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Dieser Text war ursprünglich als Aufruf für eine geplante bundesweite Demonstration zu Silvester gedacht. Aufgrund der veränderten Situation wird nicht mehr für die ursprünglich angekündigte bundesweite Demonstration mobilisiert. Der Aufruf steht hier zu Dokumentationszwecken, weil er am besten das Geschehen einordnet und den Sachverhalt schildert.

Hände weg vom Conne Island!


Aufkleber, 7.4k Wir sind wütend! Das Soziokulturelle Zentrum Conne Island steht vor dem Aus und damit die jährlich mehr als 100.000 Gäste des Projektes auf der Straße. Der scheinbar banale, letztlich aber entscheidende Grund: Die politisch motivierte Verweigerung der Gemeinnützigkeit für den Verein durch das Finanzamt.
Die Möglichkeit, dass das Conne Island ab Januar 2004 nicht mehr ist – oder zumindest nicht mehr als das, was es einmal war, weiterexistiert – werden wir nicht akzeptieren. Die Konsequenzen dieses drohenden Existenzverlusts vermögen sich die Wenigsten vorzustellen. Neben einem kulturellen Ausnahmezustand, dem Wegfallen einer jugend- und subkulturellen Instanz, dem Verlust eines der größten sozialen Zentren der Umgebung, dem Wegbrechen einer einmaligen Zusammenarbeit zwischen MacherInnen und Publikum und der Bedrohung der „Homebase“ verschiedenster Initiativen, Gruppen und Einzelpersonen, bedeutet das mögliche Aus des Conne Islands vor allem eines: Die komplette Aufgabe einer nach außen interventionistisch-kritisch agierenden, linken und kulturpolitischen Institution, deren nunmehr 13-jähriges Wirken die politische Kultur nicht nur auf lokaler Ebene, sondern auch weit über ihr Umland hinaus mitgeprägt hat.
Das perfide und skandalöse an der jetzigen Situation ist, dass das kulturpolitische Moment, ganz konkret das antifaschistische und antirassistische Engagement das Ladens, das die kulturelle Auswahl und Richtungsweisung seit seiner Gründung bestimmt, jetzt als Hauptargumentation gegen seine weitere Existenz in Stellung gebracht wird.

Steuerrechtliche Vorschübe

Als dem Finanzamt Leipzig Anfang diesen Jahres nach zehn Jahren steuerbehördlicher Zusammenarbeit urplötzlich auffiel, was eigentlich alle – vom Bäcker an der Ecke bis zum Kulturdezernenten, vom Oberbürgermeister bis zum Getränkelieferanten – als symbolische Außenwirkung akzeptiert haben, nämlich dass das Conne Island ein linker Laden ist, ahnte noch keiner etwas von den weitreichenden Folgen dieser Erkenntnis. Nach anfänglich plumpen Versuchen, unserer jugend- bzw. kulturpolitischen Arbeit einen ausschließlich wirtschaftlich orientierten Zweck zu unterstellen, sah sich das Amt kurze Zeit später veranlasst, die „Antifamark“ – einem Solidarbeitrag zur Unterstützung antifaschistischen Engagements – zu beanstanden. Der Beitrag, so das Amt, widerspreche den Grundzügen der Gemeinnützigkeit, denn, so die absurde, rechtlich nicht haltbare und völlig realitätsfremde Argumentation, Vereinsmittel dürften ausschließlich den Vereinsmitgliedern zugute kommen – nicht allerdings der Allgemeinheit, wie der Begriff der „Gemeinnützigkeit“ nahe legt. Nachdem das Conne Island bis zur juristischen Klärung des Sachverhalts die „Antifamark“ aussetzte, somit ein eigentlich überflüssiges Zugeständnis machte, und damit eine Zukunftssicherung erhoffte, sattelte die Behörde das Pferd einfach um und bemängelte nun auf grundsätzliche Art und Weise die Zusammenarbeit mit Initiativen, sei ihr Selbstbild ein politisches, sportliches oder kulturelles. Gefordert wurde stattdessen, dass wiederum nur gemeinnützige Initiativen, Gruppen und Institutionen berechtigt wären, die Möglichkeiten, die das Conne Island bietet, nutzen zu dürfen. Dies bedeutet in seiner behördlichen Konsequenz ganz konkret, dass temporäre und dynamisch entstandene antifaschistische Initiativen nur unter einem Vereinsstatut Rassismus und Neonazismus bekämpfen können, dass jugendliche SkateboardfahrerInnen ihre Ramps nur vertraglich abgesichert innerhalb einer eigenen Vereinsstruktur befahren dürfen und die Nutzung von Bibliothek und Computern, Billardplatten und Basketballkorb ausschließlich Vereinsmitgliedern vorbehalten ist. Ein Irrsinn mit Methode, möchte man meinen, ist es doch seit einem Jahrzehnt manifestes und gewürdigtes Ziel des Ladens, Individuen die Möglichkeit eines eigenverantwortlichen und selbständigen Handelns zu eröffnen, ohne dass sie in Vereinen, Parteien und höchst offiziellen Institutionen organisiert sind. Ein Irrsinn auch mit verheerenden Konsequenzen: Ohne die Anerkennung der Gemeinnützigkeit durch das Finanzamt ist dem Conne Island die formale Existenzgrundlage entzogen. Denn mit der Gemeinnützigkeit steht und fällt die finanzielle Förderung von verschiedenen offiziellen Stellen. Allen Verträgen, vom Mietverhältnis über projektbezogene Bezuschussung bis hin zu den Personalkosten, wäre die formaljuristische Basis entzogen. Vor dem Hintergrund sinkender kommunaler Bezuschussung werden dem Conne Island damit nicht nur neue Steine in den Weg gelegt, nein, diesmal soll es faktisch ausgeschaltet werden.

