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au revoir tristesse. ladyfest hits!


Interview mit den OrganisatorInnen des Ladyfests Leipzig

Ladyfest Leipzig, 24.3k

Anfang der 90er Jahre entwickelte sich in der Punk/Hardcore Szene der beiden US-amerikanischen Städte Washington D.C. und Olympia eine rege feministische Aktivität mit links-politischem Anspruch: das Riot Grrl-movement war geboren. Aus ihm gingen Bands wie Bikini Kill, Team Dresch, Sleater Kinney und Le Tigre hervor. Frauen und Mädchen begannen sich zusammenzuschließen, um die permanente Unterrepräsentation von Musikerinnen und Künstlerinnen zu unterlaufen. Unter dem Motto „female self-empowerment“ wurden Festivals, Konzerte, Übungsräume, Filmabende etc. in den verschiedensten Bereichen organisiert. Der politische Anspruch umfasste dabei mehr als ein feministisches Anliegen: Neben der Förderung von künstlerisch/musikalischer Kreativität spielt eine klare Abgrenzung gegen Rassismus, Ausgrenzungs- und Globalisierungspolitik eine entscheidende Rolle in den Aktivitäten der Riot Grrls.
Mit den Jahren machte das Prädikat der rebellischen Grrls insbesondere in Europa Mode. Die Musik- und Kleidungsindustrie hatte schnell herausgefunden, dass „Girlism“ sich gut verkaufen ließ. Aus dem ursprünglichen Begriff „Grrl“ wurde „Girlie“: ein stigmatisierter Markenbegriff ohne politisch-feministische Aussagekraft. In den USA hatte das zur Folge, dass sich die ehemaligen Riot Grrls den Begriff „Lady“ aneigneten. Damit schufen sie sich eine neue, passendere Identität: Ladies sind älter, reifer und souveräner. Sie wissen, was sie tun, und zeigen damit, dass Feminismus gleichzeitig cool und sexy sein kann.

VertreterInnen des Conne Islands sprachen mit verschiedenen Organisatorinnen des Ladyfestes. Die Gruppe hat sich für das Ladyfest neu gegründet und besteht aus Frauen aus ganz verschiedenen Umgebungen.

vorläufiges Programm im Rahmen des Ladyfestes:

Mi, 16.07 (LIWI 22:00)
+ Film „Step up and be vocal“ (BRD 2001)
(Interviews über Queer, Punk & Feminismus in San Francisco)
Do, 14.08. (Conne Island, 21:00)
+ Film „Das verordnete Geschlecht“ (Oliver Tolmein, Bernd Rotermund)
Wie aus Zwittern Frauen und Männer gemacht werden – Dok-Film über Geschlechter- & Körperpolitik)
Sa, 16.08. (Conne Island)
+ 17:00 Diskussionsveranstaltung mit der Redaktion der „Fiber – Werkstoff für Feminismus und Popkultur“ aus Österreich
+ ab 20:00 Konzert mit
++ Angie Reed (musician and artist, ex Stereo Total, Angie et ses Tigres u.a.)
++ Histeria (75% Grrl Punk, der viel zu sagen hat im Namen aller Ausgeschlossenen, Polen)
++ Don’t nod (Hamburg)
+ danach Disko mit verschiedenen DJanes

http://www.ladyfestleipzig.de/

C.I.: Das Ladyfest findet in diesem Jahr erstmalig in Deutschland statt. Das größere Fest wird es in Hamburg geben, aber auch in Berlin und Leipzig werden Ladyfeste geplant. Wie seid Ihr auf die Idee gekommen, das Ladyfest nach Leipzig zu holen?

