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Antiamerikanismus – Spielart des Antisemitismus?


Antiamerikanismus ist heutzutage ein Alltagsphänomen. Er durchzieht die gesamte deutsche Gesellschaft von linken Antiimperialisten über biedere Stammtischgänger bis hin zu extremistischen Neonazis. Ob in Politik, Kultur oder Privatsphäre, der Hass auf Amerika gehört beinahe schon zum guten Ton. Egal ob er sich in Form der Anklage einer egoistischen und profitgierigen Außenpolitik äußert oder aber auch wahlweise als kulturpolitischer Angriff auf Coca-Cola, Popmusik und Fast-Food-Imperialismus die deutschen Charts erobert.
Will man die Ideologie des Antiamerikanismus als eine Spielart des modernen Antisemitismus begreifen – ein Vergleich, der auf den ersten Blick weit hergeholt scheint – so sollte das Verständnis für die Denkform des Judenhasses über eine bloße Definition des „gegen Juden sein“ hinaus gehen. Diese platte Definition nämlich beschneidet den Begriff des Antisemitismus insofern, als dass mit ihr niemals die Ursachen und der Entstehungsprozess dieser menschenfeindlichen Ideologie verstanden werden können. Und eben dieses Verständnis sollte zentraler Motivationspunkt einer thematischen Auseinandersetzung sein, da angesichts des vernichtungswütigen Potentials antisemitischer Bewegungen die Ursachenklärung höchste Priorität genießen sollte, um allein etwas wie Auschwitz nie wieder geschehen zu lassen. Warum also hasst der Antisemit?

