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Das Conne Island und die deutsche Schicksalsgemeinschaft



Aufkleber, 8.3k Das kleine Einmaleins

Die gesellschaftliche Reproduktion reduziert sich – dann, wenn kein gefährden der Protest zustande kommt – im Fortgang der Kapitalakkumulation auf die Erneuerung des Wertbildungsprozesses. Kurz und abgedroschen: Für die Bereiche, in denen direkt oder indirekt kein Profit entstehen könnte, gibt es keine gesellschaftliche Notwendigkeit. Die Bildung beispielsweise kann eine Ware sein, die sich langfristig rentiert, ist sie vorausschauend konzipiert. Insofern haben die protestierenden Studenten den richtigen Riecher, wenn sie belegen können, inwiefern Stellenkürzungen im Bildungsbereich langfristig zu Standortnachteilen führen können. Reden sie jedoch – im bürgerlichen Sinne – Unsinn: „Bildung ist keine Ware“, werden sie im Staat niemanden überzeugen können – es sei denn mit Gewalt und Chaos, welcher Art auch immer. Denn die Kapitalakkumulation hat zur Voraussetzung, dass geordnete Verhältnisse herrschen. Es muss dem Fabrikarbeiter garantiert sein, auf dem Weg zur Arbeit nicht von marodierenden Studentenbanden angegriffen zu werden. Nach Hause muss er mit seinem Auto, das nicht geklaut wurde, kommen.
Seit seinem Bestehen gab es die dem Kapital innewohnende Tendenz, die Gesellschaft bis auf das Äußerste zu strapazieren, d.h. die Menschen bis zum äußersten ihrer Leitungsfähigkeit zu treiben und sozialen „Luxus“ zu minimieren. So wenig wie möglich soll abstrakter Reichtum in Bereiche fließen, die nicht dem Wertbildungsprozess förderlich sind. Selbst die Bedingungen seiner Existenz, etwa die soziale Versorgung seiner Reservearmee, den Arbeitslosen, müssen permanent gegen die Tendenz des Kapitals, so viel und schnell wie möglich Reichtum in den Wertbildungsprozess zu leiten, verteidigt werden. Dem Staat kommt dabei die Aufgabe zu, die gesamtgesellschaftliche Reproduktion des Kapitals zu organisieren, diesem also jene vorausschauende Planung zu verschaffen, die der Markt nicht aus sich heraus leistet. Inwiefern nun die studentische Bildung gegen die Tendenz des Kapitals als Hypothek für die Zukunft gesichert werden sollte, mag zu diskutieren sein. Bei gemeinnützigen Vereinen sieht die Geschichte ähnlich, aber vielleicht etwas ungünstiger aus. Ihre Existenz dürfte in bestimmten Fällen ein wenig schneller zur Disposition stehen, als die der Bildung. Gemeinnützige Vereine schaffen zwar den Ausgleich zur harten Arbeit, geben den Menschen also beispielsweise die Möglichkeit, ihre Hobbys auszuleben beziehungsweise sich ehrenamtlich für das Gemeinwohl einzusetzen, sind in dieser Funktion aber nur Firlefanz beziehungsweise Luxus, insbesondere dann, wenn sie den Staat nicht augenscheinlich unterstützen. Vor dem unmittelbaren Wertbildungsprozess versagen gemeinnützige Vereine total, vor dem Staat, der sich um die gesamtgesellschaftliche Reproduktion des Kapitals zu kümmern hat, nicht unbedingt.