Ladyfest: Da gibt es einige Gründe. Einer ist sicherlich der Besuch anderer Ladyfeste und dass wir die positiven Erfahrungen, die wir dort gemacht haben, auch hier für Leipzig umsetzen möchten. Wir wollen anderen die Möglichkeit geben, genauso positive Erfahrungen zu machen. Zum Zweiten halten wir die inhaltliche Kritik, die durch so ein Ladyfest wieder auf die Tagesordnung gebracht wird, für immer noch relevant, nämlich die Kritik einer kulturellen Unterrepräsentation von Frauen in vielen gesellschaftlichen Bereichen. Ein anderer Grund ist natürlich, dass wir es auch für wichtig halten, Netzwerke auf- und auszubauen, und zwar hier in der Region und nicht nur anderswo. Das Ladyfest soll Ideen für andere Projekte liefern und Denkanstoß sein. Außerdem passt es gerade gut in die gegenwärtigen Aktivitäten in Leipzig, denn das Ladyfest steht ja nicht alleine da. Es gibt zum Beispiel Gruppen oder Veranstaltungen wie die Propellas, die Mädchentage und Homoelektrik, die alle versuchen, die Geschlechterverhältnisse zu thematisieren. Da ist das Ladyfest Leipzig eine gute Ergänzung.

C.I.: Aber es gibt ja zum Beispiel schon andere Frauen-Initiativen wie zum Beispiel Fantifa-Gruppen, Frauenzentren, etc ...

Ladyfest: Ja, aber für Menschen, die sich nicht konkret damit beschäftigen, sind diese Gruppen eher unsichtbar, nicht präsent. Das Ladyfest in Leipzig bietet in diesem Zusammenhang die Möglichkeit, das Thema Geschlechterverhältnisse wieder in eine größere Öffentlichkeit zu heben. Das passiert ja weltweit, also warum soll das hier nicht möglich sein?

C.I.: Warum habt Ihr Euch für die Organisation eines „Ladyfests“ entschieden? Es hätte ja auch andere Möglichkeiten der thematischen Umsetzung gegeben.

Ladyfest: Das Label „Ladyfest“ ist sinnvoll, weil wir uns damit in einen größeren Kontext einbinden. Man knüpft an bestehende Netzwerk an und schaut, was man gemeinsam machen kann.
Außerdem gibt es seit längerem eine Diskussion um Sexismus in der Szene (und außerhalb). Es ist eine gute Variante, diese nicht nur auf einer theoretischen Ebene zu führen, sondern auch mal eine coole Veranstaltung zu machen. Wir wollen den Leuten zeigen, wie man vielleicht ein bisschen anderes Flair leben und Spaß dabei haben kann. Damit können wir auch ein größeres Publikum ansprechen als immer nur mit theoretischen Debatten.

C.I.: Was bedeutet „Lady“ für Euch?

Ladyfest: „Lady“ bezeichnet nicht nur Frauen. Der Begriff kann auch so belegt werden, dass er auf die gemünzt ist, denen grundsätzlich emanzipatives Leben am Herzen liegt. So verstehen und benutzen wir den Begriff auch. Egal, ob nun Männer, Frauen oder Menschen, die sich jenseits gängiger Geschlechterrollen definieren – jeder kann „Lady“ sein. Dass das nicht passiert, ist ein Hinweis auf ein falsches Bewusstsein. Ein Ladyfest hat ein grundsätzlich emanzipatorisches Thema und ist ein Fest, an dem sich alle beteiligen können, die wollen. Wir hören oft die Frage, ob zum Ladyfest nur Frauen kommen dürfen und noch mal: NEIN! Es ist offen für alle, die Bock haben, sich emanzipatorisch zu engagieren. Dass wir trotzdem in der Vorbereitungsgruppe nur Frauen sind, ist bedauerlich. Es ist aber grundsätzlich nicht unser Problem, wenn Männer sich nicht mit Unterdrückungsmechanismen auseinandersetzen, die sie zum Teil mittragen. Für Leipzig kann man auch feststellen, dass es hier nur wenige Männer gibt, die bereit sind, bestimmte patriarchale Strukturen in der Gesellschaft zu kritisieren und zu thematisieren. Es existieren starke informelle Hierarchien, die noch schwerer sichtbar zu machen oder anzugreifen sind als andere. Eben weil eigentlich behauptet wird, dass es so etwas nicht mehr gibt.