Antisemitismus

Anders als bei rassistischen Argumentationen wie dem Antislawismus o.ä., bei denen die Opfer meist als minderwertige Untermenschen definiert werden, wird den Juden dem klassisch antisemitischen Ressentiment nach eine Übermacht zugeschrieben: das Judentum sei eine weltweite Verschwörung, verantwortlich für ökonomische Krisen und Kriege, steuere im Hintergrund die Weltpolitik und beherrsche die globale Geldbewegung. Die Macht, welche der Jude angeblich ausübt, ist somit meist eine ökonomische. Als „Wucherer, Parasit und gewissenloser Ausbeuter“ sei er stets egoistisch, profitorientiert und unterjoche die „ehrlichen und schaffenden Arbeiter“. Für beinahe alltägliche Phänomene des sozialen Elends wird somit ein Verantwortlicher gefunden. Wie ist das möglich?
Die Art und Weise, in der heutzutage die weltweite Erzeugung und Verteilung von Gütern gestaltet ist, muss notwendig eine sein, welche sich gewalttätig auf den Menschen auswirkt und ihn eher zum ohnmächtigen Mittel der Produktion macht, als zu deren bewusstem Organisator. Ein Unternehmen beispielsweise ist aufgrund globaler Konkurrenz darauf angewiesen, einen gewissen Profit zu machen und zu expandieren. Das bedeutet, dass nach jedem Produktions- und Verkaufszyklus mehr Geld entstanden sein muss, als vorher dafür investiert wurde. Waren werden also nicht in erster Linie produziert, um Menschen glücklich, satt und zufrieden zu machen, sondern damit sie gewinnbringend verkauft werden. Dieser Unterschied ist gravierend, da er einiges über die Bedeutung von Menschen ohne Kaufkraft, beziehungsweise über die Bedeutung ihrer Bedürfnisse aussagt: sie sind nicht von Interesse. Nicht der Mensch und die Befriedigung seiner Bedürfnisse steht also im Mittelpunkt heutiger Produktion, sondern der ewige Selbstzweck, aus Geld mehr zu machen, um es erneut zu investieren, um daraus mehr zu machen und wieder neu zu investieren usw. Die Gewalttätigkeit dieser Produktion wurde sicherlich jedem schon einmal bewusst, der etwas Dringendes benötigte, aber kein Geld hatte, um es sich zu kaufen. Jedoch sind diesem Prinzip mehr oder weniger alle Menschen gleichermaßen unterworfen, der Unternehmer, welcher dafür Sorge tragen muss, dass eine gewinnbringende Produktion am Leben erhalten wird ebenso wie die Arbeiterin, welche ihre Arbeitskraft dafür auf dem Markt anzubieten hat. Kapitalismus ist also eine Herrschaft ohne Herrschende bzw. eine apersonelle Herrschaft, die Gewalttätigkeit ist in den Strukturen der gesellschaftlichen Organisation auszumachen und nicht bei irgendwelchen „privilegierten Minderheiten“.
Doch genau dieser Trugschluss, die Einbildung einer herrschenden Klasse o.ä., ist bereits der erste Schritt zur Ideologie des Antisemitismus. Zahlreiche Phänomene des sozialen Leids – Hunger, Arbeitslosigkeit, Inflation, Krisen usw. – werden nicht mehr als Missstände begriffen, welche in einer auf Profit orientierten Gesellschaft zwangsweise entstehen müssen, sondern als Resultat der gewissenlosen Machtausübung einer mehr oder weniger verschwörerischen Organisation. Gerade weil die Gewalt der gesellschaftlichen Verhältnisse unfassbar und nicht personengebunden ist, glaubt man die angeblich Mächtigen als Geheimorganisation, als „jüdische Weltverschwörung“ ausmachen zu können. Durch diese Missdeutung zerfällt die Welt in Gut und Böse, in „raffende, wuchernde Juden“ und „schaffende, ehrliche Arbeiter“. Weil man Schuldige für das Elend unserer grausamen Realität gefunden zu haben scheint, wird die eigene Verantwortlichkeit und Miteingebundenheit in die kapitalistischen Verhältnisse und die eigene Teilhabe an ihrer ständigen Reproduktion ausgeblendet. „Wir sind die Guten! Die Juden sind böse!“
Der Antisemitismus ist also eine Denkform, welche die bestehenden Verhältnisse in ihrer Widersprüchlichkeit und Unmenschlichkeit erträglich macht. Sie kittet sozusagen gedanklich die Risse der Realität, da die Welt ja wunderschön wäre, „wenn es nur die Juden nicht gäbe“. Daher auch die Gefährlichkeit dieser Denkform: mit der Schuldzuschreibung an die Juden ist bereits die grausame Möglichkeit der Vernichtung gesetzt. Die wahnhafte Beseitigung alles Jüdischen erscheint dann als eine legitime Maßnahme zur Verbesserung globaler Verhältnisse und als Rettung der Menschheit.
Der Grund für die Entstehung dieser Ideologie liegt in der Undurchschaubarkeit und Komplexität der ökonomischen Verhältnisse selber. Die schwierig zu durchschauende Wirklichkeit wird vereinfacht und somit falsch erklärt. Solange sich also die Gesellschaft den Menschen als unfassbare Macht gegenüberstellt, werden solche oder ähnliche Ideologien entstehen müssen. Solange es eine abstrakte Macht des Geldes gibt, wird diese in die Macht der Juden umgemünzt werden. Und solange es Kapitalismus gibt, wird es Antisemitismus geben.
Begreift man nun diese Form des Judenhasses als ein Bewusstsein, was notwendig in kapitalistischen Verhältnissen entstehen muss, um Schuldige für diese zu finden, so fällt auf, dass die Hassobjekte veränderbar sein können. Jeglicher Versuch, die Schuld an allgemeingesellschaftlichen Problemen einer Personengruppe zuzuschreiben, ähnelt sozusagen schon in gewisser Weise der vernichtenden Ideologie des Antisemitismus und kann als eine Spielart dessen begriffen werden.