Antifa ...

Das Conne Island ist ein „Kind der Entwicklungen um die Leipziger Gegenkulturbewegungen Ende der Achtziger“ und verstand sich in seinem politischen Gründungsimperativ als Zugpferd des „Westimports“ minoritäre Gegenkultur. Ehemals gegen die repressive Alltagsnorminierung der DDR gerichtet, sah sich diese Kultur schnell mit der deutschnationalen Stimmung der Wiedervereinigung konfrontiert. Sich gegen Ungerechtigkeiten selbst zur Wehr zu setzen, seine eigenen Ziele und Vorstellungen nicht an irgendwen zu delegieren, sondern in Abgrenzung zum Bestehenden ein selbständiges Engagement zu entwickeln, das waren und sind die Voraussetzungen des Conne Islands. Dieser Anspruch, wenn auch in abgewandelter Form – die Beschreibung, was als Mitmachen und was als Negation dessen galt, änderte sich natürlich im Laufe der Zeit – macht bis heute das Selbstverständnis des Ladens aus. Auf der „glaubwürdigen“ Darstellung der jeweiligen Gegenkulturen sowie der integrierenden und kooperativen Arbeitsweise mit den jeweiligen kulturellen Szenen ist das Hauptaugenmerk unserer soziokulturellen Arbeit gerichtet. Eigeninitiative, Rebellisch-Sein, Politisierung, Selbstorganisierung oder die Ausprägung gegenkulturellen Verständnisses sind die ideellen Haltungen, die der Verein vermitteln möchte.
Dass diese hoch angelegte Meßlatte gesellschaftlicher Interventionsfähigkeit anfangs eher einer Verteidigungsposition glich, war primär der in den Neunzigern um sich greifenden rassistischen Realität geschuldet. Naziangriffe auf alternative Projekte standen damals auf der Tagesordnung, ihr reales wie auch gesellschaftliches Zurückdrängen ist maßgeblich dem Aufbau eigener Strukturen und offensiver Widerstandsformen geschuldet. Dem Selbstbild des Conne Islands drückte diese Zeit einen dicken Stempel auf. Das offensive und hartnäckige Angehen gegen eine sub- und jugendkulturelle Hegemonie durch Nazis wurde durch das Conne Island und die ihm verbundenen Gruppen und Initiativen maßgeblich geprägt. Die öffentlichkeitswirksamen Interventionen, beispielsweise in Wurzen und Leipzig-Grünau, machten nicht nur auf die prekären Zustände aufmerksam, sie etablierten auch langfristige jugendkulturelle Gegenkonzepte. Antifa ist deshalb bis heute der oft formulierte Grundkonsens des Conne Islands. Aus einer notwendigen Verteidigungshaltung heraus entwickelte sich über die Jahre eine konzeptionelle Füllung, deren Abfärbungen weite Teile der regionalen, selbst der bundesweiten Jugendkultur beeinflussten: Die Förderung antifaschistischer Bildungs- und Aufklärungsveranstaltungen gehört an dieser Stelle genauso zur besagten Beeinflussung wie das Argumentieren gegen einen nationalistischen Diskurs in der Popkultur oder die neurechte Übernahme der Wave-und-Gothic-Szene. Der bislang erfolgreichste vom Conne Island mit-initiierte antifaschistische Exportschlager – die Kampagne gegen Rassismus und Faschismus in der Punk- und Hardcore-Szene „Good Night White Pride“ – hat mittlerweile mehr als tausend UnterstützerInnen und einen europaweiten Umfang erhalten. Die Kampagne, die sich gegen Ausbreitung und Infiltrierung der Jugendkultur durch sogenannten Rechts- oder Nazirock richtet, dürfte mittlerweile in ihrer symbolischen Außenwirkung- und Wahrnehmung mehr Anklang gefunden haben, als ähnliche Versuche von offizieller Seite. Politisches Dasein im Conne Island ist somit gleichbedeutend mit der Förderung antifaschistischer Kultur.
Neben dieser impliziten antifaschistischen Politisierung ist das Conne Island seit seiner Gründung Anlaufstelle und Adresse für antifaschistische, antirassistische und antisexistische Initiativen und bietet grundsätzlichen Vorstellungen linker Kritik eine Homebase. Engagement gegen rassistische Diskriminierung, Widerspruch gegen den Nationalsozialismus und die Shoah relativierende Positionen oder die Anklage der Enttabuisierung antisemitischer Ressentiments deckt sich mit dem beschriebenen antifaschistischen Grundverständnis des Projektes und findet deshalb prinzipiellen Zuspruch. Eine logistische Unterstützung entsprechender Gruppen – beispielsweise im Sinne einer partnerschaftlich organisierten Veranstaltung – ist für das Projekt selbstverständlich. Genauso selbstverständlich ist die Bereitstellung einer umfangreichen Bibliothek innerhalb des Infoladens, sowie die Nutzung von Räumlichkeiten.

