Gegenstands, aber auch die bewusste Auspreisung der Waren(49) bestätigt nach Wolf also nur eine „bereits vorhandene gesellschaftliche Bedeutung“(50), einen unbewussten, außerhalb der Köpfe der Akteure stattfindenden Konstitutionsprozess sozialer Formen der Vermittlung von Privatarbeiten.

Tabelle, 12.3k
Hierarchie der Semantik von Reichtumsformen nach D. Wolf (2005)

Ob dieser Versuch einer Präzisierung der Bestimmung des Gegenstands der Ökonomiekritik in der folgenden Debatte aufgegriffen wird, bleibt abzuwarten. Nicht zuletzt wird dies davon abhängen, ob es gelingt, das bloß identifikatorische Nachvollziehen alter Fronten zu vermeiden. Dies wäre im Interesse der Erkenntnis und Abschaffung des Verhängnisses, das Ökonomie für uns alle bedeutet, jedenfalls wünschenswert.

Ingo Elbe

Literatur

Brentel, Helmut (1989): Soziale Form und ökonomisches Objekt. Studien zum Gegenstands- und Methodenverständnis der Kritik der politischen Ökonomie, Opladen
Marx, Karl: Zur Kritik der politischen Ökonomie. Erstes Heft. In: MEW 13, Berlin 11/1990, S. 3-160
Ders.: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. 1. Band: Der Produktionsprozess des Kapitals = MEW 23, Berlin 18/1993
Ders.: Ökonomische Manuskripte 1857/1858 (=sog. Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie/Rohentwurf) = MEW 42, Berlin 1983
Ders.: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. 1. Band: Der Produktionsprozess des Kapitals (Erstauflage von 1867) = MEGA, II/5, Berlin 1983
Marx, Karl/ Engels, Friedrich: Die deutsche Ideologie. Kritik der neuesten deutschen Philosophie in ihren Repräsentanten Feuerbach, B. Bauer und Stirner, und des deutschen Sozialismus in seinen verschiedenen Propheten. In: MEW, 3, Berlin 8/1983, S. 9-530
Ritsert, Jürgen (1988): Gesellschaft. Einführung in den Grundbegriff der Soziologie, Ff/M.
Wolf, Dieter (2002): Der dialektische Widerspruch im Kapital, Hamburg
Ders. (2004a): Kritische Theorie und Kritik der politischen Ökonomie. In: Berliner Verein zur Förderung der MEGA-Edition (Hg.), Wissenschaftliche Mitteilungen, Heft 3: Zur Konfusion des Wertbegriffs, Berlin, S. 9-190
Ders. (2004b): Abstraktionen in der ökonomisch-gesellschaftlichen Wirklichkeit und in der diese Wirklichkeit darstellenden Kritik der politischen Ökonomie. In: http://www.rote-ruhr-uni.com/texte/wolf_abstraktion.pdf
Ders. (2005): Semantik, Struktur und Handlung im „Kapital“. In: http://www.dieterwolf.net/seiten/vortrag_4.html

Fußnoten

(1) MEW 3, S. 63. Und weiter ebd.: „Sie kennen bloß das Verhältnis ‚des Menschen‘ zu sich selbst, und darum werden alle wirklichen Verhältnisse ihnen zu Ideen“.
(2) So stellt z.B. Jürgen Ritsert (1988, S. 38) in seiner Auseinandersetzung mit Simmel die Frage, „ob es [...] gesellschaftliche Sachverhalte gibt, die sich nicht auf ‚Ideen‘ zurückführen lassen, auch wenn sie überindividuell sind“.
(3) MEW 23, S. 12.
(4) Wolf 2004a, S. 48.
(5) Vgl. MEW 42, S. 372.
(6) Wolf 2004a, S. 42.
(7) Ebd.
(8) Ebd., S. 91.
(9) Vgl. Wolf 2002, S. 321.
(10) Vgl. zu den zirkulären Erklärungsversuchen des Geldes aus Geldfunktionen in der Volkswirtschaftslehre: Wolf 2004b, S. 11.
(11) Ebd.
(12) Vgl. Wolf 2004a, S. 134.
(13) Wolf 2004b, S. 12.
(14) Vgl. Wolf 2004a, S. 92.
(15) Ebd., S. 48.
(16)MEW 42, S. 372.
(17) Wolf 2004a, S. 48.
(18) Vgl. ebd., S. 96.
(19) MEW 23, S. 106.
(20) Ebd., S. 107.
(21) Ebd.
(22) Ebd., S. 108.
(23) Ebd., S. 106.
(24) Wolf 2004a, S. 85. Vgl. MEW 23, S. 101: „Sehn wir näher zu, so gilt jedem Warenbesitzer jede fremde Ware als besondres Äquivalent seiner Ware, seine Ware daher als allgemeines Äquivalent aller andren Waren. Da aber alle Warenbesitzer dasselbe tun, ist keine Ware allgemeines Äquivalent und besitzen die Waren daher auch keine allgemeine relative Wertform, worin sie sich als Werte gleichsetzen und als Wertgrößen vergleichen. Sie stehn sich daher überhaupt nicht gegenüber als Waren, sondern nur als Produkte oder Gebrauchswerte“.
(25) Wolf 2004a, S. 136.
(26) Vgl. ebd., S. 33.
(27) Ebd.
(28) Ebd., S. 86.
(29) Ebd., S. 175.
(30) Ebd., S. 147.
(31) Vgl. ebd., S. 48.
(32) Vgl. ebd., S. 51.
(33) MEW 13, S. 29.
(34) Wolf 2004a, S. 83.
(35) MEW 23, S. 99.
(36) Vgl. ebd., S. 80, 101 oder MEGA II/5, S. 51.
(37) Vgl. Wolf 2004a, S. 55.
(38) Wolf 2005, S. 8.
(39) Wolf 2004b, S. 39.
(40) Vgl. ebd., S. 20f.
(41) Wolf 2004a, S. 55.
(42) Vgl. dazu sehr klar: Brentel 1989, S. 154-160. Wolf bezieht sich allerdings nicht auf Brentel.
(43) Wolf 2002, S. 141.
(44) Wolf 2005, S. 13.
(45) Ebd.
(46) Vgl. Wolf 2004b, S. 36f.
(47) Wolf 2005, S. 13.
(48) Ebd., S. 6.
(49) Vgl. ebd., S. 14: „Sie geben mit dem Preis ihren Waren bewusst die im Geld verkörperte gesellschaftliche Bedeutung des allgemeinen Äquivalents. Ohne zu wissen, dass der Preis die für sie sichtbare Erscheinungsform des für sie nicht sichtbaren Werts ihrer Waren ist“.
(50) Ebd.
(51) Wolf 2004b, S. 28.
(52) Wolf 2005, S. 6.

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last modified: 28.3.2007