Antiamerikanismus in der Antiglobalisierungsbewegung

Die sogenannte Antiglobalisierungsbewegung, eine bunte Ansammlung von Aktivisten der verschiedensten politischen Lager, sowie zahlreichen Intellektuellen, Politikern und Künstlern, hat es sich auf die Fahnen geschrieben, gegen die Internationalisierung der Wirtschaft und Politik, den Abbau von Handelsschranken und die Ausbeutung ärmerer Länder vorzugehen. Im Kern sieht sie sich mit den gleichen Problemen konfrontiert, welche auch der Antisemit stets kritisiert: Internationalisierung, Geldherrschaft, Auflösung traditioneller Kulturen, ökonomische Krisen und Umwälzungen sowie die damit einhergehende Verelendung. Anstatt aber den strukturellen Zwang kapitalistischer Verhältnisse zu kritisieren, welcher nie einen bewussten Umgang mit der Umwelt, sondern nur ein besinnungsloses Ausbeuten sämtlicher vorhandener Ressourcen – Mensch wie Natur – zur Folge haben kann, sehen die Antiglobalisierer hinter der Weltwirtschaft und -Politik die teuflischen Machenschaften einer „herrschenden Elite“. Sie erkennen nicht, dass eine Produktion, die ausschließlich auf die sinnlose Vermehrung von Geld aus ist, notwendig expandieren muss, um nicht ins Stocken zu geraten, und dabei weder Rücksicht auf die ökologischen Folgen noch auf das Wohlergehen der Menschen, egal in welchem Land, nehmen kann. Stattdessen wird in ihren Augen die Macht und der Zwang einer entfesselten Geldwirtschaft zur Macht der „Reichen und Mächtigen“.
In den Veröffentlichungen der Antiglobalisierungsbewegung wird man nicht lange suchen müssen, um auf die immer wiederkehrenden Stereotypen von „herrschenden Eliten“, „US-Imperialismus“, „den Machenschaften der Reichen und Mächtigen“ oder „der egoistischen Profitgier der Globalisierer und Multis“ zu stoßen. Zur Veranschaulichung sollen hier Teile des Aufsatzes „Warum Amerika nicht gewinnen kann“ der renommierten indischen Nobelpreisträgerin Arundhati Roy zitiert werden:
„Was ist unter ‘Imperium’ zu verstehen – die amerikanische Regierung (und ihre europäischen Satelliten), die Weltbank, der Internationale Währungsfonds, die Welthandelsorganisation, die Multis? Oder mehr? In vielen Ländern hat das Imperium Hilfsagenturen und gefährliche Begleiterscheinungen hervorgebracht: Nationalismus, religiöse Intoleranz, Faschismus und natürlich Terrorismus. Sie alle gehen einher mit der Globalisierung. [...] Die Globalisierung (oder, um es beim Namen zu nennen: der Imperialismus) braucht eine Presse, die so tut, als wäre sie frei. Sie braucht eine Justiz, die so tut, als spräche sie Recht. Gleichzeitig häufen die Länder des Nordens Massenvernichtungswaffen an: Es muß doch gewährleistet sein, daß nur Kapital, Waren, Patente und Dienstleistungen globalisiert werden. [...] Das alles ist das ‘Imperium’.[...]
Wir wissen, daß unter dem Schirm des Anti-Terror-Krieges Männer in Anzügen fleißig ihren Geschäften nachgehen [...]
Die Revolution der Globalisierer wird scheitern, wenn wir uns ihnen verweigern – ihren Ideen, ihrer Version der Geschichte, ihren Kriegen, ihren Waffen, ihrer Logik. Vergeßt nicht: Wir sind viele, sie sind wenige. Sie brauchen uns mehr als wir sie.“