... oder ziviles Engagement

Spätestens seit dem von Bundeskanzler Schröder anlässlich des antisemitischen Anschlages von Düsseldorf formulierten „Aufstand der Anständigen“ ist das Projekt Antifa, wie es u.a. auch das Conne Island seit Jahren formuliert und symbolisiert hatte, offiziell zum Konzept der Bundesregierung geworden. Das Durchbrechen der kulturellen Hegemonie mittels „Rock gegen Rechts“, Bündnispolitik und Antifa-Recherche gehörten zum guten Ton jeder zivilgesellschaftlichen Subformation. Ein in der breiten Bevölkerung der Bundesrepublik zur Gänze fehlendes zivilgesellschaftliche Engagement gegen rassistische Angriffe sollte mittels pädagogischer Eingriffe im Ruckzuck-Verfahren hergestellt werden. Staatstragend wurden auf einmal auch das Publikum des Ladens: Bundestagspräsident Thierse beglückwünschte ausdrücklich das Projekt Conne Island und ließ es sich nicht nehmen, die neuesten Tipps und Tricks der Leipziger Antifajugend zu diskutieren. Ein Jahr zuvor erhielt der Laden für sein langjähriges und höchst ehrenamtliches Engagement den mit 10.000 Euro dotierten Preis „Anstiftung zur Einmischung“ durch die Heinrich-Böll-Stiftung. Sowohl die semistaatliche Förderstelle „Civitas“ als auch die bildungspolitische Stiftung „Weiterdenken e.V.“ förderten mehrmals projektbezogen Veranstaltungen, die das Conne Island zusammen mit ansässigen politischen Gruppen veranstaltete.
Überflüssig wurde das Conne Island trotz antifaschistischen Offensive der Bundesregierung keineswegs. Das Abwickeln unzähliger neugegründeter Schnellschuss-Initiativen gegen Rechts im dritten Jahr nach dem Antifa-Sommer verdeutlicht die Beliebigkeit besagter Staatsräson. Das kurzzeitige „ins Bild passen“ des Conne Islands ist dem „normalen“ Umgang gewichen: Kritik an der deutschen Gesellschaft und das Engagement gegen Nazis, AntisemitInnen und RassistInnen dürfen wieder kriminalisiert werden.