C.I.: Übernehmt Ihr die Konzepte der Ladyfeste in Amsterdam oder Hamburg? Inwieweit lasst ihr eigene Ideen einfließen?

Ladyfest: Nein, wir können die Konzepte nicht so übernehmen, weil sie natürlich alle auch lokal zugeschnitten sind und auf Strukturen aufbauen, die es hier einfach noch nicht gibt. Zum Beispiel gibt es eben in Hamburg ein Frauenmusikzentrum. In beiden Städten geht das Fest mehrere Tage und beinhaltet eine viel größere Bandbreite von Aktivitäten. Wir haben unser Ladyfest aus organisatorischen Gründen auf nur einen Tag beschränkt. Diese Einschränkung hängt auch damit zusammen, dass sich diese Gruppe hier ganz neu findet und dadurch bestimmte Sachen einfach noch nicht umzusetzen sind. Es ist gut, erst mal einen Anfang zu machen.

C.I.: Und was kann das Ladyfest für Leipzig leisten?

Ladyfest: Es geht darum zu zeigen, dass es Spaß macht, sich für feministische Anliegen zu engagieren. Wir nutzen die Möglichkeit, etwas mit einer Mehrzahl von Frauen auf die Beine zu stellen. Dadurch wollen wir Freiräume schaffen für Frauen, Transgender, queer,... Wir wollen aufmerksam machen auf patriarchale Umstände und gleichzeitig zeigen, dass nicht alles so bleiben muss, wie es ist. Außerdem kann das Ladyfest auch dazu beitragen, den negativ belegten Begriff „Feminismus“ wieder positiv zu besetzen. Eine weitere Leistung des Festes ist es, dass wir zeigen, was es hier in Leipzig so alles an Frauen-Strukturen gibt (was ja dann im Endeffekt eher deprimierend wenig ist), aber es ist zumindest ein Anlass, solche Initiativen zu bündeln und zu unterstützen. So ein Ladyfest gibt einer breiteren Öffentlichkeit die Möglichkeit, zu sehen was alles an Bands, Fanzines, Projekten überhaupt existiert. Vielleicht wird dann dadurch die Eine oder Andere dazu ermutigt, selbst aktiv zu werden. „Don’t be in love with the guitarrist, be the guitarrist“ – wäre schön, wenn unser Ladyfest ein Ansporn sein könnte.

C.I.: Wo stößt das Ladyfest an seine Grenzen?

Ladyfest: Das Ladyfest wird die Strukturen nicht von heute auf morgen verändern oder gar beseitigen. Es kann nur ein Anstoß sein, und es wird nicht alleine ausreichen. Es ist ein Versuch, was sich daraus ergibt, wird sich zeigen. Aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung, sich mit dem Thema Geschlechterverhältnisse auseinander zu setzen und manchen Leuten die Realität wieder bewusst zu machen. Es kann auch nicht die Vorurteile gegen den Feminismus sofort aushebeln. Es wird immer Leute geben, die sich im Recht fühlen, über Andere zu urteilen. Eine weitere Grenze liegt im Ladyfest selber: Wir haben bis jetzt fast nur deutsche Bands auf der Bühne, und das ist schon eine ganz schöne Einschränkung. Langfristig sollte sich das ändern. Dann müssten auch Fragen diskutiert werden, wie leben MigrantInnen in Deutschland, etc.

C.I.: Inwiefern hat das Ladyfest einen politisch-emanzipatorischen Anspruch?