Die hier vollzogene Argumentationsstruktur ist dem klassischen Antisemitismus unverschämt ähnlich und bedient genau jene Klischees und Ressentiments, welche historisch schon immer mit den Juden in Verbindung gebracht wurden. Die Globalisierung bzw. „der Imperialismus“ sei das Produkt einer im Hintergrund operierenden Clique der Mächtigen, „den Globalisierern“ oder auch „den Männern in Anzügen“. So wie angeblich die Juden schon immer hinter den politischen Systemen des Sowjet-Kommunismus und der westlichen Demokratie standen und im Hintergrund die Fäden zugunsten ihrer eigenen Macht zogen, so sind bei Arundhati Roy „die Multis“ bzw. deren „Imperium“ jene, die zu ihren Gunsten Ideologien und Systeme wie „Nationalismus, religiöse Intoleranz, Faschismus und natürlich Terrorismus“ hervorbringen. Verschwörerisch lenken sie unbemerkt die Presse und die Justiz, selbstverständlich nur um egoistisch ihren Geschäften nachgehen zu können. Zielsicher weiß man auch, wo man die teuflischen Kräfte, oder zumindestens deren „herrschende Elite“ zu finden hat: in den Vereinigten Staaten von Amerika. Wenn die USA nicht als alleinige Verursacher von ökonomischen Veränderungen, Krisen und deren Folgeerscheinungen verantwortlich gemacht werden, so sind sie meist wenigstens der Kopf der Organisation, welche diese zu verschulden hat – daher die Rede von den „europäischen Satelliten“.
Auch das primitive Schema von Gut und Böse kommt bei der antiamerikanischen Argumentation der Antiglobalisierungsbewegung zur Anwendung. Wie sollte es auch anders sein? „Die Revolution der Globalisierer wird scheitern, wenn wir uns ihnen verweigern – ihren Ideen, ihrer Version der Geschichte, ihren Kriegen, ihren Waffen, ihrer Logik“. Mit den Übeln des Kapitalismus will man nichts zu tun haben, die sind ja Angelegenheiten der „Multis“ oder der „amerikanischen Regierung“. Zu blind und einseitig wird die Welt eingeschätzt und werden die Schuldigen gefunden und angeklagt. „Eine andere Welt ist möglich!“ heißt die Parole der wohl populärsten Antiglobalisierungsorganisation Attac. Und damit ist gemeint, sie wäre möglich und die Welt wäre bunt und schön, wenn die Reichen dies nicht verhindern würden. Um die eigene Verantwortung und Teilhabe am gesellschaftlichen Prozess nicht wahrhaben zu müssen, wird dabei nicht verstanden, dass jeder Mensch auf der Welt seinen Teil zur Erhaltung der bestehenden Verhältnisse beiträgt, indem er gegen Lohn arbeitet, Geld benutzt, wählen geht usw.. Zukunftsweisende Perspektiven oder wirkliche Alternativen sind heutzutage ja auch nicht mehr zu haben. Will man nicht als Einsiedler den Rest seines Lebens Holz und Steine essen und auf Bäumen leben, bleibt einem ja ums verrecken nichts anderes übrig, als das eigene Überleben innerhalb der über Geld vermittelten Gesellschaft zu gewährleisten. Jeder Mensch auf der Welt ist gezwungen, entweder eine profitable Produktion zu organisieren oder in ihr zu arbeiten, und jeder Staat auf der ganzen verdammten Welt hat seinem Sinn nach die Aufgabe, dafür die bestmöglichsten Bedingungen für seine Bürger/innen zu schaffen. Um nicht missverstanden zu werden: die USA sind weder das Paradies auf Erden, noch steht ihre Außenpolitik in einem menschlichen Licht. Sie ist selbstverständlich von ökonomischen Vorteilen und Profitinteresse geprägt, so wie die Politik eines jeden Staates. Das auf den eigenen Vorteil ausgerichtete Handeln ist im Kapitalismus zwingend für jeden Menschen in jedem Land und nicht als einseitige Kritik irgendeinem besonderen Land vorzuwerfen, geschweige denn als biologische Eigenschaft irgendeiner Personengruppe anzudichten, so wie dies im Antisemitismus der Fall ist.
Die Antiglobalisierungsbewegung argumentiert also im Kern antisemitisch und teilweise tut sie dies sogar offen und ohne den Umweg über das Hassobjekt Amerika. Dann nämlich, wenn sie beispielsweise Israel und Amerika als verschwörerisches Gebilde ausmacht oder hinter dem Charakter der amerikanischen Außenpolitik den Einfluss einer starken jüdischen Lobby sieht. Ein Vorwurf, der traurigerweise nicht selten vorkommt.