Was hat nun das Conne Island für eine Stellung innerhalb der Warenproduktion? Es bekommt jährlich zigtausend Euro aus den Stadtkassen – ist unter diesem Aspekt gesehen also ein Zuschussprojekt, durch das Jugendliche bei Laune gehalten werden, was natürlich durchaus sinnvoll sein kann für eine bürgerliche Gesellschaft. Andererseits ist das CI eine Innovationsabteilung der Kulturindustrie. In ihm können Waren einen schlechten Ruf oder einen besseren erlangen. Am Ende werden sie in Relation zu anderen Waren der Kulturindustrie Ladenhüter oder in den seltensten Fällen Kassenschlager. Unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten rentiert sich das Conne Island letztendlich nicht. Rentieren tut es sich als gemeinnütziges Projekt, das Jugendliche beispielsweise von der Strasse holt und für sie sinnstiftend ist. Allerdings tun die Jugendlichen aus Perspektive der Stadt nicht nur sinnvolle Dinge. Im Conne Island, so das Gerücht, halten sich gewaltbereite Autonome, imageschädigende Olympiagegner, Schmierfinken und sonstige Unruhestifter mit Vorliebe auf. Die Stadt, die aus ihrem Kulturetat schöpft, oder das Land, welches über das Finanzamt die Gemeinnützigkeit vergibt, werden ab einem bestimmten Zeitpunkt, an dem ihre Kassen leer sind, Kürzungen vornehmen müssen. Nun spricht einiges dafür und einiges dagegen, dem Conne Island ans Eingemachte zu gehen. Dafür spricht, dass dort – dem Gerücht nach – ein Nährboden für potentielle Unruhestifter sei, und dass das Conne Island viel kostet. Dagegen spricht ein hohes Potential Wut und Gewalt, was durch eine Schließung des Conne Island erst wachgerufen werden würde und sich zu einem Nachteil für die Olympia-Bewerbung der Stadt Leipzig entwickeln könnte und, dass das Conne Island unter Jugendlichen über die Stadt hinaus einen guten Ruf hat. Eine Faustregel jedoch ist: Je leerer die Kassen, desto gewichtiger die Gründe für eine Schließung von Projekten wie dem Conne Island.

„Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen.“
    „Wenn jeder, der sich vom Finanzamt ungerecht behandelt fühlt (passiert mir auch ab und an), gleich solche Aktionen wie vergangenen Sonntag inszeniert, dann gäbe es in diesem Land nur noch Chaos. ... Kann aber die Reaktion von zwei auswärtigen Besuchern (übrigens auch im Alter der Connewitz-Demonstranten) wiedergeben, als sie von ihrem sonntäglichen Weihnachstmarktbummel zurückkamen: ‘Was habt Ihr denn in Leipzig für bescheuerte Chaoten? Können die nicht einmal den Weihnachtsmarkt in Ruhe lassen?’ Die Stadt ist zur Zeit voll von Touristen. Ich befürchte, dass bei weiteren derartigen Aktionen das Image der Stadt Schaden nehmen könnte. Was die Sache mit dem Schornsteinfeger angeht – da würde ich sagen, dass 90% der betroffenen Deutschen nicht wegen 60 € pro Jahr auf die Barrikaden gehen.“
    (Maria Kennel im Online-Forum der Leipziger Volkszeitung)
Vom Volk aus droht dem Conne Island die Gefahr, als Sozialschmarotzer gebrandmarkt zu werden. Wer also nur prasst, statt von den Früchten ehrlicher Arbeit zu leben, schmarotzt am deutschen Gemeinwesen. Der subventionierte Gemeinnutz ist immer schon im Verdacht, von „unseren Steuergeldern“ zu leben. Ist die deutsche Vereinsmeierei und das staatlich organisierte Netz gemeinnütziger Strukturen selbst schon Ausdruck einer deutschen Solidargemeinschaft, droht jenen, die im Verdacht stehen, durch ihren vom Volke aus verliehenen Status der Gemeinnützigkeit nur zu nehmen und nicht zu geben, der Hass der deutschen Schicksalsgemeinschaft. Wenn sich die Gemeinnützigkeit gar nicht als Dienst am Allgemeinen erweist, sondern an wenigen, die sich hin und wieder gar gegen das Allgemeine, z.B. Deutschland, oder in Form von Graffitischmierereien gegen das Eigentum richten, kann das Conne Island schnell zum Sozialschmarotzer Nr. 1 in Leipzig aufsteigen. Und Sozialschmarotzern geht es im postfaschistischen Deutschland mehr und mehr an den Kragen; dann, wenn die ehrliche Arbeit gegen die Unproduktiven verteidigt werden wird, beziehungsweise der ehrlich verdiente Konsum gegen faulen Parasiten.
Je mehr Mob und Elite, Staat und Volk verschmelzen und die Bürokratie ihre Starrheit und Paragraphenreiterei zu Gunsten einer Umsetzung eines spontanen Volkswillens aufgibt, desto bedrohlicher wird die Situation derjenigen, die in der Gemeinschaft stören oder als Bedrohung erscheinen. Noch sind Staatsapparat, staatliche Organisationen (Gewerkschaften, Parteien etc.) und die Gesellschaft ziemlich getrennt. Doch die Weisheit, dass es eine zu starre Bürokratie gibt und „die da oben“ eh machen, was sie wollen, ist von links bis rechts eine Volksweisheit, die die Verschmelzung von Volk und Staat als Lösung proklamiert. Wenn in dem Hit „Steuersong“ die Raffgierigkeit der Politik spaßig angeprangert und damit dem Ressentiment des Mobs als Spaß in die Hände gespielt wird, ist einerseits die Sehnsucht der Bevölkerung nach einem Volksstaat und andererseits die Nichteinlösung dieser Sehnsucht abzulesen. Noch hat die Politik nicht den Mumm, den Willen des Volkes in die Tat umzusetzen. Noch werden die Sozialschmarotzer, seien sie „raffgierige“ Manager, elitäre Politiker oder faule Studenten, nicht so angeprangert, wie es ein Großteil der Bevölkerung gern sähe und in unsäglichen Talk-Shows täglich ausplaudert. Noch haben sich jene, die als Rettung auftraten, DVU und Schill, selbst als Kasperköpfe oder Scharlatane erwiesen, die nicht dem Volk dienen und selbst zur intriganten Politikerelite gehören. Für das Conne Island bedeutet dies vorerst, sich nicht direkt an den Volkswillen wenden zu müssen, sondern an Institutionen, die von einander getrennt das Volk im Sinne bürgerlichen Rechts verwalten und im Dienste der Paragraphen handeln. In einer Phase jedoch, wo sich Regierung und Volk im Zuge der Friedensbewegung gegenseitig an den Hals werfen und die Leipziger wie die Verrückten der Olympiabewerbung als Olympiabewegung zur Seite stehen, verschwindet die Trennung zwischen Staat und dem Willen des Volkes. Auf entsprechender Ebene bekommt das CI diese Entwicklung dort zu spüren, wo eine Sachbearbeiterin im Finanzamt nur noch im Sinn zu haben scheint, missbillige Projekte aus dem Weg zu räumen, und zur finanziellen Prüfung ein Papier des Verfassungsschutzes ausschlaggebend ist. Im Gegensatz zu einer Tendenz, dass Sachbearbeiter beginnen, den unmittelbaren Volksauftrag umzusetzen, ist die sachliche Bearbeitung für das Conne Island Gold wert. Denn in einer bürgerlichen Gesellschaft ist das sachliche Vertragsverhältnis, das die Interessen der einzelnen Bürger im abstrakten Recht und der Sphäre der Bürokratie miteinander vermittelt und den Interessen einzelner ihr Recht zusichert, allemal besser als eine direkte Demokratie, in der der Wille der Mehrheit zum Zwang für alle wird und Gesellschaft und Staat zu einer Einheit werden. Fangen die Sachbearbeiter ernsthaft damit an, ganz menschlich im Sinne des Willens der Mehrheit zu handeln, kann sich das Conne Island auch gleich in Talkshows begeben, um sich dort zu verteidigen; für: 1. die Beratungsstelle für Totalverweigerer, 2. Grüne Hilfe (beide inzwischen inaktiv), 3. Antideutsche Gruppen und kommunistische Initiativen, die im CEE IEH gegen Deutschland und Arbeit hetzen. 4. Olympiagegner, die die Räume im Conne Island zu Veranstaltungszwecken nutzen. In der Talkshow wird es wenig interessieren, dass es eine Trennung von der Institution Conne Island und dort tagenden Initiativen gibt.
Die Rede vom kollektiven „Gürtel enger schnallen“ formuliert ein Programm, was den Deutschen aus der Seele spricht. Gemeinnutz vor Eigennutz, die „eigenverantwortliche Entindividuierung“ (Clemens Nachtmann). Zur Umsetzung dieses Dienstes am Allgemeinwohl, am deutschen Wohl, ist kein autoritärer Staat mehr als Repressionsinstanz gefordert, vielmehr organisiert sich die Repression gegen jene, die schmarotzen, also ihre eigenen Interessen vornan stellen, quer durch die Gesellschaft. Jeder fühlt sich dazu angehalten, jene, die zu Ungunsten des Allgemeinwohls leben, zu entlarven und anzuzählen. Keinen Moment geht es den Leidensgenossen darum, die bestehende Warengesellschaft zu Gunsten des Eigeninteresses in Frage zu stellen. Stattdessen will man sich so stark wie das Schlamassel, dass einen umgibt, machen, d.h. ihm als Schicksalsgemeinschaft strotzen. Die postfaschistische Gesellschaft tritt insofern das Erbe des Faschismus an, als die Individuen breit sind, „selbst Opfer zu bringen und sich Beschneidungen aufzuerlegen, wenn dadurch die Freiheit besser geschützt werden kann“ (Agnoli 1990, S. 64). Diese Freiheit ist die der autoritären Gemeinschaft und damit des Bürgers, der sich nur noch als Staatsbürger denken kann. Jene Bereitschaft aller zum Opfer und komplementär dazu die permanente Kontrollfunktion, die alle gegen alle im Dienste des Gemeinwohls einnehmen, ist die Grundlage für den schlanken Staat, der keine Sozialsicherung mehr leistet und dennoch die Ordnung aufrecht zu erhalten vermag.
Natürlich kann man den Zusammenhang von einer Krise des Kapitals, deren aktuellen Charakter ich hier nicht genauer zu bestimmen wage, und schicksalsgemeinschaftlicher Krisenbewältigung nicht aus der Welt schaffen. Die gemeinschaftliche Opferbereitschaft, die aus sich heraus permanent die Jagd auf diejenigen hervorbringt, die als verschworene Ausbeuter ausgemacht sind, und diejenigen, die schmarotzen oder für Schmarotzer gehalten werden, ist eine fetischistische und auf der Hand liegende Strategie, der Krise entgegenzutreten. Wenn auch nicht behauptet werden kann, dass die heutige Entwicklung dem Nationalsozialismus nahe käme, muss man ihn dennoch als Ausgangspunkt der heutigen Entwicklung betrachten. Im NS wurden die Volksmassen zusammengeschweißt und das wirkt heute noch nach. Weder existiert heute eine sozialistische Arbeiterschaft noch eine andere größere Gruppe, die eine Perspektive außerhalb von Staat und Kapital suchen oder konsequent und damit disparat zur Schicksalsgemeinschaft für ihre eigenen Interessen eintreten. Die Grundvoraussetzungen für die Durchsetzung von Kürzungen im sozialen Bereich bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung einer autoritären Ordnung sind also ziemlich günstig. Die Situation für das Conne Island ist also nicht gerade günstig.