Missverstandene Staatsräson oder Demokratiedefizit?

Lange bevor im Jahr 2000 zum „Aufstand der Anständigen“ gegen Rechtsextremismus aufgerufen wurde, hat sich das Conne Island also gegen Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus engagiert, entsprechende Initiativen unterstützt und durch seine soziokulturelle Jugend- und Kulturarbeit Alternativen aufgezeigt. Seine Vorreiterstellung in Bezug auf eine, den jeweiligen Jugendkulturen sehr nahestehende und deshalb „glaubwürdige“ Umgehensweise brachte von behördlicher Seite eine breite Anerkennung.
Umso unverständlicher und ungeheuerlicher erscheint nun, dass die mehrfach prämierten Elemente des Erfolgsmodells Conne Island – ehrenamtliches Engagement, antifaschistisches Grundverständnis, eine jugendkulturelle Arbeit zur Herausbildung emanzipierter und selbständiger Individuen, die strukturelle und logistische Zusammenarbeit mit Einzelpersonen, Gruppen und Initiativen, die den antifaschistischen Grundkonsens des Conne Islands teilen – zum Anlass einer Sanktionierung genommen werden, die den wahrscheinlichen Existenzverlust des Projektes nach sich zieht.
Dieses Unverständnis, sowie die Irrationalität und Unverhältnismäßigkeit der finanzamtstechnischen Schlussfolgerung eröffnet geradezu den Raum für lokal- und regionalpolitische Spekulation. Verbinden sich doch die Einwände des Finanzamtes gegen die Gemeinnützigkeit des Conne Islands hervorragend mit einem Schreiben des Landesamt für Verfassungsschutz vom Mai diesen Jahres an das Regierungspräsidium, in dem auf „Bedrohungsszenarien“ hingewiesen wird, die aus dem politischen Wirken der angeblich im Sattel des Conne Islands sitzenden Initiativen konstruiert werden. Das Schreiben der Geheimdienstbehörde empfiehlt den adressierten Entscheidungsträgern, seine „Erkenntnisse bei der Prüfung von Fördermittelanträgen bzw. Verwendungsnachweisen zu berücksichtigen.“ Beruhen die Erkenntnisse auf Texten, die seit Jahren auf der Internetseite des Conne Islands zu lesen sind, basieren die konstruierten Bedrohungsszenarien auf Weglassungen, Halbwahrheiten und Lügen.
Mit der direkten Empfehlung mischt sich eine geheimdienstliche Ermittlungsbehörde in die Entscheidungsfindung zur kulturellen Fördermittelvergabe ein. Wie es dabei um das Demokratieverständnis einiger landespolitischer Institutionen bestellt ist, kann an dieser Stelle nur erahnt werden. Klar zu sein scheint, dass in diesem demokratische Verständnis Meinungsfreiheit nur dann eine Berechtigung hat, wenn die Meinungen regierungsopportun sind. Dass das Grundbedürfnis des Conne Islands, ein antifaschistisches Projekt zu sein, trotz der Parallele zur offizielle Staatsräson ein Grund zur Kriminalisierung sein kann, schlägt dem Fass den Boden aus. Es gilt zu verhindern, dass politisch unliebsame und störende Projekte, sei es das Conne Island oder andere momentan ebenso bedrohte alternative Kultureinrichtungen, aufgrund ihrer kulturpolitischen Unkonformität auf ein Abstellgleis gestellt werden.

Mit dem drohenden Ende für das Conne Island durch die politisch motivierte Verweigerung der Gemeinnützigkeit wäre ein massiver und nicht anders auszugleichender Verlust für die gesamte alternative und antifaschistische Jugendkultur Leipzigs verbunden. Wir rufen unser womöglich bald auf der Straße stehendes Publikum und alle, die an die Notwendigkeit alternativer und antifaschistischer Jugendkultur glauben, auf, die Wut und das Unverständnis dorthin zu tragen, wo die verantwortlichen EntscheidungsträgerInnen sitzen. Gewiss ist, dass wir nicht klein beigeben werden. Solange die Existenz des Conne Islands nicht gesichert ist, kann sich eine ruhige Weihnachtszeit genauso abgeschminkt werden wie ein frohes Neues Jahr.

Gegen die Kriminalisierung von alternativer und antifaschistischer Jugendkultur!
Hände weg vom Conne Island!



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last modified: 28.3.2007