Zwillingsverhältnis?(1)

Selbstverständlich sind die Ideologien des Antiamerikanismus und des Antisemitismus nicht völlig identisch. Um den Antisemitismus und seine verheerenden Auswirkungen in der Geschichte begreifen zu können, reicht das oben versuchte Aufzeigen der Intention, Schuldige für die Übel des Kapitalismus zu finden, nicht aus. Schließlich fiel den Juden nicht zufällig die Rolle des sogenannten Sündenbocks zu. Bspw. hatte der Antijudaismus vorkapitalistischer Verhältnisse nicht nur schon früher zur Ausgrenzung und Vertreibung der Juden geführt, er drängte sie durch Berufsverbote auch zwangsweise in früher verrufene und später so bedeutungsvolle Gewerbe wie das Bankwesen o.ä.. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts waren die Juden in Europa zwar meist politisch Staatsbürger, doch da sie durch Ausgrenzung zwangsweise eine gewisse Eigenständigkeit in jedem Land besaßen, wurde ihnen die kulturelle Zugehörigkeit abgesprochen, weswegen man sie stets als Fremdkörper wahr nahm. In jener historischen Konstellation konnte sich beinahe nur an den Juden eine Ideologie entladen, welche Schuldige für die entfesselte Gewalt kapitalistischer Verhältnisse und ihren ständigen Umwälzungen sucht und sich auf der Seite von Bodenständigkeit, Heimatverbundenheit und ehrlicher Arbeit sicher wähnt.
Den Antiamerikanismus nun als eine Spielart des Antisemitismus zu begreifen und dies einer antiamerikanischen Bewegung vorzuwerfen bedeutet aber keineswegs deren Hass gegen Amerika „mit dem simplen Verweis auf [...] vermeintlichen Antisemitismus abzutun“(2), sondern die Transformation jener menschenfeindlichen Ideologie im heutigen gesellschaftlichen Kontext nachzuvollziehen. So wie Anfang des 20. Jahrhunderts die Zuschreibung der halluzinierten Schuld an ökonomischen Krisen o.ä. kaum jemand anderen als die Juden hätte treffen können, stehen ebenso heutzutage wenige Weltmächte zur Auswahl, die man als Hassobjekt für die miserable Lage der Welt verantwortlich machen kann. Die streng wissenschaftliche Differenzierung der Begriffe von beiden Denkweisen, wie sie nicht nur in der Schule, sondern scheinbar auch in Teilen der Linken üblich ist, soll nach der Intention des Autors von „Eineiig oder zweieiig?“ in Incipito 11/2004 der „generellen Kritik von aller deutschen Bewegungen und Zustände“ dienen. Damit findet er vielleicht unabhängig von dem Bezug zum Antisemitismus dieMöglichkeit, den Antiamerikanismus der deutschen Friedensbewegung heute zu kritisieren, jedoch wird die deutsche Geschichte und ihre Kontinuität damit zerstückelt und die Transformation deutscher Spezifik nach 1945 völlig ignoriert. Davon, dass Antiamerikanismus und Antisemitismus nicht nur Unterschiede in den Feindbildern, historischen Entwicklungen o.ä. haben, wird im Vergleich beider Ideologien nicht abstrahiert, wie es Mark Schneider beklagt. Vielmehr bedeutet die materialistische Analyse und Kritik einer Ideologie als Produkt kapitalistischer Verhältnisse, dass sich die historischen Ausformungen zwar verändern können, jedoch strukturell immer wieder das Gleiche in neuem Rahmen reproduziert wird.
Gerade die deutsche Friedensbewegung ist Paradebeispiel genug dafür. In ihr dient das anti-amerikanische Ressentiment nicht nur der Kritik eines „raffgierigen und profitorientierten Prinzips“ in der Personifizierung George W. Bushs, sondern mit der Selbstdarstellung als friedliebendes und völkerfreundschaftliches Volk, als Teilhaber am „deutschen Weg“ im Gegensatz zum amerikanischen Raubtierkapitalismus oder als Opfer angloamerikanischer Bomben im Zweiten Weltkrieg, findet der Wunsch nach einer geschlossenen Volksgemeinschaft und die einseitig antisemitische Argumentation eine den jetzigen Verhältnissen angepasste Ausformung und auch die verhängnisvolle deutsche Geschichte muss nicht mehr als solche anerkannt und kann verdrängt werden. Zudem spielt der Antiamerikanismus als breit etablierte Welterklärung auch der klassisch antisemitischen Argumentation in die Arme. Neben dem ideologischen Konsens von Nazis, Antiglobalisierern und Friedensfreunden, was die Einstellung gegenüber Amerika betrifft, ist vor allem auch die so oft anzutreffende Kritik Israels als ausgemachter Vorposten Amerikas im Nahen Osten Indiz dafür. Mit der weltpolitischen Anerkennung der friedliebenden und offen amerikafeindlichen Deutschen wird zudem deren Selbstbewusstsein gestärkt, so dass man mittlerweile ohne Probleme vom „neuen deutschen Weg“ reden kann, ohne die nationalsozialistische Vergangenheit zu erwähnen. Nicht selten wird jedoch auch gerade diese Vergangenheit völlig verfälscht herangezogen, um die Angebliche Eignung der Deutschen zur Kriegsverurteilung zu untermauern, da man sich selbst als Opfer des Zweiten Weltkrieges stilisiert.
Die Rede von der Reproduktion deutscher Ideologie und dem Bezug des Antiamerikanismus zum Antisemitismus ist also nicht einfach undifferenziert und schneidet sich auch ebenso wenig die Realität auf die eigene Argumentation zu. Sie dient dem Bezug zu Auschwitz – dem Gipfelpunkt deutscher Geschichte – und den verheerenden Folgen, welche die Zuschreibung einer Schuld an kapitalistischen Verhältnissen haben kann. Eine so formulierte Kritik der Friedensbewegung und ein Vorgehen gegen diese ist also auch nicht krude mit der Idee zu vergleichen „gegen einen Naziaufmarsch aufgrund des Sexismus der Skinheads vorzugehen“, wie es Mark Schneider verharmlosend darstellt. Schließlich ist Antisemitismus ebenso wenig irgendein beliebiges Hirngespinst wie Auschwitz ein beliebiges geschichtliches Ereignis ist. Wenn heutzutage nicht nur Deutsche bspw. wieder offen Israels Politik als Staatsterrorismus kritisieren, Amerika bzw. George W. Bush Kulturlosigkeit und Profitgier vorwerfen und sich selbst als völkerfreundschaftlich, friedliebend und heimatverbunden darstellen können, dann sollte die Kritik daran nicht nur bei dem sog. „differenzierten“ Anklagen der heutigen Situation stehen bleiben und damit traumatische geschichtliche Ereignisse wie Auschwitz vergessen, sondern die Erinnerung daran wach halten um die Gefährlichkeit und Folgen solcher Denkformen nach wie vor reflektieren zu können.