Was tun?
    „Wenn Sie nicht mehr für andere arbeiten wollen, müssten Sie den Sozialstaat oder wahrscheinlich jeden Staat abschaffen.“
    (Maria Kennel, ebd.)

Nun scheint man in der Kampagne „Hände weg vom Conne Island“ aus taktischen Gründen nicht um die Aussage herumgekommen zu sein, etwas für den Staat und die Gemeinschaft getan zu haben, indem man beispielsweise die eigenen Verdienste am „Aufstand der Anständigen“ aufzählte. Lässt man sich auf eine solche Argumentation ein, kann das zwar kurzfristig das Fortbestehen des Conne Island befördern, langfristig wird das aber allein auf faule Kompromisse hinauslaufen, die den heutigen Charakter des Conne Islands brechen werden. Für solche Errungenschaften wie die Antifa-Mark könnte das das Aus bedeuten – und damit für diejenige antifaschistische Arbeit, die davon zehrt. Andererseits ist es nicht entschieden, ob in näherer oder ferner Zukunft nochmals Kampagnen, die den gegenwärtigen Charakter des Conne Islands retten wollen, soviel Druck ausüben können, um Einsparungsmaßnahmen, die ziemlich sicher kommen werden, zu verhindern.

Obwohl man klar hat, dass man nicht an einer deutschen Schicksalsgemeinschaft, die zum „Gürtel enger schnallen“ auffordert, teilhaben will, ist doch immer jener Kompromiss am verlockendsten, der die Fortexistenz am sichersten garantiert. Fakt ist jedoch auch, dass das Conne Island längerfristig und bei anhaltender Krise in den Haushalten immer wieder zur Disposition stehen und damit Gefahr laufen wird, durch Kompromisse langsam einzugehen. Und meine Forderung nach der einzig richtigen Perspektive, nämlich die Aufhebung der bürgerlichen Gesellschaft, nützt dem Conne Island derzeit praktisch auch nicht viel.

Hannes


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last modified: 28.3.2007