Ladyfest: Es gibt Ungleichgewichte zwischen den Geschlechtern. Wer das bestreitet, diskutiert an der Gegenwart vorbei. Es gibt genug Leute, die sagen, es herrsche schon Gleichberechtigung, Frauen könnten doch machen, was sie wollen, also was wollt ihr noch? Denen empfehlen wir zur Lektüre den Text von Tine Plesch in dieser Ausgabe. Wir müssen Ungleichgewichte auch als Ungleichgewichte benennen! Der politische Charakter ergibt sich auch schon daraus, dass das Fest eben in eine weltweite Ladyfest-Bewegung eingebunden ist. Durch diese Verankerung ergibt sich ja schon der links-politische, nicht-kommerzielle Ansatz. Es geht eben nicht darum, so mainstream-mäßig Frauen zu fördern, sondern es wird ein Anspruch an das Gesellschafts-System geltend gemacht. Wir hätten das Ganze ja auch Frauen-Musikfestival nennen können, aber es ist ein Ladyfest und steht damit in der Tradition anderer Ladyfeste. Unser Anspruch ist auch zu zeigen, dass man nicht nur konsumieren muss, sondern auch selbst produzieren kann. Wir machen eine praktische Sache, binden das Ganze aber in einen theoretischen Diskurs ein, indem wir am selben Tag eine Diskussionsveranstaltung anbieten. Uns ist schon klar, dass wir das System nicht grundsätzlich verändern, aber wir wollen den Blick öffnen dafür, dass wir nicht alle Herrschaftsstrukturen der Gesellschaft mitmachen müssen, sondern dass es möglich ist, neue Formen aufzuzeigen und auszuprobieren. Es ist unser Versuch, einer wie auch immer gearteten Diskriminierung entgegenzusteuern.

C.I.: Im Vorfeld gab es ja einige Diskussionen um das Ladyfest hier in Leipzig. Was sagt ihr zu dem Vorwurf, dass so ein Ladyfest einen eher reformistischen Charakter hat und keinen revolutionären?

Ladyfest: Wir finden, dass das Ladyfest an sich seine Legitimation aus der gesellschaftlichen Situation heraus bezieht, und die muss man nicht mehr beweisen. Wer das immer noch nicht begriffen hat, dem ist nicht mehr zu helfen. Die Kritik setzt falsch an, weil ein Festival ein Festival ist und eben nur begrenzte Möglichkeiten bietet. Deshalb planen wir ja auch eine politische Veranstaltung im Vorfeld. Aber bloß weil eine Sache nicht gleich das ganze System stürzt, muss man nicht auf Seite der „Täter“ verharren oder falsche Strukturen permanent mittragen, sondern wir wollen dennoch versuchen, diese Strukturen punktuell zu durchbrechen. Der Vorwurf des „Nicht-antikapitalistisch-genug-Seins“ ist schon auch ein Stückweit hilfreich, um darauf hinzuweisen, wo unsere Grenzen liegen, aber in der Praxis wird er immer dazu genutzt, bestimmte Aktivitäten – Sachen wie das Ladyfest oder generell feministische Aktivitäten – zu blockieren. Das Ladyfest kann natürlich erst mal nur ein kleiner Schritt zur Veränderung sein. Vielleicht hat es für manche Leute einen reformistischen Anspruch, aber der Kontext, aus dem es kommt, besteht ja weiter, und natürlich denken wir auch eine Abschaffung des Patriarchats und des Kapitalismus mit. Wir haben einfach Bock darauf, dieses Fest hier durchzuziehen und finden, dass wir uns nur so Freiräume schaffen können.

C.I.: Was findet am 16. August 2003 statt? Welches Programm habt ihr geplant?

Ladyfest: Es wird ab Mitte Juli drei Filmveranstaltungen geben und direkt am 16.8. eine Diskussionsveranstaltung mit der österreichischen Zeitschrift „fiber“. Ansonsten wird es vor allem ein Konzertabend sein, der sowohl Punk, Pop, Electro und Performance beinhaltet. Außerdem werden sich verschiedene Projekte vorstellen, DJanes auflegen und es wird einfach eine große, geile Party, zu der alle herzlich eingeladen sind.



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last modified: 28.3.2007