Fazit

Was folgt also aus dem Vergleich des Antiamerikanismus mit dem Antisemitismus? Zum Einen folgt daraus als konkrete, politische Handlungsweise das Muss, in der Erinnerung an Auschwitz klar Feindschaft zu antiamerikanischen Argumentationen zu beziehen. Die Friedensfreunde und Globalisierungsgegner von Heute haben aufgrund ihrer antiamerikanischen Motivation nicht mehr nur eine verkürzte und scheinbar ausbaufähige Vorstellung von Gesellschaftskritik, sondern ein grundlegend falsches und gefährliches Verständnis für die Wirklichkeit. Wenn eine soziale Bewegung als grundlegendes Moment eine Ideologie reproduziert, welche der vernichtenden Ideologie des Antisemitismus so gefährlich ähnlich ist, dann gilt es nicht mehr länger an dieser Teil zu haben, um evtl. positiv einwirken zu können, sondern dann muss die radikale Kritik und die Abgrenzung zu dieser anfangen. Zum Anderen ist aus dieser Erkenntnis zu schlussfolgern, dass das Verhindern der Entstehungsursachen von Antisemitismus und Antiamerikanismus ohne die Abschaffung kapitalistischer Verhältnisse im Allgemeinen nicht zu haben ist. Das bedeutet, dass jene gesellschaftlichen Probleme, welche Antisemiten und Antiamerikaner zu erklären versuchen, abgeschafft werden müssen, um das Ende jener menschenfeindlichen Ideologien zu besiegeln. Nur indem man die gesellschaftliche Produktion und Verteilung der benötigten Güter von dem selbstzweckhaften Prozess der Kapitalakkumulation löst und eine bewusst an menschlichen Bedürfnissen orientierte Gesellschaft dafür einrichtet, beseitigt man die sozialen Grundlagen dafür, dass Antisemitismus oder Ähnliches sich entwickeln kann und somit auch für die Möglichkeit, dass sich eine menschliche Katastrophe, wie die Judenvernichtung im Dritten Reich wiederholt.

Fabian

Fußnoten

(1) Vgl. „Eineiig oder zweieiig?“ von Mark Schneider in Incipito 11/2004
(2) folgende kursive Zitate aus „Eineiig oder zweieiig?“ von Mark Schneider in Incipito 11/2004


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last modified: 28.